Editorial
In der Juni-Ausgabe der Klimazeitung berichten wir über das deutliches Ja zum Stromgesetz und die neuen Konflikte rund um die Umsetzung. Mitte-rechts-Parteien pushen AKWs. Das Klimaseniorinnen-Urteil wird hitzig debattiert, und drei neue Klimainitiativen werden zur Ablehnung empfohlen. Zudem wird der Artenschutz in der Schweiz nach wie vor vernachlässigt und vom BAFU kleingeredet.
International gibt die Klimafinanzierung zu reden. Reiche Länder deklarieren bestehende Entwicklungshilfe einfach um, zudem fliesst ein Grossteil der Gelder zurück in den globalen Norden. Doch es gibt auch Positives: Die erneuerbaren Energien sind rasant am Wachsen, Chinas CO2-Ausstoss sinkt und auch die globalen Emissionen könnten bald zurückgehen. Zudem beeinflusst Europas Klimapolitik im Industriesektor auch China. Die EU kann eine positive Bilanz ihres EU-Green-Deals verzeichnen. Aber auch da gibt es noch viel zu tun, denn die Klimapläne der EU-Mitgliedsstaaten sind nicht auf Zielkurs.
Die Klimakrise rollt derweil weiter: Temperaturrekorde, tödliche Hitzewellen und grossflächige Überschwemmungen rund um den Globus. Neue Studien zeigen: Emissionen zu drosseln, wäre sechs Mal billiger, als die Klimakrise in Kauf zu nehmen.
Schweiz
Deutliches Ja zum Stromgesetz und gleich neue Konflikte
Die Stimmbevölkerung hat das Stromgesetz mit 68,7% klar angenommen. Sämtliche Kantone stimmten der Vorlage zu, gegen welche die SVP und Landschaftsschützer:innen das Referendum ergriffen hatten. Es sieht verbindliche Ausbauziele für erneuerbare Energie bis 2035 vor. Damit wurden die im Vorfeld gemachten Abstimmungsprognosen leicht übertroffen. Mehr dazu im Tages-Anzeiger und bei SRF. Gemäss der vom Tages-Anzeiger (paywall) durchgeführten Nachbefragung haben Personen aller Einkommensklassen deutlich Ja gesagt, auch Anhänger:innen aller Parteien (mit Ausnahme der SVP).
Umweltverbände wie der WWF und die Schweizerische Energie-Stiftung und auch der Branchenverband Swissolar sind erfreut über den Ausgang der Abstimmung. Damit werde die Abkehr von fossilen Energieträgern beschleunigt.
So deutlich das Resultat ist: Die Vorstellungen darüber, welche energie- und klimapolitischen Massnahmen nun zu ergreifen sind, gehen weit auseinander:
- Wasserkraft: Das Stromgesetz umfasst 16 Wasserkraftprojekte, auf die sich die Energiewirtschaft mit einigen Umweltorganisationen geeinigt hat. Diese sollen nun rasch gebaut werden, wird von Energieunternehmen und von bürgerlichen Politiker:innen gefordert. Damit dies nicht durch Einsprachen verzögert werden kann, soll des Verbandsbeschwerderecht der Umweltorganisationen weiter eingeschränkt werden, verlangt der Wasserwirtschaftsverbands im Tages-Anzeiger. Das gleiche fordert Mitte-Ständerat Beat Rieder in der NZZ.
- Solarenergie- und Windkraft: Das Parlament diskutiert derzeit über den sogenannten Beschleunigungserlass. Damit sollen bis 2025 der Solar- und der Windexpress abgelöst und grosse Kraftwerke für erneuerbare Energien schneller gebaut werden können. Die Grünen haben letzte Woche die Solarinitiative lanciert, die bei Neu- und Umbau die Installation einer Solaranlage verlangt. Strom soll dort produziert werden, wo er gebraucht wird.
- Atomkraft: Obwohl das Stromgesetz den Zubau erneuerbarer Energie festschreibt, lancieren bürgerliche Parteien und Teile der Wirtschaft gleich nach der Abstimmung eine Debatte um AKWs (mehr dazu im nächsten Abschnitt). So will der Wirtschaftsverband Economiesuisse, dass in der Schweiz Grosskraftwerke, inklusive AKWs, gebaut werden können (auf Linkedin kritisiert Ökonom und Aktivist Nick Beglinger die Haltung des Verbands heftig). Greenpeace hingegen verlangt, dass nun das AKW Beznau abgeschaltet werde. Die Energie-Stiftung hat einen Appel an Bundesrat Rösti lanciert, den Willen der Bevölkerung zum Atomausstieg zu respektieren. Der Nationalrat hat in der Woche nach der Abstimmung ein Postulat der SVP abgelehnt, wonach der Bundesrat den Bau von AKWs genauer hätte prüfen müssen. Mehr dazu im Tages-Anzeiger (paywall), der Wochenzeitung, der Handelszeitung und der NZZ.
Und wieder wird über AKWs debattiert
Im Februar hatte der Energie Club der Schweiz die Blackout-Initiative «Jederzeit Strom für alle (Blackout stoppen)» eingereicht. Sie will das 2017 vom Volk beschlossene Bauverbot für neue AKWs aufheben. Bis es zur Abstimmung kommt, dauert es noch einige Zeit, doch schon jetzt sorgen AKWs für intensive Diskussionen. Wirtschaftsverbände und bürgerliche Parteien verlangen, Atomkraft zu ermöglichen (siehe oben). Martin Neukom, Regierungsrat der Grünen im Kanton Zürich, sagte dem Tages-Anzeiger (paywall) schon vor der Abstimmung, dass es ein Verbot von AKWs nicht brauche. Allerdings aus ganz anderen Gründen: Er hält den Gesetzesartikel für überflüssig, denn es sei finanziell viel zu riskant, in die Atomkraft zu investieren. Der Präsident der Konferenz Kantonaler Energiedirektoren, Roberto Schmidt, sieht überhaupt keinen Grund, über neue Atomkraftwerke nachzudenken. In einem Interview mit der NZZ sagte er: «Kurz- und mittelfristig lässt sich in der Schweiz kein neues Kernkraftwerk realisieren.» Und eine neue Generation von Reaktoren sei nicht verfügbar. «Statt uns über den Atomstrom zu streiten, sollten wir uns auf den Ausbau der erneuerbaren Energien konzentrieren.»
Die Bevölkerung ist bei der Frage gespalten, ob wieder eine Diskussion über die Aufhebung des Bauverbots für AKWs geführt werden soll: 49% sind für eine Debatte, 47% dagegen. Dies zeigt eine repräsentative Umfrage von gfs.bern im Auftrag des Verbands der Schweizerischen Elektrizitätsunternehmen. Die Mehrheit der Befragten ist zudem einverstanden mit dem Kurs des Bundesrats, erneuerbare Energien auszubauen, um bis 2050 klimaneutral zu werden. Und über 70% sind damit einverstanden, dass die bestehenden Kernkraftwerke möglichst lange betrieben werden. Mehr dazu im Tages-Anzeiger und der NZZ.
Die Erkenntnis ist nicht neu: Will die Schweiz bis 2050 klimaneutral werden, ist die Produktion fossilfreier Energien enorm auszubauen. Eine Studie der ETH Lausanne, die dies aufzeigt, sorgt dennoch für Diskussionen. Sie geht von einem deutlich höheren Stromverbrauch aus, unter anderem mit der Annahme, Energiesparen führe zu einem höheren Verbrauch. Grund dafür sei ein Rebound-Effekt (eingesparte Energie und Geld würden an anderer Stelle verbraucht). Und sie kommt zum Schluss, dass das Klimaziel am günstigsten mit neuen Atomkraftwerken zu erreichen sei (neben dem Ausbau von Windkraft und Photovoltaik wären sechs grosse AKWs nötig). Die Studie räumt selbst ein, dass sich die dafür nötige neue Generation an Kraftwerken erst in einer experimentellen Phase befänden. Kritiker bemängeln, dass es für die in der Studie angenommenen (tiefen) Gestehungskosten von Atomstrom keine Grundlage gäbe. Im Tages-Anzeiger (paywall) verlangt Andreas Züttel, einer der Studienautoren, dass die Schweiz vollkommen energieautark sein soll. Noch vor zwei Jahren hatte er in einer Medienmitteilung des Bundes das Gegenteil verlangt: «Wir müssen uns also von der Vorstellung verabschieden, dass wir unseren gesamten Energiebedarf mit im Inland erzeugter, erneuerbarer Energie decken können.» Mehr dazu in der Sonntagszeitung und in der NZZ.
Klimaseniorinnen-Urteil führt zu hitziger Debatte
Die Klimaseniorinnen kommen ins Kino. Im Dokumentarfilm «Trop Chaud», der ab November 2024 auch gestreamt werden kann, erzählen sie, wie es zu diesem Prozess und dem Urteil kam und was der Entscheid bedeutet.
Das Bundesparlament interessiert diese Geschichte nicht. National- und Ständerat weisen das Urteil zurück, das der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) Anfang April gegen die Schweiz gefällt hatte (eine Einordnung von Fachleuten aus Klima-, Politik- und Rechtswissenschaft ist in der Republik zu lesen). Beide Räte haben einer Protesterklärung zugestimmt. Darin kritisieren sie den «gerichtlichen Aktivismus» des EGMR und die dynamische Auslegung der Europäischen Menschenrechtskonvention, die seit einiger Zeit gepflegt werde. Der Bundesrat wird aufgerufen, das Ministerkomitee des Europarates darüber zu informieren, dass die Schweiz keinen Anlass sehe, dem Urteil «weitere Folge zu geben.» Das heisst, das Urteil aus Strassburg soll nicht respektiert werden. Mehr dazu im hier und hier im Tages-Anzeiger, hier und hier in der NZZ sowie im Guardian. Zuvor hatte bereits Bundesrat Albert Rösti das Urteil kritisiert. Der Umweltminister sehe persönlich in der Klimapolitik keinen weiteren Handlungsbedarf, sagte er in einem SRF-Interview.
