Editorial

In dieser Ausgabe berichten wir, wie der Bund beim Klimaschutz bremst und wie es weitergeht nach dem Ja zum Stromgesetz. Wir geben eine Übersicht zur Faktenlage der Biodiversitätsinitiative und berichten über irreführende Zahlen zum Nutzen neuer Autobahnen.

Reiche Länder bewilligen nach wie vor zahlreiche neue Öl- und Gasförderlizenzen. Geheimtribunale greifen immer häufiger in die Klimapolitik von Ländern ein und erzwingen Schandensersatzzahlungen an fossile Unternehmen. Der oberste Gerichtshof der USA hebelt Umweltgesetze aus, das wird auch eine neue demokratische Regierung unter Harris/Walz zu spüren bekommen, obwohl sie sich dezidiert für mehr Klimaschutz einsetzen wollen.

Die Auswirkungen der Klimakrise sind auf der ganzen Welt immer heftiger zu spüren. Wir berichten über den tödlichen Hitzesommer, die vielen Waldbrände und Überschwemmungen. Wir könnten jeweils die ganze Klima-Zeitung mit Nachrichten zu Extremereignissen und «Naturkatastrophen» füllen. Es ist wichtig, dass wir uns die gewaltigen Auswirkungen, die unsere Gesellschaft, unsere Wirtschaft und unser Lebensstil verursachen, vor Augen führen. Immer wieder. Doch zuviel davon führt zu Gefühlen der Machtlosigkeit. Wir versuchen in der Klima-Zeitung ein Mittelweg zu finden und geben am Schluss wie immer Tipps gegen die Hoffnungslosigkeit.

Schweiz

Verheerende Unwetter und der Einfluss des Klimawandels

Starkniederschläge im Mai und Anfang Juni führten vom Vierwaldstättersee bis zum Bodensee sowie dem Rhein entlang zu Überschwemmungen. Besonders heftige Niederschläge trafen am 21. Juni das Misox und lösten einen Murgang aus (mehr dazu im Tages-Anzeiger und der NZZ). Auch im Wallis kam es zu Überschwemmungen, wozu neben dem starken Regen auch die Schneeschmelze beitrug; unmittelbar zuvor hatten hochsommerliche Temperaturen geherrscht (mehr dazu bei MeteoSchweiz und auf SRF). Ende Juni trafen extreme Niederschläge das Maggiatal (mehr dazu im Blick und in der NZZ) und erneut das Wallis (NZZ und Blick).

Mindestens zehn Personen verloren bei den Unwettern im Juni ihr Leben. Häuser und Strassen wurden zerstört, es entstanden Schäden von bis zu 200 Millionen Franken. Im Fokus der anschliessenden Medienberichte stand zunächst die Frage, ob angesichts der Gefahren einzelne Alpentäler aufgegeben werden sollen und welche weiteren Schutzmassnahmen erforderlich sind, im Tages-Anzeiger (paywall), in der Sonntags-Zeitung (paywall), hier und hier in der NZZ, auf SRF und in der Wochenzeitung.

Auch die Frage nach dem Einfluss des Klimawandels sorgte für Diskussionen. Was auffällt: Die Zunahme von extremen Niederschlägen und Erdrutschen deckt sich mit den Klimaszenarien von MeteoSchweiz. Gemäss den im Auftrag des Bundes erstellten Prognosen werden Starkniederschläge als Folge der Klimaerwärmung häufiger und intensiver. Ein wesentlicher Grund dafür ist, dass wärmere Luft mehr Wasser aufnehmen kann. Die NZZ berichtet über eine Studie, wonach seit 1981 die sommerlichen Regenmengen, die innerhalb von zehn Minuten respekive drei Stunden gemessen werden, deutlich intensiver geworden sind. Auf SRF, in der Südostschweiz (paywall) und im Blick ordnen Fachleute die Ereignisse ein.

In der Aargauer Zeitung ist zu lesen, weshalb angesichts der drohenden Gefahren gleichzeitig mehr Klimaschutz und zusätzliche Massnahmen zum Schutz vor Unwettern nötig sind und warum die beiden Aufgaben nicht gegeneinander ausgespielt werden dürfen. Weshalb es entscheidend ist, die globale Klimaerwärmung rasch zu begrenzen, erklärt Republik-Journalist Elia Blülle mit dem Konzept «limits to adaptation». Damit sind technologische, ökologische und wirtschaftliche Grenzen gemeint, ab denen Anpassungsmassnahmen nicht mehr ausreichen, um die negativen Auswirkungen der Klimaerwärmung zu bewältigen. Diese Grenzen können im Alpenraum erreicht werden.

Hitze – das unterschätzte Risiko

Die NZZ erinnert daran, dass Hitze eine viel grössere Gefahr darstellt als Murgänge. Sie verweist auf eine Studie, wonach bei einer Erderwärmung um 2 °C in der Schweiz pro Jahr im Schnitt über 1200 Personen wegen Hitze sterben. Das wären viermal mehr als zwischen 1990 und 2010. In der NZZ am Sonntag ist zu lesen, weshalb in der Schweiz der Schutz vor Hitzewellen verbessert werden muss, damit die Todesfälle wegen Hitze nicht weiter zunehmen. Handlungsbedarf besteht primär in den Städten. Es gilt Böden zu entsiegeln, zusätzliche Grünflächen zu schaffen und gekühlte Räume für alle zu schaffen. Wie Städte wirksamer gekühlt werden können, ist im Zukunftsblog der ETH Zürich zu lesen.

Wie viele Menschen in der Schweiz an den Folgen der Hitze sterben, zeigt der vom Bundesamt für Umwelt publizierte Kimaindikator «hitzebedingte Todesfälle». Im Sommer 2023 werden 542 Todesfälle auf Hitze zurückgeführt. Rund 95% davon betrafen Personen ab 75 Jahre, knapp zwei Drittel waren Frauen. Zum Vergleich: In Europa sind 2023 über 47’000 Menschen an den Folgen hoher Temperaturen gestorben, wie eine in «Nature Medicine» veröffentlichte Studie zeigt.

Das Schweizerische Tropen- und Public-Health-Institut (Swiss TPH) hat den Hitzesommer 2023 genauer analysiert. Dabei zeigt sich, dass die hitzebedingten Sterberaten im Tessin am höchsten waren (13 Todesfälle auf 100’000 Einwohner). In den Kantonen Wallis, Genf, Waadt und Basel-Stadt waren es 9-10 Fälle pro 100’000 Einwohner. Gemäss der Studie nimmt in moderat heissen Phasen die hitzebedingte Sterblichkeit nicht parallel mit der Temperatur zu, sondern weniger stark. Die Forschenden erklären dies mit Verhaltensänderungen und baulichen Anpassungen. An heissen und sehr heissen Tagen hat die Sterblichkeit über die analysierte Zeitperiode hingegen zugenommen.

In einer weiteren, im Magazin Environmental Research publizierten Studie hat das Swiss TPH für acht Schweizer Städte untersucht, wie Wärmeinseln, Grünräume und sozioökonomische Faktoren die Sterblichkeit beeinflussen. Basis der Untersuchung waren individuelle Sterbedaten für die warmen Monate der Jahre 2003 bis 2016. Dabei wurde für jeden Todesfall der exakte Ort berücksichtigt und damit auch, wie heiss, grün und wohlhabend die Umgebung war. Ein zentrales Ergebnis lautet: An einem Hitzetag mit einer Höchsttemperatur von 35 °C sterben in den städtischen Hitzeinseln der Schweiz 26% mehr Menschen als in den übrigen städtischen Gebieten. Ältere Menschen sind besonders gefährdet. Gleichzeitig zeigt die Studie, dass auch jüngere Menschen ein erhöhtes Risiko haben, wenn sie in weniger privilegierten Quartieren leben; das kann mit schlecht isolierten Wohngebäuden oder mit einer starken Hitzebelastung während der Arbeit zusammenhängen. Mehr dazu im Tages-Anzeiger (paywall).

Der Bund bremst beim Klimaschutz

Im Juni 2023 hat das Stimmvolk das Klimaschutzgesetz angenommen. Darin ist auch festgehalten, dass Bund und Kantone beim Klimaschutz eine Vorbildfunktion übernehmen und bereits ab 2040 klimaneutral sein sollen, zehn Jahre früher als die Schweiz. Bei der Umsetzung lässt sich das Departement von Bundesrat Albert Rösti viel Zeit. Die Verordnung, welche die Details regelt, wird erst Mitte 2025 in die Vernehmlassung geschickt, hat der Bundesrat im August beschlossen. Der Verein Klimaschutz Schweiz kritisiert die zögerliche Haltung und hat eine Petition lanciert, damit die Bestimmungen bereits auf Anfang 2025 in Kraft treten können. Im Tages-Anzeiger (paywall) ist zu lesen, dass auch andere Departemente die Umsetzung verzögern, aus Kostengründen oder weil die Vorgaben zu streng seien.

Nach dem Klima-Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) gegen die Schweiz wurde kontrovers darüber diskutiert, ob die Politik mehr zur Erreichung der Klimaziele tun kann. Und wie stark das Volk, das das letzte Wort hat, ambitionierte Massnahmen verhindert (etwa mit der Ablehnung des CO2-Gesetzes 2021). Eine Analyse des WWF zeigt nun, dass der Bundesrat den Spielraum hinsichtlich Klimaschutz bei weitem nicht ausgereizt hat. Die Umweltorganisation fordert, dass nachgebessert wird: beim Klimaschutzgesetz (Anforderungen an die Finanzbranche und Vorbildrolle von Bund und Kantonen), CO2-Gesetz (gesetzliche Maximalbeträge für zweckgebundene Abgaben, u.a. bei der Kompensationspflicht für Treibstoffimporteure), Stromgesetz (Planungssicherheit verbessern, etwa für den Bau von Solaranlagen auf Gebäuden), Umweltschutzgesetz (Bestimmungen einführen, um den Fussabdruck im Gebäudebereich bei Neu- und Umbauten zu reduzieren). Damit die Schweiz die Ziele des Klimaschutzgesetzes erreichen und den internationalen Verpflichtungen nachkommen kann, braucht es laut WWF allerdings zusätzliche klimapolitische Massnahmen. Hier sind Bundesrat, Parlament, Kantone und Gemeinden gefordert.

Im Tages-Anzeiger (paywall) diskutieren Helen Keller, ehemalige Richterin am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, und SP-Ständerat Daniel Jositsch über den Klima-Entscheid aus Strassburg. Sie findet ihn «bahnbrechend», er «falsch». Treihauspodcast.ch analysiert den Entscheid des Parlaments, das Urteil nicht zu befolgen.

Wer finanziert die Negativemissionen? Dieser Frage geht der Tages-Anzeiger (paywall) nach. Angesichts der weiterhin hohen CO2-Emissionen, darin sind sich Fachleute einig, müssen der Athmosphäre grosse Mengen an Treibhausgas entnommen werden, um die Erderwärmung auf 1,5 °C beschränken. Über die technischen Möglichkeiten (z.B. das Schweizer Unternehmen Climaworks) wird viel berichtet. Vergessen geht, dass dafür auch die finanziellen Voraussetzungen geschaffen werden müssen. Wie teuer das wird, hat die Beratungsfirma Boston Consulting Group ausgerechnet: Ab 2050 wären es jedes Jahr 0,5-1% der Wirtschaftsleistung. Umgerechnet auf die Schweiz wären dies 5-10 Milliarden Franken. Der WWF schlägt als Lösung einen Klimafonds vor, in den Verursacher von CO2 einbezahlen. Die weitaus günstigste Art, CO2 wieder aus der Luft zu filtern, liegt darin, den bestehenden Wald zu schützen und Wald wieder aufzuforsten.  

Wie ernst nimmt es der Bund mit internationalen Zusagen zum Klimaschutz? Nicht allzu sehr. An der Klimakonferenz von 2021 in Glasgow hatte die Schweiz versprochen, Staatshilfen für fossile Energieprojekte im Ausland zu stoppen. Nun zeigt eine Recherche von SRF, dass die schweizerische Exportrisikoversicherung (SERV) ein neues Gaskraftwerk im autoritär-regierten Turkmenistan unterstützt. Um das Erdgasgeschäft trotz der Zusage zu ermöglichen, passte die SERV ihre Richtlinien an. Nun kann sie auch fossile Energieprojekte versichern, wenn diese den wirtschafts-, aussen-, handels- und entwicklungspolitischen Interessen der Schweiz dienen.

Mit der Verordnung zum CO2-Gesetz will der Bundesrat die Reduktionsziele für den Treibhausgas-Ausstoss der verschiedenen Sektoren bis 2030 festlegen. Die Vernehmlassung dazu hat er Ende Juni eröffnet. Im März hatte das Parlament dem CO2-Gesetz zugestimmt; es reicht jedoch nicht aus, damit die Schweiz ihre Klimaziele einhalten kann (siehe Klima-Zeitung vom April).  Im Pariser Klimaabkommen ist ein Reduktionsziel von 50% gegenüber 1990 festgeschrieben. Der Gebäudesektor soll den CO2-Ausstoss gegenüber 1990 um 50% reduzieren, die Industrie um 35%, der Verkehr und die Landwirtschaft um 25%.

Wie weit entfernt die Schweiz von diesen Zielen ist, zeigt die Anfang Juli veröffentlichte CO2-Statistik. 2023 gingen die CO2-Emissionen aus Heizöl und Gas gegenüber dem Vorjahr um 8,8% zurück (der Einfluss der Witterung ist dabei berücksichtigt). Das sind 41,7% weniger als im Vergleichsjahr 1990. Die Reduktion ist gemäss Bundesamt für Umwelt vor allem auf die bessere Energieeffizienz von Gebäuden und den vermehrten Einsatz erneuerbarer Energien beim Heizen zurückzuführen. Gleich geblieben ist hingegen der CO2-Ausstoss aus Treibstoffen gegenüber dem Vorjahr. Gegenüber 1990 beträgt der Rückgang bloss 5,2%. Dass die Autoimporteure gemäss Bundesamt für Energie erstmals die CO2-Zielwerte erreichten, vermag daran nichts zu ändern.  Mehr dazu auf SRF.

Der WWF weist darauf hin, dass die Schweiz ihre CO2-Emissionen in den 33 Jahren seit 1990 um bloss 27% senken konnte. Um den Ausstoss wie international vereinbart bis 2030 zu halbieren, müsste die Schweiz in den verbleibenden sieben Jahren den Treibhausgas-Ausstoss um weitere 23 Prozent verringern. Mit der aktuell zaghaften Klimapolitik sei dies kaum zu schaffen. Die Schweiz muss so bis 2030 schätzungsweise Zertifikate für 50 Millionen Tonnen CO2 im Ausland zukaufen. 

Auch wenn der Gebäudesektor die Reduktionsziele erreicht: Um den Gebäudebestand bis 2050 klimaneutral zu machen, sind noch grosse Anstrengungen nötig. Rund zwei Drittel aller Mehrfamilienhäuser und 60% der Einfamilienhäuser, die als Erstwohnsitz genutzt werden, werden noch nicht nachhaltig beheizt, zeigt das Beratungsunternehmen Wüest Partner in einer Studie auf. Um die rund eine Million Wohnhäuser bis 2050 zu sanieren, sind Investitionen von 52 bis 228 Milliarden Franken erforderlich (reiner Heizungsersatz bzw. umfassende energetische Sanierung). Die Studie zeigt auf, dass Sanierungen in Mietliegenschaften zu Kosteneinsparungen für die Mieter:innen führen. Mehr dazu auf SRF und der NZZ (paywall).

Noch in einem Bereich besteht beim Klimaschutz Handlungsbedarf: bei Kreuzfahrtschiffen. Obschon die Schweiz ein Binnenland ist, steuern von hier aus mehrere Firmen ihre Schiffsflotte. Kein anderes Land in Europa kontrolliert mehr Kreuzfahrtschiffe, zeigt eine Erhebung von Fairunterwegs, einer NGO für nachhaltigen Tourismus. Diese stossen beträchtliche Mengen an CO2 aus. Die Schweiz sieht keinen Handlungsbedarf. Fairunterwegs hofft auf Regeln zur Konzernverantwortung und dass der Bund die Richtlinien der EU übernimmt. Mehr dazu im Blick.

Wie geht es nach dem Ja zum Stromgesetz weiter?

Am 9. Juni hat die Stimmbevölkerung das Stromgesetz mit 68,7% der Stimmen angenommen. Die Zustimmung zur Vorlage, die verbindliche Ausbauziele für erneuerbare Energie bis 2035 vorschreibt, fiel über das ganze politische Spektrum hoch aus, mit Ausnahme des SVP-Lagers. Das zeigt die Abstimmungsanalyse des Forschungsinstituts gfs Bern.

Besonders häufig stimmten jene Personen ja, die Umweltschutz höher gewichten als wirtschaftlichen Wohlstand und die Atomenergie ablehnen. Wer zustimmte, begründete dies unter anderem damit, dass durch das neue Gesetz die Abhängigkeit vom Ausland verringert wird. Wer das Gesetz ablehnte, befürchtet eine Verschandelung von Landschaften und die Beschneidung demokratischer Mitspracherechte. Bereits am Abstimmungssonntag begannen die politische Auseinandersetzung über die Umsetzung (siehe Klima-Zeitung vom Juni).

Es zeichnet sich ab, dass die grossen Wasserkraftprojekte wohl nicht so rasch realisiert wie einige mit der Annahme des Stromgesetzes erwartet haben. Vor allem gegen zwei Projekte gibt es weiterhin Opposition: gegen die geplanten Stauseen an der Trift im Berner Oberland und beim Gornergletscher im Wallis. Mehr dazu im Tages-Anzeiger (paywall) und der NZZ. Die Erhöhung der Grimselstaumauer rückt hingegen näher. Der Fischerei-Verband, der Schweizer Alpen-Club, die Stiftung Landschaftsschutz, Pro Natura, der WWF und Aqua Viva haben eine Vereinbarung mit den Kraftwerken Oberhasli (KWO) unterzeichnet. Sie akzeptieren demnach die Erhöhung der Staumauern beim Grimsel Hospiz um 23 Meter. Im Gegenzug werden Flussabschnitte revitalisiert, Trockenstandort aufgewertet und weitere Ersatzmassnahmen getroffen. Offen bleibt, ob andere Umweltorganisationen mit juristischen Mitteln gegen das Projekt vorgehen, ist im Thuner Tagblatt zu lesen.

Die Atomkraft-Lobbyist:innen hoffen, dass  der Bundesrat das Neubauverbot für AKWs aufhebt. Laut der Aargauer Zeitung (paywall) wollte dies der Bundesrat bereits Mitte August beschliessen – als indirketen Gegenvorschlag zur Blackout-Initiative (gemäss dieser sollen in Zukunft alle klimaschonenden Energien erlaubt sein). Doch der entsprechende Antrag wurde zurückgestellt, weiss der Tages-Anzeiger. Bundesrat Albert Rösti muss zusäztliche Informationen nachliefern, unter anderen dazu, ob es zulässig ist, das 2017 vom Volk beschlossenen Neubauverbot nach kurzer Zeit schon wieder aufzuheben.

Auch die Umsetzung des Stromgesetzes sorgt für Diskussionen. Bereits vor der Abstimmung hatte der Bundesrat die Verordnung zum Stromgesetz in die Vernehmlassung geschickt. Die darin vorgeschlagene Senkung der Mindestvergütungen für Solaranlagen hat die Branche verunsichert. Das Bundesamt für Energie (BFE) begründet diese Anpassung damit, dass sich Solaranlagen dank dem Eigenverbrauch rentieren. Swissolar kritisiert, die Annahmen des BFE zum Eigenverbrauch seien viel zu hoch. Der Branchenverband verlangt Minimalvergütungen, die über 25 Jahre gleich bleiben. Damit werde ein wirtschaftlicher Betrieb aller Solaranlagen über die gesamte Laufzeit auch dann sichergestellt, wenn der Eigenverbrauch gering ist. Auch die Schweizerische Energie-Stiftung (SES) bemängelt die tiefen Mindestvergütungen. Zudem fehlten im Bereich Energie-Effizienz finanzielle Anreize und Massnahmen zur Verhaltensänderung. Und die SES verlangt Nachbesserungen bei der Biodiversität. Bis im Herbst wird mit einem Entscheid des Bundesrats gerechnet. Mehr dazu im Thuner Tagblatt.

Mehr Solarstrom und neue Kritik an Reservekraftwerken

Die dämpfende Wirkung der Covid-Pandemie auf die Energienachfrage ist vorbei. Der Endenergieverbrauch der Schweiz stieg 2023 gegenüber dem Vorjahr um 0,3%. Hauptgrund für den Anstieg ist die deutliche Zunahme des Flugverkehrs um 19%. Auch Diesel- und Benzinverbrauch nahmen laut dem Bundesamt für Energie (BFE) zu, um 0,3%. Gleichzeitig wurden 6% weniger Erdgas und 3% weniger Heizöl verbraucht. Im Gegenzug wurden mehr erneubare Energieträger zum Heizen eingesetzt. Energieholz, Umgebungswärme, Fern- sowie Solarwärme machen mittlerweile 11,8% am gesamten Energiebedarf aus. Mehr dazu auf SRF.

Kräftig gewachsen ist die Produktion von Solarstrom. Gemäss der «Statistik Sonnenenergie» des BFE ist der Markt 2023 Jahr um 51% gewachsen. Es ist das vierte Jahr in Folge mit einem Marktwachstum von mehr als 40%. Es wurde eine zusätzliche Photovoltaik-Leistung von 1,6 Gigawatt installiert. Insgesamt waren Ende 2023 Solarpanels mit einer Leistung von 6,4 Gigawatt installiert, die im Jahresverlauf über 8% des Schweizer Strombedarfs abdeckten. Um die Vorgaben des neuen Stromgesetzes einzuhalten, muss der Solarstrom in den nächsten zehn Jahren fast verfünffacht werden. Mehr dazu bei Swissolar.

Mit Ausnahme von kleineren Projekten an Staumauern sind fast alle alpinen Solarprojekte weiterhin in der Planungsphase. Zwei Projekte verfügen inzwischen über eine rechtskräftige Bewilligung, SedrunSolar und Vorab, beide im Bündnerland; oberhalb Sedrun erfolgte im August der Baustart (Tages-Anzeiger). 44 alpine Solarprojekte sind gemäss der Aufstellung des Verbands Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen derzeit in Planung (letzte Aktualisierung 27.06.2024). Für zehn der geplanten Anlagen ist ein Baugesuch eingereicht worden, wie eine Übersicht des Bundesamts für Energie zeigt.

Gegen den grössten in den Alpen geplanten Solarpark, jenen in Grengiols im Wallis, haben Pro Natura, die Stiftung Landschaftsschutz und Mountain Wilderness Einsprache erhoben. Die Umweltverbände kritisieren, dass das Projekt im Landschaftspark Binntal geplant sei. Zudem sei der Standort ein Vogel-Hotspot. Bis Ende 2025 müssen die Anlagen einen Teil des geplanten Stroms ins Netz speisen, damit sich der Bund an den Kosten beteiligt. Weil die Zeit knapp wird, prüft der Bund, die Finanzierung auf Verordnungsstufe zu verlängern. Mehr dazu im Tages-Anzeiger.

Das Stromgesetz ebnet den Weg für den Ausbau von Solar-, Wasser- und Windkraftwerken. Damit der Strom zu den Konsument:innen gelangt, braucht es aber zusätzliche Stromleitungen. Nun hat der Bundesrat aufgezeigt, wie er den Ausbau der Stromnetze weiter beschleunigen will. Die entsprechende Vernehmlassung zur Revision des Elektrizitätsgesetzes läuft bis zum Oktober. Der Entwurf sieht vor, die Bewilligungsverfahren für den Um- und Ausbau der Stromnetze zu vereinfachen. Das Interesse an der Realisierung von neuen Übertragungsleitungen soll anderen nationalen Interessen grundsätzlich vorgehen. Und Übertragungsleitungen sollen künftig grundsätzlich als Freileitungen realisiert werden. Der Bau erdverlegter Leitung soll nur noch dann geprüft werden, wenn eine Freileitung zu übermässiger nichtionisierender Strahlung führen und Natur- und Heimatschutzobjekte von nationaler Bedeutung beeinträchtigen würde. Mehr dazu im Tages-Anzeiger (paywall).

Der Verband Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen (VSE) warnt in einer Studie vor den Kosten, das Stromnetz auszubauen. Vor allem dezentrale Solaranlagen würden zusätzliche Investitionen nötig machen. Kostengünstiger sei der Bau von Grosskraftwerken. Der Wirtschaftsverband swisscleantech kritisiert, die VSE-Studie basiere auf veralteten Konzepten des Netzausbaus, wonach jede produzierte Kilowattstunde im Netz abzutransportieren sei. In Zukunft müsse das Stromnetz vor allem an der Nachfrage orientiert sein. Strom, der nicht nachgefragt wird, soll nicht ins Netz gelangen. Zudem wird der Eigenverbrauch dank günstigeren Batteriespeichern und E-Mobilität zunehmen und das Netz weiter entlasten. Mehr dazu auf srf.ch.

Zu teuer, klimapolitisch falsch, ohne rechtliche Grundlage: Die Reservekraftwerke, mit welchen der Bund die Stromversorgung sichern will, stossen auf breite Kritik. Mitte Juni folgte der nächste Rückschlag: Das Bundesamt für Energie brach die Ausschreibung für neue Reservekraftwerke ab 2026 ab, weil die Kosten der Offerten zu hoch waren. Bis dann stehen Kraftwerke in Birr und in der Westschweiz bereit, um in einer Mangellage die Gas- bzw. Ölgeneratoren anzuwerfen. Das BFE will nun direkt mit Elektrizitätsfirmen verhandeln. In der NZZ am Sonntag ist zu lesen, wie viel Geld die Stromunternehmen vom Bund wollten: Für eine Leistung von 590 Megawatt (das ist etwa ein Drittel der Leistung der 2023 neu installierten Solarstrom-Module) wurden 2,6 Milliarden Franken verlangt. Bezahlen müssten die Kosten die Konsument:innen mit einer Abgabe auf jeder verbrauchten Kilowattstunde Strom. Hinzu kommen die Kosten für die Brennstoffe, wenn die Anlagen in Betrieb sind.

Auch die Industrie kritisiert die Pläne des Bundesamts. Der Wirtschaftsverband Swissmem hat dem Bundesrat Massnahmen vorgeschlagen, um in einer Mangellage die Stromnachfrage zu senken. Doch dieser ging nicht darauf ein, wie in der NZZ zu lesen ist. Swissmem setzt sich für eine sogenannte Verbrauchsreserve ein. Dabei würden sich Grossverbraucher dazu verpflichten, im Ernstfall ihre Nachfrage zu reduzieren oder ihre Produktion ganz einstellen. Dafür würden sie vom Bund eine Entschädigung erhalten.

Der Fleischkonsum wird weiterhin gefördert

Eigentlich möchte der Bund, dass in der Schweiz weniger Fleisch konsumiert wird. Gründe gibt es viele: langfristig negative Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit, Ausstoss grosser Mengen an Treibhausgasen und die Beeinträchtigung der Biodiversität. Dennoch zahlt der Bund jährlich 5,4 Millionen an die Förderung des Fleischabsatzes. Die staatlichen Ausgaben für die Absatzförderung von Fleisch, Milch und Eiern belaufen sich auf 34-38 Millionen Franken pro Jahr. Und daran soll sich nach dem Willen des Bundesrats nicht ändern. In einem Bericht hatte er die Auswirkung von verschiedenen Subventionsinstrumenten untersuchen lassen. Zur Absatzförderung von tierischen Produkten heisst es nur, es sei «keine Quantifizierung der Wirkung möglich.» Der Bundesrat ist mit seiner Haltung nicht allein – National- und Ständerat hatten vor kurzem entschieden, die staatliche Fleischwerbung fortzuführen. Im Tages-Anzeiger (paywall) kommen Kritiker:innen des Entscheids zu Wort.

Noch mehr Absatzförderung für tierische Produkte betreiben die grossen Detailhändler. Ihre Werbeausgaben werden auf mehrere Hundert Millionen Franken pro Jahr geschätzt. In der Schweiz wird fast die Hälfte des Fleisches über Rabatte verkauft, ist im Tages-Anzeiger (paywall) zu lesen. Aufgrund dieser Praxis verfehlen Migros und Coop ihre Klimaziele, zeigt Greenpeace in einer Studie auf. Die beiden Grossverteiler möchten bis 2050 klimaneutral werden. Die Umweltorganisation hat ausgerechnet, dass 30% des gesamten Klima-Fussabdrucks der Schweiz (importierte Güter eingerechnet) über den Ladentisch der beiden Unternehmens gehen. Bei Coop machen Tierprodukte 47% der gesamten Treibhausgasemissionen aus, bei der Migros über ein Drittel. Greenpeace betont, es führe kein Weg an einer Reduktion des Sortiments an tierischen Produkten vorbei. Mehr dazu bei Le Temps (paywall).

Einen politischen Vorstoss, den Konsum tierischer Nahrungsmittel einzuschränken, macht Franziska Herren. Mitte August hat sie die erforderlichen Unterschriften für die Ernährungsinitiative eingereicht. Die Bernerin hatte die Trinkwasserinitiative lanciert, die 2021 vom Volk abgelehnt worden war. Die neue Initiative will den Bund zu Massnahmen verpflichten, die eine auf pflanzlichen Lebensmitteln basierende Ernährungsweise fördern. Gleichzeitig sollen die Abhängigkeit vom Ausland reduziert und sauberes Trinkwasser gesichert werden. Mehr dazu in der NZZ (paywall), im Tages-Anzeiger (paywall) und im Blick.

Biodiversität: Die Faktenlage zur Initiative

Am 22. September stimmen wir über die Biodiversitätsinitiative ab. Sie wurde vor vier Jahren von Natur- und Umweltorganisationen eingereicht und will den Schutz unserer Lebensgrundlagen besser in der Verfassung verankern. Bund und Kantone sollen verpflichtet werden, dafür mehr Flächen und finanzielle Mittel zur Verfügung zu stellen.

Der Bundesrat hatte wichtige Anliegen der Initiant:innen anerkannt und einen indirekten Gegenvorschlag beschlossen. Er wollte genügend Schutzflächen schaffen, um den Lebensraum für Tiere und Pflanzen zu sichern. Doch das Parlament lehnte den Gegenvorschlag ab: Der Ständerat war zu keinem Kompromiss bereit und stellte sich gegen jegliche zusätzliche Vorschriften. Nähere Informationen über die Vorlage liefert der Tages-Anzeiger (paywall) in einem Übersichtsartikel. Wäre Anfang August über die Initiative abgestimmt worden, wäre sie knapp angenommen worden, wie eine Tamedia-Umfrage zeigt. 51% der Befragten gaben an, Ja zu stimmen. 7% sind noch unentschlossen. Zum gleichen Resultat kommt eine Umfrage von SRF.

Die Schweiz ist in Sachen Artenvielfalt eines der Schlusslichter Europas. Ein Drittel der untersuchten Arten ist gefährdet oder bereits ausgestorben. Die Hälfte der natürlichen Lebensräume ist bedroht – Gewässer, Moore und landwirtschaftlich genutzte Flächen sind besonders unter Druck. Und die Schweiz hat nur eine geringe Fläche unter Schutz gestellt: Sie steht am Schluss der europäischen Rangliste, zusammen mit der Türkei und Bosnien-Herzegowina (weitere Informationen bei BirdLife Schweiz). Die Wochenzeitung fragt nach, weshalb sich selbst viele Menschen aus dem linken Lager dennoch nicht für die biologische Vielfalt interessieren.

Erhalt und Förderung der Biodiversität sind auch wichtig im Kampf gegen den Klimawandel. Warum? Beide Krisen hängen zusammen. Intensive Landwirtschaft und das Abholzen von Wäldern bedrohen nicht nur die Artenvielfalt, sondern setzen auch Treibhausgase frei. Umgekehrt beschleunigt der Klimawandel den Verlust der biologischen Vielfalt. Die Akademie der Naturwissenschaften Schweiz (SCNAT) hat dazu einen Bericht verfasst.

Im Online-Journal infosperber.ch erklären zwei Forscherinnen der Universität Zürich, welche grundlegenden Anpassungen nötig sind, um die Klima- und Biodiversitätskrise gleichzeitig zu meistern. Die Paradigmen des heutigen Wirtschaftssystems seien zu überdenken. Weshalb die Förderung der Biodiversität den Ausbau der erneuerbaren Energien nicht gefährdet, ist bei der Schweizerischen Energie-Stiftung zu lesen.

Der Schweizerische Bauernverband lehnt die Biodiversitätsinitiative als «zu extrem und unnötig» ab. Er bekämpft sie unter anderem mit einer Auftragsstudie. Darin heisst es: «Die Zu- und Abnahmen halten sich bei fast allen betrachteten Organismengruppen die Waage resp. es sind mehr oder weniger deutliche Zunahmen zu finden.» In einem Interview mit der NZZ sagte der Studienautor: «Natürlich gibt es noch Problemzonen, aber die Gesamtbilanz ist positiv.»

Wissenschaftler:innen kritisieren die Studie vehement. Im Tages-Anzeiger (paywall) stellt ein ETH-Professor für Ökosysteme und Landschaftsevolution klar: «Alle Indikatoren zeigen, dass die Biodiversität in der Schweiz weiter abnimmt.» Mehr dazu im Blick und der Aargauer Zeitung (paywall). Es ist nicht die erste fragwürdige Publikation zur Artenvielfalt in der Schweiz. Bereits im Mai berichtete das Online-Magazin Republik, dass das Bundesamt für Umwelt (BAFU) einen Bericht über den Zustand der Biodiversität geschönt habe.

Die Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL), das Kompetenzzentrum für terrestrische Biodiversität in der Schweiz, hat das gesicherte Wissen über den Zustand der Biodiversität sowie über Massnahmen und deren Erfolg zusammengetragen. Hier die wichtigsten Fakten:

Irreführende Zahlen zum Nutzen neuer Autobahnen

Am 24. November findet die Abstimmung über den Bau neuer Autobahnen statt. Umweltverbände hatten das Referendum gegen den Entscheid des Parlaments ergriffen, das Nationalstrassennetz für 5,3 Milliarden Franken weiter auszubauen. Wie eine Recherche der NZZ am Sonntag (paywall) zeigt, argumentiert die Bundesverwaltung, die das Projekt unterstützt, mit fragwürdigen Zahlen. Der volkswirtschaftliche Nutzen des Ausbaus – vor allem eine Reduktion der Staustunden und kürzere Reisezeiten – wird auf 184 Millionen Franken pro Jahr beziffert. Doch diese Berechnung stützt sich auf eine alte Formel. Die Methode wird derzeit überarbeitet und soll in sechs bis zwölf Monaten in Kraft treten; erste Kantone setzen die neue Grundlage bereits ein. Mit dieser neuen Formel reduziert sich der ausgewiesene Nutzen laut dem Verkehrsclub der Schweiz auf 65 Millionen Franken, rund ein Drittel des heute vom Bund auswiesenen Betrags. Das Vorgehen des Bundes stösst auf Kritik. Es sei «demokratiepolitisch problematisch, wenn die Bevölkerung im November über einen Autobahnausbau abstimmt, für den ein volkswirtschaftlicher Nutzen ausgewiesen wird, der schon nächstes Jahr nicht mehr gültig ist», sagt der SP-Nationalrat Jon Pult. Mehr dazu bei nau.ch.

Die Wirtschaft wehrt sich gegen die Zukunftsinitiative

Im Februar 2024 haben die Jungsozialist:innen  (Juso) die Initiative «Für eine soziale Klimapolitik – steuerlich gerecht finanziert (Initiative für eine Zukunft)» eingereicht. Damit soll eine Erbschaftssteuer von 50% eingeführt (ab einem Freibetrag von 50 Millionen Franken) und mit dem Geld (laut Initiant:innen 6 Milliarden Franken pro Jahr) die Klimakrise bekämpft werden. Noch bevor das Parlament darüber berät, haben reiche Unternehmer:innen eine Diskussion dagegen lanciert. In der Sonntags-Zeitung (paywall) und der NZZ (paywall) drohen sie damit, die Schweiz zu verlassen. Würde die Initiative angenommen, müssten die Erben die Unternehmen wegen den hohen Steuern verkaufen.

In der Sonntagszeitung (paywall) und der NZZ (paywall) erklären bürgerliche Politiker:innen, dass sie die Initiative für ungültig erklären wollen. Konkret soll die Rückwirkungsklausel gestrichen werden. Mit dieser Klausel wollen die Initiant:innen verhindern, dass reiche Unternehmer:innen das Land nach der Annahme der Initiative verlassen, bevor die Ausführungsbestimmungen in Kraft treten. Der Bundesrat hat bereits angedeutet, dass er bei der Umsetzung (falls die Initiative angenommen wird) von einer Rückwirkung absehen würde, berichten die Aargauer Zeitung und der Tages-Anzeiger (paywall). Einen Gegenvorschlag mit einer moderaten Erbschaftssteuer lehnen bürgerliche Politiker:innen ab. Laut einer repräsentativen Umfrage von Tamedia (paywall) stösst die Initiative auf Ablehnung: 58% der Befragten sind dagegen, 34% dafür. Mehr dazu in der Sonntagszeitung (paywall), in der NZZ am Sonntag (paywall) und der Wochenzeitung.

Finanzplatz: Kritik an der Selbstregulierung

Die Vermögensverwalter der grössten Schweizer Banken und Versicherungen engagieren sich zu wenig für die Umwelt und das Klima. Zu diesem Schluss kommt eine Studie, die Greenpeace in Auftrag gegeben hat. Über ihre Finanzanlagen in Unternehmen sind die Institute eigentlich in der Lage, Einfluss auf klima- und umweltrelevante Entscheide auszuüben. Doch diese Verantwortung nehmen sie zu wenig wahr, heisst es im Bericht. Die Vermögensverwalter würden darauf verzichten, nachhaltige Geschäftspraktiken zu verlangen. Weil die Selbstregulierung des Schweizer Finanzplatzes nicht ausreicht, fordert Greenpeace eine klare Regulierung der Branche. Um das Ziel zu erreichen, wird eine Initiative vorbereitet, die umweltschädliche Praktiken der Finanzakteure stoppen soll.

Der Bundesrat will jedoch keine strengere Regulierung des Finanzsektors. Er hat Ende Juni entschieden, auf verbindliche Regeln zum Schutz vor Greenwashing zu verzichten. Er vertraut weiterhin auf die Selbstregulierung der Finanzbranche. Noch im letzten Oktober hatte er das Eidgenössische Finanzdepartement angewiesen, eine Vorlage zur Vermeidung von Greenwashing zu erarbeiten. Nun sieht er dafür keinen Bedarf mehr. Im Tages-Anzeiger kritisiert Greenpeace den Kurswechsel. Es sei «empörend, dass der Bundesrat nicht endlich das Heft in die Hand nimmt, obwohl er selber zugibt, dass die Selbstregulierung der Branche auch nach drei Jahren immer noch nicht alle seine Anforderungen erfüllt».

Welchen Einfluss der Finanzmarkt auf Unternehmen ausübt, zeigt sich am Beispiel von Glencore. Der im Kanton Zug ansässige Rohstoffkonzern wollte das Kohlegeschäft abspalten und in einem neuen Unternehmen an die Börse bringen. Doch die Aktionär:innen haben dies verhindert: Eine Mehrheit hat eine Abspaltung abgelehnt, weil sie nicht aus den mit Kohle erzielten Gewinne verzichten will. Mehr dazu im Tages-Anzeiger und der NZZ (paywall).

Klimarelevante Entscheide von Bund und Kantonen

Wenn Hersteller:innen die Lebensdauer ihrer Produkte absichtlich verkürzen (geplante Obsoleszenz), ist das für Konsument:innen ärgerlich und schadet der Umwelt. Das Parlament hat nun dem Bundesrat die Kompetenz erteilt, etwas dagegen zu unternehmen. So kann er neu Unternehmen dazu verpflichten, Informationen zur Lebensdauer bekanntzugeben und auch dazu, wie sich die Produkte reparieren lassen. In einem Bericht hält der Bundesrat fest, dass diese Deklarationen den Material- und Energieverbrauchs reduzieren können. Ob und wie rasch dies umgesetzt wird, lässt der Bundesrat offen. Klar ist, dass bei einer Einführung die entsprechenden Regelungen in der EU berücksichtigt werden, um einen Alleingang der Schweiz zu vermeiden. Die EU hat Anfang 2024 entschieden, neue Verpflichtungen zu Reparierbarkeit, Greenwashing und geplanter Obsoleszenz einzuführen. Mehr dazu im Tages-Anzeiger (paywall).

Der Kanton Zürich möchte, dass an geeigneten Standorten Windenergieanlagen gebaut werden. Vor zwei Jahren war von knapp 50 Gebieten mit Potenzial die Rede. Nun ist die Liste auf 20 reduziert worden, schreibt die NZZ (paywall). Diese seien sehr gut geeignet. Sie bieten Platz für etwa 70 Windturbinen und sollen in den kantonalen Richtplan eingetragen werden.

Internationale Klimapolitik

Geheimtribunale greifen immer häufiger Klimapolitik an

Im Oktober 2023 begann ein kleines Schweizer Energieunternehmen einen Rechtsstreit, der weltweite Auswirkungen haben könnte. Die Azienda Elettrica Ticinese (AET) reichte Klage gegen die Bundesrepublik Deutschland vor einem privaten Schiedsgericht ein, um den deutschen Kohleausstieg bis 2038 anzufechten. Das Unternehmen fordert eine Entschädigung für die Ende 2018 erfolgte Schliessung eines deutschen Kohlekraftwerks, an dem AET beteiligt ist. Das Verfahren könnte einen gefährlichen Präzedenzfall schaffen. AET nutzt für seine Klage den wenig bekannten Mechanismus der Investor-Staat-Streitbeilegung, englisch ISDS. Dieser wurde speziell entwickelt, um Investoren zu ermöglichen, nationale Gerichte zu umgehen.

ISDS ermöglicht es ausländischen Investoren, Länder vor geheimen Unternehmensgerichten auf Schadensersatz zu verklagen, wenn sie durch ein Politikinstument Gewinne einbüssen. Diese Gerichte bestehen jeweils aus drei Schiedsrichtern – oft private Anwälte, die teilweise vom klagenden Unternehmen selbst ausgewählt werden. Diese entscheiden losgelöst von nationalen Gesetzen oder Verfassungen über die Investorenklagen.

Der Energiecharta-Vertrag ist einer der internationalen Verträge, die Investoren den Zugang zu solchen privaten Schiedsgerichten ermöglichen. Viele EU-Staaten sind aus der Charta ausgetreten, weil sie die Umsetzung der Klimapolitik behindern. Doch die Schweiz ist nach wie vor Mitglied. Daneben gibt es etwa 2500 weitere Investitionsschutzabkommen, die ebenfalls Klagerechte enthalten. 

Gegenüber nationalen Gerichten bevorzugen Unternehmen häufig die Schiedsgerichte, da sie dort bessere Chancen haben, Fälle zu gewinnen, höhere Entschädigungen zugesprochen bekommen und der kritischen Öffentlichkeit entgehen können. Der Wirtschafts-Nobelpreisträger Joseph Stiglitz bezeichnet ISDS als «rechtlichen Terrorismus» und prangert die nachteiligen Auswirkungen auf die Demokratie und die Regierungsmöglichkeiten von Staaten an.

Seit den ersten ISDS-Klagen in den frühen 1990er Jahren konnten Investoren mehr als 110 Milliarden US-Dollar an staatlichen Entschädigungen einklagen. Fossile Unternehmen nutzen ISDS am aktivsten und behindern so Massnahmen zum Klimaschutz. Es zeigt sich auch ein Nord-Süd-Gefälle: Investoren aus den USA, Kanada, Grossbritannien und der EU sind besonders klagefreudig. Argentinien, Venezuela, Mexiko und Ägypten die am häufigsten verklagten Länder.

ISDS-Fälle sind notorisch intransparent – einige Fälle werden völlig geheim gehalten oder erst Jahre nach ihrem Abschluss bekannt. Um mehr Licht in das Dunkel der ISDS-Welt zu bringen, haben die Nichtregierungsorganisationen Powershift, Transnational Institute und Trade Justice Movement den «Global ISDS Tracker» erstellt – eine neue Datenbank, die alle öffentlich bekannten ISDS-Fälle und ihre Hintergründe zusammenfasst. Mehr bei Klimareporter.de

Klimaschäden sollen von oberstem Gericht beurteilt werden

Der Internationale Gerichtshof in Den Haag wird bald aufgefordert werden, die rechtliche Verantwortung der Staaten für die Auswirkungen des Klimawandels zu klären. Obwohl das Urteil des Gerichts nicht bindend sein wird, wird es für Tausende von Klimaklagen von Bedeutung sein. Weltweit wurden bereits 2666 Klimaklagen eingereicht. Bei den meisten Kläger:innen handelt es sich um Einzelpersonen und NGOs. Sie alle wollen Regierungen und Unternehmen für ihre Klimaversprechen zur Rechenschaft ziehen. Die Entscheidung des Gerichts könnte eine der folgenreichsten Entwicklungen in der Klimapolitik seit dem Pariser Abkommen sein.  Mehr bei Nature. Wer einen wöchentlichen Newsletter zu wichtigen Klima-Gerichtsfällen abonnieren möchte, kann das bei Climate Court tun.

Reiche Länder bewilligen viele neue Öl- und Gasförderlizenzen

Westliche Länder haben eine riesige Anzahl neuer Öl- und Gasförderlizenzen genehmigt, wie eine neue Analyse des International Institute for Sustainable Development (IISD) zeigt. Die Förderlizenzen, die in diesem Jahr weltweit vergeben werden, werden während ihrer Lebensdauer etwa 12 Mia. Tonnen CO2 ausstossen. Das ist etwa fünf Mal so viel, wie die gesamte EU 2023 ausgestossen hat. Die USA sind mit Abstand der grösste Produzent. Joe Bidens Regierung hat 1453 neue Öl- und Gaslizenzen vergeben – das ist die Hälfte der weltweiten Gesamtmenge seit 2021 und 20% mehr als Donald Trump in seiner Amtszeit. (Vox berichtet über Bidens grosses, widersprüchliches und fragiles Klima-Vermächtnis.)

Die Öl- und Gasindustrie investiert weiterhin auch im grossen Stil in die politische Einflussnahme. In den letzten zehn Jahren gab sie alleine in den USA 1,25 Milliarden Dollar für Lobbyarbeit und mehr als 650 Millionen Dollar für Wahlkampfspenden aus, siehe OpenSecrets. Die IISD-Analyse zeigt auch, dass fossile Unternehmen fast 2500 Lobbyist:innen zu den Klimaverhandlungen in Dubai schickten und mehr Geld in die Erschliessung neuer Öl- und Gasvorkommen stecken als jemals zuvor seit dem Pariser Klimaabkommen von 2015. Mehr dazu im Guaridan hier, hier und hier.

US-Gericht hebelt Umweltgesetze aus

Eine Reihe von Entscheidungen des konservativen Obersten Gerichtshofs (Supreme Court) des USA hat in den letzten zwei Jahren die Befugnis der US Umweltschutzbehörde (EPA) erheblich geschwächt.Seit 2022 haben konservativen Aktivist:innen und die fossile Indstrie zahlreiche Klagen eingereicht, um die Befungisse der EPA zu kürzen. Im Juni verbot das Gericht die Anwendung der sogenannten Chevron-Doktrin, die seit 40 Jahren ein Eckpfeiler des Verwaltungsrechts ist. Bis anhin war die Auslegung unklarer oder allgemein formulierter Gesetze Expert:innen der Behörden überlassen. Nun sollen Gerichte darüber entscheiden können. Damit wird die Befugnis vieler Bundesbehörden zur Regulierung des Umwelt, des Gesundheitswesens und anderer Bereiche untergraben.

Noch bemerkenswerter sind mehrere Entscheidungen des Supreme Courts, Umweltvorschriften zu verbieten, bevor diese überhaupt politisch umgesetzt worden sind. Das Gericht verbot zum Beispeil eine vorgeschlagene EPA-Regelung, die Millionen Hektar Feuchtgebiete vor Verschmutzung schützen sollte, noch bevor diese verabschiedet worden war. In ähnlicher Weise schränkte das Gericht 2022 die Möglichkeiten der EPA zur Regulierung der Treibhausgasemissionen von Kraftwerken stark ein, obwohl diese Vorschrift noch nicht in Kraft getreten war.

Der Supreme Court mischt sich also aktiv in die Gesetzgebung ein. Damit haben Industrieunternehmen, konservative Interessengruppen und republikanische Anwälte das Ziel ihrer mehrjährigen Strategie erreicht, die Justiz zur Beeinflussung der Umweltpolitik einzusetzen. Diese Entscheidungen gefährden nicht nur viele bestehende Umweltvorschriften, sondern können auch verhindern, dass künftige Regierungen neue Vorschriften erlassen. Sollte Kamala Harris die Präsidentsschaftswahlen gewinne, könnte sie nicht mehr viel für die Umwelt und insbesondere für das Klima tun. NY Times (paywall)

Auch andere Gerichtentscheide, schwächen Umweltregelungen. Ein Bundesrichter entschied im Juli, dass die Regierung Biden wieder Genehmigungen für neue Flüssigerdgas-Exportanlagen erteilen muss. Im Januar hatte die Regierung diesen Prozess unterbrochen , um zu analysieren, wie sich diese Exporte auf den Klimawandel, die Wirtschaft und die nationale Sicherheit auswirken. Die Entscheidung eines US-Bezirksgerichts ist die Antwort auf eine Klage von 16 republikanischen Generalstaatsanwälten, die argumentierten, dass die Pause einem Verbot gleichkomme, das der Wirtschaft ihrer Staaten schade. Viele dieser Staaten, darunter Louisiana, West Virginia, Oklahoma, Texas und Wyoming, fördern erhebliche Mengen an Erdgas. NY Times (paywall)

US-Wahlen: Harris versus Trump

US-Präsident Joe Biden zog sich im Juli aus dem Rennen um die Wiederwahl zurück und unterstützte seine Vizepräsidentin Kamala Harris als seine Nachfolgerin. Harris kandidiert mit einer starken Bilanz in Sachen Klimawandel und Umwelt. Als Senatorin hat sie den Green New Deal mitunterstützt, und als Vizepräsidentin half sie bei der Verabschiedung des grössten US-Klimapakets, dem Inflation Reduction Act. «Die Dringlichkeit dieses Moments ist klar», sagte sie auf dem Klimagipfel der Vereinten Nationen im vergangenen Jahr. «Die Uhr tickt nicht mehr nur, sie schlägt. Und wir müssen die verlorene Zeit wieder aufholen.» Mehr zu Harris‘ Klimapolitik in der New York Times (paywall), The Bulletin, Guardian und Klimareporter.de.

Govenor Tim Walz, der demokratischer Vizepräsident werden soll, hat ebenfalls viel für den Klimaschutz unternommen. Mehr zu ihm bei E&E News, Scientific American und Salon

Das Green New Deal Network,  ein grosses Netzwerk von Gewerkschaften und Klimaorganisationen, unterstützt die Kandidatur von Harris und Walz. Einerseits erhält Harris dadurch Auftrieb von jüngeren und linken Wähler:innen, die für den Sieg im November entscheidend sein könnten. Andererseits ist es ein gefundenes Fressen für Trump, der Harris als radikale Linke darstellt, die die Erschliessung von Öl- und Gasvorkommen in den USA blockieren will. Mehr bei www.insideclimatenews.org.

Sollte Donald Trump die Wahlen gewinnen, wäre er in einer weitaus besseren Position, um Umwelt- und Klimagesetze zu demontieren, als in seiner ersten Amtszeit. Unterstützt würde er dabei vom konservativen Obersten Gerichtshof und anderen Verbündeten, die in ihrem Projekt 2025 bereits konkrete Pläne dazu aufgezeigt haben. In einem 32-seitigen Kapitel über die amerikanische Umweltbehörde (EPA) fordern sie unter anderem die Aufhebung von Vorschriften zur Bekämpfung der Luftverschmutzung und die Abschaffung des EPA-Büros für Umweltgerechtigkeit, das sich auf die Bekämpfung von Umweltverschmutzung in Gebieten mit niedrigem Einkommen. Sie fordern zudem eine «Vielfalt wissenschaftlicher Standpunkte» und wollen die EPA grundlegend «reformieren». Mehr bei billmckibben.substack.com und der NY Times (paywall).

Europäische Klimapolitik

Die alte, neue Kommissionspräsidentin

Die deutsche EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU/EVP) wurde am 18. Juli, vom neuen EU-Parlament in ihrem Amt bestätigt. Ein breites Bündnis aus Grünen, Sozialdemokraten und Konservativen wählte die 65-Jährige erneut zur EU-Kommissionspräsidentin mit einer deutlicheren Mehrheit als vor 5 Jahren. Tagesschau hat eine Übersicht der Vorhaben von der Leyens zusammengestellt.

Die Zustimmung der Grünen im Europaparlament hing massgeblich vom Erhalt zentraler Klima- und Umweltpolitiken ab, dennoch bleibt Kritik nicht aus. Zwar soll der European Green Deal fortgeführt und durch die Umsetzung eines «Clean Industrial Deal» weiter ausgebaut werden. Dieser soll Milliardeninvestitionen in eine zukunftsfähige Infrastruktur und Industrie fliessen lassen. Wie dieser genau aussieht, bleibt abzuwarten.  Mehrere deutsche Umweltverbände forderten in einem gemeinsamen Papier die Sicherstellung der Klimaneutralität der europäischen Industrie. Doch unter massivem Druck einzelner Automobilkonzerne und Parteien, wie der deutschen FDP, soll das geplante Verbot von Neuwagen mit Verbrennungsmotoren ab 2035 teilweise gelockert werden. Die Nutzung sogenannter E-Fuels soll auch danach weiterhin erlaubt bleiben. Diese synthetischen Kraftstoffe stehen jedoch in der Kritik, ineffizient zu sein und die Erreichung der Klimaziele zu gefährden.

Die Klima-Allianz Deutschland hat die Kritik grosser Umweltverbände zusammengestellt. Umweltverbände drängen auf eine sozial gerechte Weiterentwicklung und rasche Umsetzung des European Green Deal. In den kommenden Monaten soll zudem das EU-weite Klimaziel für 2040 festgelegt werden.

Ungarn übernimmt die EU-Ratspräsidentschaft

Am 1. Juli hat Ungarn die EU-Ratspräsidentschaft unter Führung des rechtspopulistischen Präsidenten Orbán turnusgemäss für das zweite Halbjahr 2024 übernommen. In Anlehnung an Donald Trumps Wahlslogan lautet das Motto der Ratspräsidentschaft: Make Europe Great Again. Das offiziellen Programm benennt sieben Hauptthemen für die Ratspräsidentschaft:

  1. Neues Europäisches Wettbewerbsabkommen
  2. Verstärkung der europäischen Verteidigungspolitik
  3. Eine konsistente und leistungsbasierte Erweiterungspolitik
  4. Eindämmung illegaler Migration
  5. Gestaltung der zukünftigen Kohäsionspolitik
  6. Eine an Landwirten orientierte EU-Agrarpolitik
  7. Bewältigung demografischer Herausforderungen

Eines fällt auf. Umwelt- und Klimapolitik nimmt keine eigenständige Überschrift ein, mehr dazu beim DNR. Trotzdem plant die ungarische Regierung, für die bevorstehende Weltklimakonferenz in Baku eine gemeinsame EU Position zu vereinbaren, den Ausbau der Geothermie voranzutreiben in der Union voranzutreiben und laufende Gesetzesinitiativen weiterzuverfolgen, fasst Euractiv zusammen. Wie ambitioniert die ungarische Ratspräsidentschaft die Politiken verfolgt und umsetzen möchte, ist mindestens zweifelhaft. Eine ausführliche Analyse hat Deutschlandfunk zusammengestellt. 

Neue Regierung im UK zurück auf Klimakurs?

Bei den vorgezogenen Parlamentswahlen Anfang Juli konnte Keir Starmer von der Labour Party einen Erdrutschsieg feiern. Die Labour Party verdoppelte in etwa ihre Sitze und stellt nun 411 Abgeordnete im Unterhaus. Damit beendete Starmer nach 14 Jahren die Herrschaft der konservativen Tories. Ex-Premierminister Rishi Sunak hatte zuletzt mit seiner rückschrittlichen Energie- und Klimapolitik immer wieder für Schlagzeilen und Kontroversen gesorgt, unter anderem durch die Vergabe hunderter neuer Lizenzen zur Öl- und Gasförderung oder der Eröffnung neuer Kohleminen (Politico). So argumentierte Sunak, dass selbst bei Erreichung der Klimaneutralität im Jahr 2050 etwa ein Viertel des Energiebedarfs weiterhin durch fossile Brennstoffe gedeckt werden müsse. Unter der Regierung Starmer ist hingegen eine deutlich progressivere Energie- und Klimapolitik zu erwarten. Die BBC hat dazu einen Vergleich der Labour Party mit den politischen Ansätzen der Konservativen erstellt.

Greenpeace UK verteilt der Labour Party in einem Parteienvergleich der Wahlforderungen dennoch bei weitem keine Bestnoten und mahnt, dass mehr zur Bekämpfung der Klimakrise getan werden muss. Eine weitere Übersicht bietet CarbonBrief.

Deutschland

Erneute Korruptionsaffäre um Verkehrsminister Wissing?

Mitte Juli berichtete das ZDF-Magazin Frontal21 über die engen Verbindungen zwischen dem deutschen Verkehrsminister Volker Wissen, seinem Staatssekretär Oliver Luksic (beide FDP) und Kraftstofflobbyisten, insbesondere dem Verein „Mobil in Deutschland“ unter der Leitung von Michael Haberland. Im Mittelpunkt stand die Kampagne „HVO100 goes Germany“, die darauf abzielt, den aus pflanzlichen Ölen gewonnenen Dieselkraftstoff HVO100 zuzulassen und zu bewerben. Führende FDP-Vertreter setzten sich intensiv für diese Zulassung ein – mit Erfolg. Bereits im Februar war der Minister aufgrund von Vetternwirtschaftsvorwürfen gezwungen, einen Abteilungsleiter zu entlassen (tagesschau.de). Der Verdacht der Korruption bestand schon 2023, wie Zeit Online berichtet (paywall).

Umweltverbände wie die DUH äussern starke Bedenken gegenüber dem Dieselkraftstoff HVO100: Mangelnde Energieeffizienz, hohe Kosten und eine starken Nachfrage aus anderen Sektoren, wie etwa dem Schiffsverkehr, macht den Einsatz von HVO100 für PKWs wenig sinnvoll, ordnete auch Wissenschaftsjournalistin Mai Thi Nguyen-Kim in ihrem YouTube-Format ein.

Verkehrsplan der FDP sorgt erneut für Streit

Ein FDP-Beschluss, der den Titel «Fahrplan Zukunft – Eine Politik für das Auto» trägt, erregte erneut die Gemüter vieler. Dass die Liberalen gegen ein allgemeines Tempolimit auf deutschen Autobahnen sind, ist sicherlich keine Neuigkeit. Dass allerdings Jugendliche mit 16 schon ein Führerschein machen sollen dürfen, Parkplätze in Innenstädten möglichst kostenfrei oder zumindest mit einer Flatrate ähnlich dem 49-Euro-Ticket zur Verfügung gestellt werden sollen, sowie sich explizit zum Verbrennermotor als «Innovationsmotor» bekannt wird, ist sicherlich eine Neuigkeit. Ferner sollen auch weniger Strassen zu Fussgängerzonen oder Fahrradstrassen umgewidmet werden und die Pläne der EU-Kommission zu neuen Flottengrenzwerten abgelehnt werden, um die «Stilllegung von Millionen Fahrzeugen» zu verhindern. Fast schon zynisch Zitiert die FDP, man sei «für eine Verkehrspolitik ohne Ideologie ein».