Die Erklärung des Parlaments hat zwar keine rechtliche, aber eine symbolische Bedeutung. Und sie könnte den Bundesrates beeinflussen, der bis im Oktober seinen Plan zur Erfüllung des Urteils dem Ministerkomitee des Europarates übermitteln wird. Der Entscheid der Räte hat viele negative Reaktionen ausgelöst. In der NZZ bezeichnet Jörg Paul Müller, emeritierter Staatsrechtsprofessor, die Erklärung als «unverzeihlichen Verstoss gegen von der Schweiz anerkanntes Recht und damit ein Schlag gegen das Prinzip des Vorrangs des Rechts vor Politik.» Das Klima-Urteil sei verbindlich. Die Umweltorganisation Greenpeace, welche die Klimaseniorinnen unterstützt hat, bezeichnet die Erklärung als «unzulässigen Eingriff in die Gewaltenteilung». Die Republik spricht von einem «neuen Illiberalismus» und einem «politischen Tabubruch. Für den Tages-Anzeiger (paywall) ist dies «ein populistischer Tiefschlag sondergleichen», der dem Rechtsstaat schade.
Unabhängig von der politischen Auseinandersetzung könnte das Urteil aus Strasburg Gerichtsentscheide gegen Klimaaktivist:innen beeinflussen. Ein Lausanner Strafrechtler, der mehrere Angeklagte in Strafverfahren vertritt, ist der Auffassung, das Urteil müsste sich auf die Schweizer Rechtsprechung auswirken. «Wenn das Bundesgericht die Position vertritt, dass vom Klimawandel keine Gefahr ausgeht und Proteste gegen mangelnden Klimaschutz in vielen Fällen als widerrechtlich taxiert, sind diese Rechtsauffassung und Urteile gegen Klimaaktivisten vor dem EGMR kaum mehr haltbar.» Mehr dazu im Tages-Anzeiger (paywall). Und in der NZZ ist zu lesen, dass das Urteil dazu führen könnte, dass im Klimaschutz ein Verbandsbeschwerderecht eingeführt werden könnte. Diese hat Helen Keller, frühere Schweizer Richterin am EGMR, in der Anhörung vor der ständerätlichen Rechtskommission aufgezeigt.
Nein zu drei Klimainitiativen
Klimafonds-Initiative, Initiative für eine Zukunft und Umweltverantwortungsinitiative - drei neue Vorstösse, um schneller und entschiedener gegen den Klimawandel vorzugehen, werden vom Bundesrat respektive Nationalrat abgelehnt.
Der Bundesrat sagt Nein zur Volksinitiative «Für eine gerechte Energie- und Klimapolitik: Investieren für Wohlstand, Arbeit und Umwelt (Klimafonds-Initiative)», welche die SP und die Grünen eingereicht hatten. Die Parteien wollen den Bund dazu verpflichten, jährlich 0,5-1% des Bruttoinlandprodukts in einen Fonds einzulegen. Dies würde jährlich 3,9-7,8 Milliarden CHF einbringen. Damit soll der Bund unter anderem Massnahmen unterstützen, um den Verkehr, Gebäude und Wirtschaft zu dekarbonisieren, den Energieverbrauch zu senken, erneuerbare Energie auszubauen und die Biodiversität zu stärken. Der Bundesrat ist der Ansicht, für Klima und Biodiversität würden heute genügend Mittel zur Verfügung stehen.
Auch die Initiative «Für eine soziale Klimapolitik – steuerlich gerecht finanziert (Initiative für eine Zukunft)» der Juso lehnt der Bundesrat ab. Damit wollen die Initiant:innen eine Erbschaftssteuer von 50% auf Erbschaften und Schenkungen ab einem Freibetrag von 50 Millionen CHF einführen. Die Einnahmen von jährlich 6-7 Milliarden CHF sollen eingesetzt werden, um die Klimakrise sozial gerecht zu bekämpfen und die gesamte Wirtschaft umzubauen. Laut dem Bundesrat setzt die Initiative falsche Anreize. Und er fürchtet, dass die Einführung einer Erbschaftssteuer auf sehr hohe Vermögen die Attraktivität der Schweiz für vermögende Personen schwäche. Letztmals wurde 2013 über eine eidgenössische Erbschaftssteuer abgestimmt. Diese sah eine Abgabe von 10% auf Vermögen über 2 Millionen CHF vor, zweckgebunden für die AHV. Sie wurde abgelehnt. Mehr dazu bei Watson, hier und hier auf SRF und in der NZZ.
Die beiden Initiativen werden als nächstes vom Parlament beraten. Bereits in der parlamentarischen Diskussion befindet sich ein dritter Vorstoss: die Umweltverantwortungsinitiative der jungen Grünen. Sie fordern, dass die Umweltbelastung der Schweiz innerhalb von zehn Jahren so reduziert wird, dass die wissenschaftlich definierten planetaren Grenzen eingehalten werden. Dies betrifft die Bereiche Klima, Artensterben, Abholzung und Verschmutzung von Luft, Wasser und Böden. Der Nationalrat hat den Vorstoss in der Sommersession abgelehnt; auf einen direkten Gegenvorschlag wird verzichtet. Als nächstes befasst sich der Ständerat damit. Die Mehrheit des Nationalrats ist der Meinung, die Initiative hätte extreme wirtschaftliche und gesellschaftliche Konsequenzen und eine Umsetzung in der geforderten Frist von zehn Jahren sei nicht möglich. Laut einer Studie des Bundesrats müsste der Fussabdruck pro Einwohner:in gegenüber 2018 bei den Treibhausgasen um über 90% Prozent reduziert werden, bei der Biodiversität um 70% Prozent und beim Stickstoff um rund 50%. Mehr dazu auf SRF und in der NZZ.
Weniger Treibhausgase und Ansätze zur Speicherung
Der Ausstoss von Treibhausgasen in der Schweiz nahm 2022 gegenüber dem Vorjahr um 3,5 Millionen Tonnen (7,8%) auf 41,6 Millionen Tonnen ab (gerechnet in CO2-Äquivalenten). Im Vergleich mit 1990 lagen die Emissionen 24% tiefer, wie das jährliche Treibhausinventar des BAFU zeigt. Ein Rückgang war vor allem im Gebäudesektor zu beobachten. Dies war dem ausserordentlich milden Winter zu verdanken, wodurch weniger Gas und Heizöl verbrannt wurde. Auch der Einbau von Wärmepumpen zeigt Wirkung. Die Emissionen der Industrie sind ebenfalls gesunken. Hier wirkte sich unter anderem der Einbau eines Katalysators am Sitz der Arxada AG (ehemals Lonza AG) in Visp aus (es entweicht weniger Lachgas) sowie die im Winter 2022/2023 vom Bundesrat empfohlenen Massnahmen, um Erdgas zu sparen. Mehr dazu bei Watson.
Die Emissionen des Verkehrs blieben praktisch unverändert. Weil der Ausstoss von Gebäuden und Industrie sinkt, ist der Anteil des Verkehrs auf 33% gestiegen. In der Landwirtschaft gingen die Emissionen leicht zurück; sie verursacht 16% der inländischen Treibhausgasemissionen. Die Hälfte davon geht auf die Milchproduktion zurück. In der NZZ ist zu lesen, wie mit dem Projekt «Klimastar Milch» der CO2-Fussabdruck reduziert werden soll. Das von Nestlé und Emmi, zwei der grössten Milchverarbeiter des Landes, lancierte Vorhaben wird vom Bund unterstützt. Eine Reduktion des Tierbestands ist allerdings nicht vorgesehen.
Um die Klimaziele bis 2050 zu erreichen, sucht die Schweiz nach Möglichkeiten, CO2 zu speichern. Gemäss aktueller Rechnung werden dies 2050 rund 12 Millionen Tonnen pro Jahr sein (über ein Viertel des heutigen Ausstosses von Treibhausgasen), die nicht vermieden werden können. In der NZZ ist zu lesen, dass die Schweiz ein Abkommen mit Norwegen anstrebt, um in Zukunft im Meeresgrund vor der norwegischen Küste in grossem Stil CO2 einlagern zu können. Die dazu erforderliche «Carbon capture and storage»-Technologie (Abscheidung von CO2 an der Quelle und Einlagerung) ist allerdings noch nicht ausgereift.
Auch in der Schweiz sucht der Bund nach Lösungen, um CO2 zu speichern. Dies soll in einem alten Bohrloch der Nagra im zürcherischen Trüllikon getestet werden, wie der Tages-Anzeiger schreibt. Bis der Speicher zur Verfügung steht, dürfte es aber noch 15-20 Jahre dauern.
Auch die Schweizer Wälder speichern Treibhausgase. Die Wochenzeitung berichtet kritisch über ein Kompensationsprojekt in Davos/Prättigau. Dort haben Waldeigentümer:innen über 13’000 Hektaren Wald für die Klimakompensation registrieren lassen, was der Fläche von Zürich- und Bielersee entspricht. Zu den Käufer:innen der Zertifikate zählt die Fluggesellschaft Swiss. Fachleute sehen darin vor allem das Potenzial für Greenwashing. Denn die Leistung der Wälder als CO2-Senken wird bereits vom Bund an die Verpflichtung angerechnet, den CO2-Ausstoss zu reduzieren.
Unten mehr zu Praktiken und Technologien zur Entferung von CO2 aus der Luft. Der Wirtschaftsverband swisscleantech hat ein Positionspapier zur Entfernung von CO2 aus der Atmosphäre veröffentlicht. Darin wird gefordert, dass bei Negativemissionen eine nachhaltige Waldbewirtschaftung (Pflanzenkohle oder langlebige holzbasierte Produkte) sowie Abscheidung bei Abfallverbrennungen und Zementproduktion im Fokus stehen. Gleichzeitig müsse der CO2-Preis für alle Emissionen so angehoben werden, damit die externen Kosten gedeckt sind.