Der Beschluss macht klar, dass in dieser Legislaturperiode kaum noch mit ambitionierten Klimaschutzvorhaben im Pkw-Bereich zu rechnen ist. «Mehr Lobbyirrsinn geht nicht», kommentierte etwa die Deutschen Umwelthilfe, wie die FR zitiert. Selbst der ADAC betont in einem Gespräch mit der TAZ die Sinnhaftigkeit von Fahrradstrassen. Verkehrspolitiker Detlef Müller wirft der FDP in Wahlkampfzeiten Populismus vor (siehe Tagesspiegel). Auch aus kommunaler Sicht werden die Vorhaben kritisch gesehen. So merkte der Oberbürgermeister Belit Onay (Grüne) aus Hannover beim NDR an, dass nur Innenstädte attraktiv seien, in denen man sich gerne aufhalte. Die wirtschaftliche Stärke von Innenstädten würde nicht durch die Fokussierung auf das Auto geschaffen, so Onay.

Klimaproteste auf Nordseeinsel Borkum

Obwohl der Koalitionsvertrag der Bundesregierung klar festlegt, dass keine neuen Genehmigungen für Öl- und Gasbohrungen in der Nord- und Ostsee erteilt werden sollen, wächst der Druck auf die niedersächsische Landesregierung, einem neuen Vorhaben zuzustimmen. Der niederländische Konzern One-Dyas plant, ein neues Gasfeld in unmittelbarer Nähe des Naturschutzgebiets und UNESCO-Weltnaturerbes Wattenmeer zu erschliessen. Auf niederländischer Seite liegt zwar die Genehmigung bereits vor, in Deutschland befindet sich der Genehmigungsantrag noch im Verfahren. Laut NDR-Berichten sieht Niedersachsens Umweltminister Meyer (Grüne) keine Genehmigungsfähigkeit für dieses Vorhaben, während Wirtschaftsminister Lies (SPD) anderer Meinung ist. Kürzlich erzielte die Deutsche Umwelthilfe (DUH) einen Erfolg vor dem Verwaltungsgericht Oldenburg, das den Bau eines für den Betrieb der Bohrinsel erforderlichen Seekabels untersagte. Die Erdgasförderung wurde Mitte August dennoch genehmigt, die Umwelt-NGO kündigt weitere rechtliche Schritte an.

Klimaaktivistin Luisa Neubauer kritisiert im Rahmen von Demonstrationen von Fridays for Future auf der Insel Borkum die geplante Erdgasförderung als «Beginn einer neuen fossilen Ausbeutungsära auf dem Gebiet von Deutschland» (ZDF).

Haushaltdebaten: Der Krimi geht weiter

Anfang Juli einigten sich Kanzler Scholz (SPD), Wirtschaftsminister Habeck (Grüne) und Finanzminister Lindner (FDP) zum Bundeshaushalt 2025. Man habe ein «Kunstwerk» geschaffen, äusserte sich Kanzler Scholz in einer Pressekonferenz. «Wirtschaft, Klima, Kinder: Das ist der Dreiklang, der das Paket zusammenfasst», resümierte Habeck. Die Schuldenbremse werde eingehalten, so Lindner. Betitelt sei die Einigung als «Wachstumsinitiative», so ein zusammenfassendes Schreiben der Bundesregierung. Klimapolitisch wurde sich darauf geeinigt, dass die Erneuerbaren Finanzierung aus dem heiss diskutierten Klima- und Transformationsfonds in den Regelhaushalt überführt wird. Das Förderprogramm für klimafreundlichen Neubau soll aufgestockt werden. Auch soll die unterirdische CO2-Speicherung angeregt sowie das Strommarktdesign zukunftsfest – also auf die Nutzung erneuerbarer Energien – gemacht werden. Die Umwelt- und Entwicklungsschutzorganisation Germanwatch lobt zwar, dass «dramatische Kürzungen» beim Klima- und Umweltschutz ausblieben. Dennoch sei die Einigung nicht zukunftsweisend.

Nachdem die Einigung aufgrund einer von Finanzminister Lindner im Alleingang veröffentlichtes Rechtsgutachten (mehr dazu bei RND, TAZ und Tagesschau) wenige Wochen später zerbrach, mussten Scholz, Habeck und Linder sich auf einen neuen Vorschlag einigen. Diesen legten sie Mitte August vor. Klimapolitische Massnahmen wurden dabei um etwa vier Milliarden Euro gekürzt, grosse Teile davon etwa bei der Gebäudeklimaförderung. Auch das «Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz», das unter anderem zu Renaturierung von Mooren genutzt werden soll, wird gekürzt. Eine Übersicht gibt’s bei Klimareporter. Darüber hinaus werden etwa auch Kürzungen bei den Ukrainehilfen stark kritisiert (siehe ZDF). Die finale Entscheidung über den Haushalt beschliesst der Bundestag in den kommenden Wochen. Änderungen wird sich sicherlich geben.

«Paradigmenwechsel» im deutschen Strommarktdesign

Um in Zeiten des rasanten Ausbaus erneuerbarer Energien ein stabiles Stromsystem zu gewährleisten, ist ein grundlegender «Paradigmenwechsel» erforderlich, stellt das BMWK fest. Kurz gesagt muss ein Stromsystem, das flexibler auf Angebot und Nachfrage in Zeiten der volatilen Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien reagieren können. Seit 2023 beraten Akteure aus Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft über die Transformation des Strommarktdesign, mithilfe dessen die Klimaneutralität, Bezahlbarkeit und Versorgungssicherheit sichergestellt werden kann. Nun hat das BMWK auf 120 Seiten erste Vorschläge bereitet, wie das deutsche Stromsystem der Zukunft aussehen kann, die derzeit konsultiert werden.

Nassesten zwölf Monate seit über 140 Jahren

Nie seit Beginn der Wetteraufzeichnungen im Jahr 1881 wurde so viel Regen gemessen wie zwischen Juli 2023 bis Juni 2024. Damit waren es die nassesten zwölf Monate. Damit wurde die Trockenheit der vergangenen Jahre durch eine starke Nassphase abgelöst, so der Deutsche Wetterdienst (DWD). Die Folgen waren teils verheerend. Grosse Teile von Nord-, Südwest- und Süddeutschlands waren etwa seit Jahresbeginn immer wieder von grossen Überschwemmungen betroffen. Über einen historischen Zeitraum betrachtet werden die Niederschlagsmengen und Perioden immer variabler, so der DWD. Forderungen nach dem Ausbau von «Schwammstädten» und Klimaanpassungen werden lauter, wie Klimareporter schildert. Ein Hauptgrund für die zunehmenden Regenmengen sei die Klimakrise, so der ZDF. Denn wärmere Luft kann mehr Wassermengen speichern, wodurch es zu mehr Niederschlägen kommen kann.

Die sichtbare Klimakrise

Die Auswirkungen der Klimakrise sind auf der ganzen Welt immer heftiger zu spüren. Wir könnten jeweils die ganze Klima-Zeitung mit Nachrichten zu Extremereignissen und «„Naturkatastrophen»„ füllen. Diese Schwemme der Katastrophenmeldungen ist schwierig zu verdauen. Es ist wichtig, dass wir uns die gewaltigen Auswirkungen, die unsere Gesellschaft, unsere Wirtschaft, unser Lebensstyl verursachen vor Augen führen. Immer wieder. Doch zuviel davon führt zu Gefühlen der Machtlosigkeit. Wir versuchen in der Klima-Zeitung ein Mittelmass finden, das aufrüttelt, aber nicht hoffnungslos macht.

Tödlicher Hitzesommer

Wie erwartet, hat der Sommer auf der nördlichen Halbkugel (wo 90% der Weltbevölkerung leben) in vielen Regionen für tödliche Hitzewellen gesorgt. Rund um den Globus sind Hunderte Millionen  Menschen der Hitze ausgesetzt: Von Asien – wo Indien (Klimareporter), Pakistan (NY Times, paywall), und Japan (Guardian) besonders betroffen sind – über Nord- und Südamerika (NY Times, paywall; Mexiko (Le Temps), Afrika, den Nahen Osten (in Saudi-Arabien starben 1300 Menschen, die an der islamischen Pilgerfahrt teilnahmen, Spiegel), bis Südeuropa (CNN). In der Antarktis war es ebenfalls viel zu warm: Eine Hitzewelle liess die Temperatur im Juli um 10°C über den Durchschnitt steigen (Guardian). Eine gute Übersicht nach Regionen liefert die Weltorganisation für Meteorologie, der Guardian und die NY Times (paywall).

Bild: Abweichungen der globalen Monatstemperatur von der Periode 1850-1900 (Quelle: Copernicus)

Von Juni 2023 bis Juni 2024 erreichte die globale Durchschnittstemperatur Monat für Monat einen Höchstwert. 13 Monate in Folge wurde dabei die 1,5-Grad-Schwelle des Pariser Klimaabkommens erreicht oder überschritten. Im gesamten Zeitraum von Juni 2023 bis Juni 2024 lag die weltweite Temperatur 1,65 Grad über dem vorindustriellen Vergleichswert, ist im Tages-Anzeiger zu lesen. Im Juli 2024 lag die Temperatur gemäss dem EU-Klimawandeldienst Copernicus knapp unter dem Vorjahr. Gleichzeitig war es an zwei Tagen im Juli 2024 so heiss wie noch nie, mit Durchschnittsgtemperaturen von 17,15-17,16 °C am 22. und 23. Juli. Carbon Brief geht davon aus, dass 2024 das wärmste Jahr seit Messbeging wird.

Der Uno-Generalsekretär Antonio Guterres fordert die Staaten auf, die gefährdete Bevölkerung besser zu schützen. Extreme Hitze sei «das neue Abnormale». Auf der ganzen Welt würden Menschen mit den fatalen Auswirkungen extremer Hitze kämpfen. Ungleichheiten vergrössern sich, die globalen Entwicklungsziele werden untergraben. Mehr dazu bei Climate Home News. Es brauche Schutzmasahmen am Arbeitsplatz sowie wirksame Systeme, um vor Hitze zu warnen. Zudem verlangt Guterres eine «enorme Beschleunigung aller Dimensionen des Klimaschutzes», da die globale Erwärmung derzeit schneller voranschreite als die Bemühungen zu ihrer Bekämpfung.

Im Jahr 2023 sind allein in Europa über 47’000 Menschen an den Folgen hoher Temperaturen gestorben. Zu diesem Schluss kommt eine in «Nature Medicine» veröffentlichte Studie. Die Forschenden werteten Daten des Europäischen Statistikamtes zu 96 Millionen Todesfällen aus, um für 823 Regionen in 35 europäischen Ländern die hitzebedingte Sterblichkeitslast 2023 zu schätzen. Am meisten Todesfälle im Verhältnis zur Einwohnerzahl gab es ein Griechenland, Bulgarien, Italien und Spanien. Mehr dazu auf SRF.

Extreme Hitze erhöht das Risiko für Herz-Kreislauf-Probleme, dieser Zusammenhang ist schon länger bekannt. Das bestätigt eine neue Übersichtsstudie, für die rund 500 wissenschaftliche Arbeiten analysiert wurden. Ältere Personen, Angehörige ethnischer Minderheiten und weniger wohlhabende Gemeinschaften sind übermässig betroffen, ist bei Inside Climate News zu lesen. Hitzewellen beeinträchtigen auch die mentale Gesunheit, zeigen neue Forschungsergebnisse. In Phasen grosser Hitze suchen mehr Menschen mit psychischen Problemen psychiatrische Notfallaufnahmen auf und die Selbstmordrate steigt, ist bei CarbonBrief zu lesen. 

Brände sind heisser, grösser und treten früher auf

Die Waldbrandsaison setzt mancherorts früher ein als erwartet. Zu Beginn des Jahres, wenn normalerweise die Regenzeit beginnt, kam es an der Nordspitze des Amazonas zu einer Rekordzahl von Waldbränden: Fast 13’500 sind im Amazonasgebiet registriert worden, so viele wie seit 20 Jahren nicht mehr. Brände entstehen auch an Orten, die eigentlich zu nass sein sollten für Feuer. So brennt es im Pantanal zwischen Brasilien und Bolivien seit Wochen. Das Paranal ist das grösste tropische Feuchtgebiet und eine der artenreichsten Regionen der Welt. Mehr in der NY Times (paywall), Guardian und SRF.

Heissere Temperaturen machen die Atmosphäre «durstig» so dass sie mehr Feuchtigkeit aus dem Boden und der Vegetation saugt. Trockene Wälder sind leichter entflammbar und es kommt zunehmend zu grösseren Waldbränden. Hitzewellen und intensive Dürreperioden schüren zurzeit schwere Brände in Kalifornien, Oregon und Kanada. Mehr bei insideclimatenews.org und der NY Times (paywall). Russland meldete eine 50-prozentige Zunahme der verbrannten Fläche im Vergleich zu 2023.

Extreme Waldbrände haben sich in den letzten zwei Jahrzehnten verdoppelt, zeigt eine neue Studie. Die meisten dieser stärkeren Brände ereigneten sich in Nadelwäldern Nordamerikas. Die Zahl der Brände hat sich dort in den letzten 20 Jahren mehr als verzwölffacht. Siehe NY Times (paywall).

Überschwemmungen und Erdrutsche

Bei Erdrutschen in Äthiopien kamen über 200 Menschen ums Leben. Nach heftigen Regenfällen stürzte ein Hang oberhalb eines Dorfes ab und begrub die Häuser unter Schlamm. Nachbarn und Rettungskräfte, die zur Hilfe geeilt waren, wurden von einem zweiten Erdrutsch getroffen. Mehr in der NY Times (paywall). In Kerala, Südindien sind weit über hundert Menschen gestorben, nachdem heftige Regenfälle riesige Schlammlawinen ausgelöst hatten. Mehr in der NY Times (paywall) und Tages Anzeiger (paywall). Mehr als 240’000 Menschen wurden im Osten Chinas evakuiert, nachdem heftige Regenfälle in weiten Teilen des Landes den Fluss Jangtse anschwellen liessen. Mehr bei RTS.

Neues aus der Klimawissenschaft

CO₂-Budget schneller aufgebraucht als gedacht

Neue Daten der Global Climate Change Initiative zeigen, dass das weltweite CO₂-Budget schneller abnimmt als bisher gedacht. Global dürfen noch 150 Milliarden Tonnen CO₂ ausgestossen werden,  wenn wir das 1,5 Grad Ziel mit einer Wahrscheinlichkeit von 67% einhalten wollen. Bei den derzeitigen globalen Emissionen von rund 40 Milliarden Tonnen wird das CO₂-Budget 2028 aufgebraucht sein. Will man die Erwärmung mit mit der gleichen Wahrscheinlichkeit auf unter 2 Grad halten, verbleiben noch 900 Milliarden Tonnen CO2.

Bildquelle: Tages-Anzeiger (paywall)

Arme Länder brauchen Reparationszahlungen

Wer am meisten zur Klimakrise beigetragen hat, soll jene unterstützen, die am stärksten darunter leiden. Davon profitieren würden alle. Europa und die USA haben historisch über die Hälfte aller Treibhausgas­emissionen verursacht, obwohl sie nur etwa ein Achtel der Welt­bevölkerung ausmachen. Auch auf individueller Ebene sind die Unterschiede riesig: Die reichsten 10% der Weltbevölkerung verantworten gemäss Berechnungen der NGO Oxfam die Hälfte aller Treibhausgas­emissionen. Zu den reichsten 10 Prozent gehören alle, die mehr als 36’000 Franken pro Jahr verdienen.

Nach jahrzehnte­langem Druck der kleinen Insel­staaten und anderer Entwicklungsländer einigte man sich an der Welt­klimakonferenz 2022 auf die Einrichtung eines von reichen Ländern finanzierten Fonds, der Reparationen an Länder bezahen soll, die durch den Klimawandel besonders gefährdet sind. Die USA haben 17,5 Millionen Dollar zugesichert, Deutschland und Frankreich je 100 Millionen. Insgesamt viel zu wenig. Eine im vergangenen Jahr im Fachmagazin «Nature» publizierte Studie schätzt, dass die reichen Länder den ärmeren Ländern fast 200 Billionen Dollar an Entschädigungen für die Klima­krise schulden.

Zum Vergleich: 2020 und 2021 haben die G-20-Staaten rund 14 Billionen Dollar an Konjunktur-hilfen bereitgestellt, um den Auswirkungen der Covid-Pandemie entgegenzuwirken. Um tatsächlich Milliarden für den Fond zu generieren, könnte die UNO ein Instrument schaffen, das Industrie­länder dazu verplichtet, einen bestimmten Prozent­satz ihres Brutto­inlandprodukts für Entwicklungs­länder bereitzustellen. Oder einzelne Länder könnten ihre fossile Industrie stark besteuern und die Erlöse denen zugute­kommen lassen, die aufgrund der Klimakrise darauf angewiesen sind, im eigenen Land oder im Ausland. Mehr in der Republik.

Aktiv gegen Hoffnungslosigkeit

«Optimismus und Hoffnung sind Muskeln, die wir trainieren müssen», sagt der Klimaforscher Rob Jackson. Sein neues Buch «Into the Clear Blue Sky» zeigt beispielhaft auf,  wie man über den Klimawandel und die Gesundheit des Planeten denken kann. Mehr bei Inside Climate News.  

Mit Familie und Bekannten über die Klimakrise zu sprechen, ist vielen unangenehm. Aber kein Gespräch ist auch keine Lösung. Die Republik schlägt 36 Fragen vor, die eine Grundlage schaffen können, zum gemeinsamen Nachdenken.

Rückenwind für Klimaschutz: 80% der Weltbevölkerung wollen mehr Klimaschutz. Gegner:innen wirksamer Klimapolitik bekommen zu viel Aufmerksamkeit. Das wird sich nur ändern, wenn der Wandel sozial gerecht gestaltet wird. Mehr bei Klimareporter.

Übersicht über anstehende Abstimmungen und zu Initiativen:

Editorial

In der Juni-Ausgabe der Klimazeitung berichten wir über das deutliches Ja zum Stromgesetz und die neuen Konflikte rund um die Umsetzung. Mitte-rechts-Parteien pushen AKWs. Das Klimaseniorinnen-Urteil wird hitzig debattiert, und drei neue Klimainitiativen werden zur Ablehnung empfohlen. Zudem wird der Artenschutz in der Schweiz nach wie vor vernachlässigt und vom BAFU kleingeredet.

International gibt die Klimafinanzierung zu reden. Reiche Länder deklarieren bestehende Entwicklungshilfe einfach um, zudem fliesst ein Grossteil der Gelder zurück in den globalen Norden. Doch es gibt auch Positives: Die erneuerbaren Energien sind rasant am Wachsen, Chinas CO2-Ausstoss sinkt und auch die globalen Emissionen könnten bald zurückgehen. Zudem beeinflusst Europas Klimapolitik im Industriesektor auch China. Die EU kann eine positive Bilanz ihres EU-Green-Deals verzeichnen. Aber auch da gibt es noch viel zu tun, denn die Klimapläne der EU-Mitgliedsstaaten sind nicht auf Zielkurs.

Die Klimakrise rollt derweil weiter: Temperaturrekorde, tödliche Hitzewellen und grossflächige Überschwemmungen rund um den Globus. Neue Studien zeigen: Emissionen zu drosseln, wäre sechs Mal billiger, als die Klimakrise in Kauf zu nehmen.

Schweiz

Deutliches Ja zum Stromgesetz und gleich neue Konflikte

Die Stimmbevölkerung hat das Stromgesetz mit 68,7% klar angenommen. Sämtliche Kantone stimmten der Vorlage zu, gegen welche die SVP und Landschaftsschützer:innen das Referendum ergriffen hatten. Es sieht verbindliche Ausbauziele für erneuerbare Energie bis 2035 vor. Damit wurden die im Vorfeld gemachten Abstimmungsprognosen leicht übertroffen. Mehr dazu im Tages-Anzeiger und bei SRF. Gemäss der vom Tages-Anzeiger (paywall) durchgeführten Nachbefragung haben Personen aller Einkommensklassen deutlich Ja gesagt, auch Anhänger:innen aller Parteien (mit Ausnahme der SVP).

Umweltverbände wie der WWF und die Schweizerische Energie-Stiftung und auch der Branchenverband Swissolar sind erfreut über den Ausgang der Abstimmung. Damit werde die Abkehr von fossilen Energieträgern beschleunigt.

So deutlich das Resultat ist: Die Vorstellungen darüber, welche energie- und klimapolitischen Massnahmen nun zu ergreifen sind, gehen weit auseinander:

Und wieder wird über AKWs debattiert

Im Februar hatte der Energie Club der Schweiz die Blackout-Initiative «Jederzeit Strom für alle (Blackout stoppen)» eingereicht. Sie will das 2017 vom Volk beschlossene Bauverbot für neue AKWs aufheben. Bis es zur Abstimmung kommt, dauert es noch einige Zeit, doch schon jetzt sorgen AKWs für intensive Diskussionen. Wirtschaftsverbände und bürgerliche Parteien verlangen, Atomkraft zu ermöglichen (siehe oben). Martin Neukom, Regierungsrat der Grünen im Kanton Zürich, sagte dem Tages-Anzeiger (paywall) schon vor der Abstimmung, dass es ein Verbot von AKWs nicht brauche. Allerdings aus ganz anderen Gründen: Er hält den Gesetzesartikel für überflüssig, denn es sei finanziell viel zu riskant, in die Atomkraft zu investieren. Der Präsident der Konferenz Kantonaler Energiedirektoren, Roberto Schmidt, sieht überhaupt keinen Grund, über neue Atomkraftwerke nachzudenken. In einem Interview mit der NZZ sagte er: «Kurz- und mittelfristig lässt sich in der Schweiz kein neues Kernkraftwerk realisieren.» Und eine neue Generation von Reaktoren sei nicht verfügbar. «Statt uns über den Atomstrom zu streiten, sollten wir uns auf den Ausbau der erneuerbaren Energien konzentrieren.»

Die Bevölkerung ist bei der Frage gespalten, ob wieder eine Diskussion über die Aufhebung des Bauverbots für AKWs geführt werden soll: 49% sind für eine Debatte, 47% dagegen. Dies zeigt eine repräsentative Umfrage von gfs.bern im Auftrag des Verbands der Schweizerischen Elektrizitätsunternehmen. Die Mehrheit der Befragten ist zudem einverstanden mit dem Kurs des Bundesrats, erneuerbare Energien auszubauen, um bis 2050 klimaneutral zu werden. Und über 70% sind damit einverstanden, dass die bestehenden Kernkraftwerke möglichst lange betrieben werden. Mehr dazu im Tages-Anzeiger und der NZZ.

Die Erkenntnis ist nicht neu: Will die Schweiz bis 2050 klimaneutral werden, ist die Produktion fossilfreier Energien enorm auszubauen. Eine Studie der ETH Lausanne, die dies aufzeigt, sorgt dennoch für Diskussionen. Sie geht von einem deutlich höheren Stromverbrauch aus, unter anderem mit der Annahme, Energiesparen führe zu einem höheren Verbrauch. Grund dafür sei ein Rebound-Effekt (eingesparte Energie und Geld würden an anderer Stelle verbraucht).  Und sie kommt zum Schluss, dass das Klimaziel am günstigsten mit neuen Atomkraftwerken zu erreichen sei (neben dem Ausbau von Windkraft und Photovoltaik wären sechs grosse AKWs nötig). Die Studie räumt selbst ein, dass sich die dafür nötige neue Generation an Kraftwerken erst in einer experimentellen Phase befänden. Kritiker bemängeln, dass es für die in der Studie angenommenen (tiefen) Gestehungskosten von Atomstrom keine Grundlage gäbe. Im Tages-Anzeiger (paywall) verlangt Andreas Züttel, einer der Studienautoren, dass die Schweiz vollkommen energieautark sein soll. Noch vor zwei Jahren hatte er in einer Medienmitteilung des Bundes das Gegenteil verlangt: «Wir müssen uns also von der Vorstellung verabschieden, dass wir unseren gesamten Energiebedarf mit im Inland erzeugter, erneuerbarer Energie decken können.» Mehr dazu in der Sonntagszeitung und in der NZZ.

Klimaseniorinnen-Urteil führt zu hitziger Debatte

Die Klimaseniorinnen kommen ins Kino. Im Dokumentarfilm «Trop Chaud», der ab November 2024 auch gestreamt werden kann, erzählen sie, wie es zu diesem Prozess und dem Urteil kam und was der Entscheid bedeutet.

Das Bundesparlament interessiert diese Geschichte nicht. National- und Ständerat weisen das Urteil zurück, das der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) Anfang April gegen die Schweiz gefällt hatte (eine Einordnung von Fachleuten aus Klima-, Politik- und Rechts­wissenschaft ist in der Republik zu lesen). Beide Räte haben einer Protesterklärung zugestimmt. Darin kritisieren sie den «gerichtlichen Aktivismus» des EGMR und die dynamische Auslegung der Europäischen Menschenrechtskonvention, die seit einiger Zeit gepflegt werde. Der Bundesrat wird aufgerufen, das Ministerkomitee des Europarates darüber zu informieren, dass die Schweiz keinen Anlass sehe, dem Urteil «weitere Folge zu geben.» Das heisst, das Urteil aus Strassburg soll nicht ­respektiert werden. Mehr dazu im hier und hier im Tages-Anzeiger, hier und hier in der NZZ sowie im Guardian. Zuvor hatte bereits Bundesrat Albert Rösti das Urteil kritisiert. Der Umweltminister sehe persönlich in der Klimapolitik keinen weiteren Handlungsbedarf, sagte er in einem SRF-Interview.

Die Erklärung des Parlaments hat zwar keine rechtliche, aber eine symbolische Bedeutung. Und sie könnte den Bundesrates beeinflussen, der bis im Oktober seinen Plan zur Erfüllung des Urteils dem Ministerkomitee des Europarates übermitteln wird. Der Entscheid der Räte hat viele negative Reaktionen ausgelöst. In der NZZ bezeichnet Jörg Paul Müller, emeritierter Staatsrechtsprofessor, die Erklärung als «unverzeihlichen Verstoss gegen von der Schweiz anerkanntes Recht und damit ein Schlag gegen das Prinzip des Vorrangs des Rechts vor Politik.» Das Klima-Urteil sei verbindlich. Die Umweltorganisation Greenpeace, welche die Klimaseniorinnen unterstützt hat, bezeichnet die Erklärung als «unzulässigen Eingriff in die Gewaltenteilung». Die Republik spricht von einem «neuen Illiberalismus» und einem «politischen Tabubruch. Für den Tages-Anzeiger (paywall) ist dies «ein populistischer Tiefschlag sondergleichen», der dem Rechtsstaat schade.

Unabhängig von der politischen Auseinandersetzung könnte das Urteil aus Strasburg Gerichtsentscheide gegen Klimaaktivist:innen beeinflussen. Ein Lausanner Strafrechtler, der mehrere Angeklagte in Strafverfahren vertritt, ist der Auffassung, das Urteil müsste sich auf die Schweizer Rechtsprechung auswirken. «Wenn das Bundesgericht die Position vertritt, dass vom Klimawandel keine Gefahr ausgeht und Proteste gegen mangelnden Klimaschutz in vielen Fällen als widerrechtlich taxiert, sind diese Rechtsauffassung und Urteile gegen Klimaaktivisten vor dem EGMR kaum mehr haltbar.» Mehr dazu im Tages-Anzeiger (paywall). Und in der           NZZ ist zu lesen, dass das Urteil dazu führen könnte, dass im Klimaschutz ein Verbandsbeschwerderecht eingeführt werden könnte. Diese hat Helen Keller, frühere Schweizer Richterin am EGMR, in der Anhörung vor der ständerätlichen Rechtskommission aufgezeigt.

Nein zu drei Klimainitiativen

Klimafonds-Initiative, Initiative für eine Zukunft und Umweltverantwortungsinitiative – drei neue Vorstösse, um schneller und entschiedener gegen den Klimawandel vorzugehen, werden vom Bundesrat respektive Nationalrat abgelehnt.

Der Bundesrat sagt Nein zur Volksinitiative «Für eine gerechte Energie- und Klimapolitik: Investieren für Wohlstand, Arbeit und Umwelt (Klimafonds-Initiative)», welche die SP und die Grünen eingereicht hatten. Die Parteien wollen den Bund dazu verpflichten, jährlich 0,5-1%  des Bruttoinlandprodukts in einen Fonds einzulegen. Dies würde jährlich 3,9-7,8 Milliarden CHF einbringen. Damit soll der Bund unter anderem Massnahmen unterstützen, um den Verkehr, Gebäude und Wirtschaft zu dekarbonisieren, den Energieverbrauch zu senken, erneuerbare Energie auszubauen und die Biodiversität zu stärken. Der Bundesrat ist der Ansicht, für Klima und Biodiversität würden heute genügend Mittel zur Verfügung stehen.

Auch die Initiative «Für eine soziale Klimapolitik – steuerlich gerecht finanziert (Initiative für eine Zukunft)» der Juso lehnt der Bundesrat ab. Damit wollen die Initiant:innen eine Erbschaftssteuer von 50% auf Erbschaften und Schenkungen ab einem Freibetrag von 50 Millionen CHF einführen. Die Einnahmen von jährlich 6-7 Milliarden CHF sollen eingesetzt werden, um die Klimakrise sozial gerecht zu bekämpfen und die gesamte Wirtschaft umzubauen. Laut dem Bundesrat setzt die Initiative falsche Anreize. Und er fürchtet, dass die Einführung einer Erbschaftssteuer auf sehr hohe Vermögen die Attraktivität der Schweiz für vermögende Personen schwäche. Letztmals wurde 2013 über eine eidgenössische Erbschaftssteuer abgestimmt. Diese sah eine Abgabe von 10% auf Vermögen über 2 Millionen CHF vor, zweckgebunden für die AHV. Sie wurde abgelehnt. Mehr dazu bei Watson, hier und hier auf SRF und in der NZZ.

Die beiden Initiativen werden als nächstes vom Parlament beraten. Bereits in der parlamentarischen Diskussion befindet sich ein dritter Vorstoss: die Umweltverantwortungsinitiative der jungen Grünen. Sie fordern, dass die Umweltbelastung der Schweiz innerhalb von zehn Jahren so reduziert wird, dass die wissenschaftlich definierten planetaren Grenzen eingehalten werden. Dies betrifft die Bereiche Klima, Artensterben, Abholzung und Verschmutzung von Luft, Wasser und Böden. Der Nationalrat hat den Vorstoss in der Sommersession abgelehnt; auf einen direkten Gegenvorschlag wird verzichtet. Als nächstes befasst sich der Ständerat damit. Die Mehrheit des Nationalrats ist der Meinung, die Initiative hätte extreme wirtschaftliche und gesellschaftliche Konsequenzen und eine Umsetzung in der geforderten Frist von zehn Jahren sei nicht möglich. Laut einer Studie des Bundesrats müsste der Fussabdruck pro Einwohner:in gegenüber 2018 bei den Treibhausgasen um über 90% Prozent reduziert werden, bei der Biodiversität um 70% Prozent und beim Stickstoff um rund 50%. Mehr dazu auf SRF und in der NZZ.

Weniger Treibhausgase und Ansätze zur Speicherung

Der Ausstoss von Treibhausgasen in der Schweiz nahm 2022 gegenüber dem Vorjahr um 3,5 Millionen Tonnen (7,8%) auf 41,6 Millionen Tonnen ab (gerechnet in CO2-Äquivalenten). Im Vergleich mit 1990 lagen die Emissionen 24% tiefer, wie das jährliche Treibhausinventar des BAFU zeigt. Ein Rückgang war vor allem im Gebäudesektor zu beobachten. Dies war dem ausserordentlich milden Winter zu verdanken, wodurch weniger Gas und Heizöl verbrannt wurde. Auch der Einbau von Wärmepumpen zeigt Wirkung. Die Emissionen der Industrie sind ebenfalls gesunken. Hier wirkte sich unter anderem der Einbau eines Katalysators am Sitz der Arxada AG (ehemals Lonza AG) in Visp aus (es entweicht weniger Lachgas) sowie die im Winter 2022/2023 vom Bundesrat empfohlenen Massnahmen, um Erdgas zu sparen. Mehr dazu bei Watson.

Die Emissionen des Verkehrs blieben praktisch unverändert. Weil der Ausstoss von Gebäuden und Industrie sinkt, ist der Anteil des Verkehrs auf 33% gestiegen. In der Landwirtschaft gingen die Emissionen leicht zurück; sie verursacht 16% der inländischen Treibhausgasemissionen. Die Hälfte davon geht auf die Milchproduktion zurück. In der NZZ ist zu lesen, wie mit dem Projekt «Klimastar Milch» der CO2-Fussabdruck reduziert werden soll. Das von Nestlé und Emmi, zwei der grössten Milchverarbeiter des Landes, lancierte Vorhaben wird vom Bund unterstützt. Eine Reduktion des Tierbestands ist allerdings nicht vorgesehen.

Um die Klimaziele bis 2050 zu erreichen, sucht die Schweiz nach Möglichkeiten, CO2 zu speichern. Gemäss aktueller Rechnung werden dies 2050 rund 12 Millionen Tonnen pro Jahr sein (über ein Viertel des heutigen Ausstosses von Treibhausgasen), die nicht vermieden werden können. In der NZZ ist zu lesen, dass die Schweiz ein Abkommen mit Norwegen anstrebt, um in Zukunft im Meeresgrund vor der norwegischen Küste in grossem Stil CO2 einlagern zu können. Die dazu erforderliche «Carbon capture and storage»-Technologie (Abscheidung von CO2 an der Quelle und Einlagerung) ist allerdings noch nicht ausgereift.

Auch in der Schweiz sucht der Bund nach Lösungen, um CO2 zu speichern. Dies soll in einem alten Bohrloch der Nagra im zürcherischen Trüllikon getestet werden, wie der Tages-Anzeiger schreibt. Bis der Speicher zur Verfügung steht, dürfte es aber noch 15-20 Jahre dauern.

Auch die Schweizer Wälder speichern Treibhausgase. Die Wochenzeitung berichtet kritisch über ein Kompensationsprojekt in Davos/Prättigau. Dort haben Waldeigentümer:innen über 13’000 Hektaren Wald für die Klimakompensation registrieren lassen, was der Fläche von Zürich- und Bielersee entspricht. Zu den Käufer:innen der Zertifikate zählt die Fluggesellschaft Swiss. Fachleute sehen darin vor allem das Potenzial für Greenwashing. Denn die Leistung der Wälder als CO2-Senken wird bereits vom Bund an die Verpflichtung angerechnet, den CO2-Ausstoss zu reduzieren.

Unten mehr zu Praktiken und Technologien zur Entferung von CO2 aus der Luft. Der Wirtschaftsverband swisscleantech hat ein Positionspapier zur Entfernung von CO2 aus der Atmosphäre veröffentlicht. Darin wird gefordert, dass bei Negativemissionen eine nachhaltige Waldbewirtschaftung (Pflanzenkohle oder langlebige holzbasierte Produkte) sowie Abscheidung bei Abfallverbrennungen und Zementproduktion im Fokus stehen. Gleichzeitig müsse der CO2­-Preis für alle Emissionen so angehoben werden, damit die externen Kosten gedeckt sind.

Solaranlagen: Offene Rechtsfragen und mehr Potenzial

Aktuell sind 48 alpine Solarprojekte in Planung, wie eine Aufstellung des Verbands Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen zeigt (letzte Aktualisierung 02.05.2024); im März waren es 47 gewesen. Für zehn der geplanten Anlagen ist ein Baugesuch eingereicht worden, wie eine Übersicht des Bundesamts für Energie zeigt.

Vier Vorhaben sind von der ersten Instanz bewilligt worden: «Vorab», «Nalps» und «Scharinas» im Kanton Graubünden sowie «Morgeten Solar» im Kanton Bern. Gegen den Entscheid im Berner Simmental haben die Stiftung Landschaftsschutz, der Schweizer Alpen-Club und Mountain Wilderness beim Berner Verwaltungsgericht Beschwerde eingereicht. Angesichts zahlreicher offener Rechtsfragen und der grossen Präjudizwirkung sei eine gerichtliche Überprüfung nötig, um Rechtsklarheit zu schaffen. Mehr dazu bei SRF, im pv magazine, im Thuner Tagblatt und im Blick. Im Saanlenland, Kanton Bern, hat die Stimmbevölkerung das Projekt Solsarine zum zweiten Mal ablehnt, berichtet die Berner Zeitung.

Für alpine Solaranlagen, die bis Ende 2025 mindestens 10% des Stroms ins Netz abgeben, bezahlt der Bund bis 60% der Kosten. Doch selbst mit diesen Subventionen ist ungewiss, ob sich die Anlagen rechnen. SRF zeigt auf, wie die hohen Baukosten bei alpinen Bauvorhaben und die tiefen Strompreise die Rechnung belasten.

Bereits vor der Abstimmung zum Stromgesetz hatte der Bundesrat einen Entwurf zur Verordnung in die Vernehmlassung geschickt. Die darin vorgeschlagenen Mindesttarife verunsichern die Branche. In einigen Fällen könnte die zugesicherten Tarif null Rappen pro Kilowattstunde betragen. Der Verein energie-wende-ja kritisiert die zu tiefen Mindesttarife. Mehr dazu in der Berner Zeitung.

Wie sich die Solarenergie ohne Freiflächenanlagen in der Natur ausbauen lässt, zeigt Basel. Der Kanton mit dem ambitioniertesten Klimaziel der Schweiz (netto null bis 2037), will die Pflicht, PV-Anlagen zu installieren, von Neu- auf bestehende Gebäude ausdehnen. Hauseigentümer:innen, die dieser Pflicht innert 15 Jahren nicht nachkommen, müssen eine jährliche Ersatzabgabe zahlen. Mehr dazu in der Basler Zeitung. Im Kanton Schaffhausen ist ein ähnlicher Vorstoss abgelehnt worden (siehe Blick).

Ob in den Bergen oder in der Stadt: PV-Anlagen profitieren davon, dass die Sonnenstrahlung seit 1980 stetig zunimmt. MeteoSchweiz zeigt auf, wie dank verbesserter Luftqualität und einer Abnahme der Wolken mehr Sonnenenergie auf die Erdoberfläche trifft. Das heisst aber auch, dass es heisser wird.

Widerstand gegen Reservekraftwerke

Der Stromverbrauch der Schweiz ging 2023 um 1,7% auf 56,1 Milliarden Kilowattstunden zurück. Gründe für den Rückgang nennt das Bundesamt für Energie allerdings nicht. Aufgeführt werden bloss Faktoren, die verbrauchsteigernd wirken: Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum sowie ein gegenüber 2022 erhöhter Heizbedarf. Klärung soll eine vertiefte Analyse bringen, die im Oktober veröffentlicht wird. Mögliche Gründe sind die gestiegenen Strompreise sowie erzielte Effizienzgewinne. Gleichzeitig stieg die Stromproduktion um 13,5% auf 72,1 Mrd. kWh. Vor allem die Wasserkraftwerke lieferten mehr Energie. Dies führte dazu, dass die Schweiz 6,4 Mrd. kWh mehr Strom exportiert als importiert: 2022 war es umgekehrt, damals wurden 3,4 Mrd. kWh mehr importiert als exportiert.

Es überrascht deshalb nicht, dass die Eidgenössische Elektrizitätskommission die Stromversorgungssicherheit als «gewährleistet» betrachtet. Anders sieht das Energieminister Alfred Rösti. Sein Departement treibt den Bau von mehreren grossen fossilen Reservekraftwerken voran und hat eine Ausschreibung gemacht. Nun kommt Widerstand vom Bundesamt für Justiz, schreibt die NZZ. Die Jurist:innen halten den Plan für verfassungswidrig. Die Ausschreibung hätte nicht gestartet werden dürfen, weil die rechtliche Grundlage dafür fehlt. Gleichzeitig zeigen Energiefachleute in der NZZ auf, dass es günstigere und ökologischere Alternativen gibt.

Es ist nicht der erste Rückschlag für Rösti: Bereits im Februar hatte das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass der Bundesrat dem Reservekraftwerke in Birr keine Betriebsbewilligung hätte erteilen dürfen. Der Bundesrat habe nicht darlegen können, weshalb mit einer Strommangellage zu rechnen sei.

Klimawandel: Die Schweiz braucht neue Szenarien

Der letzte Winter war der wärmste, der je in der Schweiz gemessen wurde. Im Schnitt lag die Wintertemperatur (von Dezember 2023 bis Februar 2024) bei 0,9 °C, ist dem Klimabulletin von MeteoSchweiz zu entnehmen. Dies liegt 2,8 °C über dem Durchschnitt der Jahre 1991–2020. In allen drei Monaten war es zu warm; am deutlichsten war die Abweichung gegenüber dem Normwert mit 4,6 °C im Februar.

Der Klimawandel führt nicht nur zu höheren Temperaturen, sondern auch zu häufigeren Extremniederschlägen. Was die Schadensfolgen sind, kann das Mobiliar Lab für Naturrisiken der Universität Bern in einem neuen Tool berechnen. Dabei zeigt sich: Steigen die Wasserpegel an, nimmt das Schadenspotenzial sprunghaft zu. Ein Anstieg des Abflusses von Gewässern um 10% gegenüber dem bisherigen Höchstwert führt zu 40% höheren Gebäudeschäden in der Schweiz. Bei 20% höheren Abfluss resultieren 80% mehr Schäden. Mehr dazu im Tages-Anzeiger und der NZZ.

Wie entwickelt sich das Klima in der Schweiz? Was sind die absehbaren Folgen des Klimawandels? Diese Fragen beantworten die Klimaszenarien, die MeteoSchweiz seit 2024 regelmässig erstellt. Letztmals wurden die Zukunftsprognosen 2018 aktualisiert. Nun werden neue Szenarien (Klima CH2025) vorbereitet. Diese werden Ende 2025 vorliegen und einen Fokus darauf legen, wie sich Klimaextreme verändern. Angesichts der starken Veränderungen, die bereits zu beobachten sind, wird mit deutlichen Anpassungen gerechnet. Mehr dazu bei SRF. Der Klimawandel führt auch zu gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Veränderungen. Was das für die Schweiz bis ins Jahr 2100 bedeutet, untersucht das Forschungsprojekt «Sozioökonomische Szenarien» des National Centre for Climate Services (NCCS). Mehr dazu bei Infras.

Wie sich die Massnahmen gegen den Klimawandel auf die öffentlichen Finanzen auswirkt, hat der Bund untersuchen lassen. Der Bericht «Langfristperspektiven der öffentlichen Finanzen der Schweiz 2024» geht davon aus, dass Klimaschutzmassnahmen das Wirtschaftswachstum dämpfen werden, was die öffentlichen Einnahmen schmälern wird. Die Studie hat jedoch einen grossen Mangel: Sie vernachlässigt den Nutzen von Klimaschutzmassnahmen, wenn also klimabedingte Schäden vermieden werden können. Klimafachleute sind überzeugt, dass die Kosten des Nichtstuns langfristig sechs Mal grösser sind als die Kosten der ergriffenen Massnahmen, siehe Artikel unten. Mehr dazu im Tages-Anzeiger und der NZZ.

Artenschutz wird vernachlässigt und vom BAFU kleingeredet

Am 22. September 2024 stimmen wir über die Biodiversitätsinitiative ab, die Naturschutzorganisationen eingereicht haben. Sie fordert, dass Bund und Kantone mehr Flächen und finanzielle Mittel einsetzen, um die Artenvielfalt zu sichern.

Das Parlament hatte die Initiative abgelehnt und auf einen Gegenvorschlag verzichtet. Statt den Artenschutz zu stärken, haben National- und Ständerat eine bereits beschlossene Massnahme wieder rückgängig gemacht und zusätzliche Ökoflächen gestrichen. Vor drei Jahren hatten Bundesrat und Parlament festgelegt, dass auf 3,5% der Ackerfläche Säume und Streifen mit Blühpflanzen und Wildkräutern angesät werden. Dies war ein wichtiges Element des Massnahmenpakets, das unmittelbar vor der Abstimmung über die Pestizid- und die Trinkwasser-Initiative geschnürt worden war. Doch nach Ablehnung der beiden Initiativen gab das Parlament dem Druck der Agrarlobby nach und verschob die Einführung der Biodiversitätsförderflächen zweimal. Nun wurde die Massnahme ganz gestrichen. Mehr dazu im Blick, Tages-Anzeiger (paywall) und der NZZ.

Dabei sind die Fakten klar: Die Schweiz weist gegenüber anderen Industrieländern die höchste Anzahl bedrohter Arten auf und stellt die geringste Fläche unter Schutz. Doch nicht nur die Bauerlobby, sondern auch BAFU beurteilt den Zustand der Biodiversität viel positiver. Wie das möglich ist, zeigt die Republik auf. Berichte, die unliebsame Fakten zur Biodiversität enthalten, werden «frisiert». Dies zeigt der Vergleich des offiziellen Berichts «Wirkung des Aktionsplans Biodiversität» mit internen und externen Gutachten, die als Grundlage dienten. Die Anpassungen vorgenommen hat der Stab von SVP-Bundesrat Albert Rösti, der dem BAFU seit 2023 vorsteht. Politiker:innen und Umweltorganisationen kritisieren das Vorgehen scharf.

Klimarelevante Entscheide von Bund und Kantonen

Am 9. Juni wurde in mehreren Kantonen über Klima- und Energievorstösse abgestimmt (die Übersicht über die Resultate im Baublatt):

Die Schweiz nimmt nicht mehr am europäischen Erdbeobachtungsprogramm Copernicus teil. Das hat der Bundesrat angesichts der «angespannten Finanzlage des Bundes» entschieden. Copernicus stellt grosse Mengen an Beobachtungsdaten zusammen und liefert die Grundlagen für die Klimaforschung. Der Bund hofft, dass Klimafachleute weiterhin Zugang zu den Daten haben, auch wenn die Schweiz nichts mehr an das Programm zahlt. Schweizer Forschende halten den Entscheid für kurzfristig und egoistisch. Mehr dazu auf SRF.

Um das Velofahren sicherer und attraktiver zu machen, haben sich zahlreiche Akteure in der Schweiz zusammengeschlossen. Dazu gehören nebst Bundesämtern, Kantone und Gemeinden auch Verkehrsbetriebe, Velohersteller, Unternehmen, Verbände und Hochschulen. Die entsprechende Roadmap Velo hat das Bundesamt für Strassen vorgestellt.

Internationale Klimapolitik

Klimafinanzierung: Zu wenig für Arme, zu viel für Reiche

Die meisten Länder mogeln

Die Industrieländer haben ihre Versprechen, jährlich 100 Milliarden US-Dollar für ärmere Länder bereitzustellen, nur eingehalten, weil sie laut einer neuen Analyse von Carbon Brief Milliarden von Entwicklungshilfegelder einfach als in «Klimafinanzierung» umdeklariert haben. Das gilt auch für die Schweiz.

Milliarden fliessen zurück in reiche Länder

Dazu kommt, dass ein Grossteil der Klimafinanzierung für Entwicklungsländer an Geberländer zurückfliesst, wie eine Reuters-Recherche zeigt. Mehr als die Hälfte der Klimafinanzierung wurde in Form von Krediten vergeben, die oft mit hohen Zinssätzen und anderen Bedingungen verbunden sind, die das Geld zurück in den globalen Norden bringen.

An der UNO-Klimakonferenz Ende Jahr in Baku müssen die Staaten sich auf ein neues globales Klimafinanzierungsziel einigen. Reiche Länder wie die Schweiz sind gefordert. Dazu zwei Beiträge von SRF hier und hier.

Darüber hinaus haben Frankreich, Kenia und Barbados eine Arbeitsgruppe ins Leben gerufen, die untersuchen soll, wie die Lücke in der Klimafinanzierung für Länder im globalen Süden geschlossen werden kann. Diese Länder benötigen bis 2030 Investitionen in Höhe von 2,4 Billionen Dollar pro Jahr. Die Taskforce wird Steuern für Superreiche, auf Flugtickets, Finanztransaktionen, die Produktion fossiler Brennstoffe und die hohen Gewinne von Unternehmen, die fossile Brennstoffe herstellen, in Betracht ziehen.

Steuer für Milliardäre vorgeschlagen

Seit langem fordern progressive Ökonomen, Milliardäre stärker zu besteuern. Weil die brasilianische Regierung nun den G20-Vorsitz innehat, wurde das Thema nun von der akademischen Welt auf die politische Tagesordnung gesetzt. So arbeitet der französische Wirtschaftswissenschaftler Gabriel Zucman einen Vorschlag für eine solche «Milliardärensteuer» aus. Dieser soll den Finanzminister:innen der G20 bei ihrem Treffen im Juli vorgelegt werden soll. Eine solche Steuer wird auch von IWF-Chefin Kristalina Georgieva unterstützt wird. Minister aus Deutschland, Südafrika und Spanien haben gemeinsam mit Brasilien ein Schreiben zur Unterstützung der Steuer unterzeichnet. Die Minister betonen, es brauch eine globale Vereinbarungen und international Zusammenarbeit, damit Milliardäre ihr Vermögen nicht einfach in Niedrigsteuerländer verlagern können.

Derzeit gibt es weltweit etwa 3’000 Milliardäre. Sie zahlen nur etwa 0,5 % ihres Vermögens an persönlicher Einkommensteuer. Eine Steuer von 2% könnte weltweit zusätzliche jährliche Steuereinnahmen in Höhe von 250 Mrd. USD einbringen – das entspricht etwa den wirtschaftlichen Schäden, die im vergangenen Jahr weltweit durch extreme Wetterereignisse verursacht wurden. Mehr dazu beim Guardian, Climate Change News und Heated.

China und die Klimafinanzierung

Es wird seit langem heftig darüber diskutiert, ob China als zunehmend wohlhabendes Entwicklungsland ebenfalls einen Beitrag zur Klimafinanzierung leisten sollte.  Chinas zeigt sich in den Verhandlungen wenig willig dazu, hat aber über seinen Süd-Süd-Klimakooperationsfonds alternative Klimafinanzierung bereitgestellt. Mehr dazu in einem längeren Interwiew mit einem Chinaexperten bei Carbon Brief. Dieser hält fest, der grösste Beitrag Chinas könnten die grossen nationale Investitionen in erschwinglicher CO2-arme Technologien sein, die dann weltweit genutzt werden konnten. Eine ähnliche Rolle hat Deutschland bei der Subventionierung der Solarenergie in den Nullerjahren gespielt, was weltweit zu einer Preissenkung geführt hatte.

Länder müssen Emissionen senken um Meere zu schützen

Im Mai veröffentlichte der Internationale Seegerichtshof ein rechtliches Gutachten:  Treibhausgase seien eine Form der Meeresverschmutzung und Regierungen daher verpflichtet, ihre Treibhausgase zu senken. Es ist das erste Mal, dass ein internationales Gericht die rechtlichen Klima-Verpflichtungen der Regierungen im Rahmen des UN-Seerechtsübereinkommens präzisiert hat. Das Gutachten wurde von 21 Richtern, die von den 169 Mitgliedsländern der Konvention gewählt wurden, einstimmig verabschiedet. Klima-Kläger:innen vor nationalen und regionalen Gerichten können sich nun darauf berufen. Es wird erwartet, dass das Gutachten auch die nächsten internationalen Klimaverhandlungen in Aserbaidschan beeinflussen wird, da es betroffende Entwicklungsländern mehr Verhandlungsmacht verleiht. Mehr bei Inside Climate News.

Chinas Emissionen fallen, ein Wendepunkt?

Chinas CO2-Emissionen sind im März 2024 um 3% gesunken. Die 14 Monate, als die «Null-Covid»-Kontrollen des Landes aufgehoben wurden und die Wirtschaft wieder in Gang kam, war der Ausstoss stets gestiegen. Eine neue Analyse für Carbon Brief weisst darauf hin, dass Chinas Emissionen im 2023 ihren Höhepunkt erreicht haben und nun langsam sinken könnten. Ausschlaggebend für den Rückgang im März 2024 waren der Ausbau der Solar- und Windenergie, die 90% des Anstiegs der Stromnachfrage abdeckten, sowie die rückläufige Bautätigkeit.

Chinas Strategie der Energiewende änderte sich im Jahr 2020 drastisch, als nachdem Präsident Xi Jinping verkündet hatte, dass China noch vor 2060 CO2-neutral werden soll. Der neue China Energy Transformation Outlook 2023 modelliert drei Szenarien für Chinas Energiewende. Im ehrgeizigsten Szenario wird Chinas Energiesektor bis 2055 frei von fossilen Brennstoffen sein, während einige Industriezweige weiterhin eine geringe Menge an Kohle und Gas verwenden werden, die durch Kohlenstoffabscheidung und -speicherung kompensiert wird. Mehr bei Carbon Brief.

EU-Klimapolitik beeinflusst China

China hat im Rahmen ihres «Carbon Footprint Management System» eine Methodik zur Berechnung der Treibhausgasemissionen der  100 «wichtigen» CO2-intensiven Produkten (die bis 2030 auf 200 erweitert werden sollen) veröffentlicht. China regiert damit höchstwahrscheinlich auf die Einführung des CO2-Grenzausgleichsmechanismus des EU (CBAM). Der CBAM soll sicherstellen, dass importierte Güter aus Ländern mit weniger strengen Klimaschutzvorgaben denselben CO2-Preis zahlen wie in der EU produzierte Waren. Dies geschieht durch die Erhebung von Zöllen auf bestimmte importierte Waren, wobei deren CO2-Emissionen berücksichtigt werden. Der CBAM soll Anreize für internationale Handelspartner schaffen, ihre Emissionen zu reduzieren. Genau das scheint nun in China zu passieren. Mehr bei Asia Financial.

Erneuerbare Energien wachsen rasant, aber nicht schnell genug

Im vergangenen Jahr gab es einen Rekordzuwachs von 560 GW bei der Kapazität an erneuerbaren Energien, ein Anstieg von 64% gegenüber 2022. Einige Länder übertreffen sogar ihre nationalen Ziele. Dies weil Solar- und Windenergie billiger sind als fossile Brennstoffe. China hat mehr neue erneuerbare Kapazitäten aufgebaut als der Rest der Welt zusammen.

Trotz dieser politischen Massnahmen und Trends werde sich die weltweite Kapazität der erneuerbaren Energien bis 2030 nur etwas mehr als verdoppeln und nicht wie erforderlich verdreifachen, so eine Analyse der Internationalen Energieagentur. Die IEA untersuchte die nationalen Strategien und Ziele von fast 150 Ländern und stellte fest, dass diese bis 2030 zu etwa 8’000 GW an erneuerbaren Energien führen würden. Das entspricht etwa 70% dessen, was notwendig ist (11.000 GW), um bis 2030 Strom aus erneuerbaren Energien zu verdreifachen. Mehr im Guardian.

Windkraft legt zu

Laut einem neuen Bericht des Global Wind Energy Council (GWEC) wurden im vergangenen Jahr 117 GW neue Windkraft installiert, 50% mehr als im Jahr zuvor. Über 65% davon wurden in China gebaut, die nächstgrösseren Märkte waren die USA, Brasilien, Deutschland und Indien. Die gesammte Windenergiekapazität hat im vergangenen Jahr erstmals ein Terawatt überschritten.

Um aber das globale Ziel einer Verdreifachung der erneuerbaren Energien bis 2030 zu erreichen, müssen es bis 2030 zwei Terrawatt sein. «Wir haben über 40 Jahre gebraucht, um 1 TW zu erreichen. Jetzt haben wir nur noch sieben Jahre Zeit, um die nächsten 2 TW zu installieren», sagte der Geschäftsführer von GWEC, Ben Backwell. Das Wachstum ist stark auf wenige grosse Länder konzentriert. Viele weitere Länder müssten Hindernisse beseitigen, um den Ausbau der Windenergie voranzutreiben. Die Regierungen müssten sich auch viel stärker auf die Modernisierung ihrer Stromnetze konzentrieren, die vielerorts ein grosses Hindernis für den Fortschritt darstellen. Mehr bei Reuters.

Die Grafik unten zeigt, dass China 3,7 Mal mehr in erneuerbare Energie investiert als in fossile Brennstoffe. Europa investiert das 5,5-fache. Die USA und Kanada stecken am meisten Geld in fossile Brennstoffe. Und die Länder des Nahen Ostens investieren immer noch 5,4 Mal mehr in fossile Brennstoffe als in saubere Energie.

Plastikabkommen und Ablasshandel

Die Plastikverschmutzung muss dringend bekämpft werden, da sie zur Klimakrise, zum Verlust der Artenvielfalt und zur chronischen Verschmutzung beiträgt. Im April fand die vierte Verhandlungsrunde der Vereinten Nationen für ein globales Abkommen gegen Plastikmüll statt. Es soll 2025 verabschiedet werden. Im Vorfeld des Treffens machte eine neue Studie klar: Nur eine Verringerung der Produktion von Neuplastik kann die Kunststoffverschmutzung wesentlich verringern. Laut einer Schätzung verursachte die Plastikproduktion im Jahr 2019 rund 6% der globalen CO2-Emissionen – so viel wie 600 Kohlekraftwerke. Es wird erwartet, dass sich die Plastiknutzung besonders in Asien, Afrika und Lateinamerika bis 2050 verdoppeln bis verdreifachen könnte.

24% des Plastikmülls kommen von Coca-Cola, Danone, Nestlé, Pepsico und den Tabakunternehmen Altria und Philip Morris International, so eine neue Studie in Science Advances. Die Plastikindustrie zeigt wenig Interesse, ihre Produktion zu drosseln, und will nun vermehrt auf Plastik- Zertifikate setzen. Ein Unternehmen, das Kunststoff verwendet oder herstellt, kann Zertifikate erwerben, die der Reduzierung von Kunststoffabfällen an anderer Stelle entsprechen. Solche Plastik-Zertifikate wurden 2021 mit der 3R Initiative in Angriff genommen. Verra, eines der grössten Prüfers von CO2-Zertifikaten, ist einer der lautesten Befürworter von solchen Plastikzertifikaten.  Von Umweltschützern wird diese Kompensation stark kritisiert, da sie, ähnlich, wie bei den CO2-Kompensationen, viele soziale und ökologische Probleme brigt.  Mehr zum Plastikabkommen beim Klimareporter und im Guardian; zu Plastikzertifikaten mehr bei New Republic.

Europäische Klimapolitik

Klimapläne der EU-Mitgliedsstaaten nicht auf Zielkurs

Um die Klimapolitiken der EU-Staaten vergleichbar darzustellen, sind die Mitgliedsstaaten verpflichtet, in den Nationalen Energie- und Klimaplänen (NECP) ihre nationalen Energie- und Klimapolitiken für einen Zeitraum von 10 Jahren abzubilden. Die derzeitigen NECP decken die Periode 2021-2030 ab. Bis Ende Juni 2024 müssen die Mitgliedsstaaten turnusgemäss einen Fortschrittsbericht ihrer NECPs bei der Kommission vorlegen.

Ein neuer Bericht des Klimaverbands CAN Europe attestiert: die vorgelegten Pläne von 18 untersuchten Ländern seien nicht ausreichend, um das Pariser Klimaabkommen oder die EU 2030-Ziele einzuhalten. Dies sei nicht mit dem EU-Recht vereinbar. Der Verband ruft daher zu mehr Ambition in den Mitgliedsstaaten auf und mahnt die Kommission, Druck für mehr Klimaschutz in den Mitgliedsstaaten auszuüben.

Positive Bilanz des EU-Green Deals

Bei ihrem Amtsantritt setzte sich Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) das ehrgeizige Ziel, Europa bis 2050 zum ersten klimaneutralen Kontinent zu machen. Um dieses Vorhaben zu verwirklichen, wurden zahlreiche neue und aktualisierte Rechtsakten im Rahmen des umfassenden „Green Deal“ der EU eingeführt. Nun, am Ende der aktuellen Legislaturperiode, lässt sich Bilanz ziehen: Europa hat sich deutlich zu mehr Klimaschutz bekannt, dennoch besteht weiterhin erheblicher Handlungsbedarf, um das Ziel der Klimaneutralität bis 2050 zu erreichen.

So wurde beispielsweise ein europäisches Klimaschutzgesetz eingeführt, der EU-Emissionshandel reformiert, die Ziele für den Ausbau von Erneuerbaren erhöht, diverse Sektorvorgaben gestärkt und auch ein Klima-Sozialfond eingerichtet. Es sind aber nicht alle Vorhaben erfolgreich umgesetzt worden. So blieb die Reform der Energiesteuerrichtlinie bis heute erfolglos. Ein Bericht ist bei der Stiftung Umweltenergierecht zu finden.

Positive Erfolge dieser Politik sind bereits jetzt zu spüren. So sind etwa die Emissionen des Stromsektors seit 2019 um 20 % gesunken, wie eine Analyse von Carbon Brief zeigt. Anteilsmässig ist der Stromsektor aller EU-Mitgliedsstaaten sauberer vor als fünf Jahren. Deutschland erzielte in absoluten Zahlen den grössten Erfolg, gefolgt von Portugal, Lettland und Frankreich in relativen Angaben. Nach Angaben von Fridays for Future sei der EU-Klimapfad durch den Green Deal bereits um mehr als 1 Grad zum Besseren korrigiert worden. Die EU ist dennoch nicht auf einem ausreichenden Pfad, um die Pariser Klimaziele einzuhalten, so der Climate Action Tracker. Umweltverbände wie der WWF oder der DNR fordern daher von der neuen Kommission mehr Klimaschutzbemühungen.

Europa hat gewählt: Rechtsruck grösstenteils ausgeblieben

Zwischen dem 6. und 9. Juni 2024 wurden in den EU-Mitgliedsstaaten Wahlen zum Europäischen Parlament abgehalten. Trotz teils deutlicher Zugewinne der konservativen Europäischen Volkspartei EVP (+10 Sitze) und (extrem) rechten Europäischen Konservativen und Reformer EKR und Identität und Demokratie Partei ID (+4 und +9 Sitze) im Europäischen Parlament ist der Rechtsruck nicht so hoch ausgefallen, wie viele vor den Wahlen befürchteten (s. etwa bei Euractiv oder bei der Bundeszentrale für politische Bildung). Die sozialdemokratische S&D verloren vier Sitze. Bei den Grünen und der liberalen Renew Europe waren die Verluste jedoch deutlich. So müssen sie in der kommenden Legislaturperiode 18 beziehungsweise 23 Mandate einbüssen.

Besonders in Österreich und Deutschland konnten die rechtsextremen FPÖ mit über 25 % sowie die AfD mit knapp unter 16 % der Gesamtstimmen deutlich zulegen. Knapp vor der ÖVP wurde die FPÖ so stärkste Kraft in Österreich. Die AfD landete in Deutschland auf Platz zwei. Mit einem deutlichen Vorsprung von 16 % wurden die Nationalisten und Rechtspopolisten des Rassemblement National mit über 31 % Anteil der Stimmen in Frankreich stärkste Kraft. Auch in Italien siegten die rechten «Fratelli d’Italia» mit knapp 29 %. Präsident Macrons proeuropäische Lager kam lediglich auf 15 %. Macron verkündete nach dieser herben Wahlschlappe Neuwahlen der «Assemblée nationale» für Ende Juni 2024 (Spiegel). Detaillierte Informationen zu den Ergebnissen können hier abgerufen werden.

In einigen Mitgliedsstaaten gab es jedoch auch positivere Entwicklungen. So könnte wurde in den Niederlanden unter Führung des ehemaligen EU-Klimakommissars Frans Timmermans das Wahlbündnis GroenLinks-PvdA zulegen und wurde stärkste Kraft. Auch in den drei nordischen EU-Staaten habe der Rechtspopulismus nicht verfangen, wie die Tagesschau titelt.

Neben den angekündigten Neuwahlen in Frankreich und weiteren politischen Veränderungen ist abzuwarten, welche Folgen diese Wahl für eine progressive und ambitionierte Klima- und Umweltpolitik der EU hat. So wird in den kommenden Wochen der EU-Rat die Strategic Agenda der neuen Kommission festlegen.

Es wird sich auch zeigen, ob die amtierende Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen auf ein Mitte-Bündnis zwischen S&D, der liberalen Renew Europe und ihrer EVP setzt, oder ob sie auf den rechten Block zugehen wird. «Der Green Deal [liegt] in den Händen der Konservativen», schrieb der Tagesspiegel Background (Paywall). «Jetzt muss die Brandmauer gegen Rechtsaussen stehen», mahnte der DNR.

Deutschland

Gericht: Bundesregierung muss mehr Klimaschutz liefern

Die Deutsche Umwelthilfe hat durch eine Klage vor dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg erneut einen bedeutenden Sieg errungen. Das Gericht forderte die Bundesregierung auf, das bestehende «Klimaschutzprogramm» durch zusätzliche Massnahmen zu erweitern. Das bisherige Programm reiche nicht aus, so das Gericht, um das Klimaschutzziel für das Jahr 2030 zu erreichen. Das Gericht habe festgestellt, dass das Klimaschutzprogramm 2023 an methodischen Mängeln leide und teilweise auf unrealistischen Annahmen beruhe. DUH-Bundesgeschäftsführer Resch sieht in dem Urteil «eine verdiente Ohrfeige für die Pseudo-Klimaschutzpolitik der Bundesregierung».

Noch ist das Urteil nicht rechtsgültig, eine Revision wurde zugelassen. Wie sich das die jüngst – und von Umweltverbänden scharf kritisierte – Aktualisierung des Bundes-Klimaschutzgesetz auswirkt, bleibt abzuwarten.

2030-Klimaziel wird wahrscheinlich doch nicht eingehalten

Nicht nur vor Gericht musste die Bundesregierung hören, dass sie beim Klimaschutz insgesamt zu wenig handle. Auch der «Expertenrat für Klimafragen» (hier weitere Infos) hat Anfang Juni ein Sondergutachten vorgestellt, das dem Wirtschaftsminister Habeck widerspricht. Denn dieser verkündete noch im März, dass die Klimaschutzziele Deutschland insgesamt auf Klimaschutz-Kurs sei. Trotz wesentlicher Erfolge beim Klimaschutz kam Prof. Dr. Henning, Vorsitzender des Expertenrats, zu dem Schluss: «In Summe können wir die […] Zielerreichung für die Jahre 2021 bis 2030 nicht bestätigen, sondern gehen im Gegenteil von einer Zielverfehlung aus.»

Der Expertenrat kritisiere, dass die Erfolge in allen grossen Sektoren weniger stark ausfallen als im Projektionsbericht ausgewiesen wurde. Grund sei unter anderem, dass weniger Geld für die Transformation zur Verfügung stehe als vorher angenommen. So empfiehlt der Expertenrat die zeitnahe Prüfung zusätzlicher Klimaschutzmassnahmen. Man werde entsprechend dem geänderten Klimaschutzgesetz weitere Massnahmen ergreifen, falls der Expertenrat im kommenden Jahr eine weitere Zielverfehlung feststelle, so das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz. Mehr zum Gutachten bei Tagesschau und dem Spiegel.

Umweltverbände kritisierten die erneute Bestätigung, dass die Klimaschutzpolitik der Bundesregierung nicht ausreiche. Der WWF kommentierte, «Pi mal Daumen reicht beim Klimaschutz nicht aus», während der BUND die Klimaziele durch den «drakonischen Sparkurs» der Bundesregierung in Gefahr sehe.

Breite Proteste für Klimaschutz und gegen Rechtsextremismus vor der EU-Wahl

Fridays for Future rief in einem Bündnis weiterer Verbände am 31. Mai zu einem Klimastreik zur Europawahl auf. Tausende sind laut Medienberichten in Deutschland auf die Strasse gegangen, um für mehr Klimaschutz in der EU-Politik zu protestieren und klare Kante gegen Rechtsextremismus zu setzen. Auch in anderen europäischen Ländern gab es Aufrufe zum Protest. Klimaaktivistin Carla Reemtsma sprach eine Warnung vor möglichen Allianzen mit Rechtsextremisten im Europaparlament aus: «Klimaleugner dürfen keine Koalitionspartner sein». Die Bewegung forderte, bis 2035 aus den fossilen Energien auszusteigen sowie Investitionen in Erneuerbare Energien und klimaneutrale Industrien zu verdoppeln.

Auch am 8. Juni, einen Tag vor der EU-Wahl in Deutschland, gingen zehntausende Menschen unter dem Motto «Für eine starke Demokratie überall in Europa: Rechtsextremismus stoppen, Demokratie verteidigen» auf die Strassen. Sozial-, Umwelt, und Gewerkschaftsverbände forderten eine Weiterentwicklung europaweiter Sozial- und Umweltstandards sowie ein Ausbau von Zukunftsinvestitionen.

CO2-Speichergesetz sorgt für Frust

Das Einfangen und Speichern von CO2 («Carbon Capture and Storage», CCS) sorgt seit langem für Spannungen in der deutschen Klimapolitik. Die einen sehen darin einen zentralen Baustein für den Klimaschutz, andere eine eklatante Gefahr für die Umwelt. Ende Mai hat das Bundeskabinett einen Entwurf für ein aktualisiertes Kohlenstoffspeichergesetz (KSpG) verabschiedet. Künftig soll die Abscheidung und Speicherung von CO2 im Meeresboden für Emissionen aus der Stahl- und Zementherstellung sowie für die Müllverbrennungen erlaubt sein – Sektoren, wo die vollständige Dekarbonisierung anders kaum möglich ist. Die Bundesländer sollen zusätzlich die Möglichkeit bekommen, auch an Land unterirdisch Kohlenstoff speichern zu können.

Umweltverbände äussern Bedenken mit Blick auf Klima- und Umweltschutz. Besonders in der Kritik steht, dass auch Emissionen der Erdgasverstromung, die durch den Einsatz von Erneuerbaren vermieden werden könnten, gespeichert werden sollen. Der WWF attestierte einen «Freifahrtschein für Gaskraftwerke». Der BUND sehe eine Aushebelung der Energiewende. Auch Klimapolitiker:innen aus den eigenen Regierungsreihen monieren den Gesetzesentwurfs als Überschreitung des Koalitionsvertrags. Mehr dazu beim Klimareporter, der taz und FAZ.

Die sichtbare Klimakrise

Temperaturrekorde und tödliche Hitzewellen

Im Sommer 2023 war es auf der Nordhalbkugel so heiss wie seit 2000 Jahren nicht mehr. Zu diesem Ergebnis kommt eine Analyse von Baumringen. Die Breite der Ringe, welche die Bäume jedes Jahr bilden, geben Aufschluss darüber, wie warm der Sommer war. Für die in Nature veröffentlichte Studie wurden die Sommertemperaturen Jahr für Jahr rekonstruiert. Dabei zeigte sich, dass die Temperatur im letzten Sommer um mindestens 0,5 °C über jener des Jahres 246 v. Chr. lag, dem heissesten Sommer vor Beginn der direkten Temperaturmessungen. Mehr dazu in der NZZ (paywall) und im Scientific American.

Die aussergewöhnliche Hitze hält auch 2024 weiter an: Im April und Mai wurden laut dem EU-Klimadienst Copernicus die höchsten Temperaturen seit Beginn der Aufzeichnungen gemessen. Im April lag die durchschnittliche Oberflächentemperatur bei 15,03 °C. Das liegt um 0.67 °C über dem Mittel der Jahre 1991-2020 für den April und um 1,58 °C über der vorindustriellen Periode (1850-1900). Im Mai waren die Abweichungen ähnlich hoch. Damit wurde seit einem Jahr in jedem Monat ein neuer Höchstwert registriert. Eine Übersicht über die sprunghafte Erwärmung liefert der Tages-Anzeiger (paywall). Wie extrem die Werte sind, zeigt die blaue Grafik von Copernicus.

Laut einer Analyse von CarbonBrief könnte die Erde in den späten 2020er oder frühen 2030er Jahren die 1,5°C-Marke überschreiten. Damit ist nicht gemeint, dass der im Pariser Klimaabkommen definierte Grenztwert in einem oder sogar zwei Jahren überschritten wird. Dies jährlichen Temperaturen schliessen den kurzfristigen Einfluss natürlicher Klimaschwankungen wie El Niño ein. Das Überschreiten von 1.5 °C bezieht sich vielmehr auf die langfristige Erwärmung.

Fast 70 Prozent der Landmasse der Erde befinden sich auf der nördlichen Hemisphäre. Hier leben gegen 90% der Weltbevölkerung. Das heisst, dass bis im August sehr viele Menschen aussergewöhnlicher Hitze ausgesetzt sein können. Extrem ist die Situation in Indien. Bereits zum dritten Mal in Folge herrschte dort schon im Frühsommer aussergewöhnliche Hitze. Meldungen über Todesfälle häuften sich; das ganze Ausmass lässt sich noch nicht abschätzen. Klar ist, dass der Klimawandel extreme Hitzeperioden häufiger, länger und heftiger werden lässt. Wissenschaftler:innen warnen vor Auswirkungen, die das Leben von mehr als einer Milliarde Menschen gefährden könnten. Mehr dazu bei Nature, der NY Times und im Blog von Klimaautor Bill McKibben.

Im April hatte eine Hitzewelle in Westafrika Hunderten oder Tausenden Menschen das Leben gekostet, genaue Zahlen liegen nicht vor. Eine Studie der World Weather Attribution Group zeigt, dass die steigenden Temperaturen in der Region ohne den vom Menschen verursachten Klimawandel nicht möglich gewesen wären. Mehr dazu bei NPR.

Der Klimawandel und die damit verbundene Hitze bringen für 70% der weltweiten Arbeitskräfte zusätzliche Gesundheits- und Sicherheitsrisiken mit sich. Das zeigt die Internationale Arbeitsorganisation ILO in einem Bericht auf. Extreme Hitze kann zu Hitzschlag, schwerer Dehydrierung und Erschöpfung bis zum Tod führen. Gleichzeitig erhöht sich das Unfallrisiko. Der bestehende Arbeitsschutz genüge nicht mehr, halten die Studienautor:innen fest. Mehr dazu bei klimareporter.

Mit Hitzewellen beschäftigt sich auch treibhauspodcast.ch. Die neuste Episode zeigt auf, weshalb aussergewöhnliche Hitze für immer mehr Menschen gesundheits- und sogar lebensgefährlich werden. Und es werden Lösungen aufgezeigt, wie Menschen vor Hitzewellen geschützt werden können; ein Beispiel sind Klima-Schutzräume in Barcelona.

Ozeane wärmen sich immer stärker

Auch die Ozeane wärmen sich immer stärker auf. Seit Mai 2023 war die globale Oberflächentemperatur des Ozeans an jedem einzelnen Tag so hoch wie nie zuvor, berichtet die BBC. Wärmere Gewässer können zu heftigeren Wirbelstürmen führen. Und sie verursachen eine katastrophale Korallenbleiche. Korallenriffe sind die artenreichsten Ökosysteme der Meere. Über die Hälfte ist von der Bleiche betroffen; im Great Barrier Reef in Australien ist die Lage besonders schlimm, berichtet Nature. Für den Ozeanografen Mike Meredith vom British Antarctic Survey sind das «echte Anzeichen dafür, dass die Umwelt in Bereiche vordringt, in denen wir sie wirklich nicht haben wollen, und wenn das so weitergeht, wird das schwerwiegende Folgen haben.»

Als ein Grund für die starke Erwärmung der Meeresoberfläche diskutieren Fachleute schon länger den Einfluss, den neue Regeln für die Schiffahrt haben. Seit 2020 gilt eine Obergrenze für den Schwefelgehalt von Schiffsdiesel. Seither stossen die Schiffer weniger Schwefeldioxid aus. Nun zeigt eine Nature-Studie auf, dass die neuen Regeln zwar die Luftverschmutzung von Schiffen dramatisch senken. Doch das Schwefeldioxid hatte bis anhin dazu geführt, dass Sonnenlicht an der Wasseroberfläche stärker reflektiert wurde. Dieser kühlende Effekt ist nun wegfallen. Damit sei ein über Jahrzehnte durchgeführtes Geoengineering-Experiment (der Ausstoss von Schwefeldioxid) abrupt beendet worden. Mehr dazu im Tages-Anzeiger (paywall).

Grossflächige Überschwemmungen rund um den Globus

Extreme Niederschläge haben in vielen Gebieten der Welt zu schweren Überschwemmungen und Verwüstungen geführt. In Papua-Neuguinea forderte ein Erdrutsch über 2000 Opfer. Der Premierminister der Pazifikinsel machte die aussergewöhnlichen Regenfälle und veränderte Wettermuster dafür verantwortlich, schreibt der Guardian.

Auch grosse Teile Ostafrikas wurden durch heftige Niederschläge verwüstet. Hunderte Personen wurden getötet, Zehntausende verloren ihr Zuhause. Hart getroffen wurde Kenia, und auch Tansania, Burundi, Somalia und Ruanda haben mit Überschwemmungen zu kämpfen. Mehr dazu im Guardian und bei klimareporter.

In Brasilien standen grosse Gebiete unter Wasser. Rund 170 Menschen starben nach heftigen Niederschlägen, die Häuser von 80’000 Personen wurden zerstört. Gemäss einer Attributionsstudie hat der Klimawandel das Extremereignis doppelt so wahrscheinlich gemacht. Mehr dazu im Guardian.

Auch Deutschland war von starken Niederschlägen und Überschwemmungen betroffen (tagesschau und NY Times, paywall)

Neues aus der Klimawissenschaft

Globale Emissionen könnten bald sinken

Die CO2-Konzentration in der Atmosphäre ist auf 419ppm gestiegen, das ist 50% höher als vor der Industrialisierung. Doch vielleicht zeigen jahrzentelange Bemühungen für mehr Klimaschutz endlich etwas Wirkung. Bis die Konzentration wieder sinken wird, dauert es wohl noch eine Weile, aber mit hoher Wahrscheinlichkeit werden die globalen CO₂-Emissionen nicht mehr wachsen. Sie haben ihren Höhepunkt erreicht. Zu diesem Ergebnis sind unabhängig voneinander drei renommierte Institutionen gekommen (Bloomberg NEF, Carbon Brief, Climate Analytics). Die Grafik von Bloomberg zeigt, wo wir stehen und wohin wir müssen. Energie und Verkehr sind die grössten Emissionverursacher, und in diesen Sektoren sind die Emissionen am sinken. Mehr bei Krautreporter.

Quelle: Bloomberg

Emissionen drosseln ist 6x billiger als abwarten

Treibhausgase zu reduzieren, um die Erderwärmung auf 2°C zu beschränken, ist sechsmal billiger als die Schäden zu bezahlen, die andernfalls entstehen würden. Das zeigt eine neue, in Nature veröffentlichten Analyse. Die Forscher:innen am PIK untersuchten die klimabedingten Kosten in 1600 Regionen weltweit. Danach belaufen sich die Kosten der durch den Klimawandel verursachten Schäden bis 2049 auf durchschnittlich 38 Billionen US-Dollar pro Jahr. Die Länder, die bereits heute unter den steigenden Temperaturen leiden – vor allem in den Tropen -, haben einen grösseren Teil der Last zu tragen.

Bis 2050 wird das Pro-Kopf-Einkommen infolge des Klimawandels weltweit etwa 19% sinken, im Vergleich zu einer Welt ohne Klimakrise. Bis zum Jahr 2100 wären es 60%. Die wirtschaftlichen Schäden in diesem Modell sind in Ländern mit niedrigem Einkommen wie Brasilien, Teilen Westafrikas und Pakistan sogar noch höher.

Eine Studie in Nature Climate Change der ETH Zürich schätzt die globalen Einkommensverluste auf 10-12%, wobei ein Temperaturanstieg von 3 Grad über dem vorindustriellen Durchschnitt angenommen wird. Wie bei der Arbeit des PIK werden die wirtschaftlichen Kosten in Ländern mit niedrigem Einkommen als weitaus höher eingeschätzt. Mehr bei Forbes, Nature und NZZ (paywall).

SUVs brauchen 95 Millionen Liter Sprit pro Tag

Wären Sport Utility Vehicles (SUVs) ein Land, so wären sie der fünftgrösste CO2-Emittent der Welt. Eine Analyse der Internationalen Energieagentur ergab, dass diese grossen Autos für mehr als ein Viertel des erhöhten Ölbedarfs in den Jahren 2022 und 2023 verantwortlich sind. In diesem Zeitraum stieg der globale Treibstoffverbrauch wegen SUVs um mehr als 95 Millionen Liter pro Tag. SUVs haben Effizienzverbesserungen bei anderen Pkw-Typen weitgehend zunichte gemacht. Der Anteil von SUVs an den weltweiten Autoverkäufen wird 2023 mit 48% einen neuen Rekord erreichen.

Menschen haben aber nicht plötzlich angefangen, grosse Autos mehr zu mögen. Eine fehlgeleitete Politik ermöglichte den enormen Anstieg von SUVs, wie eine Analyse in VOX zeigt. In den USA sind heute mehr als vier von fünf verkauften Neufahrzeugen SUVs und Pickups, 2013 war es noch etwas mehr als die Hälfte. Auf Druck der Autoindustrie beschloss der US-Kongress in den 90er Jahren, zwei getrennte Effizienzvorschriften einzuführen: eine, die für Pkw gilt, und eine schwächere für leichte Nutzfahrzeuge, einschliesslich Pickups und SUVs.

Die Verlagerung hin zu Elektrofahrzeugen könnte den Trend zu überdimensionierten Autos weiter verstärken. Laut der US-Umweltbehörde gelten nämlich alle Elektroautos unabhängig von ihrer Grösse als emissionsfrei. Eine grosse oder ineffiziente Batterie braucht jedoch deutlich mehr Strom. Mehr bei Bloomberg, VOX. ABC News von Australien publizierte eine Analyse zum Vergleich von SUVs und EVs.

Grosse Geländewagen und SUV sind auch auf Schweizer Strassen immer häufiger zu sehen. 2019 machten sie fast 40% der Neuwagen aus. 130’000 solcher Neuwagen wurden eingelöst, 2010 waren es erst 50’000 gewesen. Dieser Anstieg liegt weit über dem europäischen Durchschnitt.

Hybridautos sind deutlich weniger klimafreundlich als EVs

In diesem Jahr werden global ungefähr 16,6 Millionen Elektrofahrzeugen verkauft werden, wie globale Prognosen zeigen. Letztes Jahr waren es noch 14,2 Millionen gewesen. Der Weltmarktanteil für alle EV-Fahrzeuge wird auf 19% steigen. Dieser Anstieg wird von China vorangetrieben, wo der Anteil der Plug-in-Autos im April von 33 % im Vorjahr auf 44 % gestiegen ist. Die Verkäufe von Elektroautos in China machen inzwischen deutlich mehr als die Hälfte des Weltmarktes aus. In China wurden 2023 fast dreimal so viel EVs verkauft wie in der EU und fünfmal so viel wie in den USA.

Doch nicht alle EVs sind gleich klimafrendlich. Die EU-Kommission berichtet, dass der typische Plug-in-Hybrid, der im Jahr 2021 verkauft wird, mehr als dreimal so viel CO2 ausstösst wie ausgewiesen. Der Hauptgrund ist, dass Fahrer:innen mehr Benzin und weniger Batteriestrom als angenommen verwenden. Der Treibstoffverbrauch wurde bei einer grossen Zahl von Fahrzeugen direkt gemessen. Der typische Benzin-Plug-in-Hybrid wies in der Praxis Emissionen auf, die nur etwa 25% unter denen eines reinen Benziners lagen. Auch die tatsächlichen Emissionen bei reinen Benzin- und bei Dieselfahrzeugen langen um etwa 20% über den Werten, die bei den Standardtests ermittelt wurden. Der derzeitige weltweite Anstieg des Verkaufs von Plug-in-Hybridfahrzeugen sollte daher von Regierungen und Regulierungsbehörden gebremst werden. Mehr bei der Eurpean Commissionund im Guardian.

Faulende Lebensmittel schaden dem Klima

Etwa ein Drittel aller produzierten Lebensmittel landet im Abfall und erzeugt beim Verrotten klimawärmende Treibhausgase. Wäre es ein Land, so wäre diese Lebensmittelverschwendung die drittgrösste Quelle von Treibhausgasemissionen in der Welt, laut der UN-Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation. Eine Studie aus dem Jahr 2023 ergab ausserdem, dass Treibhausgase aus Lebensmittelverlusten und -abfällen fast die Hälfte aller Emissionen des Lebensmittelsystems ausmachen.

Neue Forschungsergebnisse in Environmental Research Letters, zeigen, dass ungenügende Kühlung in der Versorgungskette jedes Jahr bis zu 620 Millionen Tonnen Lebensmittelabfälle  verursachen und dadurch 1,8 Milliarden Tonnen CO2-Äquivalente verursachen. Mehr Kühlung bei der Verarbeitung und dem Transport von Lebensmitteln sowie die Verkürzung der Versorgungsketten könnten der Studie zufolge die Emissionen erheblich reduzieren und Lebensmittelverluste weltweit verhindern. Mehr bei Carbon Brief.

Neuer Übersichtsbericht zu Negativemissionen

Der neue CO2-Removal-Bericht gibt einen Überblick über den aktuellen Stand der CO2-Entfernung.  «Carbon Dioxide Removal (CDR)»-Techniken, die auch als negative Emissionen bezeichnet werden, entziehen der Atmosphäre bereits 2 Milliarden Tonnen CO2 pro Jahr. Derzeit stossen wir jedes Jahr rund 40 Mrd. Tonnen aus. Mehr als 99,9 % der negativen Emissionen stammen aus der Anpflanzung von Bäumen und der Wiederaufforstung. Das grosse Interesse des globalen Nordens an tropischen Wälder als Klimakompensation hat dazu geführt, dass die Bedürfnisse der Menschen, die von den Wäldern abhängen, ignoriert werden, heisst es in einem Nature-Leitartikel. Mehr als 60% der bewaldeten Flächen in Entwicklungsländern liefern CO2-Zertifikate, ohne dass dies Auswirkungen auf das wirtschaftliche Wohlergehen der Waldgemeinden hat.

Wenn CDR in einer «nachhaltigeren» Weise genutzt werden soll, z. B. ohne Entwaldung zu verursachen oder die biologischen Vielfalt zu bedrohen, ist die Menge an CDR wesentlich geringer. Dennoch müssen bis 2050 jedes Jahr zwischen 7 und 9 Mrd. Tonnen CO2 entfernt werden, um das 1,5-Grad-Ziel einzuhalten.

Der Bericht stellt fest, dass die direkte Kohlenstoffabscheidung und -speicherung in der Luft (Direct Air Carbon Capture and Storage, DACCS) bei Grossinvestoren am meisten Interesse findet. Grosse CDR-Startups wie Climeworks und Carbon Engineering haben Investitionen von Microsoft, Airbus, Chevron, JP Morgan erhalten. Bedeutender Versuchsanlangen sind die Regional Direct Air Capture Hubs in den USA (das von der Regierung mit 3,5 Mrd. USD finanziert wurde) und Mission Innovation (eine internationale Initiative, die CDR-Technologien ermöglichen will, um bis 2030 weltweit eine Nettoreduktion von 100 Mio. Tonnen CO2 pro Jahr zu erreichen. Mehr bei Carbon Brief, SRF, im New Yorker (paywall) und zum Schweizer Unternehmen Climeworks bei Notre Temps.

Preis auf CO2 wirkt

Emissionshandel und CO2-Steuern wirken, zeigt eine neue Metaanalyse in Nature. Weltweit gibt es mehr als 70 Politikinstrumente zur Bepreisung von CO2 – Emissionshandelssysteme, Abgaben und Steuern -, doch ihr Beitrag zur Emissionsreduzierung wird in Wissenschaft und Politik nach wie vor kontrovers diskutiert. Die Studie bewertete die Wirksamkeit von 21 solcher Preismechanismen. Bei mindestens 17 hat die Einführung eines CO2-Preises zu Emissionsreduktionen geführt, obwohl die Preise in den meisten Fällen niedrig waren. Die Emissionssenkungen liegen zwischen 4 % und 15 %.

In den Pilot-Emissionshandelssystemen in China wurde CO2-Reduktion von 13,1% erreicht. Das ist deutlich mehr als im EU-Emissionshandelssystem (-7,3 %) oder durch die CO2-Steuer in British Columbia (-5,4 %). Dies trotz der sehr niedrigen Preisen der chinesischen Systeme. Dies ist wahrscheinlich eine Folge der niedrigeren Vermeidungskosten in China, sowie der unterschiedlichen politischen Rahmenbedingungen in den Ländern. Die Wirksamkeit der Preismechnismen wird durch andere politische Massnahmen stark beeinflusst. Mehr bei Nature und Klimareporter.

Aktiv gegen Hoffnungslosigkeit

Es braucht einen hartnäckigen Optimismus

Sie fühlen sich hoffnungslos und niedergeschlagen und seien wütend, erzählten zahlreiche Klimawissenschaftler:innen dem Guardian. Der Grund: Sie befassen sich seit Jahrzehnten mit der Klimakrise und sehen immer noch nicht genug Handlung dagegen. Christiana Figueres, die Leiterin der UN-Klimakonvention von 2010 bis 2016, schrieb darauf in einem Editorial im Guardian: «Ich teile ihre Gefühle der Verzweiflung. Ein Gefühl der Verzweiflung ist verständlich, aber es beraubt uns unserer Handlungsfähigkeit und verhindert die radikale Zusammenarbeit, die wir brauchen. Wir alle haben das Recht, den Verlust einer Zukunft ohne die Klimakrise zu betrauern. Es ist ein tiefer, schwerer Verlust. Aber Trauer, die bei Verzweiflung stehen bleibt, ist ein Ende, das ich und viele andere nicht zu akzeptieren bereit sind. Wir haben auch die Verantwortung – und die Möglichkeit -, die Zukunft anders zu gestalten. Es wird viel mutigeres kollektives Handeln erfordern.»

Doch auch sie zweifelt manchmal: «Kurz nachdem ich 2010 das Amt als UN-Klimachefin übernommen hatte, sagte ich vor Journalisten, dass ich nicht glaube, dass ein globales Klimaabkommen zu meinen Lebzeiten möglich sein wird.» Unmittelbar danach musste sie aber ihre Einstellung ändern, um die Länder proaktiv auf die Pariser Klimaverhandlungen vorzubereiten. «Es war eine Kerze in der Dunkelheit, die ich benutzte, um bei vielen anderen einen Funken zu entzünden. Ich benutze die Kerze des hartnäckigen Optimismus noch heute – und ich bin nicht der Einzige. Eine Welt, in der wir 1,5 °C überschreiten, ist nicht in Stein gemeisselt.»

Wie wir den Klimawandel schneller bekämpfen können

Ion Karagounis vom WWF macht im Magazin des Tages-Anzeigers (paywall) fünf konkrete Vorschläge für raschere, wirksame Massnahmen: Klimaschutz über Gerichte erzwingen, Bewilligungsverfahren beschleunigen,  Aktivismus intensivieren, Zukunftsräte und ein Expertengremium für die Klimapolitik einrichten.

Klimapolitik lokal verändern

Die Klima-Allianz startet das neue Projekt OK Klima, in Partnerschaft mit der Alliance Digitale. OK Klima will die Klimapolitik der Schweizer Kantone und Gemeinden dank Transparenz und Partizipation ambitionierter machen. Die neue Plattform soll es den Behörden und Politiker:innen ermöglicht, zu sehen, wie ihre Gemeinden und Kantone im Vergleich zu anderen abschneiden, und sich von guten Praktiken inspirieren zu lassen. https://www.ok-klima.ch/

Übersicht über anstehende Abstimmungen und zu Initiativen:

Editorial

In dieser Ausgabe berichten wir über den bahnbrechenden Sieg der Klimaseniorinnen am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte und geben einen Überblick über die vielen Gerichtsfälle, die weltweit am Laufen sind. Wir erklären, warum die Abstimmung zum Stromgesetz so wichtig ist und warum das verabschiedete CO2-Gesetz und die Umsetzung des Klimaschutzgesetzes zu schwach sind.

Deutschland macht vorwärts mit den Erneuerbaren, aber tritt bei wichtigen EU-Gesetzen immer wieder auf die Bremse (die FDP lässt grüssen). Wichtige neue europäische Gesetze wie das Lieferkettengesetz und die EU-Gebäuderichtlinie wurden zwar verabschiedet, allerdings deutlich abgeschwächt. Erneuerbare Energien werden weltweit rasant ausgebaut und Präsident Biden macht vorwärts bei Elektromobilen.

Während die Politik mal vorwärts, mal rückwärts geht, beschleunigt sich die Erderwärmung deutlich. Und die Ozeanzirkulation droht zusammenzubrechen, was katastrophale Konsequenzen hätte. Frauen leiden besonders stark unter der Erwärmung, und die Anpassung daran wird immer schwieriger. Gerade weil das alles so beängstigend ist, brauchen wir Mut zur Hoffnung. Wir schliessen daher in der Rubrik Aktiv gegen die Hoffnungslosigkeit mit Inspirierendem aus Philosophie und Politik.

Schweiz

Klimaseniorinnen gewinnen Klimaklage

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) rügt die Schweiz dafür, dass sie ältere Frauen zu wenig vor dem Klimawandel schützt (die Medienmitteilung des EGMR auf Französisch und auf Englisch.) Das Gericht gab der Klage des Vereins Klimaseniorinnen recht. Sie sahen ihr Recht auf Leben sowie auf Privat- und Familienleben verletzt, weil die Schweiz Emissionsreduktionsziele nicht erreichte. Hier die wichtigsten Punkte des Urteils:

1. Die Schweiz hat Artikel 8 (Recht auf Privat- und Familienleben) der Europäischen Menschenrechtskonvention verletzt.

2. Den Klimaseniorinnen kommt Opferstatus zu, das heisst, sie sind übermässig vom Klimawandel betroffen.

3. Die Schweiz hat den Klimaseniorinnen den Zugang zum Gericht zu Unrecht verwehrt (mehrere Instanzen bis zum Bundesgericht hatten die Klage des Vereins abgewiesen oder waren nicht auf den Inhalt eingegangen).

Das Gericht urteilt auch über die Klimapolitik der Schweiz:

4. Die Schweiz ist ihren Verpflichtungen aus der Menschenrechtskonvention bezüglich Klimawandel nicht nachgekommen.

5. Ihre ungenügenden Ziele zur Reduktion der Treibhausgasemissionen hat sie nicht erreicht.

6. Die Massnahmen der Schweizer Behörden erfolgten zu spät und reichen nicht aus, um die Auswirkungen des Klimawandels abzuschwächen.

Das Urteil ist ein Präzedenzfall, der für alle 46 Staaten des Europarates und darüber hinaus Bedeutung hat. Es ist die erste Klimaklage, die vor dem EGMR verhandelt wurde. Dagegen kann keine Berufung eingelegt werden. Das Urteil ist besonders wichtig, da es eine Wegweisung für künftige Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, aber auch der nationalen Justizbehörden in ganz Europa in hängigen und künftigen Klimafällen bietet. Andere Klimafälle, die dem Europäischen Gerichtshof vorgelegt wurden, waren vertagt worden, bis die Grosse Kammer über den Schweizer Fall entscheidet.

Welche konkreten Folgen hat das Urteil? Der Vertreter des Bundes vor dem EGMR, Alain Chablais, meinte, das Urteil verpflichte die Schweiz, Massnahmen zu ergreifen. Auch die Umweltorganisation Greenpeace Schweiz, welche die Klimaseniorinnen unterstützt hat, sieht Handlungsbedarf für die Schweiz. Die aktuellen Klimazielsetzungen müssten nachgebessert werden, um die Menschenrechte genügend zu schützen. Das Urteil sei ein Weckruf an Bundesrat und Parlament. Mehr dazu in der Republik, der NZZ, der NY Times (paywall), Guardian und justsecurity.

Die Reaktionen auf das Urteil fallen unterschiedlich aus; eine Übersicht hier im Tages-Anzeiger. SP und Grüne sehen sich bestätigt, dass die Schweiz mehr gegen den Klimawandel unternehmen müsse. Die FDP erkennt keinen Handlungsbedarf, und die SVP verlangt, dass die Schweiz aus dem Europarat austrete. Dieser Auslegung der bürgerlichen Parteien widersprechen Jurist:innen. Rechtsprofessor Sebastian Heselhaus von der Uni Luzern betont im Blick und auf SRF, das Urteil sei bindend. «Die Schweiz muss mehr für den Klimaschutz machen». Das bestätigt auch das Bundesamt für Justiz, das klar gemacht hat, das Urteil müsse umgesetzt werden.

Evelyne Schmid, Professorin für Menschenrechtsschutz (Völkerrecht) an der Uni Lausanne, sieht den Staat in der Pflicht. «Die Politik, also der Bundesrat, aber auch die Parlamente und Regierungen auf Bundes-, Kantons- und Gemeindeebene, müssen nun handeln», sagt sie gegenüber Watson. Und Völkerrechtsprofessor Andreas Müller von der Uni Basel zeigt sich im Tages-Anzeiger überzeugt, der Druck auf Regierungen und Parlamente in ganz Europa und wohl darüber hinaus werde deutlich zunehmen.

In einer ersten juristischen Analyse heben deutsche Rechtsanwält:innen hervor, dass das Gericht angesichts der Klimakrise de facto eine neue Verbandsklage für den Menschenrechtsschutz schaffe. Weiter stelle das Gericht erstmals materielle und prozessuale Anforderungen an ein menschenrechtsschützendes Klimaschutzkonzept. Die Republik bringt ein Interview mit einer der beiden Rechtsanwält:innen, der Titel lautet: «Die Türen für Klimaklagen sind hiermit weit aufgestossen worden.»

Die Abstimmung über das Stromgesetz polarisiert

Die Abstimmung über das Stromgesetz (Bundesgesetz für eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien, Mantelerlass), die am 9. Juni stattfindet, verspricht einen knappen Ausgang. Mit dem Gesetz, auf das sich im Herbst 2023 National- und Ständerat geeinigt hatten, sollen verbindliche Ausbauziele für erneuerbare Energie bis 2035 festgeschrieben werden. Dagegen hatten Landschaftsschützer:innen (Bündnis Natur & Landschaft Schweiz, Verein Freie Landschaft Schweiz und Fondation Franz Weber) das Referendum ergriffen.

Mit dem Stromgesetz sollen neue erneuerbare Energien, vor allem Sonne und Wind, bis 2035 jährlich 35 Terawattstunden (TWh) Strom liefern, bis 2050 45 TWh. Derzeit beträgt der jährliche Strombedarf der Schweiz 60 TWh. Im Gegenzug soll es Lockerungen beim Naturschutz geben: In Gebieten, die sich für die Nutzung von Solar- und Windenergie eignen, sollen Energieanlagen gegenüber Umweltschutz und anderen nationalen Interessen Vorrang haben. Eine Übersicht über die Vorlage findet sich im Blick.

Der Bundesrat und die grossen politischen Parteien unterstützten das Gesetz, mit Ausnahme der SVP. Deren Delegierten haben im März die Nein-Parole beschlossen. Bundesrat Albert Rösti, der das Gesetz unterstützt, hatte an der SVP-Versammlung vergeblich versucht, mit der verbesserten Versorgungssicherheit und Unabhängigkeit für Zustimmung zu sorgen. Noch im letzten Herbst hatte eine Mehrheit der Partei das Gesetz unterstützt. SVP-Nationalrätin Magdalena Martullo-Blocher, die am Meinungsumschwung beteiligt war, meinte: Mit Solaranlagen und Windrädern sei keine sichere Stromversorgung möglich, «da braucht es ja immer zuerst Sonne oder Wind.» Mehr dazu bei SRF, im Tages-Anzeiger hier und hier (paywall) und hier und hier in der NZZ (paywall).

Der Tages-Anzeiger warnt davor, die Gegner:innen des Gesetzes zu unterschätzen und erinnert an die Abstimmung über das CO2-Gesetz, das die SVP ohne Unterstützung andere Parteien zu Fall gebracht hatte. Ebenfalls im Tages-Anzeiger (paywall) ist zu lesen, wie die Abstimmung für Diskussionen unter Umweltschützer:innen sorgt. In der Zeit (paywall) liefern sich Greenpeace-Klimaspezialist Georg Klingler und Landschaftsschützer Hans Weiss ein Streitgespräch über das Stromgesetz.

Die Argumente der Befürworter:innen (JA-Komitee aus allen Parteien und der Wirtschaft sowie das Bündnis der grossen Umweltorganisationen):

Argumente der Gegner:innen aus dem Landschaftsschutz:

Das Ziel, die Produktion von erneuerbarem Strom bis 2035 rasch auszubauen, ist aus technologischer, ökonomischer und auch ökologischer Sicht realisierbar. Zu diesem Schluss kommt eine Studie der Universität Genf, finanziert von einem Forschungsprogramm des Bundes. Berücksichtigt wurden Effizienzgewinne und ein höherer Stromverbrauch durch Elektroautos und Wärmepumpen. Weiter geht die Studie davon aus, dass die Kernkraftwerke in der Schweiz bis 2035 abgestellt werden. Der grösste Teil des Zubaus entfällt auf Solaranlagen. Um das Ausbauziel zu erreichen, wären jährliche Investitionen von 1,4-1,7 Milliarden Franken nötig. Mehr dazu in der NZZ.

CO2-Gesetz: Die Schweiz verfehlt ihr Klimaziel

In der Frühjahrssession haben sich National- und Ständerat auf ein neues, mutloses CO2-Gesetz geeinigt. Bei den umstrittenen Punkten setzte sich der Ständerat durch. Das Gesetz schreibt für den Zeitraum 2025-2030 fest, wie die Schweiz die Treibhausgase gemäss dem Pariser Klimaschutzabkommen gegenüber 1990 halbierten soll. Um das Ziel zu erreichen, hätte die Schweiz in der Klimapolitik einen Gang zulegen sollen. Stattdessen wurde auf zusätzliche Massnahmen verzichtet (eine Übersicht im Tages-Anzeiger und bei das Lamm):

Die Schweiz ist das einzige Land, das so stark auf Emissionsreduktionen im Ausland setzt. Bis heute hat der Bund mit elf Ländern Abkommen unterzeichnet. Sie regeln, dass etwa in Thailand, in Ghana, Peru oder Georgien eingespartes CO2 der Schweiz angerechnet werden kann. Viele Klimaschutzprojekte im Ausland halten nicht, was sie versprechen, und oft sind sie nicht zusätzlich, wären also auch ohne Unterstützung realisiert worden. Hier zeigt Jürg Füssler vom Umweltberatungsunternehmen INFRAS und Experte im Zertifikatsmarkt, die Mängel von Auslandkompensationen auf, wo die Probleme liegen.

Entsprechend gross ist die Kritik von Fachleuten und Umweltschutzverbänden am verabschiedeten CO2-Gesetz.

ETH-Klimaforscher Reto Knutti hält die Massnahmen zum Erreichen der CO2– Reduktionsziele für ungenügend. Er weist darauf hin, dass es in einer Netto-Null-Welt keine billige Auslandkompensation mehr gebe, da alle Staaten den CO2-Ausstoss stoppen müssten. Der Wirtschaftsverband swisscleantech bemängelt, dass das CO2-Gesetz dem letztes Jahr angenommenen Klimaschutzgesetz widerspreche. Dieses schreibt einen linearen CO2-Absenkpfad vor, wobei die Etappenziele in erster Linie durch Emissionsminderungen im Inland erreicht werden müssen. Im Tages-Anzeiger und der NZZ hatte der Verband die Vorteile der Reduktion im Inland dargelegt.

Die NZZ (paywall) kommentiert, «der Sonderweg der Schweiz im Klimaschutz führt in die Irre.» Die schiere Menge an Zertifikaten, die die Schweiz zukaufen muss (bis 2030 sind es 40-50 Millionen Tonnen CO2), mache es schwierig, die Kompensationsprojekte seriös auszuwählen und zu überwachen. Der WWF verlangt, dass die Schweiz aus den Kompensationsgeschäften aussteigt. Mehr dazu hier und hier im Tages-Anzeiger.

Bei einem Punkt hat sich das Parlament ein bisschen reformfreudiger gezeigt: Es hat einem Postulat zugestimmt, das verlangt, die CO2-Abgabe in Zukunft besser sichtbar an die Bevölkerung zurückzuerstatten. Bis heute erfolgen die Gutschriften einmal im Jahr mit der Prämienrechnung der Krankenkassen. Dies wird von vielen nicht wahrgenommen. Mit dem Ziel, die Akzeptanz dieser Lenkungsabgabe zu erhöhen, muss der Bundesrat nun eine neue Vergütungsmethode prüfen.

Kritik an der Umsetzung des Klimaschutzgesetzes

Im Januar 2024 hatte der Bundesrat die Verordnung zum Klimaschutzgesetz (KIG) in die Vernehmlassung geschickt. Sie dauert bis zum 1. Mai, Anfang 2025 soll die Verordnung in Kraft treten. Der Verein Klimaschutz Schweiz kritisiert, dass das KIG in zentralen Punkten verwässert wird. So verzichtet der Bundesrat auf verbindliche Regeln für den Finanzplatz und begnügt sich stattdessen mit freiwilligen Test. Dies, obwohl im KIG steht, der Bund sorge dafür, dass der Schweizer Finanzplatz seinen «effektiven Beitrag» zum Klimaschutz leiste. Weiter lässt der Bundesrat bei der Luftfahrt offen, ob für die Erreichung der Klimaziele nur die CO2-Emissionen oder die gesamte Klimawirkung von Flugzeugen (sie ist rund dreimal grösser) berücksichtigen will. Nach dem Willen des Bundesrats können die Airlines entscheiden, welches Vorgehen sie wählen.

Im Februar ist die von der SP und den Grünen lancierte Klimafonds-Initiative eingereicht worden. Sie fordert, dass jährlich 0,5-1% des Bruttoinlandprodukts in einen Klimafonds fliessen. Daraus soll eine sozial gerechte Energie- und Klimapolitik gefördert werden. Aktuell wären dies 4-8 Milliarden Fr. pro Jahr. Konkret sollen mit diesem Geld erneuerbare Energien, Gebäudesanierungen und Elektrofahrzeuge unterstützt und der öffentliche Verkehr ausgebaut werden. Auch die Biodiversität und Aus- und Weiterbildungen sollen gefördert werden. Mehr dazu in der NZZ (paywall) und im Tages-Anzeiger.

Nach der Annahme des Klimaschutzgesetzes plant der Verein Klimaschutz Schweiz eine neue Volksinitiative. Der Verein begründet dies damit, dass die bisherigen Massnahmen der Schweiz nicht ausreichen. Der Inhalt der Initiative soll gemeinsam mit interessierten Menschen erarbeitet werden. Erste Anhaltspunkte soll eine Umfrage liefern. Mehr dazu im Blick.

Die Bauern und der  Klimawandel

Marcel Dettling, Landwirt und neuer SVP-Präsident, zeigt sich in einem Interview mit der NZZ am Sonntag (paywall) als Klimaleugner. Das Klima habe sich «über die Jahrhunderte immer wieder geändert». Zudem zweifelt er den Einfluss des Menschen auf den Klimawandel an; dieser lässt sich seiner Ansicht nach auch nicht mehr aufhalten. Klimawissenschafter Reto Knutti korrigiert auf Linkedin die Fakten. Mehr dazu auf SRF und Watson.

Dass die Schweizer Bauern weiterhin steuerbefreit tanken können, dafür hat Bundesrat Guy Parmelin gesorgt. Gemäss Recherchen der NZZ am Sonntag (paywall) hat der SVP-Bundesrat ein Projekt gestoppt, mit dem die Subventionen, die der Schweizer Klimapolitik zuwiderlaufen, abgeschafft werden sollte. Auf Antrag von Parmelin stimmt der Bundesrat der Beibehaltung der umstrittenen Subvention zu. Bereit vor sechs Jahren hatte die Eidgenössische Finanzkontrolle die Rückerstattung der Mineralölsteuer auf Treibstoffen kritisiert.

Es gibt auch Landwirte, welche die Bedrohung durch den Klimawandel ernst nehmen. Eine Gruppe von Bauern aus den Kantonen Zürich, Schwyz, Genf, Neuenburg und Waadt greift den Bund wegen der Untätigkeit beim Klimaschutz an. Die Landwirte, die vom Netzwerk Klimaanwälte vertreten werden, haben beim Eidgenössische Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) eine entsprechende Beschwerde eingereicht. Die unzureichende Klimapolitik gefährde die Wirtschaftsfreiheit und die Eigentumsgarantie der Bauern. Denn die häufigeren und längeren Trockenperioden, für die der Klimawandel sorgt, schränke die Produktivität der Böden ein. Die Bauern forderten das UVEK auf, alle notwendigen Massnahmen zu ergreifen, um solche Verletzungen ihrer Grundrechte zu verhindern. Mehr dazu bei Watson.

Statt CO2 zu verursachen, kann die Landwirtschaft das Klimagas im Boden speichern. Das Programm Agroimpact soll die Bauernhöfe klimafreundlicher machen. Eine wichtige Rolle spielt dabei die regenerative Landwirtschaft, bei der weniger gedüngt und gepflügt wird, um mehr Humus aufzubauen. Mehr dazu in der NZZ.

Auch der letzte Winter war viel zu heiss

Die ungewöhnlich hohen Temperaturen halten an. Der Winter 2023/2024 war der mildeste, der seit Messbeginn im Jahr 1864 je registriert wurde. Laut MeteoSchweiz erreicht die durchschnittliche Temperatur von Dezember 2023 bis Februar 2024 0,9 °C. Dies sind 2,8 °C über den Durchschnittswerten von 1991–2020 (Normperiode). Im Vergleich mit der vorindustriellen Referenzperiode 1871–1900 war der Winter um 2,9 °C wärmer. In allen drei Monaten war es zu mild. Besonders gross war die Abweichung im Februar mit einem Plus von 4,6 Grad über der Norm. Mehr dazu bei MeteoSchweiz und im Tages-Anzeiger.

Ausbau der Erneuerbaren sorgt für Diskussionen

Wie gross ist der Anteil von Solarstrom in deiner Gemeinde? Wie hoch ist der Stromverbrauch im Vergleich mit dem Nachbarort oder der Schweiz? Und wie viele Elektroautos sind im Einsatz? Antworten zu diesen Fragen liefert der Energie Reporter von Energie Schweiz. Damit lässt sich die Entwicklung der Energiezukunft auf Gemeindeebene beobachten und vergleichen.

Beim Ausbau der erneuerbaren Energie geben nach wie vor Solar- und Windprojekte zu reden.

Solarstrom: Aktuell sind noch 47 alpine Solarprojekte in Planung, wie eine Aufstellung des Verbands Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen zeigt (Stand 26.3.2024). Das sind sieben weniger als Ende Januar. Eines der zurückgezogenen Projekte war in Oberiberg SZ geplant. Dort hatte die Stimmbevölkerung eine Anlage im Gebiet Ybrig abgelehnt (Watson). Ein zweites betrifft das Wintersportgebiet Splügen-Tambo; hier stellt das EWZ die Planungsarbeiten aufgrund von Kritik aus Tourismuskreisen ein (Südostschweiz). Und die Axpo verfolgt ein Solarprojekt in Glarus Süd in der Region Friiteren nicht weiter, unter anderem wegen Naturgefahren und weil gefährdete Vogelarten beeinträchtigt worden wären.

Für acht der geplanten Anlagen ist inzwischen ein Baugesuch eingereicht worden, wie eine Übersicht des Bundesamts für Energie zeigt. Gegen zwei der Vorhaben haben Umweltverbände Einsprachen erhoben: gegen jenes im Gantrisch-Gebiet bei der Alp Morgeten (Tages-Anzeiger, paywall) sowie bei Gondo VS (Südostschweiz).

In Saanen soll ein vom Stimmvolk abgelehntes Projekt in leicht reduzierter Form nochmals lanciert werden, berichtet das Thuner Tagblatt (paywall). In diesem Zeitungsartikel findet sich auch eine Übersicht über die zwölf Solarprojekte, die im Berner Oberland noch geplant sind. Und am Walensee haben die Elektrizitätswerke des Kantons Zürich und die St.Gallisch-Appenzellische Kraftwerke AG die Planung an einem Solarprojekt in einem ehemaligen Steinbruch wieder aufgenommen. Vor zehn Jahren hatten die Unternehmen das Projekt bereits einmal verfolgt, dieses aber gestoppt. Der Steinbruch ist Teil des Bundesinventars der Landschaften und Naturdenkmäler (BLN); ein Gutachten der Eidgenössischen Natur- und Heimatschutzkommission hatte die geplante Solaranlage als schweren Eingriff in die schützenswerte Natur am Walensee eingestuft. Gemäss dem revidierten Energiegesetz (Solarexpress) sind Solaranlagen in BLN-Gebieten nicht ausgeschlossen. Das Projekt, das Strom für 2700 Haushalte liefern soll,  stösst auf Widerstand, berichtet der Blick. Mehr dazu in der Südostschweiz (paywall).

Wie ist der Widerstand in den Berggebieten gegen Solaranlagen zu erklären? Weil die Alpen erobert sind und das Geld von Stromfirmen nicht mehr lockt, erklärt Romed Aschwanden vom WWF Zug in der Zeit. Die Anlagen können dem Tourismus schaden, und gleichzeitig werden im Unterland mehr PV-Anlagen gebaut. Für die Aargauer Zeitung (paywall) liegt es primär am Misstrauen der Bergbevölkerung gegenüber Stromkonzernen. Und im Interview mit der NZZ (paywall) meint Ruedi Kriesi, der mit der Interessengemeinschaft (IG) Solalpine den Bau von grossen Solaranlagen in den Bergen vorantreibt, dass die Zeit zu knapp gewesen sei, die lokale Bevölkerung emotional abzuholen. Zudem würden Naturschutzorganisationen fundamentale Kritik betreiben.

Windenergie: Ein weiteres Windenergieprojekt hat einen Rückschlag erlitten. Beim geplanten Windpark «Bel Coster» im Waadtländer Jura hat das Bundesgericht den gemeindeübergreifenden Nutzungsplan für ungültig erklärt. Nun muss das Projekt überarbeitet werden, und es braucht vorgängig zusätzliche Abklärungen zum Vogel- und Gewässerschutz. Mehr dazu im Tages-Anzeiger.

In Hinwil ZH hat die Bevölkerung eine Änderung der Bau- und Zonenordnung angenommen, mit welcher der Bau von Windanlagen auf dem Gemeindegebiet verunmöglicht wird. Gemäss der Regel müssten Windkraftanlagen einen Abstand von einem Kilometer zu bewohnten oder teilweise bewohnten Liegenschaften aufweisen. Die Bestimmung muss noch von der kantonalen Baudirektion genehmigt werden. Ob sie dies tun wird, ist unklar. Denn das kantonale Amt für Raumentwicklung hat im Vorfeld mitgeteilt, dass kommunale Abstandsvorschriften für Windräder als nicht genehmigungsfähig erachtet werden. Personen, die der SVP nahestehen, haben in verschiedenen Gemeinden im Kanton Zürich vergleichbare Vorstösse für Mindestabstände eingereicht. Mehr dazu im hier und hier im Tages-Anzeiger.

Gibt es Möglichkeiten, damit Windanlagen von der lokalen Bevölkerung akzeptiert werden? Ja, zum Beispiel, in dem sich Bürger:innen daran beteiligen können. Bei diesem Modell gehört die Mehrheit einer Windanlage den Einwohner:innen. Die Wertschöpfung bleibt im Dorf, die Beteiligten können mitentscheiden. Solche Projekte sind in Escholzmatt LU sowie in Wikon AG geplant. In Deutschland sind bereits mehrere solcher «Bürgerwindparks» realisiert worden. Mehr dazu hier und hier auf SRF und im Zofinger Tagblatt (paywall).

Einen anderen Weg schlägt Umweltwissenschafter Robert Wade in der NZZ (paywall) vor. Erneuerbare Energien wie Wind und Sonne sollten als Gemeingut genutzt werden. Das Recht, den Wind zu nutzen, wäre dann im Besitz der öffentlichen Hand. Ähnlich wie bei Bürger:innen-Modellen profitiert dann auch die lokale Bevölkerung davon. Heute sind es nur die Landbesitzer, die Geld von den Elektrizitätsfirmen erhalten. Wade verweist auf das Beispiel von Irland, wo in der Verfassung steht, dass alle natürlichen Ressourcen, einschliesslich der Luft und jeglicher Art von potenzieller Energie, dem Staat gehören.

Strommangellage, EU-Stromabkommen und AKWs

Im Herbst 2022 hatte der Bundesrat entschieden, dass im aargauischen Birr ein Reservegaskraftwerk gebaut wird. Seit März 2023 ist es am Netz und käme bei einer Strommangellage zum Einsatz. Der Vertrag mit der GE Gas Power läuft noch bis April 2026, die Kosten für die dreijährige Laufzeit betragen 470 Millionen CHF. Nun hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass der Bundesrat dem Kraftwerke keine Betriebsbewilligung hätte erteilen dürfen. Es gab einer Anwohnerin recht, die sich mit Unterstützung von Klimastreik Schweiz wegen Lärm und Umweltbeeinträchtigung dagegen gewehrt hatte. Das Gericht hält fest, der Bundesrat habe nicht darlegen können, aufgrund welcher Annahmen er eine schwere Mangellage angenommen hatte. Allgemeine Verweise auf die politische Situation in Europa oder abgestellte Atomkraftwerke in Frankreich genügten nicht. Mehr dazu bei SRF, Wochenzeitung und Tages-Anzeiger.

Soll das Kraftwerk in Birr weiter als Reserve genutzt werden, muss der Bundesrat besser begründen, weshalb dies erforderlich ist. Das dürfte allerdings nicht einfacher werden. Denn zumindest in diesem Winter hatte die Schweiz im Winter mehr als genug Strom, wie GLP-Präsident Jürg Grossen analysiert hat. So ist von Oktober 2023 bis März 2024 mehr Strom nach Europa exportiert als importiert worden. Dafür haben laut Grossen gut gefüllte Stauseen und milde Temperaturen gesorgt, aber auch ein rückläufiger Stromverbrauch sowie der Ausbau der Solarenergie. Mehr dazu im Tages-Anzeiger.

Die Reservekraftwerke machen die Verhandlungen mit der EU über ein Stromabkommen komplizierter. Denn erhalten die Betreiber von Kraftwerken, die nicht laufen, Geld, könnte dies gegen das Beihilferecht der EU verstossen. Nach dem Willen der EU soll die Elektrifizierung und Dekarbonisierung möglichst wenig kosten. Werden überdimensionierte Reservekraftwerke entschädigt, würde dies dem Ziel zuwiderlaufen. Mehr dazu hier und hier in der NZZ (paywall).

Dennoch setzt der Bund weiter auf solche Notkraftwerke. Eine Ausschreibung für die Zeit ab 2026, wenn die Verträge mit Birr und weiteren, kleineren Kraftwerken auslaufen, ging Ende März zu Ende. Der Stromkonzern Axpo hat sich an der Ausschreibung beteiligt. Er will im Auhafen, auf Gebiet der Gemeinde Muttenz, ein Gaskraftwerk bauen. Die Axpo kündigte an, das Kraftwerk mit synthetischem Brennstoff CO2-neutral zu betreiben. Das ist aktuell Wunschdenken: Weil solche Brennstoffe vorerst nicht verfügbar sind, würde Erdgas eingesetzt. Mit einer Leistung von 340 Megawatt entspricht es dem Kraftwerk in Birr. Mehr dazu im hier und hier im Tages-Anzeiger.