Solaranlagen: Offene Rechtsfragen und mehr Potenzial
Aktuell sind 48 alpine Solarprojekte in Planung, wie eine Aufstellung des Verbands Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen zeigt (letzte Aktualisierung 02.05.2024); im März waren es 47 gewesen. Für zehn der geplanten Anlagen ist ein Baugesuch eingereicht worden, wie eine Übersicht des Bundesamts für Energie zeigt.
Vier Vorhaben sind von der ersten Instanz bewilligt worden: «Vorab», «Nalps» und «Scharinas» im Kanton Graubünden sowie «Morgeten Solar» im Kanton Bern. Gegen den Entscheid im Berner Simmental haben die Stiftung Landschaftsschutz, der Schweizer Alpen-Club und Mountain Wilderness beim Berner Verwaltungsgericht Beschwerde eingereicht. Angesichts zahlreicher offener Rechtsfragen und der grossen Präjudizwirkung sei eine gerichtliche Überprüfung nötig, um Rechtsklarheit zu schaffen. Mehr dazu bei SRF, im pv magazine, im Thuner Tagblatt und im Blick. Im Saanlenland, Kanton Bern, hat die Stimmbevölkerung das Projekt Solsarine zum zweiten Mal ablehnt, berichtet die Berner Zeitung.
Für alpine Solaranlagen, die bis Ende 2025 mindestens 10% des Stroms ins Netz abgeben, bezahlt der Bund bis 60% der Kosten. Doch selbst mit diesen Subventionen ist ungewiss, ob sich die Anlagen rechnen. SRF zeigt auf, wie die hohen Baukosten bei alpinen Bauvorhaben und die tiefen Strompreise die Rechnung belasten.
Bereits vor der Abstimmung zum Stromgesetz hatte der Bundesrat einen Entwurf zur Verordnung in die Vernehmlassung geschickt. Die darin vorgeschlagenen Mindesttarife verunsichern die Branche. In einigen Fällen könnte die zugesicherten Tarif null Rappen pro Kilowattstunde betragen. Der Verein energie-wende-ja kritisiert die zu tiefen Mindesttarife. Mehr dazu in der Berner Zeitung.
Wie sich die Solarenergie ohne Freiflächenanlagen in der Natur ausbauen lässt, zeigt Basel. Der Kanton mit dem ambitioniertesten Klimaziel der Schweiz (netto null bis 2037), will die Pflicht, PV-Anlagen zu installieren, von Neu- auf bestehende Gebäude ausdehnen. Hauseigentümer:innen, die dieser Pflicht innert 15 Jahren nicht nachkommen, müssen eine jährliche Ersatzabgabe zahlen. Mehr dazu in der Basler Zeitung. Im Kanton Schaffhausen ist ein ähnlicher Vorstoss abgelehnt worden (siehe Blick).
Ob in den Bergen oder in der Stadt: PV-Anlagen profitieren davon, dass die Sonnenstrahlung seit 1980 stetig zunimmt. MeteoSchweiz zeigt auf, wie dank verbesserter Luftqualität und einer Abnahme der Wolken mehr Sonnenenergie auf die Erdoberfläche trifft. Das heisst aber auch, dass es heisser wird.
Widerstand gegen Reservekraftwerke
Der Stromverbrauch der Schweiz ging 2023 um 1,7% auf 56,1 Milliarden Kilowattstunden zurück. Gründe für den Rückgang nennt das Bundesamt für Energie allerdings nicht. Aufgeführt werden bloss Faktoren, die verbrauchsteigernd wirken: Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum sowie ein gegenüber 2022 erhöhter Heizbedarf. Klärung soll eine vertiefte Analyse bringen, die im Oktober veröffentlicht wird. Mögliche Gründe sind die gestiegenen Strompreise sowie erzielte Effizienzgewinne. Gleichzeitig stieg die Stromproduktion um 13,5% auf 72,1 Mrd. kWh. Vor allem die Wasserkraftwerke lieferten mehr Energie. Dies führte dazu, dass die Schweiz 6,4 Mrd. kWh mehr Strom exportiert als importiert: 2022 war es umgekehrt, damals wurden 3,4 Mrd. kWh mehr importiert als exportiert.
Es überrascht deshalb nicht, dass die Eidgenössische Elektrizitätskommission die Stromversorgungssicherheit als «gewährleistet» betrachtet. Anders sieht das Energieminister Alfred Rösti. Sein Departement treibt den Bau von mehreren grossen fossilen Reservekraftwerken voran und hat eine Ausschreibung gemacht. Nun kommt Widerstand vom Bundesamt für Justiz, schreibt die NZZ. Die Jurist:innen halten den Plan für verfassungswidrig. Die Ausschreibung hätte nicht gestartet werden dürfen, weil die rechtliche Grundlage dafür fehlt. Gleichzeitig zeigen Energiefachleute in der NZZ auf, dass es günstigere und ökologischere Alternativen gibt.
Es ist nicht der erste Rückschlag für Rösti: Bereits im Februar hatte das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass der Bundesrat dem Reservekraftwerke in Birr keine Betriebsbewilligung hätte erteilen dürfen. Der Bundesrat habe nicht darlegen können, weshalb mit einer Strommangellage zu rechnen sei.
Klimawandel: Die Schweiz braucht neue Szenarien
Der letzte Winter war der wärmste, der je in der Schweiz gemessen wurde. Im Schnitt lag die Wintertemperatur (von Dezember 2023 bis Februar 2024) bei 0,9 °C, ist dem Klimabulletin von MeteoSchweiz zu entnehmen. Dies liegt 2,8 °C über dem Durchschnitt der Jahre 1991–2020. In allen drei Monaten war es zu warm; am deutlichsten war die Abweichung gegenüber dem Normwert mit 4,6 °C im Februar.
Der Klimawandel führt nicht nur zu höheren Temperaturen, sondern auch zu häufigeren Extremniederschlägen. Was die Schadensfolgen sind, kann das Mobiliar Lab für Naturrisiken der Universität Bern in einem neuen Tool berechnen. Dabei zeigt sich: Steigen die Wasserpegel an, nimmt das Schadenspotenzial sprunghaft zu. Ein Anstieg des Abflusses von Gewässern um 10% gegenüber dem bisherigen Höchstwert führt zu 40% höheren Gebäudeschäden in der Schweiz. Bei 20% höheren Abfluss resultieren 80% mehr Schäden. Mehr dazu im Tages-Anzeiger und der NZZ.
Wie entwickelt sich das Klima in der Schweiz? Was sind die absehbaren Folgen des Klimawandels? Diese Fragen beantworten die Klimaszenarien, die MeteoSchweiz seit 2024 regelmässig erstellt. Letztmals wurden die Zukunftsprognosen 2018 aktualisiert. Nun werden neue Szenarien (Klima CH2025) vorbereitet. Diese werden Ende 2025 vorliegen und einen Fokus darauf legen, wie sich Klimaextreme verändern. Angesichts der starken Veränderungen, die bereits zu beobachten sind, wird mit deutlichen Anpassungen gerechnet. Mehr dazu bei SRF. Der Klimawandel führt auch zu gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Veränderungen. Was das für die Schweiz bis ins Jahr 2100 bedeutet, untersucht das Forschungsprojekt «Sozioökonomische Szenarien» des National Centre for Climate Services (NCCS). Mehr dazu bei Infras.
Wie sich die Massnahmen gegen den Klimawandel auf die öffentlichen Finanzen auswirkt, hat der Bund untersuchen lassen. Der Bericht «Langfristperspektiven der öffentlichen Finanzen der Schweiz 2024» geht davon aus, dass Klimaschutzmassnahmen das Wirtschaftswachstum dämpfen werden, was die öffentlichen Einnahmen schmälern wird. Die Studie hat jedoch einen grossen Mangel: Sie vernachlässigt den Nutzen von Klimaschutzmassnahmen, wenn also klimabedingte Schäden vermieden werden können. Klimafachleute sind überzeugt, dass die Kosten des Nichtstuns langfristig sechs Mal grösser sind als die Kosten der ergriffenen Massnahmen, siehe Artikel unten. Mehr dazu im Tages-Anzeiger und der NZZ.
Artenschutz wird vernachlässigt und vom BAFU kleingeredet
Am 22. September 2024 stimmen wir über die Biodiversitätsinitiative ab, die Naturschutzorganisationen eingereicht haben. Sie fordert, dass Bund und Kantone mehr Flächen und finanzielle Mittel einsetzen, um die Artenvielfalt zu sichern.
Das Parlament hatte die Initiative abgelehnt und auf einen Gegenvorschlag verzichtet. Statt den Artenschutz zu stärken, haben National- und Ständerat eine bereits beschlossene Massnahme wieder rückgängig gemacht und zusätzliche Ökoflächen gestrichen. Vor drei Jahren hatten Bundesrat und Parlament festgelegt, dass auf 3,5% der Ackerfläche Säume und Streifen mit Blühpflanzen und Wildkräutern angesät werden. Dies war ein wichtiges Element des Massnahmenpakets, das unmittelbar vor der Abstimmung über die Pestizid- und die Trinkwasser-Initiative geschnürt worden war. Doch nach Ablehnung der beiden Initiativen gab das Parlament dem Druck der Agrarlobby nach und verschob die Einführung der Biodiversitätsförderflächen zweimal. Nun wurde die Massnahme ganz gestrichen. Mehr dazu im Blick, Tages-Anzeiger (paywall) und der NZZ.