Gleichzeitig hat die Axpo bekannt gegeben, dass sie eine längere Laufzeit des AKWs Beznau prüft. Beznau startete den Betrieb 1969 und ist die weltweit älteste Anlage. Bisher wollte Axpo das AKW um das Jahr 2030 definitiv vom Netz nehmen. Die Schweizerische Energie-Stiftung hält die Pläne der Axpo für unnötig und gefährlich. Bereits in zwei Jahren werde der Ausbau von Solar- und Windenergie die Produktion der AKWs Mühleberg, Beznau 1 und 2 ersetzt haben. Mehr dazu bei SRF, Tages-Anzeiger (paywall), Sonntagszeitung (paywall)  und NZZ (paywall).

Mit den Plänen der Axpo gewinnt ein Postulat von FDP-Präsident Thierry Burkart, das der Ständerat in der letzten Session angenommen hatte, an Aktualität. Der Vorstoss verlangt vom Bundesrat, er solle prüfen, welche «regulatorischen und finanziellen Rahmenbedingungen» geschaffen werden müssten, um die bestehenden Kernkraftwerke möglichst lange zu betreiben. Mit Blick auf die Versorgungssicherheit soll auch der Neubau von Kernkraftwerken geprüft werden. Mehr dazu auf SRF und in der NZZ (paywall).

Eine indirekte Form, in neue AKWs zu investieren, erwähten kürzlich Vertreter des französischen Aussendepartements gegenüber internationalen Journalist:innen. Das Land, das 14 neue Reaktoren bauen will, regte an, dass sich Länder wie die Schweiz, die selbst keine neuen AKW realisieren, aber Atomstrom aus Frankreich importieren, an den Kosten beteiligen. Die Schweizerische Energie-Stiftung hält die Äusserungen für Frankreichs für einen Versuch, die überbordenden Kosten im Atomsektor auf andere Staaten abzuwälzen. Frankreich werde die AKWs so oder so bauen. Mehr dazu im Tages-Anzeiger und in der NZZ am Sonntag.

SES-Studie zu Fehlanreizen beim Energieverbrauch

Der Bund hat gemäss Verfassung für einen sparsamen Umgang mit Energie zu sorgen. Wie eine Studie im Auftrag der Schweizerischen Energie-Stiftung (SES) zeigt, ist vielfach das Gegenteil der Fall: Viele gesetzliche Bestimmungen fördern den Energieverbrauch, statt ihn zu senken. Die vom Beratungsbüro EBP durchgeführte Untersuchung hat über 100 Fehlanreize identifiziert. Würden diese Fehlanreize eliminiert, könnte sehr viel Energie gespart werden. Allein für sieben vertieft untersuchte Bereiche könnten bis zu 10 TWh pro Jahr gespart werden. Das entspricht knapp 5% des gesamten Energieverbrauchs der Schweiz. Es geht um diese sieben Fehlanreize:

Die SES verlangt, dass Bundesrat, Parlament und Bundesverwaltung die gewichtigen Fehlanreize umgehend korrigieren und die Gesetzgebung des Bundes systematisch auf die Versorgungssicherheit, die Klimaschutzziele und das Energiesparen ausrichten. Mehr dazu auf SRF, ee-news und NZZ (paywall).

Der Klimakurs der Luftfahrt wirft Fragen auf

Kann die Luftfahrt bis 2050 klimaneutral werden? Ja, behauptet der Bundesrat in einem Bericht. Er kommt darin zum Schluss, dass das im Klimaschutzgesetz verankerte Ziel erreicht werden könne. Dies allerdings unter der fragwürdigen Annahme, dass der Flugverkehr bis 2050 nicht weiter zunimmt. Der Bericht wählte «eine von der Nachfrageentwicklung unabhängige Darstellung» und untersucht das Potenzial zur CO2-Reduktion mit der Annahme die Emissionen blieben auf dem Niveau von 2019. Das heisst, das erwartete Wachstum der Luftfahrt wird negiert. Internationale Behörden gehen in Europa von einer Zunahme von jährlich bis zu 3% aus. Der Schweizer Luftverkehr nahm von 1990 bis 2019 jedes Jahr um 8,5% zu. Sogenannte Nicht-CO2-Effekte, die der Flugverkehr verursacht (u.a. Bildung von Kondensstreifen), werden ebenfalls nicht berücksichtigt.

Die wichtigste technische Massnahme zur Reduktion der CO2-Emissionen sieht der Bundesrat im Einsatz nachhaltiger Flugtreibstoffe. Deren Herstellung ist jedoch sehr energieintensiv, und sie sind bis auf weiteres nicht in grossem Umfang verfügbar. Aktuell decken nachhaltige Flugtreibstoffe nur gerade 0,2% des jährlichen Bedarfs der Luftfahrtindustrie. Auch der Bundesrat räumt ein, dass es länger als bis 2050 dauern wird, um fossile Treibstoffe komplett zu ersetzen. Er geht davon aus, dass 10% bis maximal 23% der fossilen CO2-Emissionen nicht vermieden werden können. Diese sollen aus der Atmosphäre entnommen und gespeichert werden.

Auch die Swiss setzt auf das Abscheiden und Speichern von CO2. Die Fluggesellschaft hat einen Vertrag mit dem ETH-Startup Climeworks unterzeichnet. Weder zur Menge des herausgefilterten CO2 noch zu den Kosten machten die Unternehmen Angaben. Heute kostet die Entfernung einer Tonne CO₂ zwischen 600 und 1000 Dollar. Zur Einordnung: Wer in der Economy-Klasse nach New York fliegt, verursacht dadurch rund 2 Tonnen CO2. Wie ernst es der Swiss mit Klimaschutz, zeigt auch dies: Die Fluggesellschaft hält an den umstrittenen Inlandflügen zwischen Genf und Zürich fest, wie der Swiss-Chef Dieter Vranckx in einem Interview mit dem «Sonntagsblick» erklärte; mehr dazu im Tages-Anzeiger.

Die Lufthansa, die Muttergesellschaft der Swiss, hat kürzlich eine Vereinbarung mit Climeworks abgeschlossen, um über vier Jahre insgesamt 40’000 Tonnen CO2 zu kompensieren. Zum Vergleich: Der Luftfahrtkonzern hat letztes Jahr 23 Millionen Tonnen CO2 ausgestossen. Swiss und die Lufthansa sind die ersten Airlines, für die Climeworks CO2 aus der Luft filtern will. Das Unternehmen hat schon mit 170 über Firmenkunden Verträge abgeschlossen. Mehr dazu im Tages-Anzeiger und der NZZ (paywall).

Autos stossen mehr CO2 aus, als Hersteller angeben

Benzin- und Dieselautos stossen im Durchschnitt rund 20% mehr CO2 pro Kilometer aus, als die Hersteller angeben. Zu diesem Ergebnis kommt eine Untersuchung von 600’000 Autos, die im EU-Raum 2021 neu zugelassen worden sind. Besonders gross ist die Abweichung bei Plug-in-Hybride-Modelle: Sie stossen durchschnittlich dreieinhalbmal so viel CO2 aus, weil die Fahrer die Batterie nur selten laden und stattdessen den Benzintank füllen (Tages-Anzeiger hier und hier (paywall).

Auch bei den Elektrofahrzeugen ist die Schweiz im Rückstand. Bis 2025 soll jeder zweite Neuwagen ein Steckerauto sein. Nun rechnet der Elektromobilitätsverband Swiss E-Mobility, dass dieses Ziel deutlich verfehlt wird. Die 50%-Marke pro Jahr werde wohl erst 2029 erreicht. Warum ist das so? Weil Ladestationen zu Hause fehlen und diese von der öffentlichen Hand nicht ausreichend gefördert werden, glauben Branchenfachleute. Mehr dazu im Tages-Anzeiger (paywall). 2023 waren 21% der verkauften Neuwagen reine Elektroautos, 9,2% Plug-in-Hybride. Die Branche hatte mit einem stärkeren Wachstum gerechnet. Mehr dazu im Tages-Anzeiger (paywall).

Wie sich der Finanzmarkt dem Klimaschutz widersetzt

Nehmen Schweizer Banken und Versicherung ihre Klimaverantwortung war? Diese Frage beantwortet eine Studie von Greenpeace. Die Antwort: Nein. Die Finanzbranche nutzt die Möglichkeiten zu wenig, sich an Generalversammlungen der Firmen, von denen sie Aktien hält, für mehr Klimaschutz einzusetzen. Damit würden Banken und Versicherungen gegen die Versprechen verstossen, als aktive Investoren auf eine nachhaltigere Ausrichtung der Unternehmen zu drängen. So stimmte die UBS fast immer im Sinne der Unternehmen ab und lehnte es zum Beispiel ab, die Finanzierung von Öl- und Gasförderprojekten einzuschränken. Mehr dazu beim Onlinemedium tippingpoint und RTS.

Der Bund könnte den Finanzplatz zu mehr Klimaschutz verpflichten. Doch der Nationalrat hat in der Frühlingssession mehr Kompetenzen für den Bundesrat abgelehnt, um die Geldflüsse von Banken und Versicherungen klimaverträglicher zu machen. Eine entsprechende Motion von Gerhard Andrey wurde verworfen. Damit kann sich die Finanzbranche weiterhin freiwillige Regeln geben, wie sie die Pariser Klimaziele erreichen will. Bis heute haben Banken und Versicherungen mit ihren Vorschriften nur geringe Fortschritte erzielt. Alliance Sud, WWF und Greenpeace kritisieren den Entscheid des Nationalrats. Noch dieses Jahr will Greenpeace zusammen mit anderen Organisationen die Volksinitiative für einen nachhaltigen Finanzplatz lancieren, um die Branche auf Klimakurs zu bringen.

Die Unternehmen, von denen Schweizerische Nationalbank Aktien hält, haben letzte Jahr 10,2 Millionen Tonnen CO2 ausgestossen. Weitere 2 Mio. t fallen über Unternehmensanleihen an, welche die SNB hält. Das entspricht rund einem Viertel der Inlandemissionen der Schweiz. Diese Zahlen sind dem neusten Nachhaltigkeitsbericht der SNB zu entnehmen. Bei ihrer Anlagepolitik berücksichtigt die SNB keine klimapolitischen Kriterien, sondern hält sich ausschliesslich an geld- und währungspolitische Ziele. Nur bei den internen Emissionen setzt sich die SNB Klimaziele. So sollen die CO2-Emissionen bis 2030 gegenüber dem Referenzjahr 2017 um 50% gesenkt werden. 2023 betrug der Ausstoss 2860 Tonnen CO2. Dies entspricht rund 0.02 Prozent der über Finanzanlagen resultierenden Treibhausgase. Mehr dazu in der NZZ (paywall).

Dass die Nationalbank Klimarisiken bei ihrer Geldpolitik berücksichtigen müsste, zeigt eine in Communications Earth & Environment erschienene Studie auf. Die Forschenden weisen nach, dass der Klimawandel die Preisstabilität, eine der Kernaufgaben von Nationalbanken, gefährden kann. Mehr dazu in einem Linkedin-Post von Georg Klingler von Greenpeace.

Internationale Klimapolitik

Weltweit vor Gericht fürs Klima

Nicht nur die Schweizer Klimaseniorinnen wollen mehr Klimaschutz, immer häufiger wird in Gerichtssälen überall auf der Welt für mehr Klimaschutz gekämpft. Wir fassen hier einige der spannendsten Fälle zusammen:

Über 30 Klagen gegen die US-Ölindustrie

Vor sechs Jahren haben Städte in Kalifornien damit begonnen, Ölkonzerne vor Gericht zu bringen. Diese Firmen hätten die Öffentlichkeit jahrzehntelang irregeführt, indem sie die Gefahren der Klimakrise abgestritten oder verharmlost hätten, lautet der Vorwurf. Bis heute wurden in den USA rund 30 solcher Klagen von Städten, Bundesstaaten und indigenen Stämmen eingereicht. Sie wollen damit erreichen, dass die Ölindustrie für die Kosten des Klimawandels bezahlen muss.

Um sich davor zu schützen, haben die Ölkonzerne versuchten, die Klagen an Bundesgerichte zu verlagern, die deutlich wirtschaftsfreundlicher sind. Im vergangenen Jahr lehnte es der Oberste Gerichtshof der USA jedoch dreimal ab, Argumente für eine Verlegung dieser Fälle anzuhören. Die Verzögerungstaktik der Ölkonzerne ist somit erst einmal gescheitert und die Gerichtsfälle können weitergeführt werden. Mehr dazu in Grist.

US-Bundesstaaten wollen Ölfirmen zur Verantwortung zu ziehen

Die oben erwähnten zivilgerichtlichen Klagen sind zwar wichtig, aber das US-Justizsystem ist langsam und entscheidet oft im Sinne der Industrie. Nun will der Bundesstaat Vermont einen neuen Weg gehen, um die Ölindustrie zu zwingen, für die gewaltigen Schäden der Überschwemmungen des letzten Sommers aufzukommen. Klimakatastrophen sollen in Zukunft wie Giftmülldeponien behandelt werden. Das Superfund-Gesetz der USA verlangt, dass Chemieunternehmen, die einen Standort verschmutzt haben, für die komplette Sanierung bezahlen müssen. Vermont will dieses Gesetz nun auf Klimaschäden anwenden. Mehrer andere Staaten wollen ähnlich vorgehen. Die Ölindustrie versprach wenig überraschend, vor Gericht zu gehen, falls sie für ihre Schäden zur Verantwortung gezogen wird. Mehr bei E&Enew und Grist.

Fleischgrosshändler verklagt – veganes Fleisch ebenfalls

Der brasilianische Lebensmittelriese JBS, der weltweit grösste Fleischgrosshändler, wurde vom Generalstaatsanwalt von New York verklagt, weil er die Öffentlichkeit über seine Auswirkungen auf die Umwelt getäuscht habe, um seinen Umsatz zu steigern. Der Konzern versprach, bis 2040 netto null Treibhausgasemissionen zu erreichen. Das sei jedoch irreführend, da der Konzern gleichzeitig die Fleischproduktion steigern wolle und zudem die Emissionen aus der Abholzung des Amazonas und seiner Lieferketten nicht in seinem Klimaziel berücksichtigt habe. JBS wurde wiederholt mit der illegalen Abholzung des Amazonas in Verbindung gebracht. Mehr bei Reuters.

Nicht gegen Fleisch, sondern gegen vegane Fleischersatzprodukte will man in der Schweiz vorgehen. Anfang 2023 reichte das Eidgenössische Departement des Innern beim Bundesgericht Beschwerde ein. Es soll nicht mehr erlaubt sein, dass vegane Fleischersatzprodukte als «Fleisch», z.B. «Planted Chicken» bezeichnet werden. Sollte das Bundesgericht in den kommenden Monaten entscheiden, das Tier in veganen Produkt­namen zu verbieten, wäre die Schweiz das erste Land, das eine solche Massnahme ergreift, in anderen Ländern laufen aber ähnliche Bemühungen. Die obersten EU-Richter haben 2017 bereits im Fall von Milch­produkten ein solches Verbot ausgesprochen. Die Republik berichtet ausführlich darüber.

Weitere Nachrichten zum Thema Fleisch: Amerikanische Banken untergraben ihre eigenen Klimaverpflichtungen, indem sie Fleisch-, Molkerei- und Futtermittelkonzerne finanzieren, so ein Bericht von Friends of the Earth. Mehr dazu im Guardian.

Fluggesellschaft des Greenwashings schuldig

Ein niederländisches Gericht hat entschieden, dass die Fluggesellschaft KLM ein «zu rosiges Bild» von der Nachhaltigkeit des Flugverkehrs gezeichnet hat. Der Fall wurde von Umweltorganisationen im Rahmen der europäischen Vorschriften über falsche Werbung angestrengt. Das Urteil enthält jedoch keine Aufforderung, die Aussagen zu korrigieren, sondern lediglich die Aufforderung an KLM, bei künftigen Mitteilungen «ehrlich und konkret» zu sein. Mehr dazu bei DW.

Immer mehr Länder verlassen Energiechartavertrag

Grossbritannien ist aus dem Energiechartavertrag ausgestiegen und folgt damit Deutschland, Frankreich, Spanien und anderen europäischen Ländern. Das multilaterale Handelsabkommen wurde 1994 abgeschlossen, um westliche Investitionen in die Energiesektoren der ehemaligen Sowjetstaaten voranzutreiben. Gleichzeit ermöglicht das Abkommen Investoren, Regierungen zu verklagen, wenn Änderungen in der Energiepolitik ihre Gewinne beeinträchtigen könnten. Das haben sich Ölkonzerne zunutze gemacht, um die Energiewende aufzuhalten. So verwiest der deutsche Energiekonzern RWE auf den Vertrag, um die niederländische Regierung wegen ihres geplanten Ausstiegs aus der Kohleverstromung zu verklagen.

Die Schweiz ist nach wie vor Mitglied des Energiechartavertrages, mehr dazu hier und hier.

Klimatologe gewinnt Verleumdungsklage

Der renommierte Klimawissenschaftler Michael Mann hat in einem Prozess gegen zwei konservative Blog-Autoren mehr als 1 Million US-Dollar zugesprochen bekommen. Die Blogger hatten Manns Forschung infrage gestellt und ihn mit einem verurteilten Kinderschänder verglichen. Das Urteil könnte als Warnung für diejenigen dienen, die Klimawissenschaftler:innen angreifen. Mehr bei Nature.

Die Hürden für Bidens Elektrofahrzeug-Plan

Der Verkehr verursacht in den USA mehr Emissionen als alle anderen Sektoren. Die Regierung Biden hat nun neue Emissionsgrenzwerte eingeführt, um die Elektrifizierung des Verkehrs voranzutreiben. Damit die neuen Abgasgrenzwerte erfüllen werden, müssten bis 2032 56% der verkauften Neuwagen emissionsfrei sein und weitere 16% Hybridfahrzeuge.

Die neue Verordnung ist ambitioniert, denn der Anteil der Elektrofahrzeuge bei den Neuwagenverkäufen beträgt heute in den USA nur knapp 8%. Es gibt jedoch eine Reihe von Faktoren, die Bidens Plan zum Scheitern bringen könnten.

Elektrofahrzeuge sind Teil des US-Kulturkampfes geworden. Eine Gallup-Umfrage zeigt, dass 71% der Republikaner kein Elektroauto kaufen würden, verglichen mit 17% der Demokraten. Donald Trump drückt sich in Bezug auf Elektrofahrzeuge zunehmend brutaler aus. Er behauptet, sie würden die amerikanische Autoindustrie «vernichten» und bezeichnet Elektrofahrzeuge als «Mörder» von Arbeitsplätzen.

Zwei Drittel der amerikanischen Autohändler:innen verkaufen laut einem Bericht des Sierra Clubs keine Elektrofahrzeuge. Für den Widerstand der Händler gibt es mehrere Gründe: Die Gewinnmargen für EVs sind geringer. Vielleicht noch wichtiger ist, dass Händler:innen fast die Hälfte ihres Gewinns mit der Wartung der Fahrzeuge erzielen. Für Elektrofahrzeuge gibt es weniger Teile, sie müssen viel seltener in die Werkstatt und sind billiger im Unterhalt als fossilbetriebene Autos und Lastwagen.

Auch die Ölindustrie wehrt sich gegen die neuen Grenzwerte. Es wird erwartet, dass eine Koalition aus fossilen Unternehmen und republikanischen Anwälten gegen die neue Regelung klagen wird.

Trotz der vielen Hindernisse ist die neue Regelung ein wichtiger Schritt. Elektrofahrezuge sind das am schnellsten wachsende Segment auf dem amerikanischen Automarkt. Es wird erwartet, dass in den nächsten Jahren eine Welle von billigeren und leistungsfähigeren Modellen auf den Markt kommt. Mehr in der NY Times (paywall).

Investitionen in erneuerbare Energien steigen

Die Investitionen in die Energiewende sind im Jahr 2023 auf einen Rekordwert von 1,8 Billionen Dollar gestiegen, laut dem neusten Bericht von BloombergNEF. Das ist zwar dreimal so viel wie 2019, aber immer noch nicht genug,  um das 1,5 Grad-Klimaziel zu erreichen.

Das grösste Wachstum gab es beim elektrifizierten Verkehr. China investierte mit 676 Milliarden Dollar (38% der weltweiten Summe) am meisten. Die EU, die USA und das Vereinigte Königreich investieren 2023 zusammen noch mehr als China. In Deutschland, der zweitgrössten OECD-Volkswirtschaft, stieg der Anteil der erneuerbaren Energien 2023 am gesamten Stromverbrauch deutlich von etwa 45 % auf fast 53 %. Das Ziel der Regierung, bis 2030 einen Anteil von 80 % an erneuerbaren Energien zu erreichen, ist nach wie vor in Reichweite, aber der Ausbau der Windenergie muss vorangetrieben werden. In den Entwicklungsländern besteht nach wie vor ein erheblicher Mangel an Investitionen. Mehr bei BloombergNEF, renewableenergyworld.com und World Economic Forum.

Europäische Klimapolitik

Erneuerbare Energien EU-weit auf dem Vormarsch

Die EU macht vorwärts mit erneuerbaren Energien. 2023 wurde im Vergleich zum Vorjahr 19% weniger CO2 im Stromsektor ausgestossen und mit einem Anteil von 44% wurde das erste Mal die 40-Prozentmarke bei der grünen Stromproduktion überschritten. Das zeigt der neue Bericht des unabhängigen Thinktanks Ember. Die Kohleverstromung ist um über ein Viertel eingebrochen und Windenergie hat erstmalig mehr Strom produziert als Gaskraftwerke.

EU-Gebäuderichtlinie verabschiedet

Nach jahrelangen Verhandlungen hat nun auch der Europäische Rat den Kompromiss zur EU-Gebäuderichtlinie als letztes großes Vorhaben des „Fit for 55“-Pakets zugestimmt. Im Kern stehen Sanierungsverpflichtungen durch das Erreichen von Mindestenergieeffizienzstandards. Etwa 40 % des Energieverbrauchs und 36 % der Treibhausgasemissionen in der EU stammen aus Gebäuden. Bis 2035 sollen bei Wohngebäuden etwa 20-22 % Energie eingespart werden, vor allem durch die Sanierung von besonders schlecht isolierten Gebäuden. Klimaschützer kritisierten die Regelungen für unzureichend (siehe WWF oder DUH). Ein breites Bündnis aus Umwelt-, Verbraucherschutz- und Wirtschaftsverbänden machen in einem 10-Punkte-Plan Vorschläge für eine ambitionierte und sozial gerechte Umsetzung der EPBD. Es komme nun auf die nationale Umsetzung an, um voll Wirkung entfalten zu können, so die Verbände. Eine Zusammenfassung der neuen Richtlinie bietet Handwerk+Bau.

«German Vote» macht Deutschlands unglaubwürdig

Ohne die deutsche Stimme ist es schwierig, die notwendigen Mehrheitsverhältnisse nach EU-Recht zu erreichen, um neue EU-Gesetzesvorhaben durchzubringen. In letzter Zeit kam es öfters vor, dass Deutschland während der Trilog-Verhandlungen (neben EU-Parlament und EU-Rat sind auch Vertreter der EU-Kommission beteiligt) Massnahmen zwar zugestimmt hatte. Doch kurz vor den entscheidenden Abstimmungen im EU-Rat machte Deutschland einen Rückzieher und enthielt sich. De facto kommt eine solche Enthaltung einer Nein-Stimme gleich. Vor allem die kleinste Regierungspartei FDP hat in den vergangenen Monaten häufig in letzter Minute ihr Veto eingelegt, insbesondere bei Umwelt- und Klimagesetzgebung (z.B. bei den CO2-Grenzwerten für LKW oder der EU-Verpackungsverordnung). Dies verärgert andere Mitgliedsstaaten, da Deutschlands so kein verlässlicher Partner mehr ist und Gesetzesprozesse unnötig verlängert werden. Dieses Verhalten wird umgangssprachlich als «German Vote» bezeichnet. Mehr dazu etwa bei ZDF und beim Handelsblatt.

Europäisches Lieferkettengesetz kommt

Mit dem EU-Lieferkettengesetz sollen europaweite Standards zur Einhaltung von Umwelt-, Arbeits- und Menschenrechtsstandards für Unternehmen eingeführt werden. Trotz eines Kompromisses im Dezember 2023 kam es Anfang Februar erneut zu einem deutschen Rückzieher, ausgelöst durch die FDP. Der Kompromissvorschlag sei für europäische Unternehmen zu bürokratisch und belastend, so die FDP. Diese erneute «German Vote» sorgte nur wenige Tage vor der finalen Abstimmung im Rat europaweit für Aufruhr. Dennoch konnte im März auch ohne die Zustimmung Deutschlands ein neuer Kompromiss erzielt werden. Mehr dazu bei der FAZ.

Doch im Vergleich zum ursprünglichen Vorschlag der Kommission und des zäh ausgehandelten Kompromisses vom Dezember 2023 wurden die Vorlage deutlich abgeschwächt: Nur Unternehmen mit mehr als 1000 Mitarbeitenden und einem Umsatz von über 450 Millionen Euro müssen künftig sicherstellen, dass entlang der gesamten Lieferkette EU-Rechte und Normen eingehalten werden. Umweltverbände kritisierten die Abschwächung sowie die Rolle der Bundesregierung dabei scharf. Der Deutsche Naturschutzring hat eine Analyse der Kritik und weiterführende Informationen zusammengestellt. Auch Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International kritisierten die Bundesregierung deutlich.

Fossile Firmen sollen sich an Klimafinanzierung beteiligen

Auf der diesjährigen Weltklimakonferenz, die im November in Baku, Aserbaidschan, stattfindet, wird der Schwerpunkt vor allem auf der Diskussion über internationale Klimafinanzierung liegen. Dabei steht die zentrale Frage im Mittelpunkt, wie viel die wohlhabenden Industrienationen den ärmeren Ländern im globalen Süden zahlen sollten, um die verheerenden Auswirkungen der Klimakrise zu bewältigen. In einer gemeinsamen Presseerklärung sprachen sich die Aussenminister:innen der EU dafür aus, neue und innovative Finanzquellen zu erschliessen, insbesondere aus der fossilen Industrie oder emissionsintensiven Sektoren, um die Klimafinanzierung im globalen Süden zu unterstützen. Darüber hinaus sollten auch vergleichsweise wohlhabende Länder wie China oder die Länder des Nahen Ostens ihren Beitrag zur Klimafinanzierung leisten, so die EU-Minister:innen. Gemäss der OECD beläuft sich der Finanzbedarf ärmerer Länder jährlich auf über eine Billion Euro. Mehr dazu bei Reuters und E3G.

Europäisches Parlament wird zum 10. Mal gewählt

Vom 6. bis 9. Juni 2024 werden etwa 360 Millionen Bürger:innen der EU dazu aufgerufen sein, ihre Vertreter:innen im EU-Parlament zu wählen. Neueste Umfragen deuten darauf hin, dass vor allem rechte Parteien mit mehr Stimmen rechnen können. Euractiv und Politico stellen die neuesten Wahlumfragen zusammen. Rechte und rechtsextreme Parteien stehen einem ambitionierten Umwelt- und Klimaschutz skeptisch bis deutlich ablehnend gegenüber. Gemäss den neuesten Ergebnissen des Eurobarometers haben lediglich 16 Prozent der Befragten «Klima- und Umweltschutz» als wichtigstes Thema für die EU genannt. Mehr dazu bei Clean Wire Energy. Dies entspricht einer Halbierung im Vergleich zur Eurobarometer-Umfrage vor den EU-Wahlen 2019. Damit ist es nur noch das viertwichtigste Thema, nach der Migration, der internationalen Situation und der Inflation. Umweltverbände wie der WWF versuchen durch öffentliche Kampagnen für das Umweltthema mehr Zustimmung zu bekommen. Die Festlegung eines Klimaziels für das Jahr 2040 und die geeigneten politischen Massnahmen zur Umsetzung werden als klimapolitischen Prioritäten für die kommende Legislaturperiode der EU erwartet.

Deutschland

Emissionsziele 2023 zwar eingehalten, aber…

Mitte März präsentierte Klimaschutzminister Habeck die Emissionszahlen für das Jahr 2023. Die Gesamtemissionen sind im Vergleich zum Vorjahr um über zehn Prozent gesunken, dank dem starken Ausbau der erneuerbaren Energien. Die Umweltverbände bemängeln jedoch, dass dieser Erfolg kaum auf strukturellen Änderungen beruhe, sondern vor allem auf einen milden Winter und eine schwächelnde Wirtschaft aufgrund von Krisen wie dem Krieg in der Ukraine (siehe DNR). Der Gebäude- und Verkehrssektor haben erwartungsgemäss die Jahresziele zum wiederholten Male verpasst. Laut neuen Prognosen ist insgesamt die Einhaltung der 2030-Ziele aufgrund einer Reihe neuer Gesetzgebung zwar potenziell möglich. Allerdings ist das Ziel, bis 2045 klimaneutral zu sein, noch nicht in Sicht. Die DUH kritisierte den Bericht scharf.

Solaranlagen brauchen weniger unverbaute Fläche

Oft ist es schwierig, neue Solaranlagen auf Freiflächen zu realisieren, da es häufig zu Nutzungskonflikten mit der Landwirtschaft oder mit dem Naturschutz kommt. Eine neue Studie des Öko-Instituts zeigt nun, dass die Ziele des Solarenergieausbaus auch ohne Anlagen auf Freiflächen erreicht werden könnten. PV-Anlagen auf vorbelasteten und bereits versiegelten Flächen (z.B. Dächer, Parkplätze, Randstreifen, Gewerbegebiete) könnten den benötigten Zubau decken. Ein breites Bündnis aus Umweltverbänden fordert seit Jahren, gerade diese Flächen stärker in den Fokus zu rücken und etwa einen ambitionierten «Solardachstandard» einzuführen (s. DNR).

Passend zum Thema hat Climate Action Network Europe (CAN Europe) Anfang April einen vergleichenden Bericht zum Solarausbau auf Dächern in der EU veröffentlicht. Insgesamt sei der Trend beim Solarausbau positiv.

Ein Jahr danach: Deutschland ohne Atomstrom

Am 15. April nähert sich der erste Jahrestag des Ausstiegs aus der Atomenergie in Deutschland. Nach einem langen Hin und Her wurden im April 2023 die letzten drei sich noch am Netz befindenden deutschen Atomkraftwerke abgeschaltet. Befürchtungen vor Blackouts, steigenden Strompreisen oder eines Comebacks des Kohlestroms haben sich nicht bewahrheitet. Neue Stromtarife sind in Deutschland so günstig wie lange nicht mehr – sogar günstiger als vor des Beginns des Ukrainekrieges (s. FAZ) – und der Anteil der Erneuerbaren am Strommix steigt kontinuierlich. So lag der Anteil von erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung 2023 bereits bei 56%. Mehr beim statistischen Bundesamt.

Transformation für Grossindustrie vorantreiben

Die Bundesregierung will mit sogenannten Klimaschutzverträgen die Transformation von grossen Industrieanlagen zur Klimaneutralität beschleunigen: Die Regierung übernimmt einen Teil der Transformationskosten und die Unternehmen zahlen diese zurück, sobald sich die Investitionen auszahlen. Sowohl Wirtschafts- als auch Umwelt- und Klimaschutzverbände loben die Einführung dieses Instruments als weiteren Baustein zur Erreichung der Klimaneutralität. Mehr bei Tagesschau.de und bei Klimaschutzverträge.info.

Die sichtbare Klimakrise

Erderwärmung beschleunigt sich

Es wird immer deutlicher, dass sich die Erderwärmung beschleunigt. Zwischen 1970 und 2008 wärmte sich die Erde alle zehn Jahre etwa um 0,18 °C. In den letzten 15 Jahren hat sich das Tempo auf 0,3 °C fast verdoppelt.

Es gab jedoch immer wieder wissenschaftliche Bedenken, dass die verstärkte Erwärmung in den letzten Jahren vor allem auch auf natürliche Faktoren wie einige Vulkan- und El-Nino-Aktivitäten sowie verstärkte Sonnenfleckenereignisse zurückzuführen war. Nun hat Prof. Housefather, ein bekannter Klimaphysiker, auf der Grundlage der jüngsten Einschätzungen von Atmosphärenforschern gezeigt, dass die Beschleunigung der Erwärmung ausschliesslich auf die Emission von Treibhausgasen zurückzuführen ist.

Mit der Verringerung der Luftverschmutzung – Aerosole, die einerseits die Gesundheit schädigen, aber andererseits die Atmosphäre gekühlt haben – schreitet die Erwärmung nun schneller voran. Mehr bei Carbon Brief.

Die neusten Zahlen der US-Klimabehörde NOAA zeigen, dass weltweiten Konzentrationen von CO2, Methan und N2O – die drei wichtigsten Treibhausgase – im vergangenen Jahr Rekordwerte erreichten. Der CO2-Gehalt in der Atmosphäre liegt um 50% über den vorindustriellen Werten, jener von Methan um 160% darüber.

Weiterhin viel zu hohe Temperaturen

2023 lag die weltweite Durchschnittstemperatur um 1,45 Grad über dem Niveau vor der Industrialisierung (1850 bis 1900). Dies zeigt der Bericht «State of the Global Climate» der Weltwetterorganisation (WMO). Bei zahlreichen Klimaindikatoren wie den Oberflächentemperaturen, der Erwärmung und Versauerung der Ozeane oder dem Anstieg des Meeresspiegels wurden Rekordwerte erreicht. «Die Sirenen schrillen bei allen wichtigen Indikatoren. Und die Veränderungen beschleunigen sich», sagte Uno-Generalsekretär António Guterres. Mehr dazu bei SRF und Tages-Anzeiger (paywall).

Auch Anfang 2024 wurden viel zu hohe Temperaturen gemessen. Von Juni 2023 bis März 2024 haben die durchschnittlichen Land- und Meeresoberflächentemperaturen in allen zehn Monaten die bisherigen Rekordwerte übertroffen, wie neuste Zahlen des EU-Klimawandeldiensts Copernicus zeigen. Die globale Durchschnittstemperatur für die vergangenen zwölf Monate von April 2023 bis März 2024 liegt um 1,58 Grad über dem vorindustriellen Durchschnitt. Mehr dazu hier und hier in der NY Times (paywall) und in der Zeit.

Meeresforscher:innen beobachten die Temperaturzunahme der Ozeane mit Sorge. Besonders ausgeprägt ist die Zunahme im Nordatlantik, wie Daten der amerikanischen Klimabehörde NOAA zeigen. Mehr dazu in der NY Times (paywall) und der NZZ (paywall).

Wie aussergewöhnlich die Entwicklung ist, zeigt folgende Grafik:

Grafik: Quelle: NZZ / https://climatereanalyzer.org/clim/sst_daily/

Was die Folgen von Dürre sind, führt eine Reportage der NY Times (paywall) über Afghanistan vor Augen. Das Land ist besonders durch den Klimawandel gefährdet. Weil der Regen seit mehreren Jahren ausgeblieben ist, wird die Bevölkerung ganzer Landstriche vertrieben. Millionen von Kindern sind unterernährt, und Besserung ist nicht Sicht.

Der Klimawandel macht Hitzewellen wahrscheinlicher und verändert gleichzeitig deren Verlauf. Eine in Science publizierte Studie zeigt, dass sich Hitzewellen langsamer ausbreiten und dadurch länger dauern. In jedem Jahrzehnt zwischen 1979 und 2020 verlangsamte sich die Ausbreitungsgeschwindigkeit von Hitzewellen um etwa acht Kilometer pro Tag. Sie dauern nun im Durchschnitt vier Tage länger. Dies hat starke Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit, betonen die Studienautor:innen. Je länger sich Hitzewellen an einem Ort halten, desto länger sind die Menschen lebensbedrohlichen Temperaturen ausgesetzt. Mehr dazu in der NY Times (paywall).

Klimaanpassung wird schwieriger

Die derzeitigen Bemühungen, die Auswirkungen der Klimakrise auf der ganzen Welt zu bewältigen, reichen nicht aus. Und diese sogenannte Anpassungslücke (Differenz zwischen erforderlichen und bereits umgesetzten Massnahmen) wird immer grösser, wie der aktuelle IPCC-Bericht zeigt. Eine Studie von CarbonBrief macht nun deutlich, dass die Anpassungsmassnahmen in einem wärmer werdenden Klima zudem auch deutlich an Wirkung verlieren.

Die Forschenden fokussieren auf Anpassungsoptionen in Bezug auf Wasserknappheit in der Landwirtschaft. Steigt die weltweite Temperatur auf 2 Grad, geht die Wirksamkeit von Anpassungsmassnahmen um einen Viertel zurück. Bei einem Anstieg um 4 Grad sind die gleichen Massnahmen nur noch halb so wirksam. Zu den untersuchten Massnahmen gehören die Wahl besser geeigneter Pflanzenarten oder reduzierte Bodenbearbeitung.

Die Ergebnisse zeigen, dass eine wirksame Klimaanpassung nur dann möglich ist, wenn gleichzeitig ehrgeizige Massnahmen ergriffen werden, um die Erwärmung auf 1,5°C zu begrenzen. Klimaanpassung stelle keine Alternative zur Reduktion dar und dürfe auch nicht vorgeschoben werden, um Anstrengungen zur Treibhausgasverminderung zu verzögern, betonen die Studienautor:innen. Mehr dazu bei CarbonBrief. 

Neues aus der Klimawissenschaft

Kippt die lebenswichtige Ozeanzirkulation bald?

Die Atlantischen Umwälzzirkulation (AMOC) sorgt dafür, dass riesige Wassermengen im Atlantik zirkulieren können und so auch das Klima regulieren. Der für das europäische Klima so wichtige Golfstrom ist ein Teil dieses Strömungssystems. Wissenschaftler:innen beobachten schon seit einigen Jahren, dass diese Zirkulation an Kraft verliert. Eine neue Studie in Science Advances bestätigt nun, dass sich die AMOC auf einen Kipppunkt zubewegt. Wird dieser überschritten, bricht sie zusammen.

Die Auswirkungen wären katastrophal. In Nordeuropa von Grossbritannien bis Skandinavien käme es z.B. zu einer Abkühlung der Wintertemperaturen um 10 °C bis 30 °C innerhalb eines Jahrhunderts. Bereits innerhalb von ein oder zwei Jahrzehnten würde dies zu einem völlig anderen Klima führen. Darüber hinaus würde sich der tropische Niederschlagsgürtel erheblich verschieben. Diese und viele weitere Auswirkungen eines Zusammenbruchs der AMOC sind seit langem bekannt, wurden aber bisher noch nicht in einem so detaillierten Klimamodell gezeigt.

Eine in Nature veröffentlichten Studie kam 2023 zum Schluss, dass der Kipppunkt mit grosser Wahrscheinlichkeit (95%-Konfidenzniveau) schon zwischen 2025 und 2095 erreicht sein könnte. Die neue Studie unterstützt diese Resultate und bestätigt auch frühere Bedenken, dass Klimamodelle die Stabilität der AMOC systematisch überschätzen.

Der Klima- und Meeresforscher Stefan Rahmsdorf kommentiert: «Angesichts der Auswirkungen ist das Risiko eines Zusammenbruchs der AMOC um jeden Preis zu vermeiden. Die Frage ist nicht, ob wir sicher sind, dass dies passieren wird. Es geht darum, dass wir es mit einer Wahrscheinlichkeit von 99,9% ausschliessen müssen. Sobald wir ein eindeutiges Warnsignal haben, wird es angesichts der Trägheit des Systems zu spät sein, etwas dagegen zu unternehmen.»

Mehr zu Kipppunkten erklärt Stefan Rahmsdorf in der Republik: Würden Sie in ein Flugzeug steigen, das mit einer Wahrscheinlichkeit von 10 Prozent abstürzt? Zahlreiche Berichte warnen eindringlich vor Kipppunkten, etwa der OECD-Bericht über Klima-Kipppunkte vom Dezember 2022 und der im Dezember 2023 veröffentlichten Bericht über globale Kipppunkte. Mehr dazu auch bei Real Climate von Stefan Rahmsdorf und im Tagesanzeiger (paywall).

Wie die atlantische Umwälzzirkulation funktioniert:

Warmes Oberflächenwasser vom Äquator zirkuliert in die höheren Breitengrade. Dort trifft das Wasser auf starke Winde und kalte Lufttemperaturen, die es kälter und dichter werden lassen. Dieses kalte, dichte Wasser sinkt in die Tiefen des Ozeans ab und wird dann in der Tiefe wieder nach Süden befördert, wodurch eine förderbandartige Schleife entsteht.

Zunehmende Regenfälle, die Abschmelzung des grönländischen Eises und Schmelzwasser von tauenden Gletschern auf den Kontinenten verdünnen den Nordatlantik. Dadurch sinken der Salzgehalt und die Dichte des Meerwassers: Es wird leichter und sinkt dadurch deutlich langsamer in die Tiefe. Doch genau diese Absenkbewegung ist ein entscheidender Antrieb der Umwälzzirkulation. Wird sie zunehmend schwächer, hört die Zirkulation auf. Das war vor ca. 12‘000 Jahren das letzte Mal der Fall und hat damals eine Eiszeit in Europa ausgelöst.

Illustration von Caesar et al., Nature 2018

Frauen leiden stärker unter dem Klimawandel

Extreme Hitze macht einige der ärmsten Frauen der Welt noch ärmer. Zu diesem Schluss kommt eine Studie der FAO. Dafür wurden Wetter- und Einkommensdaten in 24 Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen analysiert. Zwar ist Hitzestress für alle ländlichen Haushalte kostspielig. Doch für Haushalte, die von einer Frau geführt werden, sind die Auswirkungen gravierender. So verlieren Haushalte mit weiblichem Haushaltsvorstand bereits heute 8% mehr ihres Jahreseinkommens als andere Haushalte. Ein Grund dafür ist, dass Auswirkungen der Klimakrise bestehende Ungleichheiten von Frauen noch verschärfen. Sie verfügen seltener über Landbesitz. Das führt dazu, dass sie weniger Zugang zu wichtigen Dienstleistungen wie Krediten, Ernteversicherungen und landwirtschaftlichen Beratungsdiensten haben, die ihnen bei der Anpassung an den Klimawandel helfen.

Gemäss der FAO-Studie sind Frauen auch stärker von den langfristigen Auswirkungen der globalen Erwärmung betroffen: Wenn die Durchschnittstemperatur um 1 Grad steigt, verlieren Haushalte, die von Frauen geführt werden, 34% mehr Einkommen als andere Haushalte. Auch von Überschwemmungen sind Frauenhaushalten stärker betroffen. Mehr dazu im Guardian und der NY Times (paywall).

Die komplexe Klimawirkung von Wäldern

Die Abholzung der Wälder schreitet fort

Weltweit wurde nach Angaben des World Resources Institute (WRI) im vergangenen Jahr eine Fläche von fast der Grösse der Schweiz abgeholzt. Das entspricht zehn Fussballfeldern pro Minute. In Brasilien und Kolumbien ist die Entwaldung erfreulicherweise zwar deutlich zurückgegangen, um 36% bzw. 49% im Vergleich zum Vorjahr. Dennoch gehört Brasilien neben der Demokratischen Republik Kongo und Bolivien immer noch zu den drei Ländern, die am meisten Regenwald abholzen. Zusammen waren die drei Länder im vergangenen Jahr für mehr als die Hälfte der gesamten weltweiten Zerstörung verantwortlich. Mehr dazu im Guardian.

Wälder können eine wichtige kühlende Wirkung haben, aber auch aufheizen

Eine Nature-Studie aus dem Jahr 2021 zeigte, dass die meisten bewaldeten Gebiete stärker bewölkt sind. Das senkt die Temperaturen, weil mehr Sonnenlicht reflektiert wird. Ein neuer Artikel in Nature zeigt einen weiteren kühlenden Effekt auf: In Wäldern wird die Wasserverdunstung durch die Transpiration erhöht, was die Umgebung kühlt. Die Aufforstung kann also sowohl CO2 binden als auch die lokalen Temperaturen senken.

Doch die Klimawirkung von Wäldern ist komplex. Eine weitere Studie zeigt, dass durch die Aufforstung von Wäldern zwar CO2 gespeichert wird, sich dadurch aber die Umgebung aufwärmen kann, vor allem wenn die Erdoberfläche durch den neuen Wald dunkler geworden ist. Der sogenannte Albedo-Effekt zusammen mit Auswirkungen auf Ozon, Methan und Aerosole führen dazu, dass der Nettoklimaeffekt der Aufforstung je nachdem 15-30% kleiner ist, als wenn nur das gespeicherte CO2 betrachtet wird. Mehr bei The Conversation und bei Inside Climate News.

Auch unsere Wälder sind bedroht

Auch die Wälder in unseren Breitengraden sind bedroht. Das liegt an der erhöhten Nutzung, an Hitze und Trockenheit und am Befall mit Schädlingen wie Borken- oder Buchenprachtkäfern sowie Parasiten und Pilzen. Sind Bäume durch Klimaextreme geschwächt, können sie sich dagegen nicht mehr so gut wehren. Welche Arten in Zukunft in unseren Wäldern gedeihen können, muss nun erforscht werden. Mehr dazu beim Öko-Institut.

Zur erhöhten Nutzung und Frage, ob Holz zur Energiegewinnung eingesetzt werden sollte, sagt Dr. Hennenberg: «Aus Treibhausgassicht ist es immer besser, den Kohlenstoff gespeichert zu halten, in Wäldern – wenn diese gesund sind – oder als langlebiges Holzprodukt», «Darüber hinaus sind die Emissionen bei der Verbrennung von Holz mit 367 kg CO2 je Kilowattstunde erzeugter Energie deutlich höher als bei Erdgas oder Heizöl. Hier liegen sie bei 202 beziehungsweise 288 kg CO2 pro kWh. Wir müssen zuerst aus den fossilen Energien und dann aus der Holzverbrennung aussteigen – übrigens auch, weil dabei Feinstaub entsteht, der die Gesundheit belastet.» Eine sinnvolle Alternative zur Holzenergie sei etwa die Wärmepumpe, die mit erneuerbarem Strom betrieben wird. Mehr dazu beim Öko-Institut.

Aktiv gegen Hoffnungslosigkeit

Viele von uns fühlen uns immer wieder hoffnungslos, ob der schieren Wucht der vielen schlechten Nachrichten und der langsamen politischen Veränderungen. Hoffnungslosigkeit und ein «Es-ist-eh-zu spät» führen nicht nur dazu, dass wir uns schlecht fühlen. Es demotiviert uns auch, zu handeln. Das zeigt eine neue Studie, für die 60’000 Menschen aus aller Welt befragt wurden.

Ähnlich sieht es des renommierte US-Forscher Michael Mann in seinem neuen Buch. Nicht nur die Klimaleugner, sondern auch die Hoffnungslosen würden den Klimaschutz untergraben. Der Atmosphärenforscher Adam Sobel erklärt, dass die Angst vor der Zukunft und der Klimakrise mittlerweile Teil des Menschseins geworden ist. Wichtig sei, dass wir uns weiterhin engagieren.

Dank der direkten Demokratie der Schweiz können (und sollen) wir uns immer wieder engagieren und mitentscheiden. Hier die Übersicht über aktuelle Initiativen und Abstimmungen:

Mit der App CO2-Footprint Coach kannst du deinen CO2-Fussabdruck analysieren und senken.

Last but not least ein Zitat aus einem Artikel von Barbara Bleisch und vier weiteren Philosoph:innen im Tagesanzeiger (paywall). Sie haben die wichtigsten Argumente in der Klimadebatte auf ihre Tauglichkeit geprüft:

«Der Zeitpunkt und vor allem das Ausmass vieler Klimawandelfolgen stehen nämlich keineswegs fest. Im besten Fall könnte es uns noch gelingen, einen Grossteil des Planeten bewohnbar zu halten und für uns und andere Spezies eine gedeihliche Zukunft zu sichern. Im schlimmsten Fall hinterlassen wir eine auf Dauer verwüstete Erde. Der Unterschied zwischen diesen Szenarien ist enorm und reicht völlig aus, um entschlossenes Handeln zu rechtfertigen.»

Editorial

In dieser Nummer berichten wir ausführlich darüber, wie mit dem CO2-Gesetz eine Chance für ambitionierten Klimaschutz verpasst wird. Und wie unterschiedlichen die Ansätze sind, über die rund um die Förderung erneuerbarer Energien diskutiert wird. Wir erläutern, was weltweit bei den Wahlen in vielen Ländern auf dem Spiel steht und weisen auf die vergessenen Emissionen des Militärsektors hin. Weiter ordnen wir die neuen Klimaziele der EU ein. Wir berichten über die Klimarekorde im 2023 und die rasante Gletscherschmelze an den Polen.  Wir fassen neue Narrative der Klimaleugnung zusammen und stellen verrückte Lösungsansätze und Handlungsoptionen vor.

Schweiz

Das CO2-Gesetz bleibt zahnlos

Mit dem revidierten CO2-Gesetz soll für den Zeitraum 2025-2030 festgeschrieben werden, mit welchen Instrumenten die Schweiz die Treibhausgase gemäss dem Pariser Klimaschutzabkommen gegenüber 1990 halbiert. In der Dezembersession hat der Nationalrat eine etwas weniger mutlose Version als zuvor der Ständerat angenommen. So sollen mehr der Emissionsreduktionen im Inland erzielt werden und der Bau von Ladeinfrastrukturen für Elektroautos mit Einnahmen aus der Mineralölsteuer unterstützt werden. Wie der Ständerat will aber auch der Nationalrat auf eine Erhöhung der CO2-Abgabe, sowie auf eine Abgabe auf Flügen mit Privatjets verzichten. Mehr dazu auf srf.ch.

In der kommenden Wintersession (26.2. bis 15.3.2024) behandelt der Ständerat das CO2-Gesetz zum zweiten Mal. Geht es nach dem Willen der vorberatenden Kommission (UREK), verharrt der Ständerat auf seiner Position und schliesst sich dem Nationalrat nicht an. Der Ständerat lehnt ein Reduktionsziel im Inland ab, was zu noch mehr Auslandzertifikaten führen würde. Auch von einer finanziellen Unterstützung für Ladestationen will er nichts wissen. Mehr dazu bei cash.ch.

Warum im CO2-Gesetz ein ambitioniertes Inlandziel verankert werden muss, zeigt Marcel Hänggi, Vater der Gletscherinitiative, in der NZZ (paywall) auf. Das Klimaschutzgesetz (KlG), das im Sommer 2023 vom Volk angenommen wurde, gibt konkrete Reduktionsziele ab 2031 vor. Ab diesem Zeitpunkt müssen die Reduktionen im Inland erfolgen. Die Ziele können aber nur erreicht werden, wenn die Emissionen bereits bis 2030 im Inland genügend sinken. Im andern Fall, also beim Verzicht auf ein Inlandziel, würden die Ziele verfehlt und damit der Volkswillen missachtet, erläutert Hänggi.

Noch bevor sich National- und Ständerat auf das revidierte CO2-Gesetz geeinigt haben, beschäftigen sich die Räte bereits mit einer Initiative für ein «neues schlankes und wirksames CO2-Gesetz». Unter diesem Titel hatte Gerhard Pfister, Präsident der Mitte-Partei, eine parlamentarische Initiative eingereicht. Sie sieht ab 2030 eine Lenkungsabgabe auf allen Treibhausgasessmissionen vor, also auch auf Benzin und Diesel. Im Januar hat die Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie (UREK) des Ständerats den Vorstoss knapp abgelehnt. Mehr dazu hier und hier im Tages-Anzeiger.

Wie wird das Klimaschutzgesetz umgesetzt?

Im Sommer 2023 wurde das Klimaschutzgesetz (KIG) an der Urne angenommen. Nun hat der Bundesrat die Verordnung vorgestellt, mit der er die vorgesehenen Förderprogramme im Umfang von 3,2 Milliarden Franken realisieren will. Gemäss dem Vernehmlassungsentwurf sollen die Vorschriften Anfang 2025 in Kraft treten. Bei der Unterstützung vom Heizungsersatz soll der Fokus auf Mehrfamilienhäuser liegen, weil hier die kantonale Förderung zu wenig wirksam sei. Ein zweiter Schwerpunkt bildet der Ersatz von ineffizienten Elektroheizungen durch erneuerbare Heizsysteme. Verschoben hat der Bundesrat hingegen Massnahmen, damit die Bundesverwaltung die im KIG verlangte Vorbildfunktion erfüllen kann.

Bereits im Herbst hatte der Verein Klimaschutz Schweiz (er hatte die Gletscherinitiative zugunsten des Klimaschutzgesetzes zurückgezogen) die schleppende Umsetzung des Gesetzes kritisiert. Nun befürchtet er, dass das KIG in zentralen Punkten verwässert wird.

Noch eine Abstimmung zur Energiepolitik und weitere Klima-Initiative

Über die Einführung des «Bundesgesetzes über eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien» (Mantelerlass) wird das Volk abstimmen. Das Bündnis Natur & Landschaft Schweiz, der Verein Freie Landschaft Schweiz und die Fondation Franz Weber haben Mitte Januar genügend Stimmen für das Referendum eingereicht. Auch das Carnot-Cournot-Netzwerk, ein Thinktank aus Atomenergiebefürworter:innen, sammelte Unterschriften gegen das Gesetz.

Im Herbst hatten sich National- und Ständerat auf verbindliche Ausbauziele für erneuerbare Energie bis 2035 und im Gegenzug auf Lockerungen beim Naturschutz geeinigt. Die Organisationen, welche Unterschriften sammelten, betonen, mit dem Mantelerlass werde das Interesse am Bau grosser Energieanlagen systematisch über den Schutz von Natur und Landschaft gestellt. Dies stehe im Widerspruch zur Verfassung. Mehr dazu im Tages-Anzeiger und hier und hier (paywall) in der NZZ.  In der Wochenzeitung ist zu lesen, weshalb die Grünen des Kantons Graubünden die Auenlandschaften dadurch bedroht sehen und warum sie das Gesetz ablehnen. In der NZZ (paywall) erläutert Hans Weiss, Landschaftsschutz-Pionier und einer der Köpfe des Referendumskomitees, weshalb er den Mantelerlass bekämpft.

Am 9. Juni wird über das Gesetz abgestimmt. Bereits jetzt bringen die Befürworter:innen ihre Argument vor. Der Mantelerlass sei ein wesentlicher Schritt für eine sichere und erneuerbare Energieversorgung. Er ermögliche es, die Klimaziele einzuhalten und sorge für verlässliche Rahmenbedinungen sowie Planungssicherheit. Mehr dazu in der NZZ (paywall), bei der Schweizerischen Energiestiftung, beim WWF und dem Verein energie-wende-ja.

Noch rund zwei Jahre wird es dauern, bis über eine weitere Klima-Initiative abgestimmt wird: über die Volksinitiative «für eine Zukunft» der Jungsozialist:innen  (Juso). Angang Februar sind die erforderlichen Unterschriften eingereicht worden. Das Volksbegehren will eine Erbschaftssteuer von 50% einführen. Der Vorstoss zielt auf sehr vermögende Personen – die Steuer soll erst ab einem Freibetrag von 50 Millionen CHF erhoben werden. Die Initiant:innen  schätzen, dass damit pro Jahr rund sechs Milliarden CHF zur Bekämpfung der Klimakrise und zum Umbau der gesamten Wirtschaft zur Verfügung stehen. 2015 war letztmals über eine nationale Erbschaftssteuer abgestimmt worden. Damals lehnten es 71% der Stimmbürger:innen ab, auf Erbschaften und Schenkungen eine Abgabe von 20% zu erheben. Mehr dazu im Tages-Anzeiger.

Rekordhitze und ihre Auswirkungen

2023 war in der Schweiz das zweitwärmste Jahr seit Messbeginn. Die durchschnittliche Jahrestemperatur lag um 1,4 Grad höher als in der Periode von 1991 bis 2020, wie dem Klimabulletin 2023 von MeteoSchweiz zu entnehmen ist. Gegenüber der Zeit von 1961 bis 1990 hat sich die Jahrestemperatur um 2,6 Grad erhöht.

Die Schweizer Bevölkerung nimmt die klimatischen Veränderungen wahr, wie eine Befragung des Bundesamts für Statistik zeigt. 41% der Befragten beurteilt die Veränderungen als stark, 48% als leicht. Frauen erleben den Klimawandel stärker als Männer.

Die Klimaerwärmung hat die Nullgradgrenze in der Schweiz ansteigen lassen. In den letzten 150 Jahren ist sie um 200 bis 700 Meter angestiegen, besonders stark im Winter, schreibt der Tages-Anzeiger (paywall). Zwischen 1871 und 1900 lag die durchschnittliche Nullgradgrenze im Winter noch auf der Höhe der Städte Bern, Basel oder Zürich. Inzwischen ist sie auf die Höhe von Einsiedeln (883 Meter über Meer) geklettert. Auch im Sommer erwärmen sich die Luftschichten bis in grosse Höhen. So erreichte die Nullgradgrenze über der Schweiz im August die Rekordhöhe von 5298 Meter. Um die Höhe der Nullgradgrenze zu bestimmen, werden seit 1954 von Payerne aus Wetterballone gestartet. Mehr dazu bei Meteo Schweiz.

Wie die Erwärmung, die zunehmende Trockenheit im Sommer und das Abschmelzen der Gletscher die Berglandwirtschaft in der Schweiz beeinflusst, zeigt eine Reportage der NY Times (paywall).

2200 vermeidbare Todesfälle durch Feinstaub und Stickoxid

Luftverschmutzung führt in der Schweiz jedes Jahr zum Tod Tausender Menschen. Würde unser Land die aktuellen Vorgaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zur Luftqualität einhalten, liessen sich jährlich über 2200 dieser Todesfälle vermeiden. Dies entspricht rund 23’850 verlorenen Lebensjahren. Zu diesem Schluss kommt ein Bericht des Tropen- und Public-Health-Instituts (Swiss TPH) im Auftrag des Bundesamts für Umwelt. Zudem könnten jährlich rund 9000 Fälle von chronischem Lungenleiden, 5000 Demenzerkrankungen und 1100 Fälle von Asthma bei Erwachsenen verhindert werden.

Hintergrund der Studie ist die Verschärfung der Luftqualitätsrichtlinien der WHO für Feinstaub und Stickoxid. Die neuen Werte, die seit 2021 gelten, wurden aufgrund neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse angepasst. Die Schweiz hat dies noch nicht umgesetzt. Die aktuellen Immissionsgrenzwerte der Luftreinhalte-Verordnung richten sich an den Vorgaben der WHO von 2005. Feinstaub entsteht durch Holzfeuerungen in Haushalten, in der Industrie, im motorisierten Verkehr (Verbrennungsmotoren und Reifenabrieb) und in der Landwirtschaft. Stickoxide werden von Dieselmotoren, der Landwirtschaft (Ammoniak) und der Industrie verursacht. 2023 hatte die Eidgenössische Kommission für Lufthygiene empfohlen, die WHO-Richtwerte zu übernehmen. Laut dem Bafu wird es aber einige Jahre dauern, bis die Empfehlung umgesetzt wird. Mehr dazu im Tages-Anzeiger.

Zweifel an freiwilliger CO2-Reduktion der Industrie

Nach dem geltenden CO2-Gesetz können sich Firmen, die viel Energie verbrauchen, von der CO₂-Abgabe befreien lassen. Voraussetzung ist, dass sie sich ein Ziel setzen, um den Ausstoss ihrer Treibhausgasen zu reduzieren. Nun zeigt ein Bericht der Eidgenössischen Finanzkontrolle, dass die Vorgaben «nicht anspruchsvoll genug» sind.  Zudem gelten seit Beginn dieser Ausnahmeregelung die gleichen Anforderungen, obwohl die CO₂-Abgabe in der gleichen Zeit mehrmals erhöht wurde. Mit den beteiligten Unternehmen wurde eine CO₂-Reduktion von durchschnittlich 12% vereinbart. Diese wurde zwar mit 19% Rückgang übertroffen. Doch im gleichen Zeitraum hat die gesamte Schweizer Industrie 20% weniger CO₂ ausgestossen. Deshalb rät die Finanzkontrolle dazu, die Anforderungen an beteiligte Unternehmen zu verschärfen.

Economiesuisse und weitere Wirtschaftsverbände weisen die Kritik zurück. Bei der CO2-Reduktion der gesamten Industrie werde nicht berücksichtigt, dass Firmen ihre Produktion ins Ausland verlagert oder aufgegeben hätten. Ein Beispiel ist die Schliessung der Raffinerie Collombey, die sehr viele Emissionen ausgestossen habe. Die Finanzkontrolle weist die Kritik der Verbände zurück.

Der Befund der Finanzkontrolle ist auch deshalb relevant, weil mit der Revision des CO2-Gesetzes neu alle Firmen an dem Programm zur Abgabebefreiung teilnehmen können. Mehr dazu hier, hier und hier im Tages-Anzeiger, in der NZZ und auf srf.ch.

Die Stromversorgung weiterhin im Fokus

Die Schweiz will bis zum Jahr 2035 die Stromproduktion aus Sonne, Wind, Holz und Biogas versechsfachen. Wie dieses Ziel erreicht werden kann, haben Forschende der Universitäten Genf und Bern sowie der ETH Lausanne und Zürich analysiert. Ihre Studie zeigt drei Strategien auf, die den künftigen Strombedarf decken und gleichzeitig tausende Arbeitsplätze schaffen. Bei allen drei Möglichkeiten hat Solarstrom den grössten Anteil (70-88%). Eine Variante konzentriert sich auf die produktivsten Standorte und setzt stärker auf Windenergie. Eine andere umfasst auch in grösserem Ausmass Biomasseanlagen. Je nach Strategie werden pro Jahr Investitionen zwischen 0,5 und 2,1 Milliarden Franken nötig. Die Variante mit dem höheren Windanteil wäre die günstigste, jene mit mehr Biomasse am teuersten.

Kurzfristig schlägt der Bundesrat einen anderen Weg ein, um die Stromversorgung zu sichern. Er setzt auf fossile Reservekraftwerke. Die Verträge, die der  Bund für Anlagen in Birr, Cornaux und Monthey abgeschlossen hat, laufen bis 2026. Für die Zeit danach läuft eine neue Ausschreibung. Doch das Interesse der Stromkonzerne ist gering, das finanzielle Risiko sei zu gross. Nun ist der Bundesrat den Firmen entgegengekommen. Künftig sollen die Betreiber der Reservekraftwerke die Projektierung und die erforderlichen Vorleistungen nicht selber bezahlen müssen; die Kosten dafür tragen die Stromkonsument:innen. Klimafachleute und -aktivist:innen kritisieren, die fossilen Reservekraftwerke seien unnötig und würden dem vom Volk angenommenen Klimaschutzgesetz widersprechen. Mehr dazu im Tages-Anzeiger.

Solarstrom: 2023 hat sich der Bau neuer Photovoltaikanlagen in der Schweiz nochmals beschleunigt. Gemäss dem Branchenverband Swissolar wurden 40% mehr Leistung installiert als im Vorjahr. Dies ermöglicht im laufenden Jahr eine Stromproduktion von rund 6 TWh, was rund 10% des Stromverbrauchs der Schweiz entspricht. Das Wachstum betraf kleinere wie auch grössere Anlagen. Mehr dazu im Tages-Anzeiger.

Weniger schnell geht der Ausbau alpiner Solaranlagen voran. Diesen wollte das Parlament mit der Solaroffensive beschleunigen. Um die versprochenen Subventionen von bis zu 60% der Investitionen zu erhalten, müssen die Anlagen bis Ende 2025 Strom liefern. Gemäss einer Aufstellung des Verbands Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen sind derzeit 54 alpine Solarprojekte in Planung. Doch erst für sieben ist bisher ein Baugesuch publiziert worden, wie eine Übersicht des BFE zeigt. Seit 2023 hat die Bevölkerung  in den Standortgemeinden 16 Bauvorhaben zugestimmt, mehr als rund 10 Projekte wurden abgelehnt, schreibt die Aargauer Zeitung.

Nun hat Energieminister Albert Rösti im Tages-Anzeiger gesagt, dass die Frist verlängert werden könnte. Er meinte, es finde sich sicher eine Lösung, damit Projekte mit den Fördermitteln realisiert werden könnten. Kritiker der Solaroffensive aus der SVP sind der Ansicht, für eine Verlängerung brauche es einen Beschluss des Parlaments.

Drei weitere Solarprojekte haben einen Rückschlag erlitten: Die Gemeindeversammlungen in Surses, GR, in Hasliberg, BE, und Albinen, VS, haben geplante Solarparks abgelehnt. In Surses/Savognin wollte das Elektrizitätswerk der Stadt Zürich auf einer Fläche von über 90 Fussballfeldern Hektaren Strom für 20’000 Haushalte produzieren. Die NZZ sieht in der Ablehnung ein «Symbol für die Mühen der Schweizer Klimapolitik; mehr dazu im Tages-Anzeiger. Im Skigebiet von Hasliberg war eine Anlage für 4500 Haushalte geplant, in Albinen für 17’000 Haushalte; mehr dazu im Bund (paywall), nau.ch und energate.

Einen Schritt weiter sind zwei Solarprojekte im Bündnerland: Gegen die Baugesuche für die Solarkraftwerke Klosters und Laax wurden keine Einsprachen erhoben; der Bauentscheid der Behörden wird im Spätsommer erwartet, schreibt die Südostschweiz (paywall). Gegen die Anlage im Gantrisch-Gebiet (Alp Morgeten) haben hingegen mehrere Umweltschutzorganisationen Einsprache eingereicht (Tages-Anzeiger, paywall).

Der Tages-Anzeiger hofft, dass die Ablehnung der Solarprojekte dazu führt, dass der Bund die Solar-Offensive stoppt und den Ausbau von PV-Anlagen auf bestehenden Bauten vorantreibt. In der NZZ erklärt Boris Previsic vom Urner Forschungsinstituts Kulturen der Alpen, warum er alpine Solaranlagen für sinnvoll hält und warum er kleine Wasserkraftwerke entfernen will, um den Verlust an Artenvielfalt zu stoppen. Wie gross das Potenzial für Solarstrom entlang von Autobahnen ist, zeigt der Tages-Anzeiger (paywall).

Auch der Ausbau der Wasserkraft verzögert sich. Beim geplanten Triftstausee haben die beiden Umweltorganisationen Aqua Viva und Grimselverein Beschwerde gegen die Konzessionserteilung eingereicht. Sie argumentieren, dass das Gebiet rund um den grössten natürlichen Gletschersee der Schweiz ins Bundesinventar der Auen von nationaler Bedeutung aufgenommen und damit unter Schutz gestellt werden müsse. Mehr dazu im Beobachter und auf srf.ch.

Bei der Windenergie soll es hingegen vorangehen. Seit dem 1. Februar 2024 ist die Windenergie-Offensive in Kraft. Die entsprechende Anpassung der Energieverordnung hat der Bundesrat beschlossen. Im Juni 2023 hatte sich das Parlament auf das dringliche Bundesgesetz geeinigt, das die Bewilligungsverfahren für Windenergieanlagen von nationalem Interesse beschleunigt. Neu erteilen kantonale Behörden die Baubewilligung, nicht wie bisher die Gemeinden. Beschwerden ans Bundesgericht sind nur noch bei Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung zulässig. Mehr dazu bei nau.ch.

Wie srf.ch aufzeigt, könnten elf Windprojekte, die derzeit in Planung sind und bei denen das Bewilligungsverfahren läuft, vom Windexpress profitieren. Würden sie realisiert, würde dies 150’000 Haushalte mit Strom versorgen. Dies entspricht der Hälfte des Zubaus, der mit dem Windexpress anvisiert wird. Neue Anlagen werden mit dem Gesetz gemäss Branchenfachleuten aber nicht angepackt; die Verfahren dauerten noch immer zu lange.

Der Verein Freie Landschaft Schweiz will verhindern, dass die Bewilligungsregeln vereinfacht werden. Die Landschaftsschützer:innen haben eine Volksinitiative lanciert, um in der Verfassung festzuschreiben, dass «betroffene und stark beeinträchtigte Gemeinden» zwingend über Windprojekte abstimmen müssen. Eine zweite Initiative des Vereins verlangt neue Windräder zu verbieten, die im Wald oder im Abstand von bis zu 150 Metern zum Wald oder zu leicht bewaldeten Flächen geplant sind. Auch ist eine rückwirkende Klausel vorgehen: Anlagen, die nach dem 1. Mai 2024 erstellt worden sind und die neuen Anforderungen nicht erfüllen, sollen abgebrochen werden.

Umweltverbände wie WWF und Greenpeace lehnen die Initiativen ab und befürchten eine weitere Verzögerung der Energiewende. Mehr dazu im Tages-Anzeiger (paywall) und in der Solothurner Zeitung (paywall). Die NZZ am Sonntag (paywall) porträtiert Elias Vogt, den Präsident des Verbands Freie Landschaft Schweiz.

Windräder stellen für Vögel eine Gefahr dar. Doch wie gross sind die Auswirkungen auf Vogelpopulationen im Vergleich zu jenen von Anlagen zur Förderung von Öl und Gas? Diese Frage beantwortet eine neue Studie in «Environmental Science & Technology», für welche eine Vogelzählungen in den USA der Jahre 2000 bis 2020 analysiert wurde. In dieser Zeit wurden Windkraft und Anlagen zur Gewinnung Öl und Gas massiv ausgebaut. Die Untersuchung zeigt, dass neue Öl- oder Gasbohrungen den Vogelbestand deutlich reduzieren. Bei den Windkraftanlagen fanden die Forschenden hingegen keine negativen Auswirkungen, weder auf die Grösse von Vogelpopulationen noch auf die Anzahl vorhandener Vogelarten. Mehr dazu im Tages-Anzeiger.

Für eine Volksinitiative zur Atomenergie sind die verlangten 100’000 Unterschriften gesammelt worden. Unter dem Titel «Jederzeit Strom für alle (Blackout stoppen)» will die Initiative das 2017 vom Volk beschlossene Bauverbot für neue Kernkraftwerke aufgeheben. Lanciert wurde der Vorstoss vom Energie Club der Schweiz.

Dahinter steht die Familie Aegerter mit dem Milliardär Daniel, seinem Bruder und den Eltern. Ein Porträt der Familie und über ihren Kampf für Atomenergie ist in der NZZ am Sonntag (paywall) zu lesen. Der Präsident des Dachverbandes der Schweizer Strombranche lehnt die Initiative ab. Eine Atomdiskussion bringe nichts, es brauche mehr erneuerbare Energie, sagte er der NZZ am Sonntag (paywall). Mehr dazu in 20 Minuten.

Wie sauber ist Energie aus Wasserstoff?

Mit Wasserstoff können Fahrzeuge angetrieben und in Industrieprozessen, die sehr hohe Temperaturen erfordern, direkt Erdgas und Kohle ersetzt werden. Europa will den Energieträger fördern, die Schweiz sucht den Anschluss an ein länderübergreifendes Wasserstoffnetz. So will die Betreiberin der Schweizer Erdgaspipeline, Flux Swiss, ihr Netz für Wasserstoff nutzen. Ein entsprechendes Gesuch sei bereits bei der EU eingereicht, berichtet die NZZ. Swiss Flux verlangt, dass sich der Bund und die EU an den Investitionen für die Umrüstung beteiligen.

Doch die Technologie birgt Risiken, wie Anthony Patt, ETH-Professor für Klimaschutz und -anpassung, in einem Beitrag darlegt. Für die Produktion von grünem Wasserstoff, der saubersten Variante, wird erneuerbare Energie genutzt. Dieser Prozess ist jedoch sehr ineffizient. Wenn Wasserstoff zur Wärme- oder Stromerzeugung eingesetzt wird, geht mehr als die Hälfte der aufgewendeten Energie verloren. Eine direkte Stromnutzung, z.B. durch Wärmepumpen im Gebäudesektor, ist also viel effizienter.

Wird Wasserstoff aus Erdgas hergestellt, hat er eine schlechte Klimabilanz. Die Kapazitäten für grünen Wasserstoff hängen direkt davon ab, wie viel erneuerbarer Strom zur Verfügung steht. «Wir alle sollten vorsichtig mit Wasserstoff umgehen», verlangt der ETH-Professor, «und ihn nur dort einsetzen, wo es keine besseren Alternativen gibt.» Das sind vor allem Industrieprozesse, nicht aber der Gebäudebereich oder PKWs. Mehr dazu in der NZZ (paywall). Follow the Money berichtet, wie Lobbyist:innen EU-Politiker:innen Wasserstoff als Lösung verkauften.

Wie der Abriss von Gebäuden dem Klima schadet

Jahr für Jahr werden in der Schweiz Tausende Häuser abgerissen, Tendenz steigend. Das hat nicht nur soziale Folgen, sondern ökologische. Das Onlinemagazin Republik und das Recherche-netzwerk «Correctiv» machen dazu eine Serie. Sie zeigt, dass Ersatzneubauten (Abriss und Wiederaufbau eines Gebäudes) zwar den Energiebedarf und Treibhausausstoss im Betrieb der Gebäude verringern. Gleichzeitig braucht es für Neubauten jedoch grosse Mengen an Baumaterialien, deren Herstellung viel Energie und Ressourcen brauchen, sogenannte grauer Energie. Zudem fallen beim Abbruch bestehender Gebäude erhebliche Mengen an Abfall an: Hoch- und Tiefbau sind für über 80% des gesamten Schweizer Abfall­aufkommens verantwortlich. Im Schnitt entfallen ein Drittel der CO2-Emissionen eines Gebäudes auf den Bau, zwei Drittel auf den Betrieb. Anhand konkreter Bauprojekte wird vorgerechnet, dass sich die Sanierung bestehender Gebäude aus ökologischer Sicht lohnt.

Umstrittener Autobahnausbau und sozialverträgliche Verkehrspolitik

Der Verkehrs-Club der Schweiz (VCS) und der Verein Umverkehr haben das Referendum gegen den Autobahnausbau eingereicht. In der Herbstsession 2023 hatte das Parlament 5,3 Milliarden Franken dafür bewilligt, die A1 streckenweise auf sechs oder acht Spuren auszubauen. Mehr dazu im Tages-Anzeiger und auf srf.ch.

Ungeachtet der diesen Sommer oder Herbst erwarteten Abstimmung über den Autobahnausbau hat das Parlament bereits entschieden, dass weitere Ausbauschritte folgen sollen. Nach dem Nationalrat hat im Dezember auch der Ständerat einer Motion zugestimmt, welche die A1 auf der gesamten Länge zwischen Bern und Zürich und zwischen Lausanne und Genf auf mindestens sechs Spuren ausbauen will. Verkehrsminister Albert Rösti sprach «von einem Signal für die Zukunft.» Über einzelne Ausbauprojekte werden das Parlament entscheiden und auch das Volk, falls gegen die Beschlüsse wiederum das Referendum ergriffen wird. Mehr dazu auf srf.ch und nau.ch.

30. September 2023 – das Bundesamt für Statistik wählt jeweils diesen Stichtag – waren in der Schweiz 6,45 Millionen motorisierte Strassenfahrzeuge unterwegs. Drei Viertel davon sind Personenwagen. Dies entspricht einer Zunahme von rund 40’000 Fahrzeugen gegenüber dem Vorjahr. Würden die zusätzlichen Fahrzeuge Stossstange an Stossstange aneinandergereiht, ergäbe dies eine Kolonne von 175 km Länge. Die Zahl der neuen Zulassungen stieg um 12% auf 256’000. Bei jeder Fünften handelte es sich um ein reines Elektroauto. Aufladbare Hybridfahrzeuge (Plug-in-Hybride) machten 9% aller Neuzulassungen aus.

Was braucht es, damit die Klimapolitik sozialverträglich ist? Dies zeigt Caritas Schweiz in einem Positionspapier für den Verkehr auf. Sollte eine CO2-Abgabe auf Benzin und Diesel eingeführt, so müsste ein Grossteil der Einnahmen an die Bevölkerung zurückverteilt werden. So würden Menschen mit tiefen Einkommen für ihr klimaverträgliches Verhalten belohnt. Um finanziell schwächere Haushalte zu unterstützen, regt Caritas die Schaffung eines Klimasozialfonds an. Dieser könnte aus Einnahmen aus Emissionshandelssystemen oder einem allfälligen Mobility Pricing geäufnet werden. Zudem müssten Sozialtarife für den öffentlichen Verkehr eingeführt werden, damit Menschen in prekären finanziellen Situationen die klimafreundlichen Angebote nutzen können. Dabei könnte die KulturLegi der Caritas als Ausweis dienen.

Helion-Studie zum Umweltverhalten

Wie klimafreundlich schätzen Schweizer:innen ihr Verhalten ein? Was hindert sie daran, ökologischer zu leben? Und wo sollten in der Klimapolitik die Schwerpunkte gesetzt werden? Antworten liefert eine Studie des Forschungsinstituts Sotomo. Die repräsentative Befragung von 3000 Personen gab das Solarunternehmen Helion, eine Tochter des Autoimporteurs AMAG, in Auftrag. Sie zeigt, dass die Bevölkerung mehr Tempo bei den Massnahmen gegen den Klimawandel und für die Umsetzung der Energiewende will. Erneuerbare Energien wie Wind und Sonne werden zu langsam ausgebaut.

Das eigene Verhalten schätzt die Mehrheit der Befragten als zu positiv ein: 56% sind der Meinung, sie würden sich klimafreundlicher als die Schweizer Bevölkerung verhalten. Personen zwischen 18 und 35 Jahren haben einen grösseren CO2-Fussabdruck als der Rest der Bevölkerung. Dies deshalb, weil jüngere Menschen im Schnitt deutlich mehr fliegen. Mehr dazu im Tages-Anzeiger und auf srf.ch.

Klimarelevante Entscheide von Bund und Kantonen

Konsument:innen sollen darüber informiert werden müssen, ob Lebensmittel mit dem Flugzeug importiert wurden. Dies verlangt eine parlamentarische Initiative. Davon betroffen wären Früchte, Gemüse, Fisch und Fleisch. Flugtransporte von Lebensmitteln weisen einen grossen Umweltfussabdruck auf. Die Umweltorganisation WWF und die Stiftung für Konsumentenschutz begrüssen die Deklarationspflicht. Abgelehnt wird sie von der IG Detailhandel, welche die Interessen von Migros, Coop und Denner vertritt. Auch kleinere Händler sind dagegen; sie befürchten administrativen Zusatzaufwand. Mehr dazu im Tages-Anzeiger.

Seit Anfang Februar steht das renommierte Klima- und Wettermodell ICON allen Interessierten unter einer «Open-Source»-Lizenz zur Verfügung. Ermöglicht hat dies ein Forschungsteam aus Deutschland und der Schweiz mit Beteiligung der Empa. Damit wollen sie die Wissenschaft transparenter machen und neue Impulse in der Forschung ausgelöst werden.

Der Stadtrat von Zürich will CO2 aus dem Klärschlamm einfangen und speichern. Das soll dazu beitragen, damit die Stadt bis 2040 klimaneutral wird. Vorgesehen ist, Klärschlamm zu trocknen und zu verbrennen. Das dabei entstehende CO2 soll gefiltert, verflüssigt und nach Nordeuropa transportiert werden, um es dort langfristig im Meeresgrund zu speichern. Über die erforderlichen Investitionen von 35 Millionen Franken und jährlich anfallenden Kosten von 14 Millionen Franken werden der Gemeinderat und das Stimmvolk entscheiden. Die neue Anlage soll bereits 2028 in Betrieb gehen. Mehr dazu auf srf.ch und in der NZZ.

Internationale Klimapolitik

Globales Wahljahr

Mehr als 40 Länder, in denen etwa die Hälfte der Weltbevölkerung lebt – darunter die Vereinigten Staaten, Indien und Südafrika – werden in diesem Jahr ihre Politiker wählen. Hier das Wichtigste mit Blick auf die Klimapolitik:

USA und UK: Klimapolitik auf dem Spiel

Republikaner:innen und Demokrat:innen liegen in Sachen Klimakrise weit voneinander entfernt. Während Präsident Biden mit dem Inflation Reduction Act das wichtigste Klimagesetz der USA unterzeichnete, hat der ehemalige Präsident Trump, der sehr wahrscheinlich als republikanischer Kandidat antreten wird, die USA aus dem Pariser Abkommen austreten lassen. Die Republikaner haben eine umfassende Strategie mit dem Namen Projekt 2025 vorbereitet, falls Trump das Weisse Haus zurückerobert. Der Plan sieht vor, Klimagesetze rückgängig zu machen und die Produktion fossiler Brennstoffe anzutreiben. Mehr dazu im Guardian.

Das Klima könnte auch bei den Wahlen in Grossbritannien eine Rolle spielen. Sie wurden zu einem zentralen Streitpunkt zwischen der Labour Party und der regierenden Conservative Party, die in den Umfragen zurückliegt. Premierminister Rishi Sunak hat einige der ehrgeizigsten klimapolitischen Massnahmen des Landes gestrichen hatte. Mehr beim Guardian und bei Carbon Brief.

Indien, Indonesien und Südafrika: Die Zukunft der Kohle

In Südafrika könnten die Wahlen beeinflussen, wie schnell das Land auf erneuerbare Energien umsteigt. Eine Schwächung der Machtposition des regierenden African National Congress (ANC) könnte den Ausbau erneuerbarer Energien beschleunigen. Der derzeitige Energieminister – einer der mächtigsten Führer der Partei – verteidigt die Nutzung von Kohle im Land vehement. Viele Wähler sind wütend auf den ANC, weil er nicht in der Lage ist, die nationale Energiekrise zu bewältigen.

Bei den Wahlen in Indonesien und Indien scheint es weniger Spielraum für einen Wechsel zu geben. Der derzeitige Premierminister Narendra Modi wird wahrscheinlich wiedergewählt werden und kann seine kohlefreundliche Politik fortsetzen.

In Indonesien hat keiner der Präsidentschaftskandidaten einen Plan für den Übergang zu erneuerbaren Energien vorgelegt. Das Land ist der mit Abstand grösste Kohleexporteur der Welt.

Mexiko, Venezuela und Russland: Öl auf dem Stimmzettel

Claudia Sheinbaums Präsidentschaftskampagne in Mexiko ist ein Balanceakt zwischen Klimaschutz und der Abhängigkeit ihres Landes vom Öl. Die jetzige Bürgermeisterin von Mexiko-Stadt ist zwar Klimawissenschaftlerin, aber sie ist auch eine Protegée von López Obrador, dessen Regierung versucht, die Rolle des Ölsektors zu stärken. Sheinbaum, die als Favoritin der Wahlen im Juni gilt, hat versprochen, sich für den Schutz des Klimas einzusetzen. Es ist jedoch unklar, inwieweit Obradors Ölvermächtnis ihre Politik beeinflussen wird.

Die Ölindustrie steht auch in Venezuela und Russland auf dem Wahlzettel, wo sie autoritären Führern Stärke verleiht. Die Wiederwahl von Wladimir Putin – und seine Desinteresse an Klimaschutz – scheint unausweichlich.

Venezuela hat im Oktober zwar fünf politische Gefangene freigelassen, doch der wichtigste Oppositionskandidat darf noch immer nicht antreten. Es mag widersprüchlich klingen, aber Investitionen in den venezolanischen Ölsektor könnten dazu beitragen, ihn zu sanieren. Die staatliche Ölindustrie ist in desolatem Zustand und nicht in der Lage, minimale Sicherheitsvorkehrungen einzuhalten, mit verheerende Folgen für die Umwelt. Mehr in der New York Times (paywall).

Biden stoppt LNG-Ausfuhrbewilligungen vorübergehend

Die Biden-Administration hat die Genehmigungen für Flüssiggas (LNG_)-Exporte vorübergehend ausgesetzt. Sie plant, bei der neuen Prüfung die Auswirkungen auf das Klima zu berücksichtigen. Der Klimabeauftragte des Weissen Hauses, Ali Zaidi, nannte die Entscheidung der COP28 zu fossilen Brennstoffen und die Stimmen der Jugend als Hauptgründe für diese Entscheidung.

Betroffen vom Entscheid ist das umstrittene LNG-Projekt Calcasieu Pass 2. Es würde es den Vereinigten Staaten, die bereits heute der grösste Erdgasexporteur der Welt sind, ermöglichen, noch mehr Flüssigerdgas nach Übersee zu verschiffen. Klimaaktivist:innen kämpfen seit Monaten gegen das Projekt an der Küste von Louisiana.

Die Regierung Biden steht auch in der Kritik von Klimaaktivist:innen, die sich gegen die Genehmigung des Willow-Bohrprojekts in Alaska und der Mountain Valley Pipeline in West Virginia wehren. Mehr in der New York Times (paywall).

US-Kohleverbrauch fällt

Die Treibhausgasemissionen sind in den Vereinigten Staaten im Jahr 2023 um 1,9 % gesunken. Hauptgrund dafür ist der Rückgang der Kohleemissionen, die um etwa 8 % gesunken sind. Stromversorger schlossen mehr als ein Dutzend Kohlekraftwerke und ersetzten sie durch Erdgas sowie durch Wind- und Solarenergie. Der Rückgang der Emissionen hinkt weit hinter dem her, was nötig wäre. Die jährlichen Emissionen müssen für den Rest des Jahrzehnts mehr als dreimal so schnell sinken wie im Jahr 2023, um das Klimaziel des Landes für 2030 zu erreichen. Mehr in der New York Times (paywall).

Erneuerbare Energien wachsen, aber nicht schnell genug

Laut dem neusten Report der International Energy Agency hat der Zubau an erneuerbaren Energien 2023 mit fast 510 GW einen neuen Rekord erreicht. Gegenüber 2022 hat sich die Menge verdoppelt. Das Wachstum wurde hauptsächlich durch den Ausbau in China, aber auch in Europa, den USA und Brasilien angetrieben. Drei Viertel des gesamten Zubaus entfielen auf die Photovoltaik.

Mit den bestehenden Massnahmen (ein IEA-Szenario, das von keinen zusätzlichen Massnahmen ausgeht, sondern alle bisher vereinbarten Massnahmen umsetzt) werden im Zeitraum 2023-2028 fast 3700 GW an neuen Kapazitäten hinzukommen (60% davon würden in China entstehen). Das ist etwa so viel wie alle im Jahr 2022 vorhandenen erneuerbaren Kapazitäten. Wenn dieses Tempo bis 2030 beibehalten wird, wächst die weltweite Kapazität an erneuerbaren Energien bis 2030 um das 2,5-fache. Das ist viel und doch zu wenig, um das  in Dubai vereinbarte Ziel einer Verdreifachung einzuhalten.

Als eine der zahlreichen Herausforderungen nennt die IEA, dass zu wenig in die Netzinfrastruktur investiert wird, was zu Netzengpässen führe. Zudem herrsche ein Mangel an erschwinglichen Finanzierungsmöglichkeiten in Schwellen- und Entwicklungsländern ausserhalb Chinas.

Der Global Energy Monitor Report zeigt, dass die Solar- und Windenergie in den südostasiatischen Ländern im Jahr 2023 um 20% gewachsen ist. Die Region wird ihr Ziel, bis 2025 35% ihres Stroms aus erneuerbaren Energien zu gewinnen, ziemlich sicher erreichen oder sogar übertreffen. Vietnam ist Vorreiter und verfügt über mehr als doppelt so viel Solar- und Windkraftkapazität wie alle anderen südostasiatischen Länder zusammen. Trotz des raschen Anstiegs wächst die Nachfrage nach Strom noch deutlich schneller. Daher sind auch die Kapazitäten für fossile Brennstoffe in der Region immer noch am Wachsen.

Militärischer Fussabdruck wird ignoriert

Viele Medien berichteten über einer neue Studie, derzufolge die ersten 60 Tage des israelischen Krieges im Gazastreifen als Reaktion auf den Hamas-Angriff vom 7. Oktober CO2-Emissionen verursachten, die der Verbrennung von mindestens 150’000 Tonnen Kohle entsprechen. Damit wird eine erhebliche Lücke in den Klimaabkommen aufgezeigt: Die durch Kriege und den militärischen Sektor verursachten Treibhausgasemissionen werden nach wie vor weitgehend ausgeklammert.

Militärische Emissionen im Ausland wurden aus dem Kyoto-Protokoll von 1997 und auch aus dem Pariser Abkommen von 2015 ausgeschlossen – mit der Begründung, dass Daten über den Energieverbrauch von Armeen die nationale Sicherheit gefährden könnten.

In den jüngsten Berichten des Weltklimarats (IPCC) – die zusammen über 8.000 Seiten umfassen – wird der militärischen Sektor genau dreimal erwähnt, und es gibt keine Informationen über den Umfang der militärischen Emissionen.

Nach einer Schätzung aus dem Jahr 2022 ist das Militär für 5,5 % der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich. Dies ist wahrscheinlich eine Unterschätzung, da grosse Militärs wie China, Saudi-Arabien, Russland und Israel keine Berichte über ihre Emissionen vorlegen, während andere (z. B. EU-Länder) nur teilweise darüber berichten.

Wissenschaftler:innen und Umweltgruppen wollen den Druck auf die UNO erhöhen und die Armeen zwingen, alle ihre Emissionen offenzulegen und die langjährige Ausnahmeregelung zu beenden. Mehr bei Reuters, Scientists for Social Responsibility, ECDPM, und der Zeit.

Rasante Abholzung in Brasiliens Cerrado-Region

Die Abholzung im brasilianischen Cerrado hat im vergangenen Jahr um 43% zugenommen. Die riesige tropische Savanne spielt eine wichtige Rolle bei der Speicherung von CO2 und dem Wasserhaushalt in Südamerika.  Nach Angaben der brasilianischen Regierung wurden im vergangenen Jahr mehr als 7’800 km² abgeholzt. Das entspricht einer Grösse der Kantone Bern und Zürich zusammen. Es ist ein Rückschlag für Präsident Lula, der sich seit seinem Amtsantritt im Januar letzten Jahres für eine Reduktion der Regenwaldzerstörung stark macht.

Doch schwindet der Optimismus im Amazonasgebiet, da Lula von seinen Klimaprioritäten abweicht  und Pläne für eine asphaltierte Autobahn durch das Herz des westlichen Amazonasgebietes vorantreibt. Strassen beschleunigen die Abholzung massiv. Eine Studie vom November schätzt, dass der Bau der asphaltierten Strasse die Abholzung bis 2100 um 60% erhöhen würde. Mehr in der Financial Times (paywall).

Europäische Klimapolitik

Neues EU-Klima-Zwischenziel

Die EU-Kommission will bis 2040 insgesamt 90% der Treibhausgase im Vergleich zu 1990 reduzieren. Der EU-Klimarat, ein Beirat zur unabhängigen wissenschaftlichen Beratung der EU, fordert eine Emissionsreduktion mindestens in dieser Höhe, idealerweise um 95%. Die Dachorganisation vieler Umweltverbände, CAN Europe, verlangt sogar 100%. Widerstand formiert sich derweilen, wie das Ziel umgesetzt werden soll – etwa um die Rolle der Abscheidung, Nutzung und Speicherung von CO2 (siehe Euractiv).

Der Think Tank Climate Analytics bezeichnet das 2040-Ziel als unzureichend, weil das Reduktionsziel für 2030 nicht erhöht werde. Dies wäre nötig, um das 1,5-Grad-Ziel einzuhalten. Des Weiteren kritisieren die Fachleute, dass der notwendige Ausstieg aus fossilen Energien nicht angemessen berücksichtigt wird und dass die tatsächliche Emissionsreduktion bis 2040 ohne Anrechnung des CO2, das in der Landschaft und im Wald gespeichert ist lediglich bei 84% liegt. Mehr dazu bei der EU-Kommission.

Norwegen erlaubt umstrittenen Tiefseebergbau

Norwegens Parlament hat Plänen der Regierung zugestimmt, als weltweit erstes Land den höchst umstrittenen Tiefseebergbau auf einer Fläche grösser als das Vereinigte Königsreich zuzulassen. So sollen künftig Rohstoffe, vor allem seltene Erden wie Kobalt und Mangan, auf den Meeresboden in der Norwegischen See abgebaut werden, mit dem Vorwand des Klimaschutzes. Die Rohstoffe werden unter anderem für Herstellung von Wind- und Solaranlagen eingesetzt.

Quelle: BBC

Die EU und auch Grossbritannien haben diese Praktik derzeit untersagt, berichtet die BBC. 120 europäische Politiker:innen wandten sich in einem offenen Brief an die norwegischen Entscheidungsträger:innen, um auf die Risiken für Umwelt, Natur und Klima aufmerksam zu machen. Norwegen vollzieht damit einen Richtungswechsel.

Noch 2018 rief die Regierung des Landes im Rahmen des High Level Panel for a Sustainable Ocean Economy noch zu einem sorgsamen Meeresschutz auf und erklärte, bis 2025 sämtliche Meeresflächen im Einflussgebiet nachhaltig bewirtschaften zu wollen. Mehr bei Nature.

Polens neue Regierung will mehr Klimaschutz

In den vergangenen Jahren ist Polen unter der Führung der national-konservativen PiS-Partei immer wieder mit einer rückwärtsgewandten Energie- und Klimapolitik aufgefallen. Nun unterstützt die neue Regierung, ein breites Bündnis rund um Donald Tusk, das neue Klimaziel für 2040 gemäss den Empfehlungen des europäischen Klimarats von mindestens 90% Treibhausgasreduktion im Vergleich zu 1990. Mehr dazu bei Politico. Wie erfolgreich Polens neue Regierung den Klimaschutz und die Energiewende vorantreiben kann, wird in den kommenden Monaten zu sehen sein. Clean Energy Wire liefert dazu eine ausführliche Analyse der Ziele und Herausforderungen.

Weniger Greenwashing in der EU ab 2026

Das Europäische Parlament hat der Verordnung zugestimmt, dass ab 2026 sogenannte «Green Claims», also Bezeichnungen wie «klimaneutral» oder «umweltfreundlich»), die auf Kompensation mit Klimazertifikaten basieren, verboten sind. Begründet wird das Verbot vor allem damit, dass die Werbung mit diesen Bezeichnungen irreführend sei und Verbraucher:innen täusche. Künftig dürfen Produkte nur noch dann diese Bezeichnungen führen, wenn sie durch ein vertrauenswürdiges System wie dem EU-Ecolabel zertifiziert wurden. Mehr Informationen beim Guardian und beim EEB.

Deutschland

Der Haushalt steht

Nach zähem Ringen hat sich der Bundestag Anfang Februar auf den Bundeshaushalt 2024 geeinigt. Knackpunkt waren entstandene Finanzierungslücken für Klimaschutzmassnahmen. Ursprünglich vorgesehene Gelder zur Bekämpfung der Coronapandemie durften nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts nicht für Klimaschutz eingesetzt werden, sodass neue Mittel zur Finanzierung gesucht werden mussten. Die Bundesregierung konnte sich unter anderem darauf einigen, die Ticketsteuer für Passierflüge zu erhöhen und beim «Bürgergeld» strengere Auflagen zu machen. Der nun 477 Mrd. Euro schwere Bundeshaushalt umfasst Investitionen von über 70 Mrd. Euro und einer Neuverschuldung von 39 Mrd. Euro, berichtet die Tagesschau.

Die oft zitierte Schuldenbremse wird eingehalten. Nun müssen noch die Bundesländer im Bundesrat dem Haushalt zustimmen. Die Unionsparteien bestehend aus CDU und CSU haben allerdings dessen Annahme verzögert. Mehr bei der Bundesregierung. Die Klima-Allianz Deutschland als Dachorganisation zahlreicher Umwelt- und Sozialverbände kritisiert den «Sparhaushalt» und fordert eine Neuregelungen der Schuldenbremse, um Wirtschaft zu transformieren.

Bauernprotest legen Innenstädte lahm

Teil der Sparpläne der Bundesregierung sahen vor, die seit Jahrzehnten geltenden steuerliche Begünstigungen beim «Agrardiesel» – Subventionen beim Einsatz von Diesel in der Landwirtschaft – abzuschaffen. Dies löste Anfang Januar massive Proteste der Landwirt:innen in der gesamten Bundesrepublik aus (siehe RBB24). Zu Tausenden protestierten sie mit ihren Traktoren in vielen Innenstädten und auf Autobahnen für den Erhalt der fossilen Steuerentlastung. Das führte zu grossflächigen Verkehrsprobleme. Trotz der Proteste wird die Bundesregierung diesen Steuervorteil schrittweise bis 2026 abschaffen (siehe Handelsblatt). Unter die Landwirt:innen hatten sich auch zahlreiche rechte und rechtsextreme Gruppen gemischt (eine Analyse dazu bei Correctiv). Derweilen ermittelt die Staatsanwaltschaft auf Verdacht der Nötigung, nachdem Protestierende Wirtschaftsminister Habeck am Verlassen einer Fähre im Zuge einer privaten Reise gehindert hatten.

In Norddeutschland historische Überschwemmungen

In Norddeutschland sind Überschwemmungen an grossen Flüssen wie Weser und Elbe keine Seltenheit. Doch Überschwemmungen, wie sie sich rund um den Jahreswechsel ereigneten, habe in diesem Ausmass noch nie gegeben, betonte Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD). Er sehe darin Folgen der zunehmenden Klimakrise (siehe Zeit Online). Das Bundesland im Nordwesten Deutschlands war besonders betroffen. Seit Beginn der Wetteraufzeichnung war kein Dezember in Norddeutschland so regenreich. Es wurden fast 45% mehr Niederschlag als üblich gemessen, schreibt das niedersächsische Umweltministerium. Der NDR hat Fotos des Ausmasses sowie Daten und Fakten aufbereitet.

Höhere CO2-Abgabe, erneute Absage an das Klimageld

Im Zuge des Kompromisses zum Bundeshaushalt wird der CO2-Preis um fünf Euro mehr erhöht, als vorgesehen. Seit 1. Januar 2024 wird auf dem Verbrauch fossiler Rohstoffe (Heizöl, Erdgas, Benzin und Diesel) eine Abgabe von 45 Euro pro Tonne CO2 erhoben, zuvor waren es 30 Euro. Dies sorgt für Mehreinnahmen und soll stärkere Anreize setzen, auf klimafreundliche Technologien zu wechseln. Im Gegenzug flammte die Diskussion abermals über das sogenannte Klimageld, die Rückverteilung der Einnahmen des  CO2-Preises an die Bevölkerung. Es liegt im Verantwortungsbereich von Finanzminister Lindner, einen Mechanismus zu entwickeln, das Klimageld auszahlen zu können. Im Haushalt ist derzeit keine Rückerstattung der Einnahmen vorgesehen. Lindner betonte erneut, dass es unwahrscheinlich sei, dass das Klimageld noch in der aktuellen Legislaturperiode ausgezahlt werden könne. Mehr bei RP online. Greenpeace sorgte derweilen mit einer Aktion für Aufsehen und fordert zusammen mit weiteren Umwelt- und Sozialverbänden eine Entlastung der Bürger:innen durch das Klimageld.

Die Kraftwerksstrategie sorgt für Aufsehen

Die Ampel-Koalition konnte sich Anfang Februar auf die langerwartete Kraftwerksstrategie einigen. Dabei wurden die Pläne von Wirtschaftsminister Habeck stark eingeschränkt. Statt der ursprünglich geplanten 24 Gigawatt sollen nun 10 Gigawatt an neuen Erdgaskraftwerken gebaut werden, die zwischen 2035 und 2040 auf grünen Wasserstoff umgerüstet werden sollen. Diese sollen vor allem für Spitzenlastzeiten vorbehalten werden, also wenn besonders viel Strom gebraucht wird und die Erneuerbaren dies nicht völlig decken. Erklärtes Ziel der Bundesregierung ist, bis 2035 „idealerweise 100%“ des Stroms aus erneuerbaren Quellen zu erzeugen.

Die Betreiberfirmen dieser Gaskraftwerke erhalten vom Staat Geld, wenn sie Erzeugungskapazitäten zurückhalten – de facto werden diese Kraftwerke die meiste Zeit stillstehen. Über die nächsten 20 Jahre wird mit Kosten von 16 Mrd. Euro gerechnet. Die EU muss diesen Plänen noch zustimmen. Während Energiekonzerne die Strategie begrüssen, sorgt sie bei Umweltverbänden für Aufruhr. Teil der Strategie ist es, künftig «Carbon Capture and Storage» (CCS), also das Einfangen und Speichern von CO2 etwa im Meeresboden, für fossiles Erdgas zu erlauben. Dies lehnen Umweltverbände ab. Sie befürchten fossile Lock-Ins (die dauerhafte Abhängigkeit von fossilen Rohstoffen) und Schäden an der Natur. Dadurch stünden das Erreichen der Klimaziele in Gefahr, so die Verbände. Eine Einschätzung zur Strategie ist beim Klimareporter zu finden.

Die sichtbare Klimakrise

Temperatursprung im Jahr 2023 bricht alle Rekorde

2023 war mit Abstand das heisseste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen vor rund 150 Jahren. Die globalen Temperaturen lagen im Durchschnitt um 1,48 Grad höher als in der vorindustriellen Zeit, zeigen Analysen von Copernicus, der Klimadienstes der EU. Der bisherige Höchstwert aus dem Jahr 2016 wurde um 0,14 °C bis 0,17 °C übertroffen. Auch der Januar 2024 war wärmer als je zuvor (axios.com).

Quelle: BBC

Carbon Brief hat die neusten Daten zu Ozeanen, Atmosphäre und Oberflächentemperatur der Erde zusammengetragen. Hier die wichtigsten Resultate:

Das Ausmass der Erwärmung hat Klimaforschende überrascht. «Was wir im Jahr 2023 gesehen haben, sprengt alle Dimensionen», sagt Gavin Schmidt vom Goddard Institute for Space Studies der Nasa stellvertretend. Die Forschenden sind daran, die Ursachen für den Temperatursprung zu entschlüsseln. Dazu zählen unter anderem der Anstieg der Treibhausgase (sie erreichten 2023 einen Höchststand), das Wetterphänomen El Niño, der Ausbruch des Vulkans Hunga Tonga und auch der geringere Schwefelausstoss durch die Schiffsindustrie und die Reduktion der Aerosolemissionen im Allgemeinen. Mehr dazu im Guardian, NY Times (paywall) und im Tages-Anzeiger (paywall).

2023 hat sich die Erwärmung dem im Pariser Klimaabkommen festgelegten Ziel angenähert, den Temperaturanstieg möglichst auf 1,5 °C begrenzen. Zwar ist im Abkommen die Überschreitung des Klimaziels nicht ausdrücklich definiert, doch der Uno-Klimarat und viele Fachleute verstehen die Vorgabe als 20-Jahre-Durchschnitt. Wird der Wert in einem Jahr überschritten, folgt daraus nicht, dass das Ziel bereits verfehlt wurde. Dennoch sehen sich die Expert:innen durch den Temperaturrekord darin bestätigt, dass die aktuelle Klimapolitik gescheitert ist und dass es einen neuen Ansatz brauche. Mehr dazu in Foreign Policy (paywall).

Gletscherschmelze an den Polen beschleunigt sich enorm

Schon in der letzten Klimazeitung, haben wir ausführlich über die Gletscherschmelze an den Polen berichtet. Die grönländischen Gletscher schrumpfen heute doppelt so schnell wie noch in den 1980er Jahren, wie eine neue Studie in Nature Climate Change zeigt. Seit 2000 sind auch die Temperaturen in der Arktis doppelt so schnell gestiegen wie die globale Durchschnittstemperatur.

Eine neue Studie, zeigt nun, dass die grönländische Eiskappe pro Stunde durchschnittlich 30 Millionen Tonnen Eis verliert. Das sind 20% mehr als bisher angenommen. Es ist die erste  Studie, die auch den Gletscherschwund unter der Meeresoberfläche bestimmt hat. Die bisher angewandten Techniken konnten nur die Eisverluste bestimmen, die in den Ozean gelangen und den Meeresspiegel ansteigen lassen. Sie konnten jedoch nicht den Rückzug der Gletscher erklären, die in den engen Fjorden rund um die Insel bereits grösstenteils unter dem Meeresspiegel liegen.

Die Autoren befürchten, dass das zusätzliche Süsswasser, das in den Nordatlantik fliesst, möglicherweise die Stabilität der Atlantischen Umwälzzirkulation gefährde. Ein Zusammenbruch der Zirkulation hätte verheerende Auswirkungen, auch auf Europa.

Mehr zu Grönland beim Guardian und Klimareporter. Ein guter Übersichtsartikel zur Situation in der Antarktis bietet der Guardian.

Neues aus der Klimawissenschaft

Neue Narrative der Klimalügner

Die Klimaleugnung auf YouTube hat sich in den letzten Jahren radikal verändert, wie eine neue Studie des Center Countering Digital Hate zeigt. Die Forscher sammelten Transkripte von über 12’000 klimabezogenen Videos, die zwischen 2018 und 2023 veröffentlicht wurden.

In der Vergangenheit konzentrierte sich die Leugnung auf zwei Falschaussagen: «Die globale Erwärmung findet nicht statt» und «Der Mensch ist nicht für die globale Erwärmung und den Klimawandel verantwortlich».

Die gegenwärtigen Leugnungsnarrative legen den Fokus auf drei Punkte: 1) Klimalösungen werden nicht funktionieren», 2) «Der Klimawissenschaft und der Klimabewegung kann man nicht trauen», 3) «”Die Auswirkungen der globalen Erwärmung sind nützlich oder harmlos». Diese Erzählungsmuster machten 2018 noch 35% aller Beiträge von Klimaleugner:innen auf YouTube aus, heute stellen nun die grosse Mehrheit (70 %) dar.

Klimaleugner haben über digitale Plattformen Zugang zu einem riesigen weltweiten Publikum. So können sie die öffentliche Unterstützung für Klimaschutzmassnahmen immer weiter schwächen – vor allem bei jüngeren Zuschauer:innen. Eine Umfrage des Pew Research Center ergab, dass YouTube in den USA unter den 13- bis 17-Jährigen die am häufigsten genutzte Social-Media-Plattform ist.

Rund ein Drittel der US-Jugendlichen glaubt, dass die globale Erwärmung «nützlich oder harmlos» ist, dass «die Klimapolitik mehr schadet als nützt». Weiter dass «der Klimawissenschaft und der Klimabewegung nicht zu trauen ist» und dass der Klimawandel «ein Schwindel ist, um die Menschen zu kontrollieren und zu unterdrücken». 45% der Jungen im Teenageralter sagten: «Die Politiker übertreiben die Dringlichkeit der Klimapolitik». Und 34% aller Jugendlichen und 23% der Erwachsenen in den USA sagten: «Die Erde tritt in eine neue Eiszeit ein». Mehr dazu in der CCDH Pressemitteilung in dieser Studie in Nature.

Ackerbau mit mehr Sorten senkt Emissionen, steigert Einkommen und Erträge

Wenn Getreideanbau mit anderen Ernteprodukten kombiniert wird, könnten die Erträge um fast 40% gesteigert werden. Gleichzeitig würden fast 10% mehr Kohlenstoff im Boden gebunden und die Treibhausgasemissionen um über 90% gesenkt. Diese verblüffenden Ergebnisse stammen aus einem grossen sechsjährigen Feldversuch in der nordchinesischen Tiefebene, einer Region, die 70% der Ackerfläche des Landes umfasst und 23% des Getreides produziert. Es ist eine der am intensivsten bewirtschafteten Gegenden der Welt.

Die Forscher testeten unter anderem das Hinzufügen von Süsskartoffeln und Hülsenfrüchten wie Erdnüsse und Sojabohnen. Die Diversifizierung der angebauten Sorten in der gesamten nordchinesischen Tiefebene könnte die Getreideproduktion um 32% steigern, und dank stickstoffbindenden Leguminosen den Bedarf an synthetischen Düngemitteln um 3,6 Millionen Tonnen verringern. Die Bauern würden ausserdem im Schnitt 20% mehr verdienen.  Mehr dazu bei Anthropocene Magazine und bei Nature Communications.

Weidehaltung  ist schlechter fürs Klima

Rinder in Weidehaltung machen 33% der weltweiten Rindfleischproduktion aus. Eine neue Studie zeigt nun, dass grasgefütterte Tiere einen deutlich höheren Klima-Fussabdruck haben als solche, die mit Kraftfutter gefüttert werden. Die Autor:innen haben nicht nur die Emissionen aus der Futterproduktion, die Methanemissionen der Kühe und Emissionen aus der direkten Produktion betrachteten. Sie berücksichtigten auch sogenannte «CO2-Opportunitätskosten»: Die CO2-Speicherung, die mit der Umwandlung von natürlichem Lebensraum (z.B. Wald) in Weideland verlorenen gegangen ist. Diese machen laut der Studie über die Hälfte der Fussabdrucks aus. Er ist im Schnitt 40% grösser als bei Fleisch von Tieren, die mit Kraftfutter gefüttert wurden.

Besonders schädlich ist die Weidehaltung auf verdichteten, erodierten und überdüngten Böden. Auch die Schweizer Böden sind in keinem guten Zustand. Viele Studien belegen, dass alle Rindfleischarten und Milchprodukte deutlich umweltschädlicher sind als vegane Alternativen. Würde auf Fleisch verzichtet und Weideland renaturiert werden, könnte mehr CO2 gespeichert werden.

Trotz der klaren Studienlage scheuen sich Fleisch- und Milchkonzerne nicht, ihre Produkte als klimaschonend zu vermarkten. Konzerne wie McDonald’s, Tyson Foods und Nestlé haben sich ambitionierte Klimaziele gesetzt, ohne dass sie den Verkauf von Fleisch- und Milchprodukten wesentlich reduzieren wollen. Gleichzeitig betreiben diese grossen Unternehmen intensive und oft sehr erfolgreiche Lobbyarbeit, um Landwirtschafts- und Klimagesetzgebung zu beeinflussen. Mehr bei der Washington Post und Anthropocene Magazine.

Verrückte Klimaschutzideen

Die grossen Gefahren der Klimakrise werden immer deutlicher. Immer mehr Wissenschaftler und Startups tüffteln daher an Science-Fiction-artigen Lösungen.

Wissenschaftler:innen sind sehr über den Zustand der Arktis besorgt. Einer Gruppe von Glaziolog:innen schlägt nun vor, gigantische Unterwasser-«Vorhänge»” zu errichten, um zu verhindern, dass warmes Meerwasser das Schmelzen beschleunigt. Einige Wissenschaftler:innen zweifeln an der Durchführbarkeit und argumentieren, dass Geo-Engineering in der Antarktis das marine Ökosystem schädigen könnte. Die Befürworter:innen sagen jedoch, «alle Geo-Engineering-Ideen sind verrückt, bis man bedenkt, was passieren könnte, wenn wir nichts tun.» Mehr dazu bei Nature (paywall).

Eine Gruppe von Astronom:innen und Physiker:innen forscht an einem riesigen Sonnenschirm im Weltraum. Dieser soll so zwischen Erde und Sonne platziert werden, dass etwa 2% der Sonnenstrahlung die Erde gar nie erreichen würde und so die Erwärmung der Erde (nicht aber die Versauerung der Meere) stoppen könnte. Die Wissenschaftler wollen nun einen Prototyp zu bauen, um die Machbarkeit des Konzepts zu prüfen. Der Sonnenschirm, der etwa so gross wie Argentinien sein müsste, könnte aufgrund seines immensen Gewichts nicht als einzelne Einheit gestartet werden, sondern es müsste ein Netz kleinerer Schirme gebaut werden. Mehr dazu in der New York Times (paywall).

Eine andere Gruppe will eine Lösung gegen die immer häufigeren Algenblüten finden. Der grosse Teppich von Braunalgen, der sich im Golf von Mexico immer wieder bildet, bietet  Meerestiere Zuflucht und Futter. Doch die Algenblüten sind aus dem Gleichgewicht gekommen. Durch die Klimaerwärmung häufen sich Überschwemmungen. So wird Humus und nährstoffreiches Wasser aus intensiver Landwirtschaft ins Meer gespült. Im Sommer 2018 reichte der Algenteppich von der Westküste Afrikas über 8000 Kilometer bis zum Golf von Mexiko und umfasste rund 20 Millionen Tonnen Sargassum-Algen. Die Algenteppiche verrotten im Meer oder werden an Küsten angeschwemmt und faulen dort. Weil die Algen Schwermetalle enthalten, insbesondere Arsen, können sie nicht als Dünger oder Nahrungsmittel eingesetzt werden. Die Algenteppiche speichern aber viel CO2, schätzungsweise 3 Millionen Tonnen. Forscher und ein Startup wollen nun Algen mit Robotern einzusammeln und auf dem Meeresgrund in 2000-4000m Tiefe lagern. Mehr dazu im Guardian und im Tages Anzeiger (paywall).

Oft wird befürchtet, dass Geoengineering Projekte von realistischeren Klimaschutzmassnahmen ablenken. Eine neue Studie zeigt nun, dass es unwahrscheinlich sei, dass die Thematisierung von Geoengineering im öffentlichen Diskurs zur Ablehnung breiterer Klimaschutzmassnahmen führt. Aber die Frage bleibt, wie gross der Einfluss der öffentlichen Meinung auf die Politik ist. Oft seien Partikularinteressen einflussreicher, befürchtet einer der Autoren der Studie. Mehr dazu in der New York Times (paywall) und im Anthropocene Magazin.

CO2-Intensität auf neuer Stromkarte prüfen

Eine sehr coole Webseite zeigt die CO2-Intensität der Stromproduktion in den verschiedenen europäischen Ländern.

Aktiv gegen Hoffnungslosigkeit

Handlungsoptionen in der Klimakrise

Im Online-Magazin Republik listet die amerikanische Schrift­stellerin, Historikerin und Aktivistin Rebecca Solnit zehn Anregungen auf, wie wir die Klimakrise hoffnungsvoll angehen können: Weil Revolutionen Zeit benötigen, aber manchmal doch viel schneller als erwartet passieren. Und auch weil Scheitern erstaunlich erfolgreich sein kann. Ihr neuestes Buch, «Not Too Late», richtet sich an Menschen, die nach Antworten und Handlungs­möglichkeiten in der Klimakrise suchen.

Solarinitiative: PV-Pflicht für Neubauten

PV-Anlagen dort produzieren, wo die meiste Energie benötigt wird. Das will die Solarinitiative der Grünen Partei erreichen. Sie verlangt eine Solarpflicht für Neubauten. Auf bestehenden Gebäude soll innert 15 Jahren nach Annahme der Vorlage Strom hergestellt werden. Die Volksinitiative wird bald lanciert. Wer sie jetzt schon unterstützen will, kann sich mit diesem Link als Unterstützer:in eintragen.

Editorial

Diese Ausgabe ist besonders lang. Das kommt daher, dass im November die 28. internationale Klimakonferenz (COP28) stattfand, die wichtigste internationale Verhandlung zur Klimakrise. Immer vor der COP gibt es zahlreiche neue Veröffentlichungen, Appelle und Initiativen, die lanciert werden. Alle in der Hoffnung, dass an den Verhandlungen ein besseres Ergebnis erzielt wird. Wir haben für Sie die Ergebnisse der Verhandlungen und die wichtigsten Studien und Berichte zusammengefasst. Natürlich gibt es wie immer auch eine Zusammenfassung der Schweizer Klimapolitik und der Klimapolitik im Ausland. Damit Sie nach all den (meist) schlechten Nachrichten, nicht ganz erschlagen sind, wollen wir unsere Klima-Zeitung von nun an auch mit einer Rubrik gegen die Hoffnungslosigkeit beenden. Da gibt es Tipps gegen den Klima-blues und Infos wie Sie sich engagieren können.

Schweiz

Was ist vom neuen Parlament beim CO2-Gesetz zu erwarten?

Die eidgenössischen Wahlen haben wie erwartet zu grösseren Verschiebungen im Parlament geführt. Grüne und Grünliberale büssten im National- und Ständerat insgesamt zwölf Sitze ein. Vor vier Jahren hatten die beiden Parteien mit dem G im Namen 26 Sitze gewonnen. Die SVP erzielte dieses Jahr mit 9 zusätzlichen Sitzen die grössten Gewinne, die SP legte um zwei Sitze zu.

Analysen der Wahlen zeigen: Der Stadt-Land-Graben hat zugenommen (Tages-Anzeiger), die SVP konnte besonders in der Romandie stark zulegen, während die Grünen dort viel verloren (Tages-Anzeiger und NZZ, paywall), und die Bauern konnten ihren Einfluss weiter vergrössern (Tages-Anzeiger).

Der Rechtsrutsch zeigt sich vor allem im Nationalrat (Grafiken des Bundesamts für Statistik, BFS), im Ständerat sind die Verschiebungen geringer (BFS). Damit sich Grüne, GLP und SP im Nationalrat durchsetzen können, brauchen sie fast alle Stimmen der Mitte-Partei, rechnet der Tages-Anzeiger (paywall) vor.

Wie sich die Wahlen auf die Schweizer Klimapolitik auswirken, wird sich als erstes beim CO2-Gesetz zeigen. Dessen Revision war 2021 vom Volk abgelehnt worden. Der Nationalrat debattiert in der letzten Woche der Wintersession über das Gesetz, das die Klimaziele von 2025 bis 2030 festlegt. Im Fokus steht dabei die Frage, ob die grosse Kammer die im Herbst gefällten Entscheide des Ständerats korrigiert. Dieser hatte sich mit Anreizen begnügt, um die Treibhausgasemission gegenüber 1990 zu halbieren. Dabei soll ein Drittel der CO2-Reduktion mit umstrittenen, häufig wirkungslosen Klimaschutzzertifikaten im Ausland erreicht werden.

Die vorberatende Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie (UREK) des Nationalrats hat die Variante des Ständerats an ein paar Stellen etwas verbessert. So will sie bei Emissionsverminderungen im Ausland eine Obergrenze von 25% verankern. Auf Flügen mit Privat- und Businessjets soll neu eine Abgabe erhoben werden. Und die Installation von Ladestationen, etwa in Mehrfamilienhäusern und auf öffentlichen Parkplätzen, soll finanziell gefördert werden. Wie der Ständerat will aber auch die Nationalratskommission auf eine Erhöhung der CO2-Abgabe verzichten. Dabei soll an der heute geltenden Rückverteilung von zwei Dritteln an Bevölkerung und Unternehmen nichts geändert werden. Mehr dazu bei watson.ch und swisscleantech.

Kommt das Referendum gegen den Mantelerlass zustande?