Dabei sind die Fakten klar: Die Schweiz weist gegenüber anderen Industrieländern die höchste Anzahl bedrohter Arten auf und stellt die geringste Fläche unter Schutz. Doch nicht nur die Bauerlobby, sondern auch BAFU beurteilt den Zustand der Biodiversität viel positiver. Wie das möglich ist, zeigt die Republik auf. Berichte, die unliebsame Fakten zur Biodiversität enthalten, werden «frisiert». Dies zeigt der Vergleich des offiziellen Berichts «Wirkung des Aktionsplans Biodiversität» mit internen und externen Gutachten, die als Grundlage dienten. Die Anpassungen vorgenommen hat der Stab von SVP-Bundesrat Albert Rösti, der dem BAFU seit 2023 vorsteht. Politiker:innen und Umweltorganisationen kritisieren das Vorgehen scharf.
Klimarelevante Entscheide von Bund und Kantonen
Am 9. Juni wurde in mehreren Kantonen über Klima- und Energievorstösse abgestimmt (die Übersicht über die Resultate im Baublatt):
- Im Kanton Aargau steht neu ein Klimaartikel in der Verfassung. Damit werden Kanton und Gemeinden verpflichtet, sich für die Begrenzung des Klimawandels einzusetzen. Konkrete Massnahmen oder Ziele fehlen allerdings.
- Im Kanton Basel-Landschaft wurde die Revision des kantonalen Energiegesetzes angenommen. Es sieht vor, den Anteil erneuerbarer Energien am Gesamtverbrauch ohne Mobilität bis 2030 auf mindestens 70% zu steigern.
- Schaffhausen hat die Einführung einer Solarpflicht abgelehnt. Auf geeigneten Gebäuden hätte bei Neu- und Umbauten eine Solaranlage errichtet werden müssen.
- Im Kanton Zug wurde eine Veloinitiative abgelehnt. Sie verlangte ein sicheres, direktes und durchgehendes Veloverkehrsnetz.
Die Schweiz nimmt nicht mehr am europäischen Erdbeobachtungsprogramm Copernicus teil. Das hat der Bundesrat angesichts der «angespannten Finanzlage des Bundes» entschieden. Copernicus stellt grosse Mengen an Beobachtungsdaten zusammen und liefert die Grundlagen für die Klimaforschung. Der Bund hofft, dass Klimafachleute weiterhin Zugang zu den Daten haben, auch wenn die Schweiz nichts mehr an das Programm zahlt. Schweizer Forschende halten den Entscheid für kurzfristig und egoistisch. Mehr dazu auf SRF.
Um das Velofahren sicherer und attraktiver zu machen, haben sich zahlreiche Akteure in der Schweiz zusammengeschlossen. Dazu gehören nebst Bundesämtern, Kantone und Gemeinden auch Verkehrsbetriebe, Velohersteller, Unternehmen, Verbände und Hochschulen. Die entsprechende Roadmap Velo hat das Bundesamt für Strassen vorgestellt.
Internationale Klimapolitik
Klimafinanzierung: Zu wenig für Arme, zu viel für Reiche
Die meisten Länder mogeln
Die Industrieländer haben ihre Versprechen, jährlich 100 Milliarden US-Dollar für ärmere Länder bereitzustellen, nur eingehalten, weil sie laut einer neuen Analyse von Carbon Brief Milliarden von Entwicklungshilfegelder einfach als in «Klimafinanzierung» umdeklariert haben. Das gilt auch für die Schweiz.
Milliarden fliessen zurück in reiche Länder
Dazu kommt, dass ein Grossteil der Klimafinanzierung für Entwicklungsländer an Geberländer zurückfliesst, wie eine Reuters-Recherche zeigt. Mehr als die Hälfte der Klimafinanzierung wurde in Form von Krediten vergeben, die oft mit hohen Zinssätzen und anderen Bedingungen verbunden sind, die das Geld zurück in den globalen Norden bringen.
An der UNO-Klimakonferenz Ende Jahr in Baku müssen die Staaten sich auf ein neues globales Klimafinanzierungsziel einigen. Reiche Länder wie die Schweiz sind gefordert. Dazu zwei Beiträge von SRF hier und hier.
Darüber hinaus haben Frankreich, Kenia und Barbados eine Arbeitsgruppe ins Leben gerufen, die untersuchen soll, wie die Lücke in der Klimafinanzierung für Länder im globalen Süden geschlossen werden kann. Diese Länder benötigen bis 2030 Investitionen in Höhe von 2,4 Billionen Dollar pro Jahr. Die Taskforce wird Steuern für Superreiche, auf Flugtickets, Finanztransaktionen, die Produktion fossiler Brennstoffe und die hohen Gewinne von Unternehmen, die fossile Brennstoffe herstellen, in Betracht ziehen.
Steuer für Milliardäre vorgeschlagen
Seit langem fordern progressive Ökonomen, Milliardäre stärker zu besteuern. Weil die brasilianische Regierung nun den G20-Vorsitz innehat, wurde das Thema nun von der akademischen Welt auf die politische Tagesordnung gesetzt. So arbeitet der französische Wirtschaftswissenschaftler Gabriel Zucman einen Vorschlag für eine solche «Milliardärensteuer» aus. Dieser soll den Finanzminister:innen der G20 bei ihrem Treffen im Juli vorgelegt werden soll. Eine solche Steuer wird auch von IWF-Chefin Kristalina Georgieva unterstützt wird. Minister aus Deutschland, Südafrika und Spanien haben gemeinsam mit Brasilien ein Schreiben zur Unterstützung der Steuer unterzeichnet. Die Minister betonen, es brauch eine globale Vereinbarungen und international Zusammenarbeit, damit Milliardäre ihr Vermögen nicht einfach in Niedrigsteuerländer verlagern können.
Derzeit gibt es weltweit etwa 3’000 Milliardäre. Sie zahlen nur etwa 0,5 % ihres Vermögens an persönlicher Einkommensteuer. Eine Steuer von 2% könnte weltweit zusätzliche jährliche Steuereinnahmen in Höhe von 250 Mrd. USD einbringen - das entspricht etwa den wirtschaftlichen Schäden, die im vergangenen Jahr weltweit durch extreme Wetterereignisse verursacht wurden. Mehr dazu beim Guardian, Climate Change News und Heated.
China und die Klimafinanzierung
Es wird seit langem heftig darüber diskutiert, ob China als zunehmend wohlhabendes Entwicklungsland ebenfalls einen Beitrag zur Klimafinanzierung leisten sollte. Chinas zeigt sich in den Verhandlungen wenig willig dazu, hat aber über seinen Süd-Süd-Klimakooperationsfonds alternative Klimafinanzierung bereitgestellt. Mehr dazu in einem längeren Interwiew mit einem Chinaexperten bei Carbon Brief. Dieser hält fest, der grösste Beitrag Chinas könnten die grossen nationale Investitionen in erschwinglicher CO2-arme Technologien sein, die dann weltweit genutzt werden konnten. Eine ähnliche Rolle hat Deutschland bei der Subventionierung der Solarenergie in den Nullerjahren gespielt, was weltweit zu einer Preissenkung geführt hatte.
Länder müssen Emissionen senken um Meere zu schützen
Im Mai veröffentlichte der Internationale Seegerichtshof ein rechtliches Gutachten: Treibhausgase seien eine Form der Meeresverschmutzung und Regierungen daher verpflichtet, ihre Treibhausgase zu senken. Es ist das erste Mal, dass ein internationales Gericht die rechtlichen Klima-Verpflichtungen der Regierungen im Rahmen des UN-Seerechtsübereinkommens präzisiert hat. Das Gutachten wurde von 21 Richtern, die von den 169 Mitgliedsländern der Konvention gewählt wurden, einstimmig verabschiedet. Klima-Kläger:innen vor nationalen und regionalen Gerichten können sich nun darauf berufen. Es wird erwartet, dass das Gutachten auch die nächsten internationalen Klimaverhandlungen in Aserbaidschan beeinflussen wird, da es betroffende Entwicklungsländern mehr Verhandlungsmacht verleiht. Mehr bei Inside Climate News.
Chinas Emissionen fallen, ein Wendepunkt?
Chinas CO2-Emissionen sind im März 2024 um 3% gesunken. Die 14 Monate, als die «Null-Covid»-Kontrollen des Landes aufgehoben wurden und die Wirtschaft wieder in Gang kam, war der Ausstoss stets gestiegen. Eine neue Analyse für Carbon Brief weisst darauf hin, dass Chinas Emissionen im 2023 ihren Höhepunkt erreicht haben und nun langsam sinken könnten. Ausschlaggebend für den Rückgang im März 2024 waren der Ausbau der Solar- und Windenergie, die 90% des Anstiegs der Stromnachfrage abdeckten, sowie die rückläufige Bautätigkeit.
Chinas Strategie der Energiewende änderte sich im Jahr 2020 drastisch, als nachdem Präsident Xi Jinping verkündet hatte, dass China noch vor 2060 CO2-neutral werden soll. Der neue China Energy Transformation Outlook 2023 modelliert drei Szenarien für Chinas Energiewende. Im ehrgeizigsten Szenario wird Chinas Energiesektor bis 2055 frei von fossilen Brennstoffen sein, während einige Industriezweige weiterhin eine geringe Menge an Kohle und Gas verwenden werden, die durch Kohlenstoffabscheidung und -speicherung kompensiert wird. Mehr bei Carbon Brief.
EU-Klimapolitik beeinflusst China
China hat im Rahmen ihres «Carbon Footprint Management System» eine Methodik zur Berechnung der Treibhausgasemissionen der 100 «wichtigen» CO2-intensiven Produkten (die bis 2030 auf 200 erweitert werden sollen) veröffentlicht. China regiert damit höchstwahrscheinlich auf die Einführung des CO2-Grenzausgleichsmechanismus des EU (CBAM). Der CBAM soll sicherstellen, dass importierte Güter aus Ländern mit weniger strengen Klimaschutzvorgaben denselben CO2-Preis zahlen wie in der EU produzierte Waren. Dies geschieht durch die Erhebung von Zöllen auf bestimmte importierte Waren, wobei deren CO2-Emissionen berücksichtigt werden. Der CBAM soll Anreize für internationale Handelspartner schaffen, ihre Emissionen zu reduzieren. Genau das scheint nun in China zu passieren. Mehr bei Asia Financial.