Die Wahrscheinlichkeit, dass das Stimmvolk über den Mantelerlass abstimmen wird, ist gestiegen. Nach dem neu gegründeten Bündnis Natur & Landschaft Schweiz unterstützt nun auch die Fondation Franz Weber das Referendum gegen das «Bundesgesetz über eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien». Das in der Herbstsession von National- und Ständerat verabschiedete Gesetz schreibt verbindliche Ausbauziele für erneuerbare Energie fest und lockert Bestimmungen für den Naturschutz. So sollen Energieanlagen in Gebieten, die sich für die Nutzung von Solar- und Windenergie eignen, Vorrang gegenüber Umweltschutz und anderen nationalen Interessen haben. Die Fondation Franz Weber wehrt sich gegen die Zerstörung von Natur und Landschaft und will, dass das Parlament in einem zweiten Anlauf ein Gleichgewicht zwischen der Förderung erneuerbarer Energien und dem Natur- und Landschaftsschutz schafft. Auch der Verband Freie Landschaft Schweiz bekämpft den Mantelerlass. Die Organisationen haben bis zum 18. Januar 2024 Zeit, die erforderlichen 50’000 Unterschriften zu sammeln. Die grossen Naturschutzorganisationen und auch die Schweizerische Energie-Stiftung unterstützen das Referendum nicht, weil es die Energiewende verzögere. Mehr dazu im Tages-Anzeiger und in der NZZ (paywall).

Dank CO2-Einlagerung im Meer zur Klimaneutralität?

Der Bundesrat sieht es als «unumgänglich» an, in Zukunft in der Schweiz anfallendes CO2 ins Ausland zu exportieren und in Meeresböden zu speichern. Nur mit diesen Negativemissionstechnologien liessen sich die Klimaziele erreichen. Um Abfall in Form von CO2 im Ausland zu entsorgen, will der Bundesrat eine entsprechende Ergänzung des Londoner Protokolls ratifizieren. Das internationale Übereinkommen von 1972 schützt die Meere vor Verschmutzung durch das Einbringen von Abfällen und anderen Stoffen. Um die Speicherung von CO2 im Meeresboden zu ermöglichen, war das Protokoll 2009 angepasst worden.

Der Bund geht davon aus, dass im Jahr 2050 trotz anvisiertem Netto-Null-Ziel rund 12 Millionen Tonnen CO2 anfallen; das entspricht einem Viertel der aktuellen CO2-Emissionen der Schweiz. Davon soll der Grossteil direkt an der Quelle abgeschieden werden, etwa in Zementwerken oder bei Kehrichtverbrennungsanlagen. Die zugrundliegende Technologie des «Carbon Capture and Storage» – die Abscheidung und Speicherung von CO2– ist bis heute noch wenig erprobt. Weil der Bundesrat die Kapazitäten zur Speicherung des CO2 im Inland für zu gering erachtet, steht der Export im Fokus.

Vertreter:innen von Kehrichtverbrennungsanlagen und Zementwerken begrüssen den Entscheid des Bundesrats, weil damit die Planungs- und Rechtssicherheit steige. Die Klima-Allianz, der über 140 Organisationen angehören, weist darauf hin, dass die Schweiz grosse Mengen an verhinderbaren Emissionen einsparen müsse, um ihre Klimaziele zu erreichen. Dieses Problem könnten die Meeresböden nicht lösen. Mehr dazu auf srf.ch, und hier und hier (paywall) im Tages-Anzeiger.

Bund setzt stärker auf CO2-Kompensationen – trotz Kritik

Der Bundesrat hat bereits mit 15 Staaten Klima-Abkommen abgeschlossen, damit sich die Schweiz im Ausland erzielte CO2-Emissionsreduktionen an ihr Reduktionsziel anrechnen lassen kann. Die jüngsten dieser Verträge wurden mit Chile, Kenia und Tunesien unterzeichnet (hier die aktuelle Liste). Das Magazin des Tages-Anzeigers (paywall) nimmt einige der Projekte, die von der Schweiz finanziert werden, unter die Lupe. Dabei zeigt sich: Gewisse Projekte wie Biogasanlagen in Malawi sparen nur wenig CO2 ein, da viele nicht oder nicht richtig funktionieren. Andere wie Kochöfen in Peru oder Elektrobusse in Thailand erfüllen ein wichtiges Kriterium für die Anrechnung im Inland nicht: Sie sind nicht zusätzlich. Das heisst, sie wären auch ohne das Geld aus der Schweiz finanziert worden. Eine kritische Analyse der Kochöfen in Peru hat Caritas Schweiz gemacht.

Nach dem im New Yorker (paywall) erschienenen Artikel über South Pole, hat sich die Situation beim Weltmarktführer für freiwillige CO2-Kompensationen mit Sitz in Zürich nochmals zugespitzt. Erst gab das Zertifizierungsunternehmen Vera bekannt, das Vorzeigeprojekt Kariba von South Pole in Simbabwe auszusetzen und den im New Yorker erhobenen Vorwürfen nachzugehen. Dann stoppte South Pole den Verkauf der Kariba-Zertifikate, und kurz später trat der Mitgründer und Chef des Unternehmens CEO Renat Heuberger sowie Bastien Girod, Europa-Chef und Nationalrat der Grünen, zurück. Mehr dazu bei srf.ch (hier und hier) und im Tages-Anzeiger.

Unternehmen, die sich mithilfe von CO2-Zertifikaten als klimaneutral darstellen, müssen über die Bücher. Die Schweizerische Lauterkeitskommission (SLK), ein Organ der Kommunikationsbranche zur Selbstkontrolle, hat zwei Beschwerden der Stiftung Konsumentenschutz gutgeheissen. Die Stiftung hatte moniert, dass in der Werbung gemachte Aussagen wie «klimaneutral» (im Fall eines Heizöllieferanten) oder «klimapositiv» (bei einem Hersteller von Babynahrung) irreführend seien. Die SLK stützt sich bei ihrem Entscheid auf den Werbe-Kodex der Internationalen Handelskammer. Dieser stellt neben den Klimabehauptungen auch die Geschäftsmodelle von Unternehmen infrage, die Klimakompensationen anbieten. Verstossen Unternehmen gegen das Urteil der Lauterkeitskommission, kann sie keine Sanktionen ergreifen. Über diese Kompetenz verfügt hingegen das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco). Dort hatte die Stiftung Konsumentenschutz ebenfalls Beschwerden eingereicht. Eine Antwort des Seco dazu steht noch aus. Mehr dazu im Tages-Anzeiger (paywall).

Alpine Solaranlagen vor entscheidender Phase

Nun zeigt sich, wie rasch der Solarexpress vorankommt: In einigen Standortgemeinden sind Entscheide über die Projekte gefallen und für erste Projekten sind Baugesuche eingereicht worden. Gleichzeitig werden weiterhin neue Projekte vorgestellt. Gute Übersichtsartikel finden sich in der Berner Zeitung, auf srf.ch, im Tages-Anzeiger, der NZZ und der Südostschweiz (paywall).

Bei Abstimmungen auf kommunaler Ebene lässt sich folgendes Muster erkennen: An Gemeindeversammlungen (mit offener Stimmabgabe) ist die Zustimmung höher als bei (anonymen) Urnen-Abstimmungen. Und kleinere Gemeinden sagen häufig deutlicher Ja, wobei hier der Beitrag an die Gemeindefinanzen eine Rolle spielen dürfte.

Folgende Projekte wurden an Gemeindeversammlungen gutgeheissen: in Grengiols, VS (Strom für 40’000, siehe Tages-Anzeiger); Lütschental, BE (3000 Haushalte, Berner Zeitung, paywall); Adelboden (3000 Haushalte, ee.news); Lenk, BE (3000 Haushalte, Berner Zeitung, paywall); Schattenhalb, BE (4500, Berner Zeitung, paywall); Laax (2200 Haushalte, Südostschweiz); Klosters (3500 Haushalte, Südostschweiz, paywall) sowie in Tujetsch, Disentis, Samedan und Poschiavo (Südostschweiz, paywall).

Diese Projekte wurden an Gemeindeversammlungen abgelehnt: Illanz/Glion, GR (Strom für 14’000 Haushalte, Südostschweiz); Disentis, GR (10’000 Haushalte, Südostschweiz, paywall) und Saanen (15’000 Haushalte, Berner Zeitung, paywall).

Zurzeit sind in der Schweiz drei alpine Solaranlagen öffentlich aufgelegt (Stand, 12. Dezember 2023, eine aktuelle Übersicht liefert das BFE). Sie sind bereits von den Gemeinden gutgeheissen worden. Oberwil, BE (Alp Morgeten, Strom für 3000 Haushalte, Einsprachen der Stiftung Landschaftsschutz, der Schweizer Alpen-Club und Mountain Wilderness, Sonntagszeitung paywall); Scuol, GR (20’000 Haushalte, Südostschweiz); Sedrun, GR (6300 Haushalte, Tages-Anzeiger).

Zudem sind ein paar neue Projekte vorgestellt worden: in Grindelwald, BE (zwei Standorte, Strom für zusammen 7000 Haushalte, Berner Zeitung); Lauterbrunnen, BE (3000 Haushalte, Berner Zeitung); Urnerboden, GL (3000 Haushalte, Tages-Anzeiger). Hier eine Übersicht des Verbands Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen aller geplanten PV-Anlagen und weiterer Projekte, um erneuerbare Energien auszubauen.

Damit alpine, im Rahmen des Solarexpresses gebaute PV-Anlagen bis zu 60% der Investitionskosten vom Bund entschädigt erhalten, müssen sie bis Ende 2025 mindestens 10% des geplanten Stroms ins Netz speisen. Nun wollen Nationalrät:innen aus FDP, Mitte und SP die Frist um drei Jahre bis 2028 verlängern, wie die NZZ am Sonntag (paywall) berichtet. Noch in der laufenden Wintersession soll über den Vorstoss abgestimmt werden.

Doch nicht nur der Zeitdruck, die Ablehnung der Bevölkerung oder der Widerstand der Umweltverbände stellen alpine Solaranlagen infrage. Die grösste Hürde für die meisten Projekte sei die Wirtschaftlichkeit, ist in der NZZ zu lesen. «Trotz Subventionen seien die Erstellung und der wirtschaftliche Betrieb dieser Anlagen auf den hochalpinen Freiflächen schwierig.»

Neuer Windpark, Kernkraft und ein umstrittenes Modell zum Strommix

Im waadtländischen Sainte-Croix ist im November der erste Windpark des Kantons eröffnet worden. Von der ersten Machbarkeitsstudie bis zur Eröffnung dauert es 25 Jahre. Die sechs installierten Windräder liefern Strom für rund 5000 Haushalte. Mit dem Windpark Sainte-Croix sind in der Schweiz 47 Windenergieanlagen in Betrieb, gegenüber über 1300 in Österreich. Mehr dazu bei ee.news.ch.

Im Herbst hatte Ständerat und FDP-Präsident Thierry Burkart ein Postulat eingereicht, in dem er den Bundesrat zu einem Bericht auffordert, um unter anderen den Neubau von Kernkraftwerken zu prüfen. Nun hat der Bundesrat entschieden, den Vorstoss anzunehmen. Dies sei nicht als Präjudiz zu verstehen, das geltende Verbot für neue Kernkraftwerke aufzuheben. Doch eine Diskussion darüber regt der Bundesrat damit an. Mehr dazu in der Aargauer Zeitung (paywall) und der Sonntagszeitung. In der NZZ macht Axpo-Chef Christoph Brand klar, dass sich der Neubau von Kernkraftwerken derzeit aus betriebswirtschaftlicher Sicht nicht lohne. Angesichts der grossen finanziellen Risiken seien staatliche Subventionen nötig. Diese seien unter Umständen noch höher als jene für alpine Solaranlagen, bei welchen der Bund bis zu zu 60% der Investitionskosten übernimmt.

Der Energiekonzern Axpo stellt mit dem Power Switcher ein Instrument zur Verfügung, mit dem sich der Strommix der Zukunft modellieren lässt. Interessierte können eigene Szenarien erstellen. Die Axpo hat damit zwei eigene Szenarien erstellt, mit dem Ziel einer klimafreundlichen und gesicherten Stromversorgung bei möglichst geringer Abhängigkeit von Stromimporten im Winter. Eines der Szenarien setzt auf den Ausbau der Kernkraft.

Die NZZ (paywall), die als erste über das Axpo-Tool berichtete, kommt aufgrund der Modellierung zum Schluss, dass es für eine verlässliche Stromversorgung neue Kernkraftwerke brauche, falls sich die Schweiz nicht auf hohe Importe von Strom oder Wasserstoff verlassen wolle. PV-Anlagen in den Alpen und auch auf Dächern seien hingegen unwirtschaftlich. Der Verein «energie-wende-ja» kommt zu einem anderen Ergebnis. Der Power Switcher berücksichtige für die Photovoltaik zu hohe Kosten und für die Kernkraft zu tiefe. Zudem sei die Schlussfolgerung der NZZ falsch. Darauf weist auch der Wirtschaftsverband swisscleantech hin.

Schafft die Schweiz beim Wasserstoff den Anschluss?

Wasserstoff kann einen wichtigen Beitrag leisten, die Treibhausgasemissionen bis 2050 auf Netto-Null zu reduzieren, weltweit und auch in der Schweiz. Voraussetzung ist, dass er aus erneuerbaren und nicht aus fossilen Energieträgern gewonnen wird. Dabei ist die Schweiz von Importen aus dem Ausland abhängig, wie der Bundesrat in seinem Bericht «Wasserstoff. Auslegeordnung und Handlungsoptionen für die Schweiz» aufzeigt. Um dies zu ermöglichen, sei ein «Zugang zur europäischen Wasserstoffnetzinfrastruktur zentral». Der Bundesrat geht davon aus, dass Importe ab 2035 möglich seien.

Wasserstoff wird dort zum Einsatz kommen, wo es keine anderen erneuerbaren Alternativen gibt. Laut Bundesrat unter anderem für die Erzeugung von Hochtemperaturprozesswärme, im Land-, Luft- und Schiffsverkehr oder als saisonaler Energiespeicher zur Stromproduktion. swisscleantech hält diese Angaben für unzureichend. Der Verband verlangt, dass viel genauer untersucht werde, wo Wasserstoff zum Einsatz kommen solle. Bis Wasserstoff importiert werden könne, sollte Wasserstoff auf industrielle Prozess beschränkt sein, die viel Energie benötigen. Mehr dazu in der NZZ (paywall).

Abstimmung über Autobahnausbau und neue Mobilitätsansätze

Das vom Verkehrs-Club der Schweiz (VCS) und vom Verein Umverkehr ergriffene Referendum gegen den Autobahnausbau ist zustande gekommen. In der Herbstsession hatte das Parlament 5,3 Milliarden Franken bewilligt, um die A1 streckenweise auf sechs oder acht Spuren auszubauen. Damit wird es 2024 zu einer Volksabstimmung über den Ausbau kommen. Bei der Sammlung der erforderlichen Unterschriften sei deutlich geworden, dass viele Menschen kein Verständnis dafür hätten, weshalb der Bund mitten in der Klimakrise Milliarden in Autobahnen investieren und ganze Landstriche wertvollen Kulturlandes zerstören wolle, teilen die Umweltverbände mit. Mehr dazu im Blick.

Ab dem 1. Januar 2024 bezahlen auch Besitzer:innen von Elektroautos eine Automobilsteuer und leisten damit einen Beitrag an den Unterhalt von Nationalstrassen und an den Agglomerationsverkehrsfonds. Der Bundesrat hat entschieden, die Steuerbefreiung aufzuheben und elektrisch angetriebene Fahrzeuge den Diesel- und Benzinfahrzeugen gleichzustellen. Mit der wachsenden Verbreitung von E-Fahrzeugen haben die Steuerausfälle zugenommen. Im ersten Halbjahr 2023 war einer von vier importierten Neuwagen rein elektrisch angetrieben. Von 100 in der Schweiz zugelassenen Autos sind derzeit 3 reine E-Fahrzeuge. Mehr dazu in der NZZ. Eine Datenanalyse des Tages-Anzeiger (paywall) bestätigt, dass in wohlhabenden Gemeinden der Anteil von Elektrofahrzeugen höher ist als im Rest der Schweiz.

In internationalen Verhandlungen setzt sich die Schweiz dafür ein, Subventionen zugunsten von fossilen Energien einzuschränken. In der Schweiz lässt der Bundesrat diese aber noch immer zu. So hat er beschlossen, dass Traktoren und Pistenfahrzeuge weiterhin die Mineralölsteuer auf Diesel (rund 80 Rappen pro Liter) zurückerstattet erhalten. Davon profitieren auch Forstbetriebe, die Berufsfischerei und konzessionierte Verkehrsbetriebe. Jährlich werden diese Branchen mit 65 Millionen Franken subventioniert. Mehr dazu bei nau.ch und im Tages-Anzeiger.

Wie sieht eine klimafreundliche Mobilität aus? Forschende der ETH sind daran, dies für die Stadt Zürich zu entwickeln. Erste Ergebnisse des Projekts «E-Bike-City» zeigen, dass der Raum für Autos deutlich reduziert würde. Rund die Hälfte der Fahrbahnen sind in diesem Szenario für Velos, E-Bikes und E-Trottinettes reserviert. Motorfahrzeuge würden auf vielen Strecken nur noch auf Einbahnstrassen unterwegs sein. Damit soll auch erreicht werden, die Strassen für Velofahrenende sicherer zu machen. Mehr dazu im Tages-Anzeiger.

Der Verein Umverkehr will ähnliche Veränderungen auf politischem Weg erreichen und hat dazu in mehreren Städten und Gemeinden «Stadtklima-Initiativen» eingereicht. In St. Gallen wurde ein Gegenvorschlag des Stadtparlaments angenommen. Dieser sieht vor, 200‘000 m² mehr Grünflächen und Platz für den Fuss- und Veloverkehr sowie den ÖV zu schaffen. In Basel ist das Volksanliegen Ende November abgelehnt worden. SP und Grüne hatten vergeblich argumentiert, dies sei eine unabdingbare Massnahme, um der gesundheitsschädigenden Klimaerwärmung entgegenzutreten. Die bürgerlichen Parteien wehrten sich gegen Einschränkungen des Autoverkehrs und den Abbau von Parkplätzen. Mehr dazu in der Basler Zeitung und im Tages-Anzeiger.

Bundesgericht hebt zwei Urteile gegen Klimaaktivist:innen auf

Klimaaktivist:innen, die 2019 die Eingangshalle eines Shoppingcenters in Freiburg blockiert hatten, werden nicht verurteilt. Das Bundesgericht hat einen Entscheid des Kantonsgerichts bestätigt, das eine erstinstanzliche Verurteilung aufgehoben hatte. Dagegen hatte die Staatsanwaltschaft Freiburgs Beschwerde erhoben. Das Bundesgericht kam zum Schluss, dass der bei der Aktion ausgeübte Druck auf Dritte nicht ausreiche, um die daran beteiligen Personen wegen Nötigung zu verurteilen. Während der Blockade hätten Besuchende über andere Ein- und Ausgänge in und aus dem Einkaufscenter gelangen können. Die Versammlungsfreiheit verlange, dass der Staat bei unbewilligten, doch gewaltfreien Versammlungen eine gewisse Toleranz zeigen müsse. Mehr dazu im Tages-Anzeiger und der NZZ (paywall).

Auch in einem zweiten Fall hat das Bundesgericht Umweltaktivist:innen freigesprochen. Sie hatten über mehrere Monate bei Eclépens, VD, einen Hügel besetzt. Damit wollten sie den Zementkonzern Holcim daran hindern, dort Gestein für die Zementherstellung abzubauen. Im März 2021 räumte die Waadtländer Kantonspolizei den Hügel, wobei die Aktivist:innen ihre Identität nicht angaben. Darauf wurden sie von der Staatsanwaltschaft zu unbedingten Gefängnisstrafen von bis zu drei Monaten und zu Bussen verurteilt. Nun rügt das Bundesgericht die Staatsanwaltschaft und die Gerichte in der Waadt dafür, den Beteiligten das Recht auf einen Prozess verwehrt zu haben. Mehr dazu im Tages-Anzeiger.

SNB wegen Beteiligung an Fracking-Firmen in der Kritik

Die Schweizerische Nationalbank ist bei knapp 70 Unternehmen beteiligt, die mithilfe von Fracking Öl oder Gas fördern oder durch Fracking geförderte fossile Brennstoffe transportieren. Die Investitionen der SNB in diese Firmen beläuft sich auf neun Milliarden US-Dollar. Dies zeigt ein Bericht der SNB-Koalition, einem Zusammenschluss von Organisationen und Einzelpersonen unter dem Dach der Klima-Allianz. Die SNB äussert sich nicht zu einzelnen Anlagen, rechtfertigt die Investitionen in die Firmen aber damit, sich im Gegenzug aus Kohleunternehmen zurückzuziehen. Die Koalition verlangt, dass sich die SNB an ihre eigene Kriterien hält und aus Fracking aussteigt. Mehr dazu bei Bloomberg (paywall).

Um die Nationalbank auf mehr Klimaschutz zu verpflichten, haben fünf Nationalrät:innen gleichlautende parlamentarische Initiativen eingereicht. Darin fordern sie, dass die SNB gesetzlich dazu verpflichtet wird, in ihrer Geld- und Währungspolitik auch Klima- und Umweltrisiken zu berücksichtigen. Die Wirtschaftskommission des Nationalrats hat den Vorstoss mit dem Stichentscheid des Präsidenten abgelehnt. Mehr dazu im Tages-Anzeiger.

Klimarelevante Entscheid von Bund und Kantonen

Der Bundesrat will die Strategie zur Anpassung an den Klimawandel überarbeiten. Gleichzeitig soll ein neuer Aktionsplan für die Zeit bis 2030 erarbeitet werden. Ein Controlling-Bericht zur Umsetzung des aktuellen Aktionsplans zeigt, dass die bisher ergriffenen Massnahmen wirksam seien. Zudem wurden 50 Projekte unterstützt, deren Lösungsansätze sehr nützlich seien. Dazu zählen etwa die Früherkennung von Trockenheit, die Überwachung von Naturgefahren, die Entwicklung von Grundlagen der Waldentwicklung oder Empfehlungen zum Schutz vor Hitze.

St. Gallen stellt einen Sonderkredit von 59 Millionen Franken bereit, um bisherige Energieförderungsprogramme fortzusetzen und auszubauen. Dies sieht ein Gegenvorschlag zur Initiative für einen Klimaschutzfonds der SP vor, der vom Stimmvolk angenommen wurde. Die SP wollte mit ihrer Initiative einen mit 100 Millionen dotierten Fonds einrichten, um nachhaltige Heizsysteme und energetische Gebäudesanierungen zu fördern. Die Initiative wurde abgelehnt. Mehr dazu im Tagblatt.

Der Kanton Zürich zieht eine positive Zwischenbilanz zum Energiegesetz, das seit September 2022 in Kraft ist und den Ersatz fossiler Heizungen durch klimaneutrale Systeme fördert. Über 800 Heizungen seien ersetzt worden, je ein Drittel mit Erdsonden- und Luft-Wasser-Wärmepumpen, 15% mit Anschlüssen an die Fernwärme. Der Anteil neuer fossiler Heizungen beträgt noch 4%; mehr als die Hälfte davon sind befristet bewilligt, bis am Standort ein Anschluss an die Fernwärme zur Verfügung steht. Zuvor seien bestehende Heizungen überwiegend durch fossile Systeme ersetzt worden.

Internationale Klimapolitik

Good COP, bad COP

Die 28. internationale Klimakonferenz fand dieses Jahr in Dubai statt. Schon im Vorfeld gab es viel Kritik am COP-Präsident Sultan Al Jaber. Dieser ist auch Chef des Öl- und Gasunternehmens Adnoc, das weiter in gigantische Öl- und Gasgeschäfte investieren will. Die Zahl der Öllobyisten war daher so hoch wie noch nie.

War COP28 ein Erfolg? Es kommt drauf an, von welcher Warte dies beurteilt wird. Angesichts der vielen Konflikte und Kriege und der Gräben, die sich auch innerhalb Ländern immer wieder auftun, ist es ein kleines Wunder, dass sich 200 Länder jedes Jahr treffen, um sich Konsens basierend auf Lösungen zu einigen. Es ist jedes Jahr ein grosses Ringen und ein Kraftakt für alle, die an den Verhandlungen teilnehmen. Und einige gute Entscheide sind auch dieses Jahr dabei rausgekommen. So gesehen, war die COP28 ein Erfolg. Fragt man aber: Haben die Länder so entschieden, dass die Zukunft für Alle besser wird und wir die Klimakrise nun wirklich in Angriff nehmen, dann ist die Antwort ein klares Nein. Hier das Wichtigste:

Gelder für die Opfer: Viele hatten erwartet, dass ein zentraler Streitpunkt die Finanzierung eines Fonds für Schäden und Verluste sein würde, der den Entwicklungsländern bei der Bewältigung der Folgen des Klimawandels helfen soll. Doch schon am ersten Tag sagten die reichen Länder 700 Millionen Dollar für den Fonds zu. Aber die vereinbarten Regeln für den Fonds sind schwächer als erhofft. Ein in letzter Minute vorgebrachter Einspruch der US-Delegation gegen den Konsenstext erzwang eine Änderung des Finanzierungsmechanismuses, der die reichen Länder nur «auffordert», zum neuen Fonds beizutragen, sie aber nicht dazu verpflichtet.

Ausstieg aus fossilen Energien zum ersten Mal seit 30 Jahren explizit im Abschlusstext erwähnt: Ein erster Entwurf des COP28-Abkommens forderte lediglich eine freiwillige Reduzierung der Produktion und des Verbrauchs fossiler Brennstoffe und wurde als «völlig unzureichend» kritisiert. Nach einer Reihe von Treffen zwischen hochrangigen Diplomaten verkündete Sultan Al Jaber ein neues Abkommen: Zum ersten Mal hat sich die Welt auf eine Abkehr von fossilen Brennstoffen geeinigt. Auch wenn dies ein grosser Schritt ist, sind viele mit dem Ergebnis unzufrieden: Das Abkommen räumt Erdgas eine zentrale Rolle als Übergangs-Energiequelle ein und der Text bleibt vage, bis wann dieser Ausstieg aus fossilen Energien erfolgen soll.

Ausbau der Erneuerbaren: Die Länder einigten sich darauf, die Kapazitäten der erneuerbaren Energien bis 2030 zu verdreifachen und die Energieeffizienz jedes Jahr um 4% zu steigern. Es ist zenral, dass allgemeine Reduktionsziele nun mit solchen konkreten Massnahmen untermauert wurden. Am Rande der COP28 haben sich aber auch 23 Länder verpflichtet, ihre Atomergiekapazität bis 2050 gegenüber 2023 zu verdreifachen. Dazu gehören die USA, Kanada, Japan, Südkorea, die Vereinigten Arabischen Emirate, das Vereinigte Königreich und Frankreich.

Das Reduktionsziel für 2035 steht fest: Bis dahin müssen die Emissionen weltweit um 60% sinken, und jedes Land hat einen angemessenen Beitrag zu leisten. Spätesten Anfang 2025 müssen alle Staaten ihre neuen Klimaschutz-Pläne (nationale NDCs) für diesen Zeitraum bei der UNO einreichen und darlegen, wie sie dem Ziel gerecht werden wollen.

Die Klimafinanzierung bleibt ein schwieriges Thema: WWF-Klimaschutzexperte Patrick Hofstetter sagt dazu: «Um die gemeinsamen Ziele erreichen zu können, und für besseren Schutz vor den Folgen der Klimakrise brauchen die Länder des globalen Südens dringend Unterstützung durch die reichen Industriestaaten. Deshalb soll auf der nächsten Klimakonferenz in Baku, Aserbaidschan, eine Vereinbarung getroffen werden, die eine deutliche Erhöhung der internationalen Klimafinanzierung vorsieht. Da die Schweiz ihren Verpflichtungen schon heute nicht nachkommt, müssen möglichst bald zusätzliche Gelder generiert werden. Eine Lösung wäre, die Verursacher der Krise zur Kasse zu bitten.»

Mehr zur COP28 bei Klimareporter, SRF, Greenpeace, vielen Artikeln im Guardian und einem sehr detaillierten Artikel in Carbon Brief.

China und USA unterzeichnen Pakt zur globalen Erwärmung

Die Vereinigten Staaten und China haben einen Pakt zur gemeinsamen Bekämpfung der globalen Erwärmung unterzeichnet. Das Abkommen sieht eine Verdreifachung der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energiequellen bis 2030 vor, enthält jedoch nur unzureichende Aussagen zur Energieeffizienz und sagt nichts zur Kernenergie. Beide Länder haben sich verpflichtet, bis 2030 fünf CCS-Megaprojekte (Carbon Capture and Storage, Abscheidung und Speicherung von CO2) durchzuführen. China erklärte ausserdem, dass es Reduktionsziele für alle Treibhausgasemissionen festlegen werde – eine Verbesserung gegenüber den derzeitigen Zielen, die nur CO2-Emissionen berücksichtigen. Mehr in der New York Times (paywall) und der US-Regierung

Chinas Emissionen werden 2024 sinken

Chinas CO2-Emissionen sind in den letzten Jahrzehnten explosionsartig angestiegen. Doch laut einer Analyse von Carbon Brief wird der Ausstoss Chinas im Jahr 2024 voraussichtlich zurückgehen. Ob dieser Rückgang anhaltend sein wird, ist noch unklar. Während die CO2-Emissionen im Jahr 2023 von einem Tiefststand währen der Null-Covid-Strategie wieder anstiegen, wurden gleichzeitig erneuerbare Energien in Rekordhöhe zugebaut. Gleichzeitig baut China weiterhin zahlreiche neue Kohlekraftwerke. Experten erwarten, dass es zu einem Kräftemessen zwischen der Kohleindustrie des Landes und den neuen Interessengruppen für erneuerbare Energien kommen wird. Wenn China seine Kapazitäten für erneuerbare Energien weiterin so rasch ausbaut, könnte es zu einem anhaltenden Rückgang der Nutzung fossiler Brennstoffe und deren Emissionen kommen.

LNG-Exporte der USA sind genauso schlecht wie Kohle

Bis 2016 war die Ausfuhr von verflüssigtem Erdgas (LNG) aus den Vereinigten Staaten verboten. Seither sind die Exporte rapide angestiegen, was zum Teil auf das rasche Wachstum der Schiefergasproduktion zurückzuführen ist. Heute sind die Vereinigten Staaten der grösste Exporteur von LNG.  Die US-Regierung von Präsident Biden hat einen massiven Ausbau der Infrastruktur für LNG-Exporte geplant. Bislang wurden sieben grosse Exportterminals gebaut, mindestens 20 weitere sind geplant.

Ein neues Papier ermittelt in einer Lebenszyklusberechnung die Treibhausgasemissionen von exportiertem LNG. Die grösste Emissionsquelle sind unverbranntes Methan, das bei der Förderung oder auf dem Transport entweicht. Aber auch CO2-Emissionen aus der sehr energieintensiven Schiefergasförderung spielen eine wichtige Rolle. Die Analyse widerlegt das Argument, dass LNG weniger Emissionen verursacht als Kohle: In allen untersuchten Szenarien sind die gesamten Treibhausgasemissionen von LNG höher als die von Kohle, und zwar um 24% bis 274%.

Hoffnungsvoll stimmt der World Energy Outlook 2023 der Internationalen Energieagent (IEA). Er zeigt, dass sich Wachstum des Gasverbrauchs drastisch verlangsamt hat, und die Nachfrage entweder stagnieren oder zurückgehen wird. Das bedeutet, dass einige der zahlreichen LNG-Exportanlagen, die derzeit gebaut werden, mit einer Gasschwemme konfrontiert sein werden. Mehr im New Yorker und im Guardian.

Alle drei Wochen eine grosse Klimakatastrophe in den USA

Die fünfte nationale Klimabilanz der USA zeigt, dass die Klimakrise im ganzen Land jedes Jahr direkte Schäden in Höhe von 150 Milliarden US-Dollar verursacht, Tendenz steigend. Von 2018 bis 2022 erlebte das Land 89 Klimakatastrophen, die mehr als 1 Milliarde USD in Schäden verursachten, darunter Dürren, Überschwemmungen, schwere Stürme und Waldbrände. Das entspricht einer Katastrophe alle drei Wochen. Die US-Regierung kündigte mehr als 6 Milliarden US-Dollar für die Finanzierung von Infrastruktur, sauberer Energie und Klimaresilienz an. Mehr in Nature (paywall).

Banken haben 2022 mehr als 150 Milliarden Dollar in fossile Unternehmen gepumpt

Eine neue Datenbank auf der Website carbonbombs.org zeigt 425 Kohle-, Öl- und Gasförderprojekte. Jedes dieser Projekte wird über die gesamte Lebensdauer mehr als eine Milliarde Tonnen CO2 ausstossen. Zum Vergleich: Das ist über als 20 Mal mehr, als die Schweiz 2022 ausgestossen hat.

Fast 300 dieser Anlagen werden bereits betrieben. Mindestens 128 dieser «Kohlenstoffbomben» sind noch nicht in Betrieb. Im Lauf ihres Lebenszyklus werden sie insgesammt knapp 300 Milliarden Tonnen CO2 emittieren. Diese Treibhausgase könnten noch verhindert werden.

Zwei der geplanten Kohleminen gehören Glencore, dem Schweizer Rohstoffriesen mit Sitz in Baar, ZG. Glencore profitiert nach wie vor stark von Kohle. Letztes Jahr betrug der bereinigte Betriebsgewinn allein für ihre grösste Mine, El Cerrejón im Norden Kolumbiens, 3,6 Milliarden Dollar.

Zwischen 2016 und 2022 gewährten Banken vor allem in den USA, China und Europa Finanzierungen für solche Firmen und Projekte in Höhe von 1,8 Billionen Dollar. Im Jahr 2022 waren es mehr als 150 Milliarden Dollar. Dabei handelte es sich grösstenteils um allgemeine Unternehmensfinanzierungen und nicht um direkte Kredite für Projekte zur Gewinnung fossiler Brennstoffe. Mehr im Tages-Anzeiger (paywall) und Guardian.

Regierungen einigen sich auf Ausstieg aus der Leuchtstoffröhrenbeleuchtung

Auf der COP5 des Minamata-Übereinkommens über Quecksilber einigten sich 147 Regierungen darauf, alle Leuchtstofflampen ab 2027 zu verbieten. Das Abkommen wird bis 2050, wenn voll implementiert, 2,7 Gigatonnen CO2-Emissionen vermeiden, da LED-Beleuchtung viel energieeffizienter ist. Ausserdem werden 158 Tonnen weniger Quecksilber in die Umwelt gelangen sowohl durch die Glühbirnen selbst als auch durch vermiedene Emissionen aus Kohlekraftwerken. Mehr von clasp und CAN International.

Welt-Energieausblick 2023 der IEA

Die Internationale Energieagentur (IEA) veröffentlichte im Oktober ihren World Energy Outlook 2023. Die wichtigsten Botschaften sind:

Ein neuer Bericht von Climate Analytics zeigt zudem, dass die weltweiten Treibhausgasemissionen schon ab nächstem Jahr anfangen könnten zu sinken, wenn die derzeitigen Wachstumsraten bei Solar- und Windenergie sowie Elektrofahrzeugen anhalten. Die Studie sagt einen Peak bei Kohle im Jahr 2023, bei Gas im Jahr 2024 und bei Öl im Jahr 2025 voraus.

Kriminalisierung von Klimaprotesten

Die Medien haben im letzten Jahr intensiv über Klimakleber und Klimaproteste berichtet. Oft wurden die Aktionen und Aktivisti:nnen als extremistisch dargestellt und die Ursache der Proteste, die Dringlichkeit der Klimakrise, in den Hintergrund gestellt. Das kommt nicht von ungefähr. Das Atlas Network setzt sich strategisch dafür ein, dass Klimaproteste in den Medien, der Politik und der Justiz als extrem und gefährlich dargestellt werden. Das einflussreiche, aber wenig bekannte, weltweit tätige Netzwerk umfasst hunderte von konservativen, libertären und neo-liberalen Organisationen und Denkfabriken. Im Podcast Drilled setzt sich die Klimareporterin Amy Westervelt mit der Kriminalisierung von Klimaprotesten auseinander. Mehr dazu auch in der WOZ.

Europäische Klimapolitik

Einigung bei der Gebäuderichtlinie erzielt

Kurz vor Jahresende haben sich das Europäische Parlament sowie die EU-Mitgliedsstaaten auf eines der letzten noch offenen Dossiers des «Fit for 55»-Programms, die EU-Gebäuderichtlinie (EPBD), geeinigt. Der Gebäudesektor soll europaweit an strengere Effizienz- und Klimaschutzauflagen geknüpft werden. Kernelement der hitzigen Diskussionen waren die sogenannten Mindesteffizienzstandards für besonders ineffiziente Gebäude gewesen. Diese hätten nach Vorschlag der EU-Kommission vorgeschrieben, dass bis zu einem Stichjahr sehr ineffiziente Wohn- und Nicht-Wohngebäude schrittweise energetisch hätten saniert werden müssen, um mehr Energie und dadurch auch Kosten einzusparen. Zum Schluss wurden die Vorgaben jedoch deutlich abgeschwächt. Umweltverbände befürchten, dass durch die abgeschwächten Effizienzvorgaben kein ausreichender Klimaschutz sowie Schutz vor Energiearmut gewährleistet wird (siehe CAN Europe oder NABU). Teil der erneuerten Richtlinie sind auch die schrittweise Einführung einer EU-weiten Solarpflicht, das Subventionierungsverbot fossiler Heizungen ab 2025 sowie deren Betriebsverbot ab 2040. Mehr dazu ausführlich bei Euractiv.

Frankreich weigert sich, Strafzahlungen für Klimaverfehlungen zu leisten

Eigentlich hätte Frankreich im Jahr 2020 einen Anteil von erneuerbaren Energien beim Gesamtenergieverbrauch von 23% haben müssen. Dazu hatte sich die französische Regierung bereits 2009 im Zuge einer EU-Richtlinie verpflichtet. Erreicht wurden dies nicht. Nun drohen aufgrund der Nichteinhaltung nach EU-Vorgaben «Strafzahlungen». Doch Paris weigert sich und geht mit der Europäischen Kommission auf Konfrontationskurs, wie in Le Monde näher zu lesen. Frankreich müsste Anteile an erneuerbaren Energien von Ländern abkaufen, die ihre Ziele übererfüllt haben. Die Kosten dafür belaufen sich nach Schätzungen auf etwa 500 Millionen Euro, so Energiewendeministerin Pannier-Runacher. Es bleibt abzusehen, ob Frankreich nun ein Vertragsverletzungsverfahren vor dem Gerichtshof der EU droht.

Trotz sinkender Emissionen: EU-Klimaziel nicht in Sicht

Die Europäische Umweltagentur (EEA) prognostiziert in einem neuen Report, dass die Emissionen der EU 2022 im Vergleich zum Vorjahr zwar gefallen sind, allerdings bis 2030 nicht die angestrebte Reduktion von 55% im Vergleich zu 1990 erreicht werden. Mit den bisherigen Anstrengungen der Mitgliedsstaaten in über 3000 verschiedenen Massnahmen würden nur etwa ein Absenken der Emissionen um 43% erreicht werden. Wenn derzeit noch geplante Massnahmen umgesetzt werden, wäre eine Reduktion von 48% möglich – dennoch klafft eine Lücke von sieben Prozentpunkten zum 2030-Ziel. Bis heute stösst die EU etwa 31% weniger klimaschädliche Treibhausgasemissionen aus als noch 1990. Im kommenden Jahr müssen die Mitgliedsstaaten neue Nationale Energie und Klimapläne (NECP) einreichen. Diese seien zur Erreichung der Klimaschutzziele zentral, so die EEA.

Wachsende Herausforderungen für den Strommarkt durch Erneuerbare

Auch wenn das Tempo des Klimaschutzes in Europa, wie oben beschrieben, zu langsam ist, wachsen die Erneuerbaren Energien zur Stromgewinnung weiter an. Das stellt den Strommarkt in der EU vor neue Herausforderungen, wie ein Report der EEA zeigt. 42,5% des in der EU produzierten Stroms soll 2030 aus erneuerbaren Quellen kommen. Mitgliedsstaaten müssen nun aufgrund der fluktuierenden Einspeisung ihre Stromsysteme flexibilisieren sowie den grenzüberschreitenden Transport des Stroms ausbauen.

Europäische Finanzströme heizen das Klima weiter an

Die Organisation ActionAid International veröffentlichte passend zur 28. Weltklimakonferenz in Dubai einen neuen Bericht, aus dem hervorgeht, dass in der EU ansässige Unternehmen und Finanzinstitute für grosse Teile der klimaschädlichen Finanzierung verantwortlich sind. Dies obwohl sich die EU international für neue Finanzströme einsetzt, die am Klimaschutz orientiert sind. So seien seit dem historischen Abkommen von Paris insgesamt 327 Milliarden US-Dollar für die Finanzierung von Aktivitäten im Bereich fossiler Brennstoffe und industrieller Landwirtschaft in den Globalen Süden geflossen, die dem Klimaschutz zuwiderlaufen.

Wer sind die grössten Verschmutzer im EU-Emissionshandel?

Eine neue Analyse von Carbon Market Watch zeigt, dass lediglich 30 europäische Unternehmen für mehr als die Hälfte der Emissionen im EU-Emissionshandelssystem (ETS) verantwortlich sind. Im ETS werden von grossen Industrieunternehmen und von der Energiewirtschaft Emissionsrechte ersteigert. Diese werden schrittweise reduziert, um eine stetige Reduktion der Treibhausgase zu erreichen. Es werden aber auch kostenlose Emissionsrechte erteilt, die Industrieunternehmen gegenüber ihrer Konkurenz ausserhalb der EU wettbewerbsfähig halten sollen.

Der Energiesektor ist zwar für den Grossteil der Emissionen verantwortlich, zahlt aber auch für ihre Emissionsrechte. Unternehmen aus Sektoren wie der Stahl-, Zement- oder Petrochemieproduktion erhalten jedoch riesige Mengen an kostenlosen Emissionsrechten. So erhielt beispielsweise der Stahlriese ArcelorMittal im Jahr 2022 kostenlose Emissionszertifikate im Wert von 3,7 Milliarden Euro, während der Zementriese Heidelberg 1,9 Milliarden Euro erhielt. Die Organisation fordert daher, dass zur Erreichung der Klimaziele künftig keine Verschmutzungsrechte mehr gratis verteilt werden und alle Unternehmen zahlen sollen.

Deutschland

Epochales Urteil des Bundesverfassungsgerichts führt Deutschland in die Haushaltskrise

Das Bundesverfassungsgericht hat am 15. November entschieden, dass ungenutzte Gelder zur Bekämpfung der Coronapandemie nicht für den Klimaschutz umgewidmet werden dürfen. Die CDU/CSU-Fraktion hatte geklagt, da dies dem Grundgesetz und den darin festgelegten Schuldenregeln widerspräche. Diese 60 Mrd. Euro hätten in den Klima- und Transformationsfond fliessen sollen, aus welchem verschiedene Massnahmen zur Bekämpfung der Klimakrise – beispielsweise die Finanzierung klimafreundlicher Heizungen oder Investitionen in die Bahninfrastruktur – finanziert werden sollten. Dies bringt die Haushaltsverhandlungen ins Straucheln und wird seitens der Opposition als «Klatsche» für die Bundesregierung gewertet. Eine Aufnahme neuer Schulden ist aufgrund der im Grundgesetz verankerten Schuldenbremse nicht ohne weiteres möglich. Die Bundesregierung musste nun ihre Pläne für den kommenden Bundeshaushalt umstellen. Vier Wochen nach dem Urteil haben sich Kanzler Scholz, Vizekanzler Habeck sowie Finanzminister Lindner auf einen neuen Vorschlag geeinigt. Grosse Transformationsprojekte für die Industrie sollen wie geplant bestehen bleiben. Sozialverbände kritisierten, dass an anderen Stellen vor allem Einsparungen zulasten der Bürger:innen gemacht würden. Zur Gegenfinanzierung der Ausgaben werden auch der nationale CO2-Preis beim Heizen und Tanken erhöht sowie in einem niedrigen Masse klimaschädliche Subventionen abgebaut. Vertreter der deutschen Wirtschaft, des Finanzmarkts und der Zivilgesellschaft Deutschlands fordern derweilen in einem offenen Appell von der Bundesregierung, dass die Finanzierung von Klimaschutz und Transformation langfristig auf sichere Beine gestellt werden soll. Mehr dazu bei ZEIT Online, Tagesschau und eine ausführliche Analyse bei der Lage der Nation.

Mehr Klimaschutz bei Gebäuden und Verkehr notwendig

Das Bundes-Klimaschutzgesetz (KSG) legt fest, dass bei Nichteinhaltung der jährlichen Emissionsgrenzen umgehend «Sofortprogramme» mit geeigneten Massnahmen beschlossen werden müssen, damit der entsprechende Sektor wieder auf Klimakurs kommt. Der Gebäudesektor hat seine Ziele bereits dreimal in Folge verfehlt, der Verkehrssektor zweimal. Zwar wurden von den zuständigen Ministerien daraufhin Sofortprogramme festgelegt, diese sind jedoch unzureichend, wie etwa der Expertenrat für Klimafragen – ein Gremium, dass die Umsetzung des KSG prüft und kontrolliert – in einem Gutachten bereits betonte.

Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland und die Deutsche Umwelthilfe haben daraufhin die Bundesregierung verklagt und Recht bekommen: Die Sofortprogramme sind unzureichend und entsprechen nicht den Anforderungen des Klimaschutzgesetzes. Die Bundesregierung sei nun verpflichtet, unverzüglich nachzubessern und weitere politische Massnahmen zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen vorzulegen. Das Urteil kann jedoch noch von den entsprechenden Ministerien angefochten werden und ist somit noch nicht rechtskräftig. Weitere Klagen, etwa zum umfassenden Klimaschutzprogramms 2023 der Bundesregierung, stehen noch aus. Auch hier wird bezweifelt, dass die vorgeschlagenen Massnahmen den Anforderungen des KSG entsprechen. Mehr dazu beim  ZDF oder RND.

BMWK legt Industriestrategie vor

Auf dem Weg zur Klimaneutralität führt kein Weg daran vorbei, dass auch die deutsche Industrie sich hin zu Netto-Null entwickelt. Ende Oktober legte das Wirtschats- und Klimaschutzministerium (BMWK) dazu seine neue Industriestrategie vor. Minister Habeck spricht sich klar dazu aus, den Industriestandort auch künftig halten zu wollen. In der Strategie werden sowohl Herausforderungen im Zuge der Transformation beschrieben als auch Massnahmenvorschläge geliefert, um den Industriestand mittel- und langfristig zu sichern.

Umweltverbände wie der WWF bemängeln, dass der Europäischen Emissionshandel weiterhin als Leitinstrument der Transformation gesehen wird. Insgesamt fehle es an dem «grossen Ganzen», so der WWF. Es sollten insbesondere der Abbau klimaschädlicher Subventionen vorangetrieben und staatliche Förderung der Transformation an Konditionen geknüpft werden. Der Bundesverband der deutschen Industrie und die Deutsche Industrie- und Handelskammer verlangen, dass bürokratische Hürden abgebaut werden sollten sowie die Wettbewerbsfähigkeit auf internationalen Märkten besser sichergestellt werden müsste.

Grosse Schritte in Richtung Wasserstoffversorgung

Um von fossilen Brennstoffen wegzukommen, ist Wasserstoff für die Schwerindustrie, die mit sehr hohen Temperaturen arbeiten, essenziell. Mitte November wurden die Pläne der Bundesregierung für das Wasserstoff-Kernnetz veröffentlicht, die den Bau von Wasserstoffleitungen im Zuge der Energiewende anstossen sollen. Geplant sind bis 2032 ein Um- oder Neubau von über 9700 Kilometer Netz, vor allem zur Versorgung grosser und auf Wasserstoff angewiesener Industrieunternehmen, die heute noch fossile Kraftstoffe benutzen. Der Import von Wasserstoff über die Nordsee soll so sichergestellt werden. Mehr als die Hälfte des Netzes soll durch den Umbau bereits existierender Gasrohre betrieben werden. Die Gesamtkosten werden auf fast 20 Milliarden Euro geschätzt. Mehr dazu bei TagesschauZeit Online sowie bei FNB.

Die sichtbare Klimakrise

Ein Viertel der Weltbevölkerung litt letztes Jahr unter extremer Hitze

In den vergangenen 12 Monaten lag die globale Durchschnittstemperatur 1,32 Grad Celsius  über dem vorindustriellen Ausgangswert. Dies ist die wärmste Temperatur, die unser Planet seit 125’000 Jahren erlebt hat. Der grösste Teil dieser Erwärmung, etwa 1,28 Grad, ist auf den menschlichen Einfluss zurückzuführen. Natürliche Schwankungen, die durch Wetterprozesse wie El Niño verursacht werden, trugen wesentlich weniger dazu bei.

Jeder vierte Mensch war letztes Jahr extremen, anhaltenden und gefährlichen Hitzewellen ausgesetzt. In Afrika haben extreme Wetterbedingungen im Jahr 2023 mindestens 15’000 Menschen getötet. Mehr bei Climate Central report, Carbon Brief, Copernicus Climate Change Service bulletin, Nature (paywall).

Gletscherschmelze auf Grönland und in der Antarktis beschleunigt sich enorm

Grönland

Die grönländischen Gletscher schrumpfen heute doppelt so schnell wie noch in den 1980er Jahren, wie eine neue Studie in Nature Climate Change zeigt. Seit 2000 sind auch die Temperaturen in der Arktis doppelt so schnell gestiegen wie die globale Durchschnittstemperatur.

Die Randgletscher in den Küstengebirgen zogen sich zwischen 2000 und 2021 doppelt so schnell zurück wie vor der Jahrhundertwende, so die Studie in Nature Climate Change. Das Eis, das von Grönland aus ins Meer schmilzt, trägt mit am stärksten zum weltweiten Anstieg des Meeresspiegels bei. Die Randgletscher sind ein Frühwarnsystem für den Rest von Grönlands Schnee und Eis. Diese Gletscher machen nur etwa 4% der gesamten Eisdecke Grönlands aus, sind aber für etwa 14% des Eisverlustes auf der Insel verantwortlich. Das könnte sich ändern, wenn der Eisschild selbst instabil wird.

Die Nordküste Grönlands wird von schwimmenden Schelfeisflächen gestützt, die verhindern, dass die zum Inlandeis gehörenden Gletscher in den Arktischen Ozean fliessen können. Laut einer anderen Studie in Nature Communications ist das Volumen dieser Schelfeisflächen seit 1978 um mehr als 35% geschrumpft. Das Eis schmilzt hauptsächlich von unten, da sich der Ozean erwärmt. Drei Eisschelfe im Norden Grönlands sind bereits fast vollständig zusammengebrochen, alle innerhalb der letzten 20 Jahre. Nach diesem Abschmelzen hat sich der Eisverlust des Gletschers hinter dem Schelf mehr als verdoppelt. Mehr bei Spektrum und Coastal Care.

West-Antarktis

Die Antarktis ist fast doppelt so gross wie Australien. Neue Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass sich der Kontinent doppelt so schnell erwärmt, wie die in den UN-Klimaberichten verwendeten Klimamodelle bisher anzeigten. Die tiefe antarktische Meeresströmung, die das Klima rund um den Globus beeinflusst, verlangsamt sich bereits aufgrund des Schmelzwassers. Dieser Effekt könnte in den kommenden Jahrzehnten noch stärker werden.

Das Ausmass des Abschmelzens, dass in diesem Jahrhundert passieren wird, ist nun nicht mehr in der Kontrolle der Menschheit, so eine neue Studie in Nature Climate Change. Die Forschenden nutzten ein hochauflösendes Computermodell der Amundsen-See, um die bisher umfassendste Bewertung der Erwärmung in dieser Region vorzunehmen. Ihre Ergebnisse deuten darauf hin, dass ein erhebliches Abschmelzen der Westantarktis in diesem Jahrhundert garantiert ist, unabhängig davon, wie schnell die Welt auf fossile Brennstoffe, die den Klimawandel vorantreiben, verzichtet. Die Analyse zeigt, dass das schwimmende Schelfeis in der Amundsen-See in diesem Jahrhundert dreimal so schnell abschmelzen wird wie im vergangenen Jahrhundert. Wie in Grönland bedeutet der Verlust dieses Eises, dass die Gletscherschilde an Land schneller in den Ozean rutschen können.

Der westantarktische Eisschild verliert jährlich etwa 80 Milliarden Tonnen Eis. Es gibt Hinweise aus der Vergangenheit, dass das Auseinanderbrechen der Antarktis viel schneller als erwartet und eher sporadisch und heftig als gleichmässig und vorhersehbar erfolgen könnte. Die Westantarktis enthält genug Eis, um den Meeresspiegel um bis zu 5 Meter ansteigen zu lassen. Doch wir wissen nicht, wie viel davon schmelzen wird und wie schnell. Mehr bei SRF, Klimareporter, Guardian, Tages-Anzeiger (paywall), The Conversation.

Bedrohung der Wälder durch Waldbrände und Dürreperioden

Kanada

In Kanada haben Waldbrände in diesem Jahr eine Fläche verbrannt, die fast viermal so gross ist wie jene der Schweiz (mehr als 180’000 km2). Dabei wurden fast 1,5 Milliarden Tonnen CO2  freigesetzt – mehr als die Emissionen von Kanada und Deutschland zusammen. Durch jahrzehntelange grossflächige industrielle Abholzung, falsche Waldbewirtschaftung und die Klimaerwärmung stossen die Wälder seit anfang der 2000er-Jahre nun jedes Jahr 180 Millionen Tonnen CO2 aus, anstatt es zu absorbieren und zu speichern, wie eine beunruhigende neue Analyse zeigt. Obwohl sich Kanada gerne als gün und umweltfreundlich präsentiert, setzt das Land immer noch auf den Ausbau der fossilen Industrie: Es baut Pipelines aus, spottet über die Idee, fossile Brennstoffe im Boden zu belassen, und verhaftet routinemässig Klimaaktivist:innen. Mehr bei SRF und Spektrum.de.

Amazonas

Der Amazonas-Regenwald, durch den ein Fünftel des weltweiten Süsswassers fliesst, leidet unter einer gewaltigen seit Jahren anhaltenden Dürre. Seit Anfang des Jahres haben Waldbrände mehr als 46’000 km2 des Amazonasgebietes verwüstet, eine Fläche grösser als die Schweiz. Die Luft ist durch die gigantischen Rauchentwicklungen für Millionen von Menschen gesundheitsgefährdend geworden, und gleichzeitig trocknen die grossen Flüsse in einem Rekordtempo aus. Die trockeneren Bedingungen beschleunigen ihrerseits die Zerstörung des grössten und artenreichsten Regenwaldes der Welt. Mehr bei  New York Times (paywall).

Tundra

Neue Forschung deutet darauf hin, dass sich die arktische Tundra von einer Kohlenstoffsenke zu einer Quelle von Methanemissionen entwickelt. Wenn Permafrost auftaut, kann im Boden gebundener Kohlenstoff in Form von Methan in die Atmosphere gelangen. Untersuchungen haben ergeben, dass die Wahrscheinlichkeit von Methan-Hotspots an Orten, an denen in den letzten 50 Jahren Waldbrände ausgebrochen sind, um etwa 30% steigt. Diese Wahrscheinlichkeit steigt auf fast 90%, wenn das Feuer an Wasser grenzt. Mehr bei Environmental Research.

Neues aus der Klimawissenschaft

CO2-Konzentration so hoch wie vor 3 Millionen Jahren

Die CO₂-Konzentration in der Atmosphäre stieg 2022 laut der Weltorganisation für Meteorologie auf 417,9 ppm (parts per million – Teilchen CO₂ pro Millionen Teilchen). Die Konzentration liegt nun 50%  über dem vorindustriellen Niveau. So hohe CO₂-Konzentrationen hat es zuletzt vor drei bis fünf Millionen Jahren gegeben. Die globale Durchschnittstemperatur war damals zwei bis drei Grad höher und der Meeresspiegel lag 10 bis 20 Meter höher. Mehr in der Süddeutschen (paywall).

Wir sprengen unser CO2-Budget

Eine neue Studie in Nature zum 1,5-Grad-Ziel geht davon aus, dass das verbleibende CO2-Budget nur rund halb so gross ist, wie bisher angenommen. Die neue Studie verwendet aktuellere Daten und verbesserte Modelle. Wollen wir die Erderwärmung mit einer Wahrscheinlichkeit von 50% nicht über 1,5 Grad steigen lassen, kann die Menschheit nur noch 247 Milliarden Tonnen CO₂ ausstossen. Danach müssen die Emissionen auf Netto-null gesunken sein. Global werden zurzeit rund 40 Milliarden Tonnen CO2 pro Jahr ausgestossen, Tendenz nach wie vor steigend. Das heisst, das verbleibende Budget wärde in rund sechs Jahren aufgebraucht. Mehr im Tages-Anzeiger (paywall), BBC und NY Times (paywall).

Neue Studie zeigt: Das Klima ist wahrscheinlich deutlich empfindlicher

Dr. James Hansen ist ein Synonym für die Klimawissenschaft. Seine Aussage vor dem US-Kongress im Jahr 1988 hat damals die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf dieses Thema gelenkt. Sein neuestes Papier geht davon aus, dass das Klima viel empfindlicher auf CO2 reagiert als bisher angenommen. Es gibt gleich mehrere Aspekte, die das Papier aufzeigt.

Klimasensitivität: Die Klimasensitivität ist eine Schätzung, wie stark sich der Planet erwärmen würde, wenn sich der CO2-Gehalt in der Atmosphäre gegenüber dem vorindustriellen Durchschnitt verdoppelt. Zurzeit sind in der Atmosphäre fast genau 50% mehr CO2. Jahrzehntelang lag die zentrale Schätzung bei drei Grad Celsius; das heisst, eine Verdoppelung des CO2-Gehalts führt zu einer Erwärmung um drei Grad. Hansen und seine Mitautoren berechneten nun anhand neuer Daten eine Erwärmung von 4,8 Grad Celsius.

Beschleunigung der Krise: Ausserdem sehen die Autoren eine Beschleunigung der Erwärmung. Einige andere Wissenschaftler haben dies infrage gestellt, andere, darunter die Autoren eines massgeblichen Berichts zum Stand des Klimas, haben ebenfalls eine Beschleunigung festgestellt.

Bessere Luftqualität = mehr Klimaerwärmung: Weltweit hat sich die Luftqualität seit vielen Jahren dank strengeren Vorschriften deutlich verbessert. Das ist gut, denn Luftschadstoffe, führen jedes Jahr zum Tod von Millionen von Menschen. Doch ein Teil der Feinstaubpartikel kühlt das Klima ab: Sie blockieren die Sonneneinstrahlung, wodurch ein Teil der von uns verursachten Erwärmung neutralisiert wird.

Der Klimarat (IPCC) schätzt die Abkühlung im Durchschnitt auf etwa 0,5 Grad Celsius. Hansen und seine Kollegen geben eine deutlich höhere Schätzung ab. Aerosole könnten den Planeten um 1,5 Grad Celsius abkühlen. Sinkt die Luftverschmutzung und damit auch der gehalt an Feinstoffpartikel, erwärmt sich die Welt entsprechend schneller. Je grösser der Einfluss dieser Partikel, desto drastischer müssen die Treibhausgasemissionen gesenkt werden, um die globale Temperatur zu stabilisieren. «Wir hoffen, dass wir falsch liegen», kommentierte einer der Mitautor der Studie. Mehr im Guardian, Insideclimatenews. Dr. Hansen und seine Co-Autoren hielten eine Pressekonferenz ab, auf der sie die Ergebnisse der Studie im Detail erläuterten.

Die Reichsten sind Hauptverursacher des Klimawandels

Die reichsten 1% der Welt sind für mehr CO2-Emissionen verantwortlich als die ärmsten 66% – etwa 16% der Gesamtemissionen. Ihre Emissionen stammen von Superyachten, Privatjets, Villen, sowie von Investitionen in Unternehmen, die fossile Brennstoffe fördern. Ein neuer Bericht von Oxfam schätzt, dass die von den reichsten 1% im Jahr 2019 verursachten Emissionen ausreichen könnten, um zwischen 2020 und 2100 den hitzebedingten Tod von 1,3 Millionen Menschen zu verursachen.

Aber es sind nicht nur die Superreichen. Wir gehören auch dazu. Die reichsten 10% sind für die Hälfte aller weltweiten Emissionen verantwortlich und damit der Schlüssel zur Beendigung der Klimakrise. Zu den reichsten 10% der Welt gehören die meisten Mittelschichten in den Industrieländern, das heisst alle, die mehr als 40’000 USD pro Jahr verdienen. Mehr im Guardian hier, hier und hier und bei SRF.

Mediziner:innen und Klimawissenschaftler:innen warnen

Im Journal «BioScience» haben Wissenschaftler:innen einmal mehr einen Weckruf veröffentlicht. Die Publikation gipfelt in der Warnung, dass gegen Ende dieses Jahrhunderts die Heimat von drei bis sechs Milliarden Menschen durch Hitzewellen und Nahrungsmangel nahezu unbewohnbar sein könnte. Die Extremwerte des Jahres 2023 sehen die Verfasser in einer Reihe mit 35 »Vitalzeichen« der Erde. Auch der Interconnected Disaster Risks report 2023 der United Nations University kommt zu dem Schluss, dass die Welt an mehreren Stellen schnell auf Kipppunkte zusteuert.

Der 2023 Lancet Report untersucht die Beziehung zwischen Gesundheit und Klimawandel in fünf Schlüsselbereichen und bietet die aktuellste Bewertung der Zusammenhänge. Gleizeitig haben medizinische Fachleute in mehr als 200 medizinischen Fachzeitschriften im Oktober einen gemeinsamen Leitartikel veröffentlicht. Darin fordern sie anzuerkennen, dass der Klimawandel und der Verlust der biologischen Vielfalt untrennbar zusammengehören und gemeinsam angegangen werden müssen. Nur so lasse sich die Gesundheit der Menschen erhalten und eine globale Katastrophe verhindern. Die Weltgesundheitsorganisation WHO müsse den globalen Gesundheitsnotfall ausrufen. Es ist die höchste Warnstufe der WHO, die derzeit nur für die Bedrohung durch Kinderlähmung gilt. Mehr im Guardian hier und hier , UNO, ZDF, Spektrum und Süddeutsche Zeitung.

Neue UNO Berichte weisen auf riesige Lücken im Klimaschutz

Die drei neuen UNO Gap Reports, zeigen dramatische Lücken auf, die es im Klimaschutz zu schliessen gilt.

Bericht zur Emissionslücke

Der UNEP Emissons Gap Report ordnet die weltweiten Massnahmen gegen den Klimawandel des vergangenen Jahres ein. Er kommt zum Schluss, dass es zwar einige Fortschritte gegeben hat, die Welt aber weiterhin auf dem Weg zu einer Erwärmung von etwa 2,7 °C bis zum Jahr 2100 ist. Dem Bericht zufolge ist die Welt kurz davor, das 1,5°C-Ziel des Pariser Abkommens zu überschreiten. Mehr dazu bei Carbon Brief und Klimareporter.

Bericht über die Produktionslücke

Der UNEP Production Gap Report zeigt, dass die meisten wichtigen Staaten nicht aus den fossilen Energien aussteigen – im Gegenteil. Die globale Öl- und Gasproduktion soll sogar noch bis 2050 ansteigen. Länder wie die Vereinigten Staaten, Kanada, Russland und Saudi-Arabien gehen davon aus, dass sie im Jahr 2030 mehr als die doppelte Menge an fossilen Brennstoffen produzieren werden, die mit einer Begrenzung der Erwärmung auf 1,5 Grad vereinbar wäre. Wenn die derzeitigen Prognosen zutreffen, werden die Vereinigten Staaten, Russland und Saudi-Arabien im Jahr 2030 mehr Öl und Gas fördern als jemals zuvor in ihrer Geschichte. Einem Bericht der Internationalen Energieagentur (IEA) zufolge müssen die Öl- und Gasproduzenten, wenn sie das Pariser Abkommen einhalten wollen, bis 2030 50% ihrer geplanten Investitionsausgaben für saubere Energie verwenden. Letztes Jahr haben sie dafür nur 2,5 % ausgegeben. Mehr dazu beim Klimareporter, Guardian und Inside Climate News.

Bericht zur Anpassungslücke

Die Folgen der weltweiten Klimaerwärmung sind unübersehbar, und die Kosten steigen rasant. Der UNEP Adaptation Gap Report schätzt in einem neuen Bericht die Kosten der Schäden ein, die der Klimawandel anrichtet. Das Fazit ist ernüchternd. Die internationalen Finanzmittel für den Schutz vor Hitzewellen, Überschwemmungen und Dürren machen nur 5-10 % des heutigen Bedarfs aus und sind in den letzten Jahren sogar zurückgegangen. Gleichzeitig nehmen extreme Wetterereignisse immer stärker zu. Der im Oktober verstorbene herausragende Anpassungsforscher Prof. Saleemul Huq hatte die globale Situation auf den Punkt gebracht: «Wir befinden uns jetzt in der Ära der Verluste und Schäden durch den Klimawandel. Jeden Tag, jede Woche, jeden Monat und jedes Jahr wird es von nun an überall schlimmer werden. Jedes Land wird davon betroffen sein, und jedes Land ist bis zu einem gewissen Grad unvorbereitet.» Mehr bei SRF, Guardian, New York Times (paywall)

Fische: Die heimlichen Klimaschützer

Mesopelagische Fische, die in den Ozeanen zwischen etwa 200 und 1000 Metern Tiefe leben, leisten einen wichtigen, noch viel zu wenig erforschten, Beitrag zur Speicherung von Kohlenstoff. Täglich wandern etwa 90% aller Fische (nach Gewicht) im Ozean von der Tiefsee an die Oberfläche, um zu fressen. Dabei verspeisen sie enorme Mengen an Plankton. Den verdauen sie und scheiden ihn in der Tiefe wieder aus, wo er auf den Meeresboden sinkt und dort in den Sedimenten gebunden wird. Wissenschaftler:innen wollen nun herauszufinden, wie viel Kohlenstoff diese Fische speichern, bevor auch diese tiefer liegenden Fischgründe der Fischerei zum Opfer fallen. Mehr in Hakei Magazine.

Aktiv gegen Hoffnungslosigkeit

„Zukunft wird aus Mut gemacht“ schreibt Ronja von Wurmb-Seibel in ihrem Buch „Wie wir die Welt sehen – Was negative Nachrichten mit unserem Denken machen und wie wir uns davon befreien” (2022). Damit Sie nun nach all den schlechten Nachrichten, nicht ganz erschlagen sind, wollen wir unsere Klima-Zeitung von nun an mit einer Rubrik gegen die Hoffnungslosigkeit beenden. Darin gibt es Tipp gegen den Klima-blues und Infos über wie Sie sich engagieren können.

In guter Gesellschaft

Die Klimakrise können wir nur zusammen angehen. Wichtig ist, immer wieder über sie zu sprechen, auch mit Menschen, die vielleicht nicht so interessiert oder sogar skeptisch sind. Zum Beispiel mit den Verwandten beim Weihnachtsessen. Dazu diese Gesprächstipps und diese allgemeinen Tipps der Psychologist4Future.

Und es gibt ganz viele, die sich engagieren. Die online Zeitung Republik hat zum Beispiel eine neue Klimainitiative lanciert: Republik – Challenge accepted: Die Klimakrise ist hier. Die Lage ist ernst. Gemeinsam gehen wir der Frage nach: Wie kommen wir aus dieser Krise wieder raus? Neugierig, kritisch, konstruktiv. Mit laufend neuen Artikeln, Debatten, Veranstaltungen. https://www.republik.ch/challenge-accepted

Aktiv werden

Im Moment laufen die folgenden schweizer Volksinitiativen.

Danke und Herzliche Grüsse von Anja und Thomas! 

Die Klimazeitung darf gerne weitergeleitet werden. Falls du noch nicht auf dem Verteiler bist, kannst du sie hier abonnieren: https://bit.ly/Klimazeitung

Schweiz

Auch Bürgerliche waren für Klimaschutzgesetz

Mitte Juni war das Klimaschutzgesetz, der indirekte Gegenvorschlag zur Gletscherinitiative, von 59% der Stimmbevölkerung angenommen worden. Nun zeigt die Vox-Analyse des Forschungsinstituts GFS Bern, dass dem Gesetz auch die Mehrheit der Wähler:innen zugestimmt hat, die der FDP (66%) und der Mitte (64%) nahestehen. Im Umfeld von Mitte und FDP war der akute Handlungsbedarf im Bereich Umwelt- und Klimaschutz ein häufiges Motiv, Ja zu stimmen. Die Stimmbeteiligung lag mit 42,5% deutlich tiefer als 2021 bei der Abstimmung über das CO2-Gesetz (59,7%), das abgelehnt worden war. Laut GFS Bern lag die Beteiligung vor allem bei Personen, die sich rechts bis rechtsaussen positionieren, deutlich tiefer. Mehr dazu auf srf.ch.

Die Umsetzung des Klimaschutzgesetzes könnte sich jedoch verzögern. Bundesrat Rösti wolle das Gesetz erst 2025 in Kraft setzen, kritisieren die Initiant:innen der Gletscherinitiative. Sind sind der Ansicht, die notwendige Verordnung könne bereits bis April 2024 verabschiedet werden. Darin soll unter anderem konkretisiert werden, wie die Förderbeiträge für den Ersatz fossiler Heizungen und die Entwicklung neuer Technologien ausbezahlt werden. Mehr dazu beim Blick.

Im Magazin des Tages-Anzeigers (paywall) schreibt Marcel Hänggi, Mitinitiant der Gletscherinitiative und im Kampagnenteam für das Klimaschutzgesetz, von seinem Treffen mit dem SVP-Nationalrat Michael Graber, der die Nein-Kampagne leitete. Und zeigt auf, wie weit ihre Sicht bei grundlegenden Fakten zum Klimawandel auseinanderliegen und wo er dennoch Gemeinsamkeiten erkennt.

Ständerat ist beim CO2-Gesetz mutlos

Der Ständerat begnügt sich beim CO2-Gesetz mit Anreizen, um die Treibhausgasemission gegenüber 1990 zu halbieren. Er verzichtet auf Verbote und höhere Abgaben, um das Ziel zu erreichen. Das hatte bereits der Bundesrat in der Botschaft zum Gesetz so vorgeschlagen. Nach dem knappen Nein zum CO2-Gesetz im Jahr 2021 setzte der Bundesrat auf möglichst schmerzfreien Klimaschutz mit Subventionen und Anreizen.

Nun hat der Ständerat gegenüber dem Vorschlag des Bundesrats weitere Abstriche gemacht (hier die Massnahmen im Detail). So soll ein Drittel der CO2-Reduktion mit Klimaschutzzertifikaten im Ausland erreicht werden. Der Bundesrat hatte eine Obergrenze von 25% vorgeschlagen. Diverse Studien zeigen, dass diese Projekte meist keine oder nur geringe Wirkung haben. Der Tages-Anzeiger (paywall) rechnet vor, dass der Anteil, der im Ausland kompensiert werden soll, sogar bei ca. 60% liegt, wenn nur die Jahre 2025 bis 2030, also die Geltungsdauer des neuen CO2-Gesetztes, berücksichtigt wird.

Der Ständerat will auch bei anderen Punkten weniger Klimaschutz. So sollen 2030 neu zugelassene Autos noch 45% der Treibhausgasemissionen von 2021 ausstossen dürfen. Die vorberatende Kommission hatte eine Reduktion um 75% gefordert, der Bundesrat um 55%. Dem Gebäudeprogramm soll weniger Geld aus der CO2-Abgabe zur Verfügung gestellt werden. Zudem soll auf die Förderung von Ladestationen für Elektroautos in Mehrfamilienhäusern und in Firmen verzichtet werden. Mehr dazu auf srf.ch, Tages-Anzeiger, Wochenzeitung (paywall) und nau.ch.  Das online-Magazin Lamm erklärt in einer dreiteiligen Podcast-Serie das CO2-Gesetz.

Der Vorschlag des Ständerats stösst auf Kritik. Im Blick warnt ETH-Klimaforscher Reto Knutti, dass mit den vom Ständerat geheissenen Massnahmen die Klimaziele langfristig nicht erreichbar seien. Auch der Wirtschaftsverband swisscleantech kritisiert die vom Ständerat beschlossenen Massnahmen als ungenügend. Der Rat setze auf Auslandkompensationen, während die Bevölkerung im Juni das Klimaschutzgesetz angenommen habe. Der Verband fordert vom Nationalrat, der das Gesetz nun behandeln wird, ein Inlandziel und mehr Lenkung durch eine schrittweise Erhöhung der CO2-Abgabe auf Brennstoffen.

Während der Ständerat auf Verbote verzichten will, setzen die Kantone auf dieses Instrument: Gemäss Tages-Anzeiger wollen sie neue fossile Heizungen spätestens ab 2030 verbieten. Das schlägt die Konferenz Kantonaler Energiedirektoren (EnDK) vor. Die Massnahme ist Teil einer Gesamtrevision der energierechtlichen Mustervorschriften für die Kantone.

Wachsende Kritik an CO2-Kompensationen

Während der Ständerat beim CO2-Gesetz verstärkt auf Auslandkompensationen setzt, wächst die Kritik an diesem Instrument. Forschende der ETH werfen der Schweiz vor, sie würde bekanntes Entwicklungsversagen fördern, um ihre Klimaziele zu erreichen. Die Forscher untersuchten ein Programm der Schweiz in Malawi in Südostafrika, das Biogasanlagen für Milchbauern baut. Diese sollen Kuhmist in Biogas verwandeln, das zum Kochen oder zur Erzeugung von Strom verwendet werden kann. Die dadurch eingesparten Emissionen kann sich die Schweiz gutschreiben lassen. Ähnliche Abkommen wie jenes mit Malawi hat die Schweiz mit über zehn weiteren Staaten abgeschlossen, darunter Peru, Ghana, Senegal und Vanatu (hier die vollständige Liste). Nun warnen die Forschenden davor, dass solche Biogasanlagen, die seit Jahren von vielen Organisationen gefördert werden, meist nach kurzer Zeit defekt seien. Es fehle an Wasser, Ressourcen oder am Know-how, um sie zu betreiben und zu unterhalten. Mehr dazu in der NZZ (paywall).

2023 wird wohl nicht zu einer Klimawahl

Vor vier Jahren gewannen die Grünen und Grünliberalen in den nationalen Wahlen zusammen 26 Sitze in National- und Ständerat hinzu. Dies wird sich am 22. Oktober, wenn die eidgenössischen Wahlen stattfinden, nicht wiederholen. Gemäss dem am 11. Oktober veröffentlichten SRG-Wahlbarometer gewinnen die SVP (2,5 Prozentpunkte) und die SP (1,5) dazu. Stimmen verlieren werden die Grünen (-3,5) sowie Grünliberale und FDP (je 1 Prozentpunkt). Als wichtigste drei politische Herausforderung gaben die 32’000 Befragten die Krankenkassenprämien (51%), den Klimawandel (36%) und die Zuwanderung (35%) an. Ein ähnliches Bild zeigte die Wahlumfrage von Tamedia von Mitte September. Laut der Analyse der NZZ (paywall) wird es bei der Sitzverteilung in National- und Ständerat dennoch nur zu einer vergleichsweise leichten Verschiebung nach rechts kommen.

2019 nahmen kurz vor den Wahlen rund 100’000 an der Klimademonstration in Bern teil. Dieses Jahr waren es Ende September rund 60’000 Personen, die mehr Klimaschutz verlangten. Die Klima-Allianz, welche die Demo organisierte, verlangte mit Blick auf die Wahlen «ein Parlament, das die Klimakrise ernst nimmt.» Mehr dazu auf srf.ch.

Die Schweizerische Energiestiftung hat die energiepolitischen Positionen der sechs grössten Parteien analysiert. Ausser bei der SVP sei die Energiewende bei allen Parteien angekommen. Die SES stellt fest, dass aber einige Themen in den Wahlprogrammen und Positionspapieren der Parteien fehlten. So äussern sich die Parteien weder zu einem Rückbau des fossilen Gasnetzes noch zu einem verbindlichen Abschaltfahrplan für Atomkraftwerke. Als einzige Partei setzen die Grünen auf Suffizienz, um die Klimaziele zu erreichen.

Mantelerlass: Mehr erneuerbare Energie und Druck auf die Umwelt

National- und Ständerat haben sich in der Herbstsession auf den Mantelerlass (Bundesgesetz über eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien) geeinigt. Damit werden verbindliche Ausbauziele für erneuerbare Energie festgeschrieben. Neue erneuerbare Energien, vor allem Sonne und Wind, sollen bis 2035 jährlich 35 Terawattstunden (TWh) liefern, bis 2050 45 TWh. Derzeit beträgt der jährliche Strombedarf der Schweiz 60 TWh. Im Gegenzug wird der Druck auf die Natur steigen. In Gebieten, die sich für die Nutzung von Solar- und Windenergie eignen, sollen Energieanlagen Vorrang gegenüber Umweltschutz und anderen nationalen Interessen haben. In Biotopen von nationaler Bedeutung bleibt der Bau von Energieanlagen zwar ausgeschlossen. Doch es gibt Ausnahmen. So sind Kraftwerke in Gletschervorfeldern und alpinen Schwemmebenen von Auengebieten zulässig.

Die Räte einigten sich auch bei den beiden Punkten, wo bis zuletzt Differenzen bestanden hatten: beim Restwasser und der Solarpflicht. Eine Solarpflicht für Neubauten wurde abgelehnt, einzig auf grossen Dächern und Fassaden müssen künftig Solarpanels angebracht werden. SP und Grüne hatten sich vergeblich für eine generelle Solarpflicht für Dächer und Fassaden bei Neubauten sowie bei grossen Umbauten eingesetzt. Wasserkraftwerke dürfen die Restwassermengen nur bei drohendem Strommangel reduzieren.

Für den Kompromiss haben Bürgerliche wie Linke Abstriche machen müssen. Die Stimmung fasste der Mitte-Nationalrat Nicolo Paganini treffend zusammen: «Am Schluss der Verhandlungen ist niemand unglücklich, aber es ist auch niemand restlos zufrieden.» Mehr dazu bei srf.ch, im Tages-Anzeiger, in der NZZ (paywall) und der Wochenzeitung.

Der Wirtschaftsverband swisscleantech begrüsst, dass das Parlament «die Weichen für eine sichere und erneuerbare Stromversorgung gestellt» habe. Auch die Schweizerische Energiestiftung (SES) unterstützt das Gesetz, bedauert aber die Rückschritte beim Naturschutz.

Für Diskussionen wird ein im Mantelerlass aufgeführtes Speicherwasserkraftwerk sorgen: das Projekt Gornerli bei Zermatt. Zusammen mit 14 weiteren Anlagen soll damit mehr Winterstrom zur Verfügung stehen. Die Stiftung Landschaftsschutz hat in der NZZ (paywall) bereits angekündigt, das Projekt, das in eines der letzten unberührten Gletschergebiete eingreifen würde, mit allen Mitteln zu bekämpfen.

Gegen den Mantelerlass will das Bündnis Natur & Landschaft Schweiz das Referendum ergreifen. Hans Weiss, früher Geschäftsführer der Stiftung Landschaftsschutz, und Philippe Roch, ehemaliger BAFU-Direktor, sind Gründungsmitglieder der neuen Organisation. Bis zum 18. Januar müssen sie 50’000 Unterschriften zusammenzubringen. Das Bündnis kritisiert, der Mantelerlass verstosse gegen die Verfassung. Das öffentliche Interesse am Schutz der Landschaft werde künftig tiefer gewichtet als der Bau von grossen Stromproduktionsanlagen. Sie stützen sich dabei auf Aussagen von Prof. Alain Griffel, Staatsrechtler an der Universität Zürich – ein Portrait über ihn in der NZZ am Sonntag (paywall). Die grossen Naturschutzorganisationen wollen das Referendum nicht unterstützen.

Solarstrom: Eine Initiative, neue Projekte, und eine Absage aus dem Wallis

Die Grünen wollen die Solarpflicht, von der das Parlament im Mantelerlass abgesehen hat, mit einer Volksinitiative einführen. Die im August lancierte «Solarinitiative» verlangt, dass ein Jahr nach deren Annahme bei Neubauten und Dachsanierungen PV-Module montiert werden. Nach 15 Jahren soll auch auf bestehenden Häusern in der Schweiz eine Solaranlage installiert sein. Ausgenommen sind Fälle, in denen die Installation mit dem Denkmalschutz unvereinbar oder aus anderen Gründen unverhältnismässig ist. Laut dem Tages-Anzeiger (paywall) unterstützt die SP den Vorstoss.

Der Verband Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen hat zusammengetragen, dass bereits 36 alpine Solaranlagen geplant sind (Stand Ende August). Sie alle wollen von den Bundesgeldern des Solar-Expresses profitieren. Im Hoch-Ybrig, Kanton Schwyz, will die Axpo laut Tages-Anzeiger (paywall) einen Solarpark erstellen. Auf einer Fläche von 12 Fussballfeldern sollen jährlich 12 Gigawattstunden Strom produziert werden, was dem Verbrauch von 2600 Haushalten entspricht. Die Industriellen Betriebe Interlaken prüfen eine deutlich grössere Solaranlage auf dem Brienzersee: Um rund 100 Gigawattstunden Solarstrom zu erzeugen, müssten auf einer Fläche von 250 Fussballfeldern schwimmende PV-Module angebracht werden, schreibt die Berner Zeitung (paywall). In Meiringen-Hasliberg plant der Basler Energieversorger IWB laut der Berner Zeitung eine Anlage, die Strom für 4500 Haushalte liefern soll. Und in Savognin GR will das EWZ eine Anlage bauen, um 20’000 Haushalte mit Strom zu versorgen, weiss der Tages-Anzeiger (paywall).

Erste Projekte erhielten inzwischen die Zusage von Standortgemeinden. Eine knappe Mehrheit der Stimmbevölkerung von Scuol GR stimmte gemäss Tages-Anzeiger der geplanten alpinen Solaranlage «ScuolSolar» zu. Die 100 Millionen Franken teure Anlage soll Strom für 20’000 Haushalte liefern. In Poschiavo GR sprachen sich die Stimmberechtigten ebenfalls knapp von für eine Anlage am Berninapass aus. Hier sollen ebenfalls für 20’000 Haushalte Solarstrom erzeugt werden. Umweltverbände bekämpfen das Projekt, das zwischen einer Moorlandschaft von nationaler Bedeutung und einem nationalen Landschaftsschutzgebiet liegt. Inzwischen haben sich die beiden Stromunternehmen Repower und EWZ, die zuerst Interesse gezeigt hatten, zurückgezogen. Mehr dazu im Tages-Anzeiger (paywall) und in der NZZ (paywall).

Für Schlagzeilen und Diskussionen hat die Ablehnung der Walliser Stimmbevölkerung gesorgt, den Bewilligungsprozess für grosse alpine Solarkraftwerke zu beschleunigen. Gegen das vom Kantonsparlament verabschiedete Gesetz hatten die Grünen das Referendum ergriffen. Die Abstimmung war ein erster Test für den vom Parlament im Eiltempo beschlossenen «Solar-Express». Das Nein ist ein Hinweis darauf, dass sich viele vor dem Bau von Solarkraftwerken in unberührter Bergwelt fürchten, ohne dass dagegen Beschwerden eingereicht werden können.

Das Walliser Nein zum Solargesetz nahmen Befürworter der Kernenergie zum Anlass, um verlängerte Laufzeiten bestehender Anlagen sowie den Bau neuer Kraftwerke zu fordern. Mehr dazu im Tages-Anzeiger (paywall), in der NZZ (paywall) und der Wochenzeitung.

Apropos Kernenergie: Eine vom Wirtschaftsverband Economiesuisse in Auftrag gegebene ETH-Studie zur Schweizer Stromversorgung hat für Diskussionen gesorgt. Die Studie basiert auf der Annahme, dass die Sonnen- und die Windkraft bis 2025 rund 30% weniger Strom liefern werden als von der Politik veranschlagt. Für die NZZ (paywall) zeigt die Studie, dass die Stromversorgung umso günstiger, stabiler und sicherer werde, je länger die bestehenden vier Kernkraftwerke liefen. Auch zum Bau eines neuen Kernkraftwerks äussere sich die Studie in der Tendenz positiv. Im Tages-Anzeiger (paywall) widerspricht Christian Schaffner, Mitautor der Studie. In den untersuchten Szenarien sei der Ausbau der erneuerbaren Energien, insbesondere der Fotovoltaik, der zentrale Pfeiler. Der Bau eines neuen Kernkraftwerks sei die teuerste Variante und berge grosse Unsicherheiten hinsichtlich Baukosten und Zeitplan.

Kritik an fossilen Reservekraftwerken

Der Bundesrat will, dass neben Wasserkraftwerken auch neue Reservekraftwerke, Notstromgruppen und Wärme-Kraft-Koppelungsanlagen an der Stromreserve teilnehmen können. Das Stromversorgungsgesetz soll entsprechend angepasst werden; die Vernehmlassung dazu läuft bis zum 20. Oktober 2023. Die Schweizerische Energiestiftung (SES) und der WWF lehnen die vorgeschlagenen Anpassungen ab. Die beiden NGOs kritisieren, dass der Bundesrat auf den Ausbau fossiler Kraftwerke fokussiere und mit dem Gesetzesentwurf dem Betrieb dieser Kraftwerke Tür und Tor öffnen würde. Die Klimakrise erlaube es nicht, weiter in die fossile Energieinfrastruktur zu investieren. Zudem verfüge die Schweiz bereits heute ohne fossile Reservekraftwerke über eine enorme Reserveleistung. SES und WWF kritisieren zudem, dass der Bundesrat auf Auktionen zur Verbrauchsreduktion verzichten wolle. Der Verein energie-wende-ja lehnt die Revision ebenfalls ab und kritisiert, dass dadurch Investitionen für nicht benötigte Reservekapazitäten getätigt werden. Die Mittel liessen sich zweckmässiger für den dringend benötigten Ausbau der erneuerbaren Stromproduktion und Speichertechnologien und -kapazitäten einsetzen.

Milliarden für den Ausbau der Autobahnen

Das Autobahnnetz der Schweiz soll mit 5,3 Milliarden Franken weiter ausgebaut werden. Darauf einigte sich das Parlament in der Herbstsession. Die A1 zwischen Bern-Wankdorf und Schönbühl BE soll auf acht Spuren, zwischen Schönbühl und Kirchberg BE sowie zwischen Le Vengeron GE und Nyon VD auf sechs Spuren erweitert werden. Zudem werden Autobahntunnels in St. Gallen, Schaffhausen und Basel gebaut. Die Befürworter:innen argumentieren, dass sich damit Staus verhindern liessen. Eine Minderheit hatte vergeblich auf Erkenntnisse der Mobilitätsforschung hingewiesen, wonach Autofahren dank zusätzlichen Kapazitäten kurzfristig attraktiver werde. In der Folge nutzten aber mehr Menschen das Auto, wodurch es erneut zu Staus komme. Mehr dazu im Tages-Anzeiger (paywall) und in der NZZ (paywall).

Der Verkehrs-Club der Schweiz (VCS) und der Verein Umverkehr haben das Referendum gegen den Autobahnausbau ergriffen. Der Ausbau sei überholt und überteuert. Vielmehr sei nun nach der Zustimmung zum Klimaschutz-Gesetz ein Marschhalt im Strassenbau angezeigt. Die Frist, 50’000 Unterschriften für das Referendum zu sammeln, läuft bis zum 18. Januar 2024. Mehr dazu bei watson.ch.

Ein anderer Abschnitt der A1 wird ab Frühling 2024 auf sechs Spuren erweitert: jener zwischen Luterbach und Härkingen im Kanton Solothurn. 2015 hatte der Bundesrat die Eckwerte zum Ausbau festgelegt. Das Verkehrsdepartement erteilte im Dezember 2020 die Plangenehmigungsverfügung, was der Baubewilligung entspricht. Dagegen gingen Beschwerden beim Bundesverwaltungsgericht ein, die abgelehnt respektive nur zum Teil gutgeheissen wurden, wie das Bundesamt für Strassen (Astra) mitteilte.

Kostenwahrheit gilt für den Strassenverkehr nicht, das hat eine Debatte im Zürcher Kantonsrat erneut gezeigt. Vor elf Jahren hat ein GLP-Kantonsrat mit einer parlamentarischen Initiative verlangt, die Kostenwahrheit im Strassenverkehr umzusetzen. Der Vorstoss wurde nun deutlich abgelehnt, wie die NZZ (paywall) schreibt. Neue Berechnungen des kantonalen Amts für Mobilität zu den externen Kosten des Strassenverkehrs änderten daran nichts. Allein im Kanton Zürich entstehen durch Klima- und Umweltschäden, Gesundheitsschäden, Ernteausfällen in der Landwirtschaft sowie Schäden an Gebäuden gut 1,2 Milliarden CHF an ungedeckten Kosten. Würde dies auf die Verkehrsabgaben umgelegt, wie die Initiative forderte, würde sich die Motorfahrzeugsteuer von heute durchschnittlich 400 Franken pro Auto auf 2000 Franken im Jahr erhöhen.

Rekordtemperaturen und Gletscherschwund

Der Sommer 2023 war in der Schweiz der fünftwärmste seit Messbeginn 1864. Der Temperaturdurchschnitt lag von Juni bis August landesweit um 1,6 °C über der Norm von 1991–2020, wie MeteoSchweiz im Klimabulletin festhält. Gegenüber der vorindustriellen Periode von 1871–1900 wurden im Sommer 2,3 °C höhere Temperaturen gemessen. Auffällig ist die Häufung von warmen Sommern der letzten Jahre: 2015, 2017, 2018, 2019, 2022 und nun 2023.

Auch der Herbst begann viel zu warm: Der September war in der Schweiz der wärmste seit Messbeginn, schreibt MeteoSchweiz. Das landesweite Mittel lag bei 14,3 °C. Das sind ganze 3,8 °C mehr als die Norm 1991-2020. Klimafachleute sprechen von einem Quantensprung. Mehr dazu im Tages-Anzeiger und auf srf.ch. Dazu beigetragen hat anhaltend sonniges Hochdruckwetter in der ersten Septemberhälfte; mehr zu diesem sogenannten Omega-Hoch im Tages-Anzeiger (paywall).

Die rekordhohen Temperaturen haben auch dieses Jahr den Gletschern zugesetzt. 2023 haben sie 4% ihres Volumens eingebüsst, wie die neusten Zahlen der Schweizerischen Kommission für Kryosphärenbeobachtung zeigen. Das ist der zweitstärkste Rückgang seit Messbeginn. Im Vorjahr betrug der Verlust sogar 6%. In diesen beiden Extremjahren haben die Schweizer Gletscher damit 10% ihres Eises verloren. Das ist gleichviel wie zwischen 1960 und 1990. Die Gründe für die diesjährige Gletscherschmelze sind die gleichen wie im Vorjahr: Wenig Schnee im Winter und höhere Temperaturen im Sommer. Mehr dazu im Tages-Anzeiger (hier und hier), der NZZ (paywall) und im Spiegel.

Klimastreiks führten zu Verhaltensänderungen

Fast ein Drittel der Schweizer:innen änderten ihre täglichen Gewohnheiten als Folge der von Greta Thunberg initiierten Fridays for Future-Klimastreiks. Eine Studie der EPFL zeigt, dass rund 30% der Befragten ihre Transport-, Einkaufs- und Recyclinggewohnheiten im Zuge der Proteste geändert haben. Für die Studie wurden im Anschluss an die Proteste im Oktober und November 2019 rund 1200 Personen im Alter von 18 bis 74 Jahren befragt, die nicht an den Streiks teilgenommen haben. Die Forschenden wollten so feststellen, ob die Bewegung zu konkreten Verhaltensänderungen führte. Die Befragten gaben an, vermehrt nach Alternativen zum Autofahren gesucht zu haben, um zur Arbeit zu fahren, und häufiger vegetarisch assen. Laut den Studienautorinnen würden die Ergebnisse zeigen, dass den Menschen durch die Proteste bewusster geworden sei, wie sich ihr Verhalten auf die Umwelt auswirke und dass auf individueller Ebene erhebliche Veränderungen im Gange seien. Mehr dazu im Blick und bei Euronews.

Der Bund will nicht-tierische Ernährung fördern

Der Bund setzt sich für eine klimafreundlichere Ernährung ein. Mit der «Klimastrategie Landwirtschaft und Ernährung 2050» sollen Massnahmen zur Anpassung der Land- und Ernährungswirtschaft an den Klimawandel und zur Reduktion von Treibhausgasen unterstützt werden. Heute sind Lebensmittel für rund einen Viertel der Treibhausgase der Haushalte verantwortlich. Bis 2050 sollen die durch die Ernährung verursachten Klimagase pro Kopf gegenüber 2020 um zwei Drittel sinken. Die Treibhausgasemissionen der landwirtschaftlichen Produktion im Inland sollen gegenüber 1990 um mindestens 40% reduziert werden. Die Strategie verzichtet auf Verbote und setzt stattdessen auf Information und Sensibilisierung. So soll unter anderem erreicht werden, dass in der Schweiz weniger Fleisch konsumiert wird. Umweltschutzorganisationen kritisieren den Zeithorizont von 2050 und bezweifeln, dass die vorgeschlagenen Massnahmen ausreichen. Der Bauernverband befürchtet, der Bund werde versuchen, die tierische Produktion einzuschränken und den Konsum zu lenken. Mehr dazu im Tages-Anzeiger und in der NZZ (paywall).

Internationale Klimapolitik

Klimaschutz kommt voran, aber zu langsam

Acht Jahre nach dem Abschluss des Pariser Abkommens gibt es zwar Fortschritte im Klimaschutz, aber nicht annähernd genug. Der neue UNFCCC Global Stocktake synthesis report untersucht, wie gut die Länder ihre Klima-Versprechen eingehalten haben. Bei der Verabschiedung des Pariser Abkommens einigten sich die Länder darauf, ab 2023 alle fünf Jahre zusammenzukommen, um die Klimaschutzmassnahmen der Länder zu evaluieren und zu verhandeln, ob Bemühungen verstärkt werden sollten. Der neue Bericht ist Teil dieses Prozesses.

Im Vergleich zu den Prognosen, die vor der Verabschiedung des Pariser Abkommens gemacht wurden, hat das Abkommen zu neuen nationalen Klimazielen (NDCs) geführt, welche die künftige Erwärmung deutlich reduzieren. Die bestehenden Zusicherungen sind aber nicht genug, um die langfristigen Ziele des Pariser Abkommens zu erreichen. Laut dem Bericht steuert die Welt bis zum Jahr 2100 mit den aktuellen Klimazusagen auf eine Erwärmung von etwa 2,5 Grad zu – vorausgesetzt die Länder halten sich an ihre aktuellen Pläne. Mehr dazu bei New York Times (paywall) und Climate Change News.

Laut dem Internationalen Währungsfonds (IWF) dürften die sozialen und wirtschaftlichen Kosten der Auswirkungen der Klimakrise einige Länder in eine hohe Staatsverschuldung stürzen. Der IWF hat dazu einen Bericht veröffentlicht. Darin werden Regierungen aufgefordert, Treibhausgasemissionen zu besteuern und der privaten Finanzierung eine «entscheidendere Rolle» zukommen zu lassen, um Mittel für die notwendige Emissionsreduzierung und die Deckung der wachsenden Kosten für Verluste und Schäden durch die Klimakrise zu beschaffen.

G-20 Gipfel mit gemischtem Resultat

Der G20-Gipfel begann nur einen Tag nach der Veröffentlichung des UNFCCC Global Stocktake synthesis report. Das Ergebnis des Treffens war gemischt. Positiv zu vermerken ist, dass sich die grössten Volkswirtschaften auf eine Verdreifachung der Kapazitäten für erneuerbare Energien bis 2030 geeinigt haben. Gleichzeitig wurde festgehalten, dass die Entwicklungsländer eine kostengünstige Finanzierung für die Energiewende brauchen. Wichtig war auch die Aufnahme der Afrikanischen Union – eines 55 Mitglieder zählenden Blocks – als ständiges Mitglied der G20. Dadurch wird eine stärkere Vertretung des globalen Südens auf dem internationalen Forum signalisiert.

Die Länder konnten sich jedoch nicht auf eine Formulierung zum Ausstieg aus fossilen Brennstoffen einigen. In der Erklärung von Delhi werden die Länder aufgefordert, «die Bemühungen um einen schrittweisen Ausstieg aus der ungebremsten Kohleverstromung» zu beschleunigen. Auf den exakt gleichen Satz hatten sich die Staats- und Regierungschefs bereits bei ihrem letzten Treffen in Bali vor zehn Monaten geeinigt.

Ein neuer Bericht von Oxfam vergleicht die Klimaziele der G20 Länder und kommt zum Schluss, dass die einkommensstarken G20-Länder und die EU Klimaziele haben, die deutlich unter einem fairen Anteil der global erforderlichen Emissionsreduktionen sind. Dies stellt die Behauptung der G7 infrage, wonach ihre Emissionspläne ausreichend seien und die Hauptverantwortung bei den Ländern mit mittlerem Einkommen lägen. Mehr in der New Delhi Leaders’ Declaration, bei Climate Change News und DownToEarth.org.

Der Papst spricht klare Worte

Papst Franziskus hat eine Aktualisierung seiner Umweltenzyklika von 2015 (Laudate deum) veröffentlicht. Darin warnt er vor den irreversiblen Schäden, die den Menschen und dem Planeten bereits zugefügt werden. Und beklagt, dass erneut die Armen und Schwächsten der Welt den höchsten Preis zahlen. «Wir müssen die Mentalität überwinden, die sich besorgt zeigt, aber nicht den Mut hat, wesentliche Veränderungen herbeizuführen. Wir sind nicht mehr in der Lage, den enormen Schaden, den wir verursacht haben, aufzuhalten. Wir haben kaum noch Zeit, um noch mehr tragische Schäden zu verhindern», warnte Franziskus. Mehr bei Associated Press.

Die fossile Industrie erhält jede Minute 13 Millionen Dollar an Subventionen

Der Internationale Währungsfonds (IWF) berichtet, dass fossile Energieträger 2022 weltweit mit staatlichen Subventionen von 7 Billionen US-Dollar unterstützt wurden. 20% davon sind direkte Subventionen wie Preissenkungen für Verbraucher:innen — diese haben sich seit Russlands Einmarsch in die Ukraine verdoppelt. 80% der berechneten Summe sind sogenannte «implizite» Subventionen. Damit sind Kosten gemeint, die Verbraucher:innen nicht direkt bezahlen, wie Gesundheits- und Umweltschäden. Die Subventionen für die Öl-, Gas- und Kohleindustrie machen inzwischen 7% der weltweiten Wirtschaftsleistung aus und übertreffen damit bei weitem die 4%, welche die Welt für Bildung ausgibt. Mehr vom IMF und im Guardian.

Widersprüchliche Klimapolitik der USA

Im letzten Klimanewsletter berichteten wir über die Energie- und Klimapolitik Chinas. Auch die Klimapolitik der USA ist geprägt von Widersprüchen und Gegensätzen. Noch nie hat die USA so viel Erdöl gefördert wie diesen September. Im gleichen Monat hat Präsident Biden den Klimawandel nachdrücklich als «existenzielle Bedrohung» bezeichnet und die Schaffung eines Klimaschutzkorps angekündigt. Eine Prognose von Oil Change International zeigt, dass die USA für mehr als einen Drittel des gesamten geplanten Ausbaus fossiler Brennstoffe bis 2050 verantwortlich sein wird. Diese Widersprüche sind nicht neu. Als die USA 2015 das Pariser Abkommen mitverhandelte, hat sie im selben Monat das Verbot für den Export von Rohöl aufgehoben. Heute sind die USA weltweit die grösste Erdölproduzentin und die grösste Exporteurin von Flüssigerdgas. Doch durch die rasant wachsende Förderung von Schiefergas wird in den USA auch deutlich weniger Kohlestrom produziert. Dadurch sind die Emissionen des Landes seit 2005 um fast 20% gesunken.

Der Inflation Reduction Act ist die bei weitem grösste Investition, die das Land je in erneuerbare Energien getätigt hat. Doch selbst optimistische Prognosen über die Auswirkungen des Gesetzes lassen kaum erwarten, dass im nächsten Jahrzehnt weniger fossile Brennstoffe produziert werden. Das ist der Grund, warum sowohl die zunehmend frustrierten Klimaaktivist:innen als auch gemässigtere Politiker eine viel konfrontativere Linie gegenüber der fossilen Brennstoffindustrie einschlagen, wie beispielsweise die neuste Klimaklage aus Kalifornien (siehe nächster Beitrag). Mehr in der New York Times (paywall).

Kalifornien klagt gegen die «Lügen von Big Oil»

Der US-Bundesstaat Kalifornien verklagt Öl- und Gaskonzerne und will sie an den Kosten des Klimawandels beteiligen. Laut der Klageschrift führen die Konzerne seit 50 Jahren eine Desinformationskampagne, um die Wirkung fossiler Energien auf das Klima zu vertuschen. Kalifornien verklagt fünf Ölmultis (Exxon, Shell, BP, Conoco Phillips und Chevron), ausserdem den Branchenverband American Petroleum Institute. Ziel ist es, mit möglichen Strafzahlungen der Unternehmen einen Fonds einzurichten, der die Kosten von Umweltkatastrophen deckt, wenn diese nachweislich durch die Folgen des Klimawandels eintreten oder verstärkt werden, wie etwa Waldbrände oder Überschwemmungen. Noch nie hatten die Ölmultis einen mächtigeren Gegner: Kalifornien wird bald die viertgrösste Wirtschaftsmacht (nach den USA, China, Japan) sein. Ausserdem ist es der erste ölproduzierende Bundesstaat, der Klage gegen die Unternehmen einreicht. Mehr bei Klimareporter.

Jugendliche gewinnen Klimaklage in den USA

In den USA hat eine Gruppe von Jugendlichen aus Montana im Alter von 5 bis 22 Jahren eine Klima-Klage gewonnen. Das Urteil garantiert ein «grundlegendes verfassungsmässiges Recht auf eine saubere und gesunde Umwelt, zu der auch das Klima gehört.» Der Bundesstaat Montana hat eine der fortschrittlichsten Verfassungen der USA, die ein Recht auf eine saubere Umwelt garantiert. Die Jugendlichen klagten gegen eine Revision des Umweltgesetzes von Montana. Die republikanische Regierung hatte eine Revision des Gesetzes durchgebracht, das es staatlichen Behörden untersagte, bei der Genehmigung grosser Energieprojekte Treibhausgasemissionen oder den Klimawandel zu berücksichtigen. Die Richterin befand diese Revision für verfassungswidrig.

Es ist das erste Mal, dass ein US-Gericht entschieden hat, dass eine Regierung die Rechte von Kindern verletzt hat, indem sie den Klimawandel ignorierte. Es gibt 23 Bundesstaaten, die ähnliche Rechte in ihren Verfassungen verankert haben, so dass dieses Urteil den Weg für eine Reihe ähnlicher Anfechtungen auf bundesstaatlicher Ebene ebnen könnte. Das Urteil ist noch nichts rechkräftig, Montana kann dagegen Berufung einlegen. Mehr dazu bei ARD Tagesschau, Washington Post und The Nation.

Weltweit immer mehr Klimaklagen

Weltweit haben die juristischen Verfahren wegen mangelnder Klimaschutzmassnahmen in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Die meisten fanden und finden in den USA statt, etliche aber auch in Deutschland, wie eine Untersuchung des UN-Umweltprogramms Unep im Juli zeigte. 2022 wurden danach fast 2200 Klimaklagen verhandelt. 2017 waren es erst rund 900. Ein Grossteil der Klagen wurde bisher von Gerichten nicht angenommen oder zurückgewiesen, es gab jedoch auch bedeutende Urteile, welche die Klagen guthiessen, etwa in Deutschland und den Niederlanden. Mehr bei Klimareporter.

Brasilien verschärft Klimaziel und weitet Ölproduktion aus

Auch in Brasilien ist die Klimapolitik widersprüchlich. Die brasilianische Regierung hat sich bereit erklärt, die vom ehemaligen Präsidenten Jair Bolsonaro vorgenommene Abschwächung des Klimaziels rückgängig zu machen und an einem neuen, verbesserten Klimaziel zu arbeiten. Gleichzeitig entwickelt sich Brasilien zum weltweit viertgrössten Ölproduzent. Die Ölproduktion des Landes nimmt stetig zu. Das Land verfügt über grosse Reserven und verstärkt die Explorations- und Bohraktivitäten. Mehr dazu bei Oil Price.com.

Ecuadorianer:innen stoppen Ölförderung im Yasuní-Nationalpark

Die Stimmbevölkerung Ecuadors hat in einem historischen Referendum dafür gestimmt, alle neuen Ölbohrungen im Yasuní-Nationalpark im Amazonasgebiet zu stoppen. Die Yasuní-Abstimmung war das Ergebnis von zwei Jahrzehnten Basisarbeit von Aktivist:innen und indigenen Organisationen. Damit bleiben 726 Mio. Barrel Öl im Yasuní-Nationalpark unter der Erde. Der Nationalpark ist eine der artenreichsten Regionen der Erde und Heimat der Tagaeri und Taromenane, zwei der letzten indigenen Gemeinschaften der Welt, die keinen Kontakt zur Aussenwelt haben. Mehr im Guardian, bei Conservation und APNews.

Klimakompensation bleibt in der Kritik

Projekte, die bestehende Wälder schützen (REDD+), generieren im freiwilligen Kohlenstoffmarkt am meisten Zertifikate – bis heute etwa ein Viertel aller Gutschriften. Bei diesen Projekten werden Regierungen, Organisationen, Gemeinden und Einzelpersonen in Waldgebieten (vor allem in den Tropen des globalen Südens) für Aktivitäten bezahlt, die den Wald erhalten und Treibhausgasemissionen des Waldes vermeiden. Doch zahlreiche Studien und Berichte zeigen auf, dass ein Grossteil dieser Projekte dem Klima nur wenig nützt.

Ein Beispiel ist das Tumring-Projekt, das ein Regenwaldgebiet in einem der wichtigsten Biodiversitäts-Hotspots Kambodschas schützen soll. Ein neuer Bericht von Unearthed macht jedoch deutlich, dass in Tumring der Wald in einem viel grösseren Ausmass abgeholzt wird, als es die offiziellen Dokumente zeigen. Der Bericht weist auch auf eine Reihe anderer REDD-Projekte von geringer Qualität hin.

Eine neue Studie in der Fachzeitschrift Science zeigt auf, dass Millionen von Zertifikaten aus solchen Waldprojekten (von Verra, dem weltweit führenden Zertifizierer, genehmigt) weitgehend wertlos sind. Wenn sie für Kompensationen verwendet werden, können sie die globale Erwärmung verschlimmern, weil dadurch die Käufer:innen keine Klimaschutz-Massnahmen tätigen, ihre Klimaziele auf dem Papier aber trotzdem erreichen. Carbon Market Watch hat eine detaillierte Überprüfung der wichtigsten REDD+-Methoden veröffentlicht, die auf dem freiwilligen Kohlenstoffmarkt verwendet werden, und kommt zu einem ähnlichen Ergebnis.

Investoren, die mit Emissionsgutschriften spekulieren, könnten Milliarden verlieren. Denn immer mehr wissenschaftliche Studien zeigen, dass viele der von ihnen gekauften Emissionsgutschriften keinen ökologischen Wert haben und daher nicht weiterverkauft werden.

Trotzdem wird immer noch gross in solche REDD+ Kompensationsprojekte investiert. Blue Carbon, ein in Dubai ansässiges Unternehmen unter dem Vorsitz eines Mitglieds der königlichen Familie der Vereinigten Arabischen Emirate, hat mit Simbabwe eine Absichtserklärung unterzeichnet, um REDD+ CO2-Zertifikate im Wert von 1 Milliarde Pfund auf etwa 20% der Landfläche Simbabwes zu generieren. Das Unternehmen unterzeichnete auch Absichtserklärungen mit Tansania und Sambia. Und in Liberia will Blue Carbon 10% der Landmasse des Landes erwerben und über eine Million Hektar der liberianischen Regenwälder für 30 Jahre verwalten.

Mehr beim Guardian, bei Greenpeace und Climate Change News. Das Oeko Institut hat sechs hilfreiche Factsheets zu verschiedenen Projekttypen im Kohlenstoffmarkt veröffentlicht. Weitere Factsheets werden bis Ende des Jahres 2023 veröffentlicht. Carbon Brief hat Fallbeispiele zusammengestellt, wie sich Kompensationsprojekte auf indigene Völker und lokale Gemeinschaften auswirken. Zu Southpole und REDD+ gibt es ein long read im New Yorker (paywall) und ein Bericht bei Follow the Money.

Europäische Klimapolitik

Hat die Notfallverordnung Erneuerbare Energien vorangetrieben?

Im Zuge des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine und der daraus resultierenden fossilen Energiekrise wurde Ende 2022 die EU-Notfallverordnung beschlossen. Zentraler Punkt der Verordnung: Der Ausbau der erneuerbaren Energien soll durch vereinfachte Genehmigungsverfahren deutlich schneller angekurbelt werden.

SolarPower Europe hat nun den Fortschritt für 16 Mitgliedsstaaten ausgewertet. Das Ergebnis ist gemischt. Während Deutschland und Portugal vergleichsweise gut dastehen, gibt es nur sehr geringen Fortschritt in Bulgarien oder in den Niederlanden. Es bleiben weiterhin grosse Hürden, gerade auch mit Blick auf die Umsetzung der vor Kurzem beschlossene Erneuerbaren Richtlinie (RED III).

Lediglich 10 der 27 EU-Mitgliedsstaaten seien beim Windenergieausbau auf einem Niveau, das mit dem Pariser Klimaabkommen kompatibel sei, schreibt die Naturschutzorganisation WWF in einem neuen Bericht. Bis 2030 müssen die Ausbaukapazitäten verdoppelt und der Energieverbrauch reduziert werden, um die Ziele einzuhalten.

Umstrittene Personalie: Hoekstra tritt Nachfolge von Timmermanns an

Bevor im kommenden Juni ein neues Europäisches Parlament gewählt wird und danach eine neue EU-Kommission zusammentritt, gab es Anfang Oktober einen brisanten Wechsel in der obersten Kommissionsriege. Der Christ-Demokrat und ehemalige niederländische Finanz- und Aussenminister Wopke Hoekstra wird Franz Timmermanns in seinem Amt als Klima-Kommissar beerben, bestätigte das Europäische Parlament.

Vorab hagelte es jedoch massive Kritik seitens Klimaschützer. Hoekstra war lange Zeit als Manager im fossilen Konzern Shell tätig und habe sich in der Vergangenheit nie mit Klimathemen befasst. Vor der Abstimmung stellte sich Hoekstra in einer dreistündige Anhörung den kritischen Fragen der EU-Parlamentarier:innen. Als Klima-Kommissar wird er die EU unter anderem bei der kommenden Weltklimakonferenz vertreten. Die noch nicht abgeschlossenen Dossiers des «Green Deals» werden allerdings fortlaufend nicht von Hoekstra, sondern vom slowakischen Kommissar und Vizepräsidenten der Kommission Maroš Šefčovič verhandelt. Siehe ZEIT Online (paywall) und Tagesschau.

Jugendliche ziehen vor Gericht

Sechs junge Portugies:innen ziehen vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) und verklagen insgesamt 32 Regierungen, darunter alle 27 EU-Staaten sowie das UK, Norwegen, die Türkei, Russland und die Schweiz. Hauptanklagepunkt: Das Handeln der Regierungen gegen die Klimakrise sei zu langsam und verletze ihre Menschenrechte. Es handelt sich dabei um den grössten Klimaprozess vor dem EGMR.

Sechs Anwält:innen stehen insgesamt 80 Anwält:innen der angeklagten Staaten gegenüber. CAN Europe beschrieb den Prozess, der Ende September begann, als David gegen Goliath. Ob die Klage Erfolg haben wird, wird sich bei der 2024 erwarteten Urteilsverkündung zeigen. Weitere Informationen bei Euractiv.

Deutschland

Heizungsgesetz beschlossen – Wärmeplanung steht noch aus

Im September haben Bundestag und Bundesrat dem Gebäudeenergiegesetz (GEG), umgangssprachlich Heizungsgesetz, final zugestimmt. Es tritt im Januar 2024 in Kraft. Durch das Gesetz soll das Heizen von Gebäuden langfristig klimaneutral werden. Das ZDF hat hier eine Übersicht erstellt, welche Heizungen in Zukunft noch erlaubt sein werden. Derweilen hat das Öko-Institut im Auftrag des Klimaschutzministeriums ausgerechnet, dass je nach Verhalten der Endverbraucher:innen bis 2030 durch das Gesetz insgesamt weniger als 40 Millionen Tonnen CO2 eingespart werden. Die jährlichen Emissionen des Sektors betrugen zuletzt 112 Millionen Tonnen CO2. Der Expertenrat für Klimaschutzfragen attestierte, dass das GEG und auch weitere geplante Massnahmen der Bundesregierung nicht ausreichen werden, um die Klimaschutzlücke 2030 – also die Höhe der Zielverfehlung insgesamt – im Sektor zu schliessen.

Da das GEG eng mit dem Wärmeplanungsgesetz (WPG) verzahnt werden soll, greifen viele Vorgaben ohnehin erst ab 2028. Das WPG befindet sich derzeit im parlamentarischen Prozess und soll bis Ende des Jahres in Kraft treten. Weitere Artikel finden Sie beim Bayerischen Rundfunk oder bei der Wirtschaftswoche.

Haushaltsdebatte spitzt sich zu

Traditionell befasst sich der Bundestag in der ersten Sitzungswoche nach der Sommerpause mit dem Bundeshaushalt für das kommende Jahr. In der «Haushaltswoche» wurde Finanzminister Lindners Spar-Entwurf beraten. Der Bundeshaushalt soll auf 25 Einzelpläne aufgeteilt werden, aus denen wiederum wichtige Institutionen oder die Ministerien finanziert werden sollen. Damit will Lindner Budgets kürzen. So sollen etwa die Ausgaben des Ministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz von derzeit 14,5 Mrd. Euro auf weniger als 11 Mrd. Euro gekürzt werden. Kritiker bemängeln den Sparkurs sowie das Ausweichen auf sogenannte Nebenhaushalte. Mehr zur Entwicklung des Bundeshaushaltes bei T-Online.

Der WWF Deutschland kritisiert zudem, dass der Haushaltsentwurf bisher keine sinnvollen Kriterien für öffentliche Investitionen mit Blick auf die Netto-Null-Transformation enthalte. So fordert der Umweltverband, dass erstens der Fokus in der Haushaltsplanung auf Transformation gelegt werden müsse. So seien mindestens 46 Mrd. Euro an öffentlichen Investitionen für die Finanzierung des nationalen Klimaschutzes notwendig. Zweitens sollte der Haushalt die Finanzierungslücke für Klima und Biodiversität schliessen. Drittens sollen umwelt- und klimaschädliche Subventionen des Staates von jährlich 68 Mrd. Euro abgebaut und umgenutzt werden. Zum Vergleich: Der Gesamthaushalt soll sich 2024 auf etwa 445 Mrd. Euro belaufen. Mehr dazu auf der Seite des Bundestages und der Tagesschau.

Ampel auf ambitioniertem Kurs

Eine neue Studie der Bertelsmann Stiftung zeigt, dass die Ampel-Regierung trotz schlechter Umfragewerte und vielen Streitereien bereits etwa zwei Drittel der insgesamt 453 Versprechen des Koalitionsvertrags umgesetzt oder zumindest angegangen hat. Der Koalitionsvertrag enthält gut 50% mehr sogenannter «echter Versprechen» als jener der Vorgängerregierung (Grosse Koalition) und gelte damit als sehr ambitioniert. Im Ressort des Ministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz seien bereits 40% der Versprechen voll erfüllt – lediglich 22% bleiben bisher nicht erfüllt. Damit ist die Bilanz im Vergleich zu anderen Ressorts überdurchschnittlich.

Die sichtbare Klimakrise

Der Amazonas emittiert immer mehr CO2

Der Amazonas hat begonnen, CO2 freizusetzen. Im Jahr 2021 zeigten Luftproben, dass die CO2-Aufnahme des Regenwaldes nachgelassen hat und einige Bereiche zu einer CO2-Quelle geworden sind. Die Kombination aus globaler Erwärmung und drastischer Abholzung könnte den Amazonas schneller austrocknen lassen und zu einer regelrechten Feuerfalle für den Regenwald führen. Feuer kann ein entscheidender Faktor für ein potenzielles Kippen des Amazonas-Regenwaldes sein, da es in der Lage ist, grosse Teile des Amazonas in einem baumlosen Zustand zu halten. Obwohl Feuer in Regenwäldern eigentlich nicht vorkommt, spielt es eine zunehmende Rolle, wenn der Wald beschädigt, ausgedünnt wird oder ganz verloren geht. Mehr bei Nature und beim PIK.

Sommer der Extreme: Ist es zu spät?

Der vergangene Monat war der weltweit wärmste September. Und 2023 ist auf dem besten Weg, das wärmste Jahr seit Messbeginn zu werden, mit einem Anstieg von 1,4 °C gegenüber dem vorindustriellen Niveau. In vielen Ländern war der Sommer von Hitze, Feuern und Überschwemmungen geprägt. Wie sind diese Extremwetterereignisse einzuordnen? Ist bereits einen Kipppunkt überschritten? Der Guardian hat dazu 45 namhafte Wissenschaftler:innen befragt.

Sie erklären, dass die bisher beobachtete globale Erwärmung völlig im Einklang mit den wissenschaftlichen Vorhersagen der letzten drei Jahrzehnte stehe, auch wenn es nun den Anschein habe, dass die Ereignisse eine beängstigende Wendung genommen hätten. Die Forschenden betonen, dass die Welt noch keinen «Kipppunkt» zu einem unkontrollierbaren Klimawandel überschritten habe. Einige warnen jedoch davor, dass dieser Punkt immer näher rücke.

Die Wissenschaftler:innen betonen auch, dass die Wetterextreme der letzten Monate nur die «Spitze des Eisbergs» seien. In nur einem Jahrzehnt könnte 2023 mit den aussergewöhnlichen Ereignissen ein normales Jahr sein, wenn keine drastischen Klimaschutzmassnahmen ergriffen werden.

Hier ein paar Zitate der angefragten Fachleute:

Prof. Julie Arblaster von der Monash University, Australien: «Die Schwankungen von Jahr zu Jahr, die auf die natürliche Variabilität zurückzuführen sind, bedeuten, dass die globalen Temperaturen wie eine Treppe und nicht wie eine gerade Linie ansteigen, und wir sehen in diesem Jahr einen grossen Sprung nach oben-»

Dr. Friederike Otto vom Imperial College London, Grossbritannien: «Das Wetter ändert sich wie von den Wissenschaftlern erwartet und vorhergesagt, aber unsere Gesellschaften und Ökosysteme sind anfälliger für selbst kleine Veränderungen als bisher angenommen, und die Schäden sind daher grösser.»

Prof. Malte Meinshausen von der University of Melbourne, Australien: «Die Prognosen der Klimawissenschaft sind über die letzten Jahrzehnte hinweg ziemlich robust. Leider hat sich die Hartnäckigkeit der Menschheit, immer grössere Mengen an Treibhausgasen auszustossen, ebenfalls als ziemlich robust erwiesen. Wenn wir die globale Erwärmung nicht bald stoppen, werden die Extremereignisse, die wir in diesem Jahr erleben, gegenüber denen, die noch kommen werden, verblassen.»