Erneuerbare Energien wachsen rasant, aber nicht schnell genug
Im vergangenen Jahr gab es einen Rekordzuwachs von 560 GW bei der Kapazität an erneuerbaren Energien, ein Anstieg von 64% gegenüber 2022. Einige Länder übertreffen sogar ihre nationalen Ziele. Dies weil Solar- und Windenergie billiger sind als fossile Brennstoffe. China hat mehr neue erneuerbare Kapazitäten aufgebaut als der Rest der Welt zusammen.
Trotz dieser politischen Massnahmen und Trends werde sich die weltweite Kapazität der erneuerbaren Energien bis 2030 nur etwas mehr als verdoppeln und nicht wie erforderlich verdreifachen, so eine Analyse der Internationalen Energieagentur. Die IEA untersuchte die nationalen Strategien und Ziele von fast 150 Ländern und stellte fest, dass diese bis 2030 zu etwa 8’000 GW an erneuerbaren Energien führen würden. Das entspricht etwa 70% dessen, was notwendig ist (11.000 GW), um bis 2030 Strom aus erneuerbaren Energien zu verdreifachen. Mehr im Guardian.
Windkraft legt zu
Laut einem neuen Bericht des Global Wind Energy Council (GWEC) wurden im vergangenen Jahr 117 GW neue Windkraft installiert, 50% mehr als im Jahr zuvor. Über 65% davon wurden in China gebaut, die nächstgrösseren Märkte waren die USA, Brasilien, Deutschland und Indien. Die gesammte Windenergiekapazität hat im vergangenen Jahr erstmals ein Terawatt überschritten.
Um aber das globale Ziel einer Verdreifachung der erneuerbaren Energien bis 2030 zu erreichen, müssen es bis 2030 zwei Terrawatt sein. «Wir haben über 40 Jahre gebraucht, um 1 TW zu erreichen. Jetzt haben wir nur noch sieben Jahre Zeit, um die nächsten 2 TW zu installieren», sagte der Geschäftsführer von GWEC, Ben Backwell. Das Wachstum ist stark auf wenige grosse Länder konzentriert. Viele weitere Länder müssten Hindernisse beseitigen, um den Ausbau der Windenergie voranzutreiben. Die Regierungen müssten sich auch viel stärker auf die Modernisierung ihrer Stromnetze konzentrieren, die vielerorts ein grosses Hindernis für den Fortschritt darstellen. Mehr bei Reuters.
Die Grafik unten zeigt, dass China 3,7 Mal mehr in erneuerbare Energie investiert als in fossile Brennstoffe. Europa investiert das 5,5-fache. Die USA und Kanada stecken am meisten Geld in fossile Brennstoffe. Und die Länder des Nahen Ostens investieren immer noch 5,4 Mal mehr in fossile Brennstoffe als in saubere Energie.
Plastikabkommen und Ablasshandel
Die Plastikverschmutzung muss dringend bekämpft werden, da sie zur Klimakrise, zum Verlust der Artenvielfalt und zur chronischen Verschmutzung beiträgt. Im April fand die vierte Verhandlungsrunde der Vereinten Nationen für ein globales Abkommen gegen Plastikmüll statt. Es soll 2025 verabschiedet werden. Im Vorfeld des Treffens machte eine neue Studie klar: Nur eine Verringerung der Produktion von Neuplastik kann die Kunststoffverschmutzung wesentlich verringern. Laut einer Schätzung verursachte die Plastikproduktion im Jahr 2019 rund 6% der globalen CO2-Emissionen – so viel wie 600 Kohlekraftwerke. Es wird erwartet, dass sich die Plastiknutzung besonders in Asien, Afrika und Lateinamerika bis 2050 verdoppeln bis verdreifachen könnte.
24% des Plastikmülls kommen von Coca-Cola, Danone, Nestlé, Pepsico und den Tabakunternehmen Altria und Philip Morris International, so eine neue Studie in Science Advances. Die Plastikindustrie zeigt wenig Interesse, ihre Produktion zu drosseln, und will nun vermehrt auf Plastik- Zertifikate setzen. Ein Unternehmen, das Kunststoff verwendet oder herstellt, kann Zertifikate erwerben, die der Reduzierung von Kunststoffabfällen an anderer Stelle entsprechen. Solche Plastik-Zertifikate wurden 2021 mit der 3R Initiative in Angriff genommen. Verra, eines der grössten Prüfers von CO2-Zertifikaten, ist einer der lautesten Befürworter von solchen Plastikzertifikaten. Von Umweltschützern wird diese Kompensation stark kritisiert, da sie, ähnlich, wie bei den CO2-Kompensationen, viele soziale und ökologische Probleme brigt. Mehr zum Plastikabkommen beim Klimareporter und im Guardian; zu Plastikzertifikaten mehr bei New Republic.
Europäische Klimapolitik
Klimapläne der EU-Mitgliedsstaaten nicht auf Zielkurs
Um die Klimapolitiken der EU-Staaten vergleichbar darzustellen, sind die Mitgliedsstaaten verpflichtet, in den Nationalen Energie- und Klimaplänen (NECP) ihre nationalen Energie- und Klimapolitiken für einen Zeitraum von 10 Jahren abzubilden. Die derzeitigen NECP decken die Periode 2021-2030 ab. Bis Ende Juni 2024 müssen die Mitgliedsstaaten turnusgemäss einen Fortschrittsbericht ihrer NECPs bei der Kommission vorlegen.
Ein neuer Bericht des Klimaverbands CAN Europe attestiert: die vorgelegten Pläne von 18 untersuchten Ländern seien nicht ausreichend, um das Pariser Klimaabkommen oder die EU 2030-Ziele einzuhalten. Dies sei nicht mit dem EU-Recht vereinbar. Der Verband ruft daher zu mehr Ambition in den Mitgliedsstaaten auf und mahnt die Kommission, Druck für mehr Klimaschutz in den Mitgliedsstaaten auszuüben.
Positive Bilanz des EU-Green Deals
Bei ihrem Amtsantritt setzte sich Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) das ehrgeizige Ziel, Europa bis 2050 zum ersten klimaneutralen Kontinent zu machen. Um dieses Vorhaben zu verwirklichen, wurden zahlreiche neue und aktualisierte Rechtsakten im Rahmen des umfassenden „Green Deal“ der EU eingeführt. Nun, am Ende der aktuellen Legislaturperiode, lässt sich Bilanz ziehen: Europa hat sich deutlich zu mehr Klimaschutz bekannt, dennoch besteht weiterhin erheblicher Handlungsbedarf, um das Ziel der Klimaneutralität bis 2050 zu erreichen.
So wurde beispielsweise ein europäisches Klimaschutzgesetz eingeführt, der EU-Emissionshandel reformiert, die Ziele für den Ausbau von Erneuerbaren erhöht, diverse Sektorvorgaben gestärkt und auch ein Klima-Sozialfond eingerichtet. Es sind aber nicht alle Vorhaben erfolgreich umgesetzt worden. So blieb die Reform der Energiesteuerrichtlinie bis heute erfolglos. Ein Bericht ist bei der Stiftung Umweltenergierecht zu finden.
Positive Erfolge dieser Politik sind bereits jetzt zu spüren. So sind etwa die Emissionen des Stromsektors seit 2019 um 20 % gesunken, wie eine Analyse von Carbon Brief zeigt. Anteilsmässig ist der Stromsektor aller EU-Mitgliedsstaaten sauberer vor als fünf Jahren. Deutschland erzielte in absoluten Zahlen den grössten Erfolg, gefolgt von Portugal, Lettland und Frankreich in relativen Angaben. Nach Angaben von Fridays for Future sei der EU-Klimapfad durch den Green Deal bereits um mehr als 1 Grad zum Besseren korrigiert worden. Die EU ist dennoch nicht auf einem ausreichenden Pfad, um die Pariser Klimaziele einzuhalten, so der Climate Action Tracker. Umweltverbände wie der WWF oder der DNR fordern daher von der neuen Kommission mehr Klimaschutzbemühungen.
Europa hat gewählt: Rechtsruck grösstenteils ausgeblieben
Zwischen dem 6. und 9. Juni 2024 wurden in den EU-Mitgliedsstaaten Wahlen zum Europäischen Parlament abgehalten. Trotz teils deutlicher Zugewinne der konservativen Europäischen Volkspartei EVP (+10 Sitze) und (extrem) rechten Europäischen Konservativen und Reformer EKR und Identität und Demokratie Partei ID (+4 und +9 Sitze) im Europäischen Parlament ist der Rechtsruck nicht so hoch ausgefallen, wie viele vor den Wahlen befürchteten (s. etwa bei Euractiv oder bei der Bundeszentrale für politische Bildung). Die sozialdemokratische S&D verloren vier Sitze. Bei den Grünen und der liberalen Renew Europe waren die Verluste jedoch deutlich. So müssen sie in der kommenden Legislaturperiode 18 beziehungsweise 23 Mandate einbüssen.
Besonders in Österreich und Deutschland konnten die rechtsextremen FPÖ mit über 25 % sowie die AfD mit knapp unter 16 % der Gesamtstimmen deutlich zulegen. Knapp vor der ÖVP wurde die FPÖ so stärkste Kraft in Österreich. Die AfD landete in Deutschland auf Platz zwei. Mit einem deutlichen Vorsprung von 16 % wurden die Nationalisten und Rechtspopolisten des Rassemblement National mit über 31 % Anteil der Stimmen in Frankreich stärkste Kraft. Auch in Italien siegten die rechten «Fratelli d’Italia» mit knapp 29 %. Präsident Macrons proeuropäische Lager kam lediglich auf 15 %. Macron verkündete nach dieser herben Wahlschlappe Neuwahlen der «Assemblée nationale» für Ende Juni 2024 (Spiegel). Detaillierte Informationen zu den Ergebnissen können hier abgerufen werden.
In einigen Mitgliedsstaaten gab es jedoch auch positivere Entwicklungen. So könnte wurde in den Niederlanden unter Führung des ehemaligen EU-Klimakommissars Frans Timmermans das Wahlbündnis GroenLinks-PvdA zulegen und wurde stärkste Kraft. Auch in den drei nordischen EU-Staaten habe der Rechtspopulismus nicht verfangen, wie die Tagesschau titelt.
Neben den angekündigten Neuwahlen in Frankreich und weiteren politischen Veränderungen ist abzuwarten, welche Folgen diese Wahl für eine progressive und ambitionierte Klima- und Umweltpolitik der EU hat. So wird in den kommenden Wochen der EU-Rat die Strategic Agenda der neuen Kommission festlegen.
Es wird sich auch zeigen, ob die amtierende Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen auf ein Mitte-Bündnis zwischen S&D, der liberalen Renew Europe und ihrer EVP setzt, oder ob sie auf den rechten Block zugehen wird. «Der Green Deal [liegt] in den Händen der Konservativen», schrieb der Tagesspiegel Background (Paywall). «Jetzt muss die Brandmauer gegen Rechtsaussen stehen», mahnte der DNR.
Deutschland
Gericht: Bundesregierung muss mehr Klimaschutz liefern
Die Deutsche Umwelthilfe hat durch eine Klage vor dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg erneut einen bedeutenden Sieg errungen. Das Gericht forderte die Bundesregierung auf, das bestehende «Klimaschutzprogramm» durch zusätzliche Massnahmen zu erweitern. Das bisherige Programm reiche nicht aus, so das Gericht, um das Klimaschutzziel für das Jahr 2030 zu erreichen. Das Gericht habe festgestellt, dass das Klimaschutzprogramm 2023 an methodischen Mängeln leide und teilweise auf unrealistischen Annahmen beruhe. DUH-Bundesgeschäftsführer Resch sieht in dem Urteil «eine verdiente Ohrfeige für die Pseudo-Klimaschutzpolitik der Bundesregierung».
Noch ist das Urteil nicht rechtsgültig, eine Revision wurde zugelassen. Wie sich das die jüngst – und von Umweltverbänden scharf kritisierte – Aktualisierung des Bundes-Klimaschutzgesetz auswirkt, bleibt abzuwarten.
2030-Klimaziel wird wahrscheinlich doch nicht eingehalten
Nicht nur vor Gericht musste die Bundesregierung hören, dass sie beim Klimaschutz insgesamt zu wenig handle. Auch der «Expertenrat für Klimafragen» (hier weitere Infos) hat Anfang Juni ein Sondergutachten vorgestellt, das dem Wirtschaftsminister Habeck widerspricht. Denn dieser verkündete noch im März, dass die Klimaschutzziele Deutschland insgesamt auf Klimaschutz-Kurs sei. Trotz wesentlicher Erfolge beim Klimaschutz kam Prof. Dr. Henning, Vorsitzender des Expertenrats, zu dem Schluss: «In Summe können wir die […] Zielerreichung für die Jahre 2021 bis 2030 nicht bestätigen, sondern gehen im Gegenteil von einer Zielverfehlung aus.»
Der Expertenrat kritisiere, dass die Erfolge in allen grossen Sektoren weniger stark ausfallen als im Projektionsbericht ausgewiesen wurde. Grund sei unter anderem, dass weniger Geld für die Transformation zur Verfügung stehe als vorher angenommen. So empfiehlt der Expertenrat die zeitnahe Prüfung zusätzlicher Klimaschutzmassnahmen. Man werde entsprechend dem geänderten Klimaschutzgesetz weitere Massnahmen ergreifen, falls der Expertenrat im kommenden Jahr eine weitere Zielverfehlung feststelle, so das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz. Mehr zum Gutachten bei Tagesschau und dem Spiegel.
Umweltverbände kritisierten die erneute Bestätigung, dass die Klimaschutzpolitik der Bundesregierung nicht ausreiche. Der WWF kommentierte, «Pi mal Daumen reicht beim Klimaschutz nicht aus», während der BUND die Klimaziele durch den «drakonischen Sparkurs» der Bundesregierung in Gefahr sehe.
Breite Proteste für Klimaschutz und gegen Rechtsextremismus vor der EU-Wahl
Fridays for Future rief in einem Bündnis weiterer Verbände am 31. Mai zu einem Klimastreik zur Europawahl auf. Tausende sind laut Medienberichten in Deutschland auf die Strasse gegangen, um für mehr Klimaschutz in der EU-Politik zu protestieren und klare Kante gegen Rechtsextremismus zu setzen. Auch in anderen europäischen Ländern gab es Aufrufe zum Protest. Klimaaktivistin Carla Reemtsma sprach eine Warnung vor möglichen Allianzen mit Rechtsextremisten im Europaparlament aus: «Klimaleugner dürfen keine Koalitionspartner sein». Die Bewegung forderte, bis 2035 aus den fossilen Energien auszusteigen sowie Investitionen in Erneuerbare Energien und klimaneutrale Industrien zu verdoppeln.
Auch am 8. Juni, einen Tag vor der EU-Wahl in Deutschland, gingen zehntausende Menschen unter dem Motto «Für eine starke Demokratie überall in Europa: Rechtsextremismus stoppen, Demokratie verteidigen» auf die Strassen. Sozial-, Umwelt, und Gewerkschaftsverbände forderten eine Weiterentwicklung europaweiter Sozial- und Umweltstandards sowie ein Ausbau von Zukunftsinvestitionen.
CO2-Speichergesetz sorgt für Frust
Das Einfangen und Speichern von CO2 («Carbon Capture and Storage», CCS) sorgt seit langem für Spannungen in der deutschen Klimapolitik. Die einen sehen darin einen zentralen Baustein für den Klimaschutz, andere eine eklatante Gefahr für die Umwelt. Ende Mai hat das Bundeskabinett einen Entwurf für ein aktualisiertes Kohlenstoffspeichergesetz (KSpG) verabschiedet. Künftig soll die Abscheidung und Speicherung von CO2 im Meeresboden für Emissionen aus der Stahl- und Zementherstellung sowie für die Müllverbrennungen erlaubt sein – Sektoren, wo die vollständige Dekarbonisierung anders kaum möglich ist. Die Bundesländer sollen zusätzlich die Möglichkeit bekommen, auch an Land unterirdisch Kohlenstoff speichern zu können.
Umweltverbände äussern Bedenken mit Blick auf Klima- und Umweltschutz. Besonders in der Kritik steht, dass auch Emissionen der Erdgasverstromung, die durch den Einsatz von Erneuerbaren vermieden werden könnten, gespeichert werden sollen. Der WWF attestierte einen «Freifahrtschein für Gaskraftwerke». Der BUND sehe eine Aushebelung der Energiewende. Auch Klimapolitiker:innen aus den eigenen Regierungsreihen monieren den Gesetzesentwurfs als Überschreitung des Koalitionsvertrags. Mehr dazu beim Klimareporter, der taz und FAZ.
Die sichtbare Klimakrise
Temperaturrekorde und tödliche Hitzewellen
Im Sommer 2023 war es auf der Nordhalbkugel so heiss wie seit 2000 Jahren nicht mehr. Zu diesem Ergebnis kommt eine Analyse von Baumringen. Die Breite der Ringe, welche die Bäume jedes Jahr bilden, geben Aufschluss darüber, wie warm der Sommer war. Für die in Nature veröffentlichte Studie wurden die Sommertemperaturen Jahr für Jahr rekonstruiert. Dabei zeigte sich, dass die Temperatur im letzten Sommer um mindestens 0,5 °C über jener des Jahres 246 v. Chr. lag, dem heissesten Sommer vor Beginn der direkten Temperaturmessungen. Mehr dazu in der NZZ (paywall) und im Scientific American.
Die aussergewöhnliche Hitze hält auch 2024 weiter an: Im April und Mai wurden laut dem EU-Klimadienst Copernicus die höchsten Temperaturen seit Beginn der Aufzeichnungen gemessen. Im April lag die durchschnittliche Oberflächentemperatur bei 15,03 °C. Das liegt um 0.67 °C über dem Mittel der Jahre 1991-2020 für den April und um 1,58 °C über der vorindustriellen Periode (1850-1900). Im Mai waren die Abweichungen ähnlich hoch. Damit wurde seit einem Jahr in jedem Monat ein neuer Höchstwert registriert. Eine Übersicht über die sprunghafte Erwärmung liefert der Tages-Anzeiger (paywall). Wie extrem die Werte sind, zeigt die blaue Grafik von Copernicus.
Laut einer Analyse von CarbonBrief könnte die Erde in den späten 2020er oder frühen 2030er Jahren die 1,5°C-Marke überschreiten. Damit ist nicht gemeint, dass der im Pariser Klimaabkommen definierte Grenztwert in einem oder sogar zwei Jahren überschritten wird. Dies jährlichen Temperaturen schliessen den kurzfristigen Einfluss natürlicher Klimaschwankungen wie El Niño ein. Das Überschreiten von 1.5 °C bezieht sich vielmehr auf die langfristige Erwärmung.
Fast 70 Prozent der Landmasse der Erde befinden sich auf der nördlichen Hemisphäre. Hier leben gegen 90% der Weltbevölkerung. Das heisst, dass bis im August sehr viele Menschen aussergewöhnlicher Hitze ausgesetzt sein können. Extrem ist die Situation in Indien. Bereits zum dritten Mal in Folge herrschte dort schon im Frühsommer aussergewöhnliche Hitze. Meldungen über Todesfälle häuften sich; das ganze Ausmass lässt sich noch nicht abschätzen. Klar ist, dass der Klimawandel extreme Hitzeperioden häufiger, länger und heftiger werden lässt. Wissenschaftler:innen warnen vor Auswirkungen, die das Leben von mehr als einer Milliarde Menschen gefährden könnten. Mehr dazu bei Nature, der NY Times und im Blog von Klimaautor Bill McKibben.
Im April hatte eine Hitzewelle in Westafrika Hunderten oder Tausenden Menschen das Leben gekostet, genaue Zahlen liegen nicht vor. Eine Studie der World Weather Attribution Group zeigt, dass die steigenden Temperaturen in der Region ohne den vom Menschen verursachten Klimawandel nicht möglich gewesen wären. Mehr dazu bei NPR.
Der Klimawandel und die damit verbundene Hitze bringen für 70% der weltweiten Arbeitskräfte zusätzliche Gesundheits- und Sicherheitsrisiken mit sich. Das zeigt die Internationale Arbeitsorganisation ILO in einem Bericht auf. Extreme Hitze kann zu Hitzschlag, schwerer Dehydrierung und Erschöpfung bis zum Tod führen. Gleichzeitig erhöht sich das Unfallrisiko. Der bestehende Arbeitsschutz genüge nicht mehr, halten die Studienautor:innen fest. Mehr dazu bei klimareporter.
Mit Hitzewellen beschäftigt sich auch treibhauspodcast.ch. Die neuste Episode zeigt auf, weshalb aussergewöhnliche Hitze für immer mehr Menschen gesundheits- und sogar lebensgefährlich werden. Und es werden Lösungen aufgezeigt, wie Menschen vor Hitzewellen geschützt werden können; ein Beispiel sind Klima-Schutzräume in Barcelona.
Ozeane wärmen sich immer stärker
Auch die Ozeane wärmen sich immer stärker auf. Seit Mai 2023 war die globale Oberflächentemperatur des Ozeans an jedem einzelnen Tag so hoch wie nie zuvor, berichtet die BBC. Wärmere Gewässer können zu heftigeren Wirbelstürmen führen. Und sie verursachen eine katastrophale Korallenbleiche. Korallenriffe sind die artenreichsten Ökosysteme der Meere. Über die Hälfte ist von der Bleiche betroffen; im Great Barrier Reef in Australien ist die Lage besonders schlimm, berichtet Nature. Für den Ozeanografen Mike Meredith vom British Antarctic Survey sind das «echte Anzeichen dafür, dass die Umwelt in Bereiche vordringt, in denen wir sie wirklich nicht haben wollen, und wenn das so weitergeht, wird das schwerwiegende Folgen haben.»
Als ein Grund für die starke Erwärmung der Meeresoberfläche diskutieren Fachleute schon länger den Einfluss, den neue Regeln für die Schiffahrt haben. Seit 2020 gilt eine Obergrenze für den Schwefelgehalt von Schiffsdiesel. Seither stossen die Schiffer weniger Schwefeldioxid aus. Nun zeigt eine Nature-Studie auf, dass die neuen Regeln zwar die Luftverschmutzung von Schiffen dramatisch senken. Doch das Schwefeldioxid hatte bis anhin dazu geführt, dass Sonnenlicht an der Wasseroberfläche stärker reflektiert wurde. Dieser kühlende Effekt ist nun wegfallen. Damit sei ein über Jahrzehnte durchgeführtes Geoengineering-Experiment (der Ausstoss von Schwefeldioxid) abrupt beendet worden. Mehr dazu im Tages-Anzeiger (paywall).
Grossflächige Überschwemmungen rund um den Globus
Extreme Niederschläge haben in vielen Gebieten der Welt zu schweren Überschwemmungen und Verwüstungen geführt. In Papua-Neuguinea forderte ein Erdrutsch über 2000 Opfer. Der Premierminister der Pazifikinsel machte die aussergewöhnlichen Regenfälle und veränderte Wettermuster dafür verantwortlich, schreibt der Guardian.
Auch grosse Teile Ostafrikas wurden durch heftige Niederschläge verwüstet. Hunderte Personen wurden getötet, Zehntausende verloren ihr Zuhause. Hart getroffen wurde Kenia, und auch Tansania, Burundi, Somalia und Ruanda haben mit Überschwemmungen zu kämpfen. Mehr dazu im Guardian und bei klimareporter.
In Brasilien standen grosse Gebiete unter Wasser. Rund 170 Menschen starben nach heftigen Niederschlägen, die Häuser von 80'000 Personen wurden zerstört. Gemäss einer Attributionsstudie hat der Klimawandel das Extremereignis doppelt so wahrscheinlich gemacht. Mehr dazu im Guardian.
Auch Deutschland war von starken Niederschlägen und Überschwemmungen betroffen (tagesschau und NY Times, paywall)
Neues aus der Klimawissenschaft
Globale Emissionen könnten bald sinken
Die CO2-Konzentration in der Atmosphäre ist auf 419ppm gestiegen, das ist 50% höher als vor der Industrialisierung. Doch vielleicht zeigen jahrzentelange Bemühungen für mehr Klimaschutz endlich etwas Wirkung. Bis die Konzentration wieder sinken wird, dauert es wohl noch eine Weile, aber mit hoher Wahrscheinlichkeit werden die globalen CO₂-Emissionen nicht mehr wachsen. Sie haben ihren Höhepunkt erreicht. Zu diesem Ergebnis sind unabhängig voneinander drei renommierte Institutionen gekommen (Bloomberg NEF, Carbon Brief, Climate Analytics). Die Grafik von Bloomberg zeigt, wo wir stehen und wohin wir müssen. Energie und Verkehr sind die grössten Emissionverursacher, und in diesen Sektoren sind die Emissionen am sinken. Mehr bei Krautreporter.
Quelle: Bloomberg
Emissionen drosseln ist 6x billiger als abwarten
Treibhausgase zu reduzieren, um die Erderwärmung auf 2°C zu beschränken, ist sechsmal billiger als die Schäden zu bezahlen, die andernfalls entstehen würden. Das zeigt eine neue, in Nature veröffentlichten Analyse. Die Forscher:innen am PIK untersuchten die klimabedingten Kosten in 1600 Regionen weltweit. Danach belaufen sich die Kosten der durch den Klimawandel verursachten Schäden bis 2049 auf durchschnittlich 38 Billionen US-Dollar pro Jahr. Die Länder, die bereits heute unter den steigenden Temperaturen leiden - vor allem in den Tropen -, haben einen grösseren Teil der Last zu tragen.
Bis 2050 wird das Pro-Kopf-Einkommen infolge des Klimawandels weltweit etwa 19% sinken, im Vergleich zu einer Welt ohne Klimakrise. Bis zum Jahr 2100 wären es 60%. Die wirtschaftlichen Schäden in diesem Modell sind in Ländern mit niedrigem Einkommen wie Brasilien, Teilen Westafrikas und Pakistan sogar noch höher.
Eine Studie in Nature Climate Change der ETH Zürich schätzt die globalen Einkommensverluste auf 10-12%, wobei ein Temperaturanstieg von 3 Grad über dem vorindustriellen Durchschnitt angenommen wird. Wie bei der Arbeit des PIK werden die wirtschaftlichen Kosten in Ländern mit niedrigem Einkommen als weitaus höher eingeschätzt. Mehr bei Forbes, Nature und NZZ (paywall).
SUVs brauchen 95 Millionen Liter Sprit pro Tag
Wären Sport Utility Vehicles (SUVs) ein Land, so wären sie der fünftgrösste CO2-Emittent der Welt. Eine Analyse der Internationalen Energieagentur ergab, dass diese grossen Autos für mehr als ein Viertel des erhöhten Ölbedarfs in den Jahren 2022 und 2023 verantwortlich sind. In diesem Zeitraum stieg der globale Treibstoffverbrauch wegen SUVs um mehr als 95 Millionen Liter pro Tag. SUVs haben Effizienzverbesserungen bei anderen Pkw-Typen weitgehend zunichte gemacht. Der Anteil von SUVs an den weltweiten Autoverkäufen wird 2023 mit 48% einen neuen Rekord erreichen.
Menschen haben aber nicht plötzlich angefangen, grosse Autos mehr zu mögen. Eine fehlgeleitete Politik ermöglichte den enormen Anstieg von SUVs, wie eine Analyse in VOX zeigt. In den USA sind heute mehr als vier von fünf verkauften Neufahrzeugen SUVs und Pickups, 2013 war es noch etwas mehr als die Hälfte. Auf Druck der Autoindustrie beschloss der US-Kongress in den 90er Jahren, zwei getrennte Effizienzvorschriften einzuführen: eine, die für Pkw gilt, und eine schwächere für leichte Nutzfahrzeuge, einschliesslich Pickups und SUVs.
Die Verlagerung hin zu Elektrofahrzeugen könnte den Trend zu überdimensionierten Autos weiter verstärken. Laut der US-Umweltbehörde gelten nämlich alle Elektroautos unabhängig von ihrer Grösse als emissionsfrei. Eine grosse oder ineffiziente Batterie braucht jedoch deutlich mehr Strom. Mehr bei Bloomberg, VOX. ABC News von Australien publizierte eine Analyse zum Vergleich von SUVs und EVs.
Grosse Geländewagen und SUV sind auch auf Schweizer Strassen immer häufiger zu sehen. 2019 machten sie fast 40% der Neuwagen aus. 130’000 solcher Neuwagen wurden eingelöst, 2010 waren es erst 50’000 gewesen. Dieser Anstieg liegt weit über dem europäischen Durchschnitt.
Hybridautos sind deutlich weniger klimafreundlich als EVs
In diesem Jahr werden global ungefähr 16,6 Millionen Elektrofahrzeugen verkauft werden, wie globale Prognosen zeigen. Letztes Jahr waren es noch 14,2 Millionen gewesen. Der Weltmarktanteil für alle EV-Fahrzeuge wird auf 19% steigen. Dieser Anstieg wird von China vorangetrieben, wo der Anteil der Plug-in-Autos im April von 33 % im Vorjahr auf 44 % gestiegen ist. Die Verkäufe von Elektroautos in China machen inzwischen deutlich mehr als die Hälfte des Weltmarktes aus. In China wurden 2023 fast dreimal so viel EVs verkauft wie in der EU und fünfmal so viel wie in den USA.
Doch nicht alle EVs sind gleich klimafrendlich. Die EU-Kommission berichtet, dass der typische Plug-in-Hybrid, der im Jahr 2021 verkauft wird, mehr als dreimal so viel CO2 ausstösst wie ausgewiesen. Der Hauptgrund ist, dass Fahrer:innen mehr Benzin und weniger Batteriestrom als angenommen verwenden. Der Treibstoffverbrauch wurde bei einer grossen Zahl von Fahrzeugen direkt gemessen. Der typische Benzin-Plug-in-Hybrid wies in der Praxis Emissionen auf, die nur etwa 25% unter denen eines reinen Benziners lagen. Auch die tatsächlichen Emissionen bei reinen Benzin- und bei Dieselfahrzeugen langen um etwa 20% über den Werten, die bei den Standardtests ermittelt wurden. Der derzeitige weltweite Anstieg des Verkaufs von Plug-in-Hybridfahrzeugen sollte daher von Regierungen und Regulierungsbehörden gebremst werden. Mehr bei der Eurpean Commissionund im Guardian.
Faulende Lebensmittel schaden dem Klima
Etwa ein Drittel aller produzierten Lebensmittel landet im Abfall und erzeugt beim Verrotten klimawärmende Treibhausgase. Wäre es ein Land, so wäre diese Lebensmittelverschwendung die drittgrösste Quelle von Treibhausgasemissionen in der Welt, laut der UN-Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation. Eine Studie aus dem Jahr 2023 ergab ausserdem, dass Treibhausgase aus Lebensmittelverlusten und -abfällen fast die Hälfte aller Emissionen des Lebensmittelsystems ausmachen.
Neue Forschungsergebnisse in Environmental Research Letters, zeigen, dass ungenügende Kühlung in der Versorgungskette jedes Jahr bis zu 620 Millionen Tonnen Lebensmittelabfälle verursachen und dadurch 1,8 Milliarden Tonnen CO2-Äquivalente verursachen. Mehr Kühlung bei der Verarbeitung und dem Transport von Lebensmitteln sowie die Verkürzung der Versorgungsketten könnten der Studie zufolge die Emissionen erheblich reduzieren und Lebensmittelverluste weltweit verhindern. Mehr bei Carbon Brief.
Neuer Übersichtsbericht zu Negativemissionen
Der neue CO2-Removal-Bericht gibt einen Überblick über den aktuellen Stand der CO2-Entfernung. «Carbon Dioxide Removal (CDR)»-Techniken, die auch als negative Emissionen bezeichnet werden, entziehen der Atmosphäre bereits 2 Milliarden Tonnen CO2 pro Jahr. Derzeit stossen wir jedes Jahr rund 40 Mrd. Tonnen aus. Mehr als 99,9 % der negativen Emissionen stammen aus der Anpflanzung von Bäumen und der Wiederaufforstung. Das grosse Interesse des globalen Nordens an tropischen Wälder als Klimakompensation hat dazu geführt, dass die Bedürfnisse der Menschen, die von den Wäldern abhängen, ignoriert werden, heisst es in einem Nature-Leitartikel. Mehr als 60% der bewaldeten Flächen in Entwicklungsländern liefern CO2-Zertifikate, ohne dass dies Auswirkungen auf das wirtschaftliche Wohlergehen der Waldgemeinden hat.
Wenn CDR in einer «nachhaltigeren» Weise genutzt werden soll, z. B. ohne Entwaldung zu verursachen oder die biologischen Vielfalt zu bedrohen, ist die Menge an CDR wesentlich geringer. Dennoch müssen bis 2050 jedes Jahr zwischen 7 und 9 Mrd. Tonnen CO2 entfernt werden, um das 1,5-Grad-Ziel einzuhalten.
Der Bericht stellt fest, dass die direkte Kohlenstoffabscheidung und -speicherung in der Luft (Direct Air Carbon Capture and Storage, DACCS) bei Grossinvestoren am meisten Interesse findet. Grosse CDR-Startups wie Climeworks und Carbon Engineering haben Investitionen von Microsoft, Airbus, Chevron, JP Morgan erhalten. Bedeutender Versuchsanlangen sind die Regional Direct Air Capture Hubs in den USA (das von der Regierung mit 3,5 Mrd. USD finanziert wurde) und Mission Innovation (eine internationale Initiative, die CDR-Technologien ermöglichen will, um bis 2030 weltweit eine Nettoreduktion von 100 Mio. Tonnen CO2 pro Jahr zu erreichen. Mehr bei Carbon Brief, SRF, im New Yorker (paywall) und zum Schweizer Unternehmen Climeworks bei Notre Temps.
Preis auf CO2 wirkt
Emissionshandel und CO2-Steuern wirken, zeigt eine neue Metaanalyse in Nature. Weltweit gibt es mehr als 70 Politikinstrumente zur Bepreisung von CO2 - Emissionshandelssysteme, Abgaben und Steuern -, doch ihr Beitrag zur Emissionsreduzierung wird in Wissenschaft und Politik nach wie vor kontrovers diskutiert. Die Studie bewertete die Wirksamkeit von 21 solcher Preismechanismen. Bei mindestens 17 hat die Einführung eines CO2-Preises zu Emissionsreduktionen geführt, obwohl die Preise in den meisten Fällen niedrig waren. Die Emissionssenkungen liegen zwischen 4 % und 15 %.
In den Pilot-Emissionshandelssystemen in China wurde CO2-Reduktion von 13,1% erreicht. Das ist deutlich mehr als im EU-Emissionshandelssystem (-7,3 %) oder durch die CO2-Steuer in British Columbia (-5,4 %). Dies trotz der sehr niedrigen Preisen der chinesischen Systeme. Dies ist wahrscheinlich eine Folge der niedrigeren Vermeidungskosten in China, sowie der unterschiedlichen politischen Rahmenbedingungen in den Ländern. Die Wirksamkeit der Preismechnismen wird durch andere politische Massnahmen stark beeinflusst. Mehr bei Nature und Klimareporter.
Aktiv gegen Hoffnungslosigkeit
Es braucht einen hartnäckigen Optimismus
Sie fühlen sich hoffnungslos und niedergeschlagen und seien wütend, erzählten zahlreiche Klimawissenschaftler:innen dem Guardian. Der Grund: Sie befassen sich seit Jahrzehnten mit der Klimakrise und sehen immer noch nicht genug Handlung dagegen. Christiana Figueres, die Leiterin der UN-Klimakonvention von 2010 bis 2016, schrieb darauf in einem Editorial im Guardian: «Ich teile ihre Gefühle der Verzweiflung. Ein Gefühl der Verzweiflung ist verständlich, aber es beraubt uns unserer Handlungsfähigkeit und verhindert die radikale Zusammenarbeit, die wir brauchen. Wir alle haben das Recht, den Verlust einer Zukunft ohne die Klimakrise zu betrauern. Es ist ein tiefer, schwerer Verlust. Aber Trauer, die bei Verzweiflung stehen bleibt, ist ein Ende, das ich und viele andere nicht zu akzeptieren bereit sind. Wir haben auch die Verantwortung - und die Möglichkeit -, die Zukunft anders zu gestalten. Es wird viel mutigeres kollektives Handeln erfordern.»
Doch auch sie zweifelt manchmal: «Kurz nachdem ich 2010 das Amt als UN-Klimachefin übernommen hatte, sagte ich vor Journalisten, dass ich nicht glaube, dass ein globales Klimaabkommen zu meinen Lebzeiten möglich sein wird.» Unmittelbar danach musste sie aber ihre Einstellung ändern, um die Länder proaktiv auf die Pariser Klimaverhandlungen vorzubereiten. «Es war eine Kerze in der Dunkelheit, die ich benutzte, um bei vielen anderen einen Funken zu entzünden. Ich benutze die Kerze des hartnäckigen Optimismus noch heute - und ich bin nicht der Einzige. Eine Welt, in der wir 1,5 °C überschreiten, ist nicht in Stein gemeisselt.»
Wie wir den Klimawandel schneller bekämpfen können
Ion Karagounis vom WWF macht im Magazin des Tages-Anzeigers (paywall) fünf konkrete Vorschläge für raschere, wirksame Massnahmen: Klimaschutz über Gerichte erzwingen, Bewilligungsverfahren beschleunigen, Aktivismus intensivieren, Zukunftsräte und ein Expertengremium für die Klimapolitik einrichten.
Klimapolitik lokal verändern
Die Klima-Allianz startet das neue Projekt OK Klima, in Partnerschaft mit der Alliance Digitale. OK Klima will die Klimapolitik der Schweizer Kantone und Gemeinden dank Transparenz und Partizipation ambitionierter machen. Die neue Plattform soll es den Behörden und Politiker:innen ermöglicht, zu sehen, wie ihre Gemeinden und Kantone im Vergleich zu anderen abschneiden, und sich von guten Praktiken inspirieren zu lassen. https://www.ok-klima.ch/
Übersicht über anstehende Abstimmungen und zu Initiativen:
- Biodiversitätsinitiative: 22. September (zum Zusammenhang von Klima und Biodiversität siehe diesen Bericht)
- Referendum gegen den Autobahnausbau: 24. November
- Solarinitiative: Die Grünen sammeln Unterschriften für ihrer Solar-Initiative. Sie will eine Pflicht für Solaranlagen auf Gebäuden.
- Finanzplatzinitiative: Die Lancierung findet möglicherweise im Sommer statt.
- Noch dieses Jahr will die Klima-Allianz die Volksinitiative für einen nachhaltigen Finanzplatz lancieren, um die Branche auf Klimakurs zu bringen.