Die überwältigende Mehrheit der Forschenden wies auf eine entscheidende Massnahme hin: fossile Brennstoffe auf Null zu reduzieren. Mehr beim Guardian.

Neues aus der Klimawissenschaft

UNICEF-Bericht warnt: Kinder auf der Flucht

Ein Bericht des UNO-Kinderhilfswerks Unicef zeigt, dass zwischen 2016 und 2021 über 43 Millionen Kinder in 44 Ländern durch vom Klimawandel ausgelösten Wetterereignissen fliehen mussten. 95% der Vertreibungen wurden durch Überschwemmungen und Stürme verursacht. Dies entspricht etwa 20’000 Kindern, die jeden Tag vertrieben werden. Dabei handele es sich nur «um die Spitze des Eisbergs», da wahrscheinlich noch viel mehr Kinder betroffen seien. Die Anzahl der durch Dürre vetriebenen Kinder sei «deutlich zu niedrig erfasst», da diese Vertreibungen weniger plötzlich auftreten und daher schwieriger zu erfassen seien. Die Länder, wo am meisten Kinder vertrieben werden, sind China, Indien und die Philippinen. Mehr in der TAZ.

Städte wachsen in Überschwemmungsgebieten am schnellsten

In vielen Ländern wachsen Dörfer und Städte in Gebieten mit hohem Überschwemmungsrisiko am schnellsten. Das ist ein besorgniserregender Trend, zumal der Klimawandel Überschwemmungskatastrophen weltweit verschärft. Ostasien hat mit über 18% den höchsten Anteil an Siedlungen in überschwemmungsgefährdeten Gebieten. Die Entwicklung in Überschwemmungsgebieten wird hauptsächlich durch die Knappheit an Land in sichereren Gebieten vorangetrieben. Mehr bei Nature.

Aktualisierter Bericht der IEA zum 1,5 Grad-Ziel

Die Internationale Energieagentur (IEA) hat ihre aktualisierte Version des 1,5ºC Szenarios veröffentlicht. Sie berücksichtigt den wirtschaftlichen Aufschwung nach der COVID-19-Pandemie, das «aussergewöhnliche Wachstum» erneuerbarer Energietechnologien, erhöhte Investitionen in fossile Brennstoffe und «hartnäckig hohe Emissionen».

Die IEA fordert mindestens eine Verdreifachung der Gesamtkapazität an erneuerbaren Energien auf 1,5 TW oder mehr bis 2030 und bekräftigt ihren Aufruf an wohlhabende Länder, die Energiewende schneller voranzutreiben. «Im aktualisierten Netto-Null-Szenario führt ein enormer, von der Politik gesteuerter Ausbau der erneuerbaren Energien dazu, dass die Nachfrage nach fossilen Brennstoffen bis 2030 um 25% sinkt und die Emissionen um 35% im Vergleich zum Höchststand von 2022 zurückgehen», schreibt die IEA.

Da die Nachfrage nach fossilen Brennstoffen bis 2050 um 80% sinke, würden «keine neuen Öl- und Gasprojekte mit langer Vorlaufzeit benötigt, ebenso wenig wie neue Kohlebergwerke, Erweiterungen von Bergwerken oder neue Kohlekraftwerke mit unverminderter Leistung.» Das Szenario zeigt auch einen starken Anstieg von Elektrofahrzeugen und Wärmepumpen. Es soll aber auch weiterhin in einige Öl- und Gasprojekte investiert werden, um Preisspitzen oder Versorgungsengpässe zu vermeiden.

Die IEA warnt davor, dass Länder, die die Energiewende bis 2030 nicht beschleunigen, sich zu sehr auf Technologien zur CO2-Entfernung verlassen, die teuer und nicht im grossen Massstab erprobt seien. «Um das Ziel, die globale Erwärmung auf 1,5° C zu begrenzen, am Leben zu erhalten, muss sich die Welt schnell zusammenfinden», so Fatih Birol, der Chef der IEA. «Eine starke internationale Zusammenarbeit ist für den Erfolg entscheidend. Die Regierungen müssen angesichts des Ausmasses der Herausforderung das Klima von der Geopolitik trennen.» Mehr bei der IEA und Energymix.

Sechs von neun planetaren Grenzen sind überschritten

Die Widerstandsfähigkeit unseres Planeten schwindet: Sechs von neun Grenzen der planetaren Belastbarkeit sind überschritten. Das sind zwei mehr als noch 2015, wie eine neue Studie in Science zeigt. Überschritten sind die planetaren Grenzen bei der globalen Erwärmung, der Biosphäre, der Entwaldung, den Stickstoffkreisläufen, den Schadstoffen und beim Süsswasser. Der Druck auf diese Erdsysteme und Kreisläufe wächst immer mehr. «Die Erde ist ein Patient, dem es nicht gut geht», wird Co-Autor Johan Rockström, Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK), in einer Mitteilung des Instituts zitiert. «Wir wissen nicht, wie lange wir entscheidende Grenzen derart überschreiten können, bevor die Auswirkungen zu unumkehrbaren Veränderungen und Schäden führen.» Mehr bei scinexx, Stockholmresilience.org und Watson.

Azote für das Stockholm Resilience Centre, basierend auf einer Analyse in Richardson et al 2023.

Danke und Herzliche Grüsse von Anja und Thomas!

Die Klimazeitung darf gerne weitergeleitet werden. Falls du noch nicht auf dem Verteiler bist, kannst du sie hier abonnieren: https://bit.ly/Klimazeitung

Schweiz

Ja zum Klimaschutzgesetz. Doch wie geht es nun weiter?

Am 18. Juni 2023 haben die Schweizer Stimmberechtigten das Klimaschutzgesetz angenommen – als indirekten Gegenvorschlag zur Gletscherinitiative. 59% stimmten dem Gesetz zu, die Stimmbeteiligung betrug 42,5% (mehr Infos im amtlichen Ergebnis der Bundeskanzlei). Wie die Vox-Analyse des Forschungsinstituts GFS Bern zeigt, fand das Gesetz auch bei Sympathisierenden der Mitte (64%) und der FDP (66%) eine Mehrheit. Als Grund, Ja zu stimmen, nannten laut srf.ch viele einen «akuten Handlungsbedarf im Bereich Umwelt- und Klimaschutz».

Damit wird das Netto-Null-Ziel bis 2050 gesetzlich verankert. Zudem sieht das Gesetz Förderbeiträge für den Ersatz fossiler Heizungen und die Entwicklung neuer Technologien vor. Die Schweiz ist damit das erste Land, das sich in einer Volks­abstimmung zum Netto-Null-Emissions­ziel verpflichtet. Bis die Gelder für den Heizungsersatz fliessen, dauert es aber noch eine Weile. Die entsprechende Verordnung soll Anfang 2025 in Kraft treten, sagte Bundesrat Albert Rösti auf srf.ch.

In der Republik zieht Marcel Hänggi, der Vater der Gletscher­initiative, eine persönliche Bilanz über sein Engagement der letzten sieben­einhalb Jahre. Ein lesenswerter Text über Politmarketing, Schlüsselfiguren, Kompromisse und darüber, wie sich Mehrheiten für die Klima­politik finden lassen.

Gleich nach der Abstimmung begann eine rege mediale Debatte über die notwendigen Schritte, um das Netto-Null-Ziel zu erreichen und die Stromproduktion aus erneuerbaren Energien zu erhöhen. Zur Diskussion stehen unter anderem der Bau von Windrädern, Solarpflicht für Gebäude und Ladestationen für Elektroautos. Eine gute Übersicht liefern Tages-Anzeiger und die Zeit, weitere Infos finden sich in der Republik und beim Lamm. Der Tages-Anzeiger (paywall) zeigt zudem in vier Szenarien, wie die Schweiz die Energiewende schaffen kann.

In der Pflicht stehen auch die Kantone, wie Roberto Schmidt, Präsident der Konferenz der Energiedirektoren, im Interview mit dem Tages-Anzeiger klar macht. Voraussichtlich im August wollen die Kantone einen Teil der Mustervorschriften für die Gebäude verschärfen. Auf grossen Dachflächen sei die Einführung einer Solarpflicht nötig.

SVP und FDP fordern derweil den Bau neuer Kernkraftwerke. Zudem sollen die bestehenden AKWs länger laufen, wie dies unter anderem FDP-Ständerat Ruedi Noser verlangt, der sich im Initiativkomitee für die Gletscherinitiative eingesetzt hatte. Damit steht auch wieder die Idee zur Diskussion, die erforderlichen Nachrüstungen der bestehenden AKWs mit öffentlichen Geldern zu unterstützen. Mehr dazu in der NZZ (paywall) und im Tages-Anzeiger. Was die Abhängigkeit von Kernkraftwerken für die Versorgungssicherheit bedeutet, ist an einer Veranstaltung der Schweizerischen Energiestiftung debattiert worden.

Die Stromkonzerne Alpiq und Axpo haben bereits klar gemacht, dass sie das finanzielle Risiko für neue, sehr teure Kernkraftwerke als zu hoch einschätzen, wie auf srf.ch zu lesen ist. Und auch die Bevölkerung lehnt den Bau neuer AKWs ab, wie die Nachbefragung zur Abstimmung zeigte. Nur 30% der Befragten sprechen sich dafür aus, wie der Tages-Anzeiger schreibt. 45% befürworten längere Laufzeiten für bestehende Kernkraftwerke. Die grösste Zustimmung erhält mit 57% eine Solarpflicht auf Neubauten. Damit werden die Ergebnisse einer Umfrage des Verbands Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen bestätigt, für die im April 2023 rund 1000 Stimmberechtigte befragt wurden (mehr dazu im Tages-Anzeiger).

Die WOZ regt eine Debatte über Wirtschaftswachstum und Umverteilung an. Wächst die Wirtschaft unverändert, so werde damit die Erreichung des Netto-Null-Ziels gefährdet. Die Zeitschrift Beobachter fordert sozialen Ausgleich, damit Menschen mit geringem Einkommen durch die Kosten für künftige Klimaschutzmassnahmen nicht weiter unter Druck geraten.

Absage an Klimazölle, doch Lenkungsabgaben wieder auf der Agenda

Der Bundesrat lehnt die Einführung eines Schweizer Klimazolls ab. Aufgrund regulatorischer und handelspolitischer Risiken ist er dagegen, im Gleichschritt mit der EU einen sogenannten CO2-Grenzausgleichsmechanismus (Carbon Border Adjustment Mechanism, CBAM) einzuführen. Mit diesem Instrument will die EU das Risiko eindämmen, dass Unternehmen ihre Produktion in Drittstaaten mit weniger strengen Klimaschutzvorschriften verlagern. Anfang Oktober dieses Jahres beginnt in der EU eine Testphase, ab 2026 ist die schrittweise Einführung von Importabgaben vorgesehen. Mit dem ablehnenden Bericht stellt sich der Bundesrat gegen verschiedene Vorstösse des Parlaments, welche die Einführung eines solchen Instruments verlangen. Mehr dazu in der NZZ (paywall) und beim Lamm.

Ein anderes Klimaschutzinstrument steht hingegen wieder zur Debatte: Lenkungsabgaben. Die Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie des Nationalrates (UREK) hat einem Vorstoss zugestimmt, alle Treibhausgasemissionen mit einer Lenkungsabgabe zu belegen, also auch Treibstoffe. Mitte-Präsident Gerhard Pfister, der die parlamentarische Initiative eingereicht hat, will damit erreichen, dass Treibhausgasemissionen einen verursachergerechten Preis erhalten. Die Einnahmen aus der Abgabe sollen vollständig an die Bevölkerung und die Unternehmen zurückerstattet werden. Wie schwierig eine Umsetzung ist, weiss auch die Umweltkommission. Ziel sei es nicht, den «bewährte Instrumentenmix abrupt umzustossen, sondern eine vertiefte Diskussion zur Wirksamkeit und Akzeptanz klimapolitischer Massnahmen zu führen.» Mehr dazu in der NZZ (paywall).

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Rückläufiger CO2-Ausstoss und das Problem mit den Kühe

In der Schweiz ist 2022 weniger CO2 ausgestossen worden als im Vorjahr. Im Verkehr sanken die Emissionen bei Benzin- und Dieseltreibstoffen gegenüber 2021 um 1,1%. Sie lagen damit um 5,5% tiefer als 1990. Als Gründe für den Rückgang nennt das Bundesamt für Umwelt den wachsenden Anteil an Elektrofahrzeugen am Strassenverkehr sowie die Veränderung des Mobilitätsverhaltens als Folge der Corona-Pandemie. Dass die Emissionen nicht stärker zurückgehen, führt der WWF darauf zurück, dass die Fahrzeugflotte, die neu auf die Strassen kommt, in der Schweiz besonders schwer und damit europaweit am schmutzigsten sei. Der CO2-Ausstoss von Brennstoffen (vor allem Öl und Gas) ging witterungsbereinigt um 4,9% zurück. Dazu führten unter anderem die bessere Energieeffizienz von Gebäuden und der zunehmende Einsatz erneuerbarer Energien beim Heizen. Mehr dazu auf srf.ch.

Neben Verkehr und Gebäude trägt auch die Landwirtschaft erheblich zu den Treibhausgasemissionen bei, vor allem durch die Tierhaltung und den damit verbundenen Ausstoss von Methan, einem hochwirksamen Klimagas. Neu bezahlt der Bund Direktzahlungen, wenn Bauern ihre Milchkühe ein bis zwei Jahre länger leben lassen, wie die NZZ am Sonntag (paywall) berichtet. Weil Kühe in den ersten Lebensjahren keine Milch geben, aber bereits grosse Mengen Klimagase ausstossen, soll sich damit die Klimabilanz verbessern.

Andere Staaten erwägen den entgegengesetzten Weg: Die irische Regierung hat vorgeschlagen, über 200’000 Kühe zu schlachten, um so den Treibhausgasausstoss der irischen Landwirtschaft zu senken. In der Schweiz will Franzsika Herren den Tierbestand über die Ernährungsinitiative reduzieren. Das Volksbegehren ist Mitte Juni eingereicht worden, wie der Tages-Anzeiger (paywall) weiss. Die Bernerin hatte bereits die Trinkwasserinitiative lanciert, die 2021 vom Volk abgelehnt worden war. Die neue Initiative will den Bund zu Massnahmen verpflichten, um eine auf pflanzlichen Lebensmitteln basierende Ernährungsweise zu fördern.

Der Bauernverband will verhindern, dass Tierbestände reduziert werden. Dazu hat er einen Bericht zu den Klimawirkungen von Methan erstellt. Der Bauernverband stützt sich dabei auf eine Studie der Akademie der Naturwissenschaften Schweiz über die Klimawirkung kurzlebiger Treibhausgase, primär Methan. Der Autor kommt zum Schluss, dass die heute angewendete Umrechnungsformel den Effekt von Methan aufs Klima kurzfristig, das heisst für nächste Jahrzehnte, stark unterschätzt, längerfristig jedoch überschätzt. Nach der neuen Formel wäre der heutige Methanausstoss der Landwirtschaft in CO2-Äquivalenten umgerechnet sechs- bis siebenmal geringer. Klimaforschende weisen jedoch darauf hin, dass die Methanemissionen bis 2050 global um mindestens 50% zu reduzieren seien, um die Erwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen. Das erfordert auch die Reduktion der Tierbestände. Mehr dazu im Tages-Anzeiger (paywall).

Mit Biogasanlagen, die Mist und Gülle verarbeiten, lassen sich Methanemissionen eindämmen. Der Wirtschaftsverband swisscleantech verlangt in einem Positionspapier bessere Rahmenbedingungen für solche Anlagen. Konkret soll die energetische und stoffliche Nutzung von Bioabfällen, so weit technisch möglich und wirtschaftlich tragbar, zur Pflicht werden. Zudem seien verbindliche Ausbauziele und Abgeltungen festzulegen sowie erneuerbare Gase von der CO2-Abgabe zu befreien. Und auch importierte erneuerbare Gase aus dem Ausland seien anzuerkennen.

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Wie Parlament und Bundesrat erneuerbare Energien ausbauen wollen

Das Parlament ist uneinig, wie erneuerbare Energien auszubauen sind: Beim Energie-Mantelerlass haben sich National- und Ständerat noch nicht auf einen Kompromiss einigen können. Das Gesetz kombiniert die Revision von Energiegesetz und Stromversorgungsgesetz und soll die Weiterentwicklung der Energieversorgung regeln. Differenzen gibt es einmal bei der Solarpflicht. Die Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie des Nationalrates (UREK) hält weiter daran fest, dass für alle Neubauten sowie für erhebliche Umbauten und Erneuerungen die Pflicht eingeführt werden soll, PV-Module zu montieren. Der Ständerat hatte eine Solarpflicht in der Sommersession abgelehnt.

Die beiden Räte haben auch unterschiedliche Positionen, was die Restwassermengen von Wasserkraftwerken angeht. Die UREK des Nationalrats verlangt, dass die Restwasservorschriften für bestehende Wasserkraftwerke unter gewissen Bedingungen gelockert werden kann. Bei einer drohenden Mangellage soll der Bundesrat die Restwassermengen auf ein Minimum reduzieren können. Der Ständerat hatte in der Sommersession entschieden, dass diese Massnahme nicht nur Mangellagen ergriffen werden kann, sondern auch dann, wenn dies zum Erreichen der Produktionsziele nötig ist. Mehr dazu bei energate.ch.

Einig sind sich die Räte darin, dass der Bau von Kraftwerken in Biotopen von nationaler Bedeutung sowie in Wasser- und Zugvogelreservaten weiterhin ausgeschlossen bleiben soll. Hingen soll der Bau in neu entstehenden Gletschervorfeldern und alpinen Schwemmebenen möglich sein. Mehr zur Debatte zum Mantelerlass auf srf.ch, NZZ (paywall) und watson.ch.

Nach dem «Solarexpress» hat das Parlament auch den «Windexpress» beschlossen, ein dringliches Gesetz zur Beschleunigung von fortgeschrittenen Windkraftprojekten. National- und Ständerat einigten sich in der Sommersession darauf, die Bewilligungsverfahren für Windenergieprojekte zu vereinfachen. Neu sollen kantonale Behörden die Baubewilligung erteilen, nicht wie bisher die Gemeinden. Ein Weiterzug ans Bundesgericht wäre nur noch beschränkt möglich. Die Erleichterungen gelten für grosse Windenergieanlagen und solange, bis schweizweit eine zusätzliche Leistung von 600 Megawatt Windenergie installiert ist. Bis jetzt ist kein Referendum angekündigt worden; die Frist läuft bis zum 5. Oktober 2023. Mehr dazu bei nau.ch und der Sonntagszeitung (paywall).

Zusätzlich zu «Solarexpress» und «Windexpress» will der Bundesrat mit dem «Beschleunigungserlass» den Ausbau der Stromproduktion fördern. Dieser sieht vor, die Verfahren für die Planung und den Bau grosser Solar-, Wind- und Wasserkraftwerke von nationalem Interesse zu vereinfachen. Die Botschaft zur Änderung des Energiegesetzes hat er ans Parlament überwiesen. Der Beschleunigungserlass sieht vor, alle erforderlichen Schritte in einem Verfahren zusammenzufassen: Nutzungsplan, Baubewilligung, Spezialbewilligung, allfällige Enteignung und Erschliessung. Auch der Rechtsmittelweg soll verkürzt werden: Auf kantonaler Ebene wäre künftig nur noch eine Beschwerde an das obere kantonale Gericht möglich. Lokale und kantonale Organisationen könnten gegen solche Projekte keine Beschwerde mehr einreichen. Hingegen wären Standortkantone und -gemeinden sowie gesamtschweizerisch tätige Organisationen wie der WWF oder Pro Natura weiterhin beschwerdeberechtigt. Mehr dazu in der NZZ (paywall), der Aargauer Zeitung und auf srf.ch.

Der Ausbau der erneuerbaren Energien in den Schweizer Alpen verletze die Europäische Alpenkonvention, sagt der Geschäftsführer der Alpenschutzorganisation Cipra International in der Wochenzeitung. Der 1991 von der Schweiz mitunterzeichnete Vertrag bildet die rechtliche Grundlage, um die sensiblen alpinen Ökosysteme und die regionalen kulturellen Identitäten zu schützen.

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Lässt sich der Ausbau der Erneuerbaren umweltverträglich gestalten?

Eine Studiengruppe der ETH Zürich will eine grundsätzliche Debatte lancieren, wie der alpine Raum angesichts von Klimawandel und Energiewende neu gestaltet werden soll. Allein durch das Abschmelzen der Gletscher werden bis Ende dieses Jahrhunderts 800 Quadratkilometer freigelegt, eine Fläche so gross wie der Kanton Neuenburg. Eine Diskussion, was damit geschieht, gibt es nicht. Unter der Leitung von Landschaftsarchitekt Günther Vogt und Alpenforscher Thomas Kissling haben Architekturstudierende Szenerien der künftigen Entwicklung erarbeitet. Die Studiengruppe fordert, dass Nutzungsschwerpunkte künftig nicht mehr nach rein kommerziellen Kriterien definiert werden. Vielmehr soll die Nutzung dort intensiviert werden, wo bereits viel Infrastruktur steht. Im Gegenzug sollen unzugängliche Regionen mit hohem landschaftlichem Wert wie etwa das Triftgebiet im Berner Oberland von kommerzieller Nutzung ausgeschlossen sein. Das bisher unveröffentlichte Projekt wird im Magazin ausführlich vorgestellt. Hintergrundinformationen zum Thema «Alpine Landschaften profilieren» finden sich beim Departement Architektur der ETH.

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Zahlen und Projekte zu neuen Solar-, Wind und Geothermieanlagen

Die Solarenergie gewinnt in der Schweiz an Bedeutung. 2022 wurden 58% mehr Produktionskapazität installiert als im Vorjahr. Damit deckte Solarstrom gemäss Bundesamt für Energie rund 7% des Schweizer Strombedarfs ab. Die Jahresproduktion der landesweit installierten PV-Anlagen lag bei 3800 Gigawattstunden Strom, was rund der Hälfte der Produktion im Kernkraftwerk Gösgen entspricht. Wie weit der Ausbau der Solarenergie in den einzelnen Gemeinden ist, lässt sich auf tagesanzeiger.ch (paywall) abrufen.

Um die Ausbauziele zu erreichen, sind allerdings weiterhin enorme Anstrengungen nötig. Das Szenario «Energieperspektiven 2050+» des Bundes sieht für das Jahr 2050 fast zehnmal so viel Solarstrom vor. Mit dem derzeit im Parlament diskutierten Mantelerlass soll ein Grossteil dieses Ausbaus bereits bis 2035 erreicht werden. Im laufenden Jahr erwartet der Branchenverband Swissolar einen ähnlich grossen Zubau von Photovoltaikanlagen wie 2022. Allerdings wird die Entwicklung durch den Mangel an Fachkräften gebremst. Mehr dazu beim Tages-Anzeiger und der NZZ (paywall).

Trotz des Wachstums gehört die Schweiz europaweit weiterhin zu den Schlusslichtern, was den Ausbau der erneuerbaren Energien betrifft. Gemäss der neuen Auswertung der Schweizerischen Energiestiftung (SES) wird nur in Rumänien, Tschechien, Slowenien, der Slowakei und Lettland weniger Solar- und Windstrom pro Kopf produziert. Von 28 untersuchten Ländern liegt die Schweiz wie im Vorjahr auf Position 23. In Dänemark und Schweden, welche die Rangliste anführen, werden pro Kopf sieben bis acht Mal so viel Strom aus Sonnen- und Windkraft gewonnen wie in der Schweiz.

Solarprojekte: Die Gemeindeversammlung von Laax hat der alpinen Solaranlage bei der Bergstation Vorab zugestimmt, wie die Südostschweiz schreibt. Damit will das Elektrizitätsunternehmen Repower, zusammen mit der Gemeinde und dem Bergbahnunternehmen, jährlich 2200 Haushalte mit Strom versorgen. Deutlich grösser sind die Pläne des Elektrizitätswerks der Stadt Zürich (EWZ). Der Stromversorger will in den nächsten Jahren alpinen Solarstrom für 58’000 Haushalte produzieren. Ein Projekt soll im Skigebiet von Savognin, auf dem Gemeindegebiet von Surses, realisiert werden. Eine zweite Anlage ist in der Gemeinde Rheinwald geplant. Die Bewilligung der beiden Gemeinden steht noch aus. Mehr dazu in der NZZ (paywall).

In der Republik ist zu lesen, was einen Bergbauern dazu bringt, ein Projekt für eine alpine Solaranlage zu lancieren. Das Projekt Morgeten Solar will auf der gleichnamigen Alp im Simmental 3000 Haushalte mit Strom versorgen.

Eine Hürde für die Realisierung der Anlagen ist der Netzanschluss. Weil Stromleitungen fehlen, ist nach Grengiols Solar bereits ein zweites Grossprojekt im Wallis stark redimensioniert worden: Vispertal Solar. Von den ursprünglich geplanten 800’000 Solarmodulen wird wohl nur die Hälfte realisiert, schreibt die Sonntagszeitung (paywall). Und die NZZ (paywall) zeigt Notwendigkeit und Hürden beim Ausbau des Schweizer Stromnetzes auf.

Windprojekte: Die Elektrizitätswerke des Kantons Zürich (EKZ), das EWZ und das Stadtwerk Winterthur wollen gemeinsam Windenergieanlagen realisieren. Unter dem Namen «Zürich Wind» sollen Entwicklung, Finanzierung, Bau und Betrieb im Kanton Zürich zusammengelegt werden. Mit der Kooperation reagieren die Stromversorger auf den Plan von Energieminister Martin Neukom zur Windenergie. Bis 2050 will der Kanton rund 7% des kantonalen Strombedarfs mit lokaler Windenergie decken. Die neue Windstrategie sieht 120 Windräder an über 40 Standorten vor. Gegen die Pläne haben SVP-nahe Kreise in zahlreichen Gemeinden im Kanton Zürich Einzelinitiativen zur Einführung von Mindestabstandsregeln eingereicht. Das gleiche Ziel will die SVP mit einer parlamentarischen Initiative auf kantonaler Ebene erreichen. Mehr dazu hier und hier im Tages-Anzeiger.

In Muttenz BL hat die Bevölkerung dem Bau einer Windenergieanlage zugestimmt. Das Windrad soll in Zukunft 800 Haushalte mit Strom versorgen, rund ein Zehntel der Gemeinde. Vor zwei Jahren war das Projekt an der Gemeindeversammlung abgelehnt worden. Doch ein Gymnasiast, der heute für die GLP politisiert, hatte mit einer Petition eine zweite Abstimmung ermöglicht. Mehr dazu auf bazonline.ch und bzbasel.ch.

Um das Tiefengeothermieprojekt im Jura setzten sich lokale Gegner mit rabiaten Mitteln zur Wehr. Laut dem Tages-Anzeiger (paywall) kam es zu Sachbeschädigungen, Sabotageakten und es wurden Morddrohungen gegen Verantwortliche ausgesprochen. In der Gemeinde Haute-Sorne sollen 6000 Haushalte mit Strom versorgt werden, der aus der Wärme im jurassischen Untergrund gewonnen wird. Das Projekt wird vom Bund unterstützt. Derzeit laufen Probebohrungen, die rund um die Uhr bewacht werden.

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Energieverbrauch, Notfallpläne und eine neue Wasserstoff-Initiative

Der milde Winter hat zu einem rückläufigen Energieverbrauch geführt. Gegenüber dem Vorjahr sank der Verbrauch um 3,9%, wie die neusten Zahlen des Bundesamts für Energie zeigen. Neben der Witterung trugen auch die Energie-Sparkampagne des Bundes sowie der Anstieg der Energiepreise zur Reduktion des Energieverbrauchs bei. Der Treibstoffverbrauch im Flug- und Autoverkehr nahm leicht zu, lag aber weiterhin unter dem Wert von 2019 vor der Corona-Pandemie.

Der warme Winter war auch der Grund, weshalb die Versorgung mit Strom und Gas ausreichend war. Dennoch hat der Bund weitere Massnahmen ergriffen, um die Energieversorgung zu sichern. Mit der Wasserkraftreserve werden Kraftwerksbetreiber verpflichtet, Wasser zurückzuhalten, das bei einer Mangellage genutzt werden kann. Bis im Juli wurden dazu bereits zwei Ausschreibungen abgeschlossen. Bis 2026 bestehen Verträge mit Reservekraftwerke in Birr AG, Cornaux NE und Monthey VS, die aus Gas und Erdöl Strom produzieren können. Das Bundesamt für Energie will sich diese Reserveleistung für 15 weitere Jahre sichern. Die Ausschreibung dazu wurde Ende Juli gestartet. Dagegen hat die Bewegung Klimastreik ihren Widerstand angekündigt. Mehr dazu im Tages-Anzeiger und auf srf.ch.

Beim grünen Wasserstoff droht die Schweiz den Anschluss an Europa zu verpassen. In der EU wird ein über 50’000 Kilometer langes Pipelinenetz geplant, um eine klimaneutrale Energieversorgung aufzubauen. Womöglich werden diese Leitungen an der Schweiz vorbeiführen werden, wie die NZZ am Sonntag (paywall) und der Tages-Anzeiger (paywall) aufzeigen. Die Kantone werfen dem Bundesrat Untätigkeit vor und verlangen, dass dieser rasch eine Wasserstoffstrategie verabschiedet.

Die Schweiz soll selbst grünen Wasserstoff produzieren. Dieses Ziel verfolgt ein Projekt der beiden eidgenössischen Hochschulen ETH und EPFL, das vom Mäzen Hansjörg Wyss unterstützt wird. Die geschätzten Projektkosten belaufen sich in einer ersten Phase auf 100 Millionen Franken. Mit überschüssigem Strom soll im Sommer Wasserstoff produziert werden. Zusammen mit dem aus industriellen Prozessen abgetrennten CO2 sollen grünes Methanol oder Methan hergestellt werden, die sich besser speichern lassen als Wasserstoff. Das Projekt startet Anfang 2024, ab 2028 sollen Demonstrationsanlagen betrieben werden. Zu den ersten industriellen Partnern gehören die Fluggesellschaft Swiss und das Energieunternehmen Alpiq. Mehr dazu in der NZZ (paywall).

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Fossilfreie Mobilität im Gleichschritt mit der EU

Der Bundesrat will keinen vorzeitigen Verkaufsstopp für Benzin- und Dieselfahrzeuge. Das macht er im Bericht zum Postulat «Fossilfreien Verkehr bis 2050 ermöglichen» deutlich. Stattdessen soll die Umstellung auf den CO2-neutralen Verkehr «im Gleichschritt und analog zu den Massnahmen der EU» erfolgen. Im Bericht aufgeführt sind verschärfte CO2-Zielwerte, das heisst CO2-Emissionsvorschriften für Neufahrzeuge, die analog zur EU fortgeführt und angepasst werden. Dies hatte der Bundesrat bereits in der Botschaft zur Revision des CO2-Gesetzes festgehalten. Falls die EU ab 2035 wie geplant Nullemissionsziele für Neufahrzeuge einführt, würde damit auch der Verkauf von Benzin- und Dieselautos auch in der Schweiz verunmöglicht, zeigt die Aargauer Zeitung auf.

Mit der CO2-Revision soll der Bundesrat zudem die Kompetenz erhalten, eine Quote für die Beimischung von erneuerbaren Treibstoffen festzulegen. Damit sollen die CO2-Emissionen des Verkehrs um 5-10% gesenkt werden. Dies hätte Mehrkosten von drei bis sechs Rappen pro Liter zur Folge. Anfang Juli haben in der Umweltkommission des Ständerats die Beratungen zum CO2-Gesetz begonnen. Das haben SVP und der TCS zum Anlass genommen, in der Sonntagszeitung die mögliche Preiserhöhung für Treibstoffe zu kritisieren.

Wie jeden Sommer sorgen die Staus am Gotthard für Schlagzeilen. Nationalrät:innen von Mitte, GLP und FDP haben die Diskussion mit einer Motion zusätzlich belebt. Sie fordern, dass die Durchfahrt durch den Gotthardtunnel kostenpflichtig werden soll. An Ostern, Auffahrt, Pfingsten und im Sommer soll die Maut am meisten kosten. Ähnliche Vorschläge hatte das Parlament in der Vergangenheit abgelehnt. Mehr dazu auf srf.ch und in der NZZ am Sonntag (paywall), NZZ (paywall). Das Tessin reagierte empört über den neuen Vorstoss einer Tunnelgebühr am Gotthard, wie Tages-Anzeiger (paywall) und nau.ch berichten. In einer repräsentativen Befragung von Tamedia und «20 Minuten befürworteten 69% eine Strassengebühr.

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Wo die Schweiz die planetaren Grenzen verletzt

Die Schweiz überschreitet die planetaren Grenzen in verschiedenen Bereichen. Die zeigt eine Studie des Forschungsunternehmens econcept im Auftrag von Greenpeace. Dazu wurden die konsumbedingten Umweltbelastungen im In- und Ausland entlang des gesamten Produktlebenszyklus untersucht und hinsichtlich der planetaren Grenzen bewertet. In vier von sechs ökologischen Dimensionen wird die Belastung für Ökosysteme deutlich überschritten: bei Klimaveränderung, Biodiversitätsverlust, Wasserverbrauch und Stickstoff, der von der Landwirtschaft in Gewässer und Atmosphäre gelangt. Beim Landverbrauch und dem Phosphor (durch den Einsatz von Dünger) sind die Grenzen erreicht. Werden planetare Grenzen überschritten, sind die Stabilität der Ökosysteme und damit unsere Lebensgrundlage gefährdet.

Zwar konnten in den letzten Jahren dank der technischen Entwicklung in verschiedenen Bereichen Effizienzsteigerungen erzielt werden. Aber diese Effekte sind durch gestiegene Konsummengen teilweise wieder aufgehoben worden. Für eine Trendumkehr, schreiben die Autor:innen, sei deshalb gesellschaftlicher Wandel notwendig. Dazu beschreiben sie acht verschiedene Ansätze und bewerten deren Beitrag zur Transformation zu einem sozialgerechten Leben innerhalb der planetaren Grenzen. Diese reichen von Suffizienzpolitik über Bürger:innenversammlungen und Kreislaufwirtschaft bis zur sogenannten Donut-Ökonomie. Die Studie zeigt keinen Königsweg auf, vielmehr könnten je nach Fokus unterschiedliche Ansätze miteinander kombiniert werden.

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Beschwerde wegen Greenwashing, South Pole weiter in der Kritik

Die Stiftung für Konsumentenschutz hat beim Staatssekretariat für Wirtschaft Beschwerde wegen unlauteren Wettbewerbs gegen acht Unternehmen eingereicht. Dazu gehören Swisscom, Coca-Cola Schweiz, der Autovermieter Avis sowie der Zoo Zürich. Der Konsumentenschutz wirft den Firmen vor, mit «Schönfärberei und haltlosen Behauptungen in Bezug auf Klimafreundlichkeit» Konsument:innen in die Irre zu führen. Gegen drei der Unternehmen wurde zudem bei der Schweizerischen Lauterkeitskommission Beschwerde wegen unlauterer Werbung eingereicht. Damit will die Stiftung die inflationäre Verbreitung von Aussagen über die Klimaneutralität von Produkten und Dienstleistungen eindämmen.

Viele der Klimaversprechen werden über eine CO2-Kompensation erreicht. Verschiedene Studien zeigen, dass diese Zertifikate nicht erreichen, was sie versprechen. Ein aktuelles Arbeitspapier der ETH Zürich, der University of Cambridge und der Harvard University kommt zum Schluss, dass 88% der existierenden freiwilligen Kompensationsprojekte nicht zu Emissionsreduktionen beitragen. Dazu wurden Studien untersucht, für die über 2000 solcher Projekte evaluiert worden waren.

In der Schweiz gibt es bis heute keine Regulierung zu Greenwashing, im Gegensatz zu unseren Nachbarländern. Das Europäische Parlament will die Verwendung von Slogans wie «CO2-neutral» oder «kohlenstoffneutral» verbieten. Mehr dazu im Tages-Anzeiger und bei Infosperber.

Schon länger in der Kritik stehen Waldprojekte. 90% davon leisten keinen Beitrag zur Treibhausgasreduktion, berichteten der Guardian hier und hier und die Zeit (paywall) vor ein paar Monaten. Der Druck auf South Pole, Weltmarktführer für freiwillige CO2-Kompensationen mit Sitz in Zürich, hat seither nochmals zugenommen. Erste Firmen, die ihre Klimabilanz mithilfe von South Pole aufbessern wollten, haben ihre Zusammenarbeit beendet, andere wie Nespresso, Lavazza und Booking.com haben Hinweise auf das Kariba-Projekt von ihren Websites entfernt, dem Prestigeprojekt von South Pole.

In der Gegend von Kariba in Simbabwe sollen 750’000 Hektaren Wald geschützt werden, das entspricht fast einem Fünftel der Fläche der Schweiz. Für diese Fläche hat South Pole für mindestens 100 Millionen Dollar CO2-Zertifikate verkauft. Gründliche Recherchen von SRF, der Zeit und vom niederländischen Recherchekollektiv  «Follow the Money» zeigen, wie intransparent die Geldflüsse sind und wie wenig von der versprochenen Hilfe bei der Landbevölkerung ankommt. Im Gebiet leben mehr als 300’000 Menschen. Im Tages-Anzeiger erklärt Bastion Girod, Chef des Europa-Geschäfts von South Pole und Nationalrat der Grünen, warum er weiterhin auf Waldprojekte setzt und auch mit Öl- und Gaskonzernen zusammenarbeitet. Mehr dazu auf srf.ch und in der NZZ (paywall). In einer vierteiligen Podcast-Serie beleuchtet SRF das Geschäftsmodell der Klimakompensation, hier Folge 1.

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Politische Urteile gegen Klimaaktivist:innen und weitere Aktionen

Bei Prozessen gegen Klimaaktivist:innen fällen Gerichte politische Urteile. Zu diesem Schluss kommt eine Studie der Universitäten Bern und Lausanne, für die 150 Urteile zu Klimaprotesten analysiert wurden. Gewaltfreier Widerstand werde von den Richter:innen wie ein Verbrechen behandelt und nicht wie ein Vergehen. Meist werden die Protestierenden aufgrund von Nötigung verurteilt. Laut den Autor:innen der Studie würden die Gerichte dem Recht auf Privatbesitz und Bewegungsfreiheit mehr Gewicht einräumen als der Meinungsäusserungs- und Versammlungsfreiheit. Mehr dazu bei Le Courrier (paywall) und watson.ch.

Mitglieder der Protestorganisation «Renovate Switzerland» haben mit weiteren Aktionen den Verkehr blockiert, unter anderem am Tag nach der gewonnenen Abstimmung zum Klimaschutzgesetz. Die damit verbundenen Massnahmen würden nicht ausreichen, um die Zukunft junger Menschen zu schützen, begründeten sie die Aktionen. Im Tages-Anzeiger erklärt Konfliktforscher Felix Anderl, weshalb eine gesunde Demokratie solche Proteste brauche und weshalb Versammlungs- und Meinungsäusserungsfreiheit in einer Demokratie zentral seien. Der Nachrichtendienst des Bundes warnt vor Radikalisierung der Klimabewegung, berichtet watson.ch. Und die NZZ (paywall) geht der Frage nach, warum sogenannte Klimakleber für viele zum Feindbild wurden.

In einer neuen Umfrage wurden 120 Experten aus Soziologie, Politikwissenschaft und verwandten Disziplinen dazu befragt, was soziale Bewegungen erfolgreich macht. Fast 70% der befragten Akademiker:innen bewerteten störende Protesttaktiken als «ziemlich wichtig» für den Erfolg einer Bewegung. Viele der Expert:innen bewerten den strategischen Einsatz von gewaltfreien Störtaktiken sogar als zentral für den Erfolg einer Bewegung. Die Ergebnisse widersprechen der öffentlichen Meinung, denn die Mehrheit der Bevölkerung glaubt, dass störende Proteste den Zielen der Aktivisten schaden. Laut den Expert:innen können durch störende Klimaproteste langfristig – trotz kurzfristiger Empörung und Rückschlägen – kulturelle Veränderungen ausgelöst werden. Die Störung des Alltagslebens ist oft der beste Weg, um die Aufmerksamkeit der Medien zu erregen, die Sichtbarkeit einer Sache zu erhöhen und politische und wirtschaftliche Veränderungen voranzutreiben. Mehr dazu im Guardian.

Am 30. September findet eine nationale Klimademo in Bern statt. Damit will die Klima-Allianz, welche den Anlass organisiert, kurz vor den nationalen Wahlen vom 22. September, auf die Bedrohung durch die Klimakrise aufmerksam machen und Klimagerechtigkeit einfordern.

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Klimarelevante Entscheide von Bund und Kantonen

Der Bund will laut der NZZ am Sonntag (paywall) Förderbeiträge für Bauern mehr als verdoppeln, damit sie ihre Betriebe an den Klimawandel anpassen können. Die Subventionen sollen jährlich rund 185 Millionen CHF betragen. Hinzukommen zinslose Darlehen von über 400 Mio. CHF. Die Gelder sollen für den Bau von Bewässerungsanlagen für Trockenperioden und Drainageanlagen gegen Starkniederschläge eingesetzt werden. Auch die Modernisierung von Ställen soll subventioniert werden, um das Entweichen von klimaschädlichem Ammoniak zu reduzieren.

Der Bundesrat will die Forschung zu Energie- und Klimafragen ausbauen. Er hat einen Vorschlag für zusätzliche Gelder für das laufende Forschungsförderungsinstrument SWEET (SWiss Energy research for the Energy Transition) in die Vernehmlassung geschickt. Bisher steht für die Periode 2021 bis 2032 ein Kredit von 136,4 Millionen CHF zur Verfügung. Neu soll eine zweite Tranche über 135 Mio. CHF (von 2025 bis 2036) vergeben werden. Damit sollen Fragen zur Energieversorgungssicherheit der Schweiz geklärt werden, vor allem was die Speicherung von Sommerstrom und die Dekarbonisierung der Wirtschaft betrifft.

Die Stadt Zürich will die Subventionen für den Ersatz von Öl- und Gasheizungen erhöhen, wie der Tages-Anzeiger berichtet. Ursprünglich bewilligte das Stadtparlament dafür 13,5 Mio. CHF. Die Nachfrage nach den Geldern ist nun aber grösser als erwartet. Deshalb beantragt der Stadtrat weitere 6,5 Mio. CHF für das Programm.

Im September stimmt die Zürcher Stadtbevölkerung über die Initiative «Stadtgrün» ab. Diese verlangt, dass die Stadt mindestens 1% der jährlichen Steuereinnahmen der Stadt Zürich (aktuell rund 30 Millionen CHF) für die Begrünung von Plätzen und das Pflanzen von Bäumen aufwendet, um die Hitze in der Stadt zu bekämpfen. Der Gegenvorschlag zur Initiative, über den auch abgestimmt wird, sieht jährliche Mittel von 11 Millionen vor (130 Mio. bis ins Jahr 2035). Mehr dazu in der NZZ und auf nau.ch.

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Internationale Klimapolitik

Erneuerbare Stromproduktion wächst rekordschnell

Die höheren Preise für fossile Brennstoffe und die Sorge um die Energiesicherheit treiben den globalen Ausbau von Photovoltaik und Windkraft voran, wie die neusten Zahlen der Internationalen Energieagentur (IEA) zeigen. Der weltweite Zubau an erneuerbaren Energien wird 2023 um einen Drittel auf mehr als 440 GW ansteigen – der grösste absolute Zuwachs aller Zeiten. In Europa wachsen die erneuerbaren Energien schnell und stehen an vorderster Front bei der Bewältigung der Energiekrise. Auch in den Vereinigten Staaten und Indien werden neue politische Massnahmen in den nächsten zwei Jahren zu einem erheblichen Anstieg beitragen. China festigt unterdessen seine führende Position und wird sowohl 2023 als auch 2024 fast 55% zum weltweiten Zuwachs an erneuerbarer Energiekapazität beitragen. 2024 wird die Gesamtkapazität der erneuerbaren Energien weltweit auf 4500 GW anwachsen, was der gesamten Stromerzeugung Chinas und der Vereinigten Staaten entspricht. Mehr bei IEA. Weitere Studien und Prognosen zum exponentiellen Wachstum der Solar-, Wind- und Batteriekapazitäten finden sich bei RMI und Systems Change Lab.

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Länder verhandeln besseren Schutz des Amazonas

In Brasilien fand erstmals seit 14 Jahren eine Konferenz der Amazonas-Staaten statt. Sie hatte das Ziel, die wirtschaftliche Entwicklung mit dem Schutz des Regenwalds zu vereinbaren. Zwei Drittel der Fläche des Amazonas liegen in Brasilien. Der Rest erstreckt sich auf Teile von Kolumbien, Peru, Venezuela, Bolivien, Guyana, Französisch-Guyana, Suriname und Ecuador.

Zum Auftakt des Gipfeltreffens kündigte Brasiliens Präsident Lula da Silva an, die Abholzung des Regenwaldes in Brasilien bis 2030 vollständig zu stoppen. Lula hatte bereits bei seinem Amtsantritt angekündigt, stärker gegen die illegale Abholzung vorzugehen, und in den letzten Monaten ging die Abholzung bereits deutlich zurück.

Vor Beginn des Gipfels forderten Vertreter von indigenen Gemeinschaften einen besseren Schutz ihrer Landrechte, darunter auch ein Verbot neuer Ölförderungen im Amazonas. Diese sind umstritten: Während Lula neuen Ölförderungen durchaus offen gegenübersteht, sprach sich der kolumbianische Staatschef Petro für eine Drosselung aus. In der Abschlusserklärung des Amazonasgipfels wurde unter anderem eine Amazonas-Allianz zur Bekämpfung der Abholzung und ein gemeinsames Luftkontrollsystem gegen illegale Rodungen vereinbart. Die Staaten konnten sich jedoch weder auf verbindliche Ziele noch auf ein Verbot neuer Bohrungen einigen. Mehr dazu in der Zeit (paywall) hier und hier.

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G-20 enttäuscht einmal mehr

Die Energie- und Klimaminister der G20-Ländergruppe trafen sich im Juli in Indien, um Klima- und Energieziele zu diskutieren. Die Treffen wurden im Vorfeld als entscheidende Etappen auf dem Weg zu nächsten Klimaverhandlung (COP28 in Dubai) angesehen. Die Treffen endeten jedoch ohne einen Konsens über den globalen Ausstieg aus fossilen Energien und ohne ein Ziel für erneuerbare Energien. Besonders kritisiert wurde dabei die Blockadehaltung Russlands und Saudia-Arabiens. Mehr dazu in der Zeit (paywall) und Euronews.

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China setzt auf Kohle und erneuerbare Energie. Wie passt das zusammen?

Oft wird argumentiert: «Ach was nützt es, wenn wir was gegen den Klimawandel tun, schau doch mal China an!» Doch die Rolle Chinas ist vielschichtig, wie ein Kommentar des China- und Klimaexperten Li Shuo im Guardian aufzeigt. Es stimmt, China ist der weltweit grösste Energieverbraucher und Emittent von Treibhausgasen. Aber China ist auch der grösste Produzent erneuerbarer Energien.

Chinas Solarkapazität beträgt zurzeit 228 Gigawatt (GW). Das ist mehr als der Rest der Welt zusammen. Und auch Chinas Windkraftkapazität ist mit 310 GW die weltweit grösste. Mit weiteren 750 GW an neuen Wind- und Solarprojekten in der Pipeline wird China sein Ziel für 2030 von 1’200 GW bereits fünf Jahre früher erreichen.

Chinas riesiges Wachstum bei Wind- und Solarenergie sowie bei Elektrofahrzeugen ist das Ergebnis einer aggressiven Industriepolitik. Diese zeichnet sich durch konsequente staatliche Unterstützung, gut integrierten Lieferketten, Wettbewerb, Innovation und Grössenvorteile des riesigen Landes aus. Chinas Vorherrschaft im Bereich sauberer Technologien wirft für andere Länder wichtige Fragen auf. Sind westliche Länder bereit, vergleichbar grosse wirtschaftliche und politische Schritte zu unternehmen, um ihre Produktion sauberer Technologien voranzutreiben? Andere Länder können von China lernen, auch wenn Lösungsansätze nicht einfach kopiert werden können.

Chinas erfolgreiche Politik für saubere Technologien hat aber mehr mit seiner Wirtschaftsstrategie zu tun als mit Klimaschutz. Es ist die Wachstums- und Infrastrukturförderung, die Chinas sauberen Energiesektor angekurbelt hat. Und es ist genau die gleiche Logik, welche die Entwicklung bei der Nutzung von Kohle vorantreibt. Allein für das erste Quartal 2023 haben die Provinzregierungen in China mindestens 20 GW an neuen Kohleprojekten bewilligt.

Die Herausforderung für China besteht darin, seine sauberen Technologien weiter voranzutreiben, aber aus der Kohle auszusteigen. Klimadiplomatie könnte hier entscheiden sein. China muss von den westlichen Staaten immer wieder aufgefordert werden, seinen Kohlekurs zu ändern. Im Juli führte der US-Klimabeauftragte John Kerry erstmals wieder Gespräche mit seinem chinesischen Amtskollegen Xie Zhenhua. Die Zusammenarbeit zwischen den USA und China im Klimabereich fand lange Zeit trotz der geopolitischen Spannungen statt, aber die Gespräche waren nach dem Besuch Nancy Pelosis in Taiwan im Jahr 2022 eingefroren. Vor der COP28 sind zwei weitere Treffen geplant. Mehr dazu im Guardian, bei Infosperber und bei Climate Change News.

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Schifffahrt setzt sich neue, aber unzureichende Klimaziele

Die internationale Schifffahrt verursacht etwa 3% der globalen Treibhausgasemissionen. Die Weltschifffahrtsorganisation IMO hat Anfang Juli eine neue Klimastrategie verabschiedet. Die Branche soll nun «bis oder um 2050» netto keine Treibhausgase mehr ausstossen. Das ist eine deutliche Verbesserung im Vergleich zur alten Klimastrategie aus dem Jahr 2018, die Emissionen der Schifffahrt bis 2050 zu halbieren.

Zudem wurden Zwischenziele für 2030 und 2040 verabschiedet. Im Jahr 2030 sollen die Emissionen 20% unter denen des Jahres 2008 liegen, im Jahr 2040 soll eine Reduktion von 70% erreicht werden. Diese Ziele sind ein Fortschritt, aber immer noch deutlich zu niedrig, wie Berechnungen der Science Based Target Initiative zeigen.

Die Industriestaaten und viele Entwicklungsländer hatten denn auch deutlich ehrgeizigere Ziele gefordert. Unterstützung erhielten sie von Verbänden der Schifffahrtsindustrie und von der weltgrössten Containerreederei, Maersk. Die dänische Reederei will bis 2040 das Netto-Null-Ziel erreichen. China, Brasilien, Argentinien, Russland und Saudi-Arabien hingegen wollten die Zwischenziele für 2030 und 2040 verhindern und nur ein schwammiges Bekenntnis zum Netto-Null-Ziel im Jahr 2050 abgeben.

Ebenfalls diskutiert wurde eine CO2-Abgabe für die Emissionen der Schifffahrt. Die kleinen Inselstaaten forderten eine Abgabe von 100 US-Dollar pro Tonne CO2 und hatten dafür die Unterstützung der EU sowie einiger anderer Länder. Doch auch hier stiessen sie auf Gegenwehr der grossen Schwellenländer.

Umweltorganisationen zeigen sich enttäuscht von der neuen IMO-Klimastrategie. Damit steigt nicht zuletzt der Druck auf die EU, für eine stärkere Reduktion der Emissionen aus der Schifffahrt zu sorgen. Mehr bei Klimareporter und ClimateChangeNews.

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Gipfeltreffen für globalen Finanzierungspakt

Fast 40 Staats- und Regierungschefs trafen sich im Juni in Paris zum Gipfel des französischen Präsidenten Macron für einen neuen globalen Finanzierungspakt (Summit for a New Global Financing Pact). Das zweitägige Treffen, das Finanzreformen für mehr Klimaschutz vorantreiben sollte, brachte einige Fortschritte. Doch das grundlegende Problem der Verschuldung armer Länder und die daraus resultierende Unfähigkeit, in Klimaschutz und Armutsbekämpfung zu investieren, wurde nicht angegangen.

Zum Schluss einigten sich die Staats- und Regierungschefs darauf, dass sie einen neuen Ansatz für die Investitionen wollen, um die Länder aus der Armut, der Auslandshilfe und der Klimakrise zu befreien. Zudem soll ein Fahrplan für neue Diskussionen über die Erreichung dieser Ziele festgelegt werden. Dabei wurde der Grundsatz festgelegt, dass sich der Finanzbedarf auf Billionen und nicht auf Milliarden belaufen wird und der grösste Teil davon aus dem privaten Sektor kommen muss. Private Initiativen sollen durch öffentliche Gelder angekurbelt werden. Doch die Gräben zwischen Arm und Reich waren tief und bleiben bestehen. Mehr dazu im Guardian hier und hier , NY Times (paywall), Bloomberg (paywall) und Politico.

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Blackrock nimmt CEO von Saudi Aramco in den Vorstand auf

Blackrock, der grösste Vermögensverwalter der Welt, gab Anfang Juli bekannt, dass er Amin Nasser, einen bekannten Kritiker von Klimaschutzmassnahmen und CEO des weltgrössten Ölkonzerns Saudi Aramco, in seinen Vorstand berufen hat.

Larry Fink, der CEO des Unternehmens, hat jahrelang erklärt, dass Umwelt-, Sozial- und Corporate-Governance-Erwägungen (bekannt als ESG) für das Geschäft von entscheidender Bedeutung seien. Dieser Ansatz geriet jedoch in den letzten zwei Jahren zunehmend unter Beschuss von konservativen Politikern in den USA, die BlackRock als «woke» kritisierten. Mehrere Politiker in konservativen Bundesstaaten haben als Vergeltung Milliarden ihrer Vermögenswerte aus den Kassen des Unternehmens abgezogen.

Brad Lander, der Rechnungsprüfer von New York, hat die Ernennung Nassers scharf kritisiert. BlackRock ist der grösste externe Geldverwalter der Stadt New York. Lander sagte: «BlackRock hat klar erklärt, dass das Klimarisiko ein Investitionsrisiko ist, aber Taten sagen mehr als Worte. In einer Zeit, in der Finanzinstitute einen kollektiven Ansatz zur Bewältigung der finanziellen Risiken des Klimawandels verfolgen müssen, erwarten die Aktionäre von BlackRock klima-kompetente und nicht klima-konfliktbehaftete Direktoren.» Mehr dazu bei CNN, in der NY Times (paywall) und bei Bill McKibben.

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Europäische Klimapolitik

Die Natur in Europa soll besser geschützt werden

Europa hat kaum noch intakte Natur und die wenigen Überbleibsel sind oft stark bedroht. Die EU-Kommission hat mit dem EU-Renaturierungsgesetz (EU Nature Restoration Law) einen wichtigen Vorschlag gemacht, wie Europas Natur besser geschützt werden soll. In den letzten Wochen und Monaten haben im EU-Parlament vor allem die konservativen und rechten Fraktionen gegen den Gesetzesentwurf gekämpft. Anfang Juli hat das Europäische Parlament mit knapper Mehrheit dem Gesetzesvorschlag zugestimmt. Damit werde ein «Meilenstein für den europäischen Naturschutz gelegt», kommentierte der Naturschutzbund Deutschland (NABU). Progressive konnten sich gegen konservative und rechtsextreme Parteien durchsetzen, die bis zuletzt mit der Streuung von Falschaussagen Aufsehen erregten.

Dieser Sieg hatte jedoch seinen Preis: Um einen Kompromiss zu erreichen, wurden der ursprüngliche Vorschlag der Kommission deutlich abgeschwächt. Das Parlament strich insbesondere den Artikel zur Renaturierung von landwirtschaftlichen Flächen und Torfgebieten. Das hätte wesentlich zur Speicherung von CO2 in Böden und zum Schutz von Biodiversität beitragen können.

Trotzdem ist das Gesetz ein deutlicher Fortschritt. Bislang gab es im EU-Recht keine verbindlichen Ziele zur Wiederherstellung verschiedener Ökosysteme. Dies obwohl knapp 80% der geschützten natürlichen Lebensräume in Europa geschädigt sind, wie die Umweltverbände WWF Deutschland und NABU aufzeigen. Das soll nun durch dieses Gesetz geändert werden. Bis 2030 sollen mindestens 20% der Land- und Meeresflächen renaturiert werden. Mehr dazu bei auch bei Euractiv und der ARD.

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Hürden beim Ausbau der erneuerbaren Energien beheben

Der Ausbau der erneuerbaren Energien ist oft mit vielen Hürden verbunden. Für viele dieser Hemmnisse gibt es gute Lösungen, wie eine Studie des Öko-Instituts zeigt:

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Die EU muss künftig auf «Mr. Green Deal» verzichten

«Mr. Green Deal geht von Bord»“, titelte die TAZ, nachdem Vize-Präsident Frans Timmermans verkündete, die EU-Kommission im Herbst zu verlassen. Der Mitbegründer des Europäischen Green Deal wird sich der niederländischen Politik zuwenden und bei den nationalen Neuwahlen im November als gemeinsamer Kandidat der Sozialdemokraten und Linksgrünen antreten. Die Ankündigung ruft in den Reihen des Europäischen Parlaments gemischte Gefühle hervor. Mehr dazu beim ZDF oder beim Spiegel.

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Grossbritannien will mehr Öl und Gas fördern

Die britische Regierung will so viel Öl und Gas wie möglich aus der Nordsee fördern. Premierminister Rishi Sunak kündigte im Juli an, mehr als 100 neue Bohrlizenzen zu vergeben. Sein Pressesprecher argumentierte, dies sei «völlig vereinbar» mit dem Netto-null-Ziel bis 2050, da auch dann noch fossile Brennstoffe benötigt würden und die heimische Versorgung weniger Transporte erfordere. The Climate Change Committee (CCC), der wissenschaftliche Ausschuss, der die britische Regierung in Sachen Klimapolitik berät, warnte hingegen, dass Länder die Förderung fossiler Brennstoffe nicht ausweiten, sondern dringend reduzieren oder sogar einstellen müssten.

Sunak versprach auch 20 Milliarden Pfund für CO2-Abscheidung und -speicherung. Untersuchungen zeigen, wie das Potenzial dieser Technologie in den letzten zwei Jahrzehnten mehrfach als Rechtfertigung für die Verlängerung der Kohleverstromung und den Bau von Gaskraftwerken genutzt wurde. Mehr dazu im Guardian.

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Deutschland

Abstimmung zum Heizungsgesetz verschoben

Nach erbittertem Streit über das Gebäudeenergie-Gesetzes (GEG) hat die Regierungskoalition nun eine Einigung erzielt. Das GEG, auch bekannt als «Heizungsgesetz», soll wie geplant ab 2024 in Kraft treten, vorerst jedoch nur in Gebieten mit vorhandenen kommunalen Wärmeplänen (mehr dazu beim Kompetenzzentrums Kommunale Wärmewende). In Kommunen ohne Wärmepläne dürfen vorerst weiterhin neue klimaschädliche fossile Heizungen eingebaut werden. Alle Kommunen, über 10.700 an der Zahl, sollen nach dem aktuellen Gesetzesentwurf bis spätestens Mitte 2028 Wärmepläne erstellen. Neue Heizungen sollen mindestens zu 65% mit erneuerbaren Energien betrieben werden. Allerdings wurden auf Druck der FDP eine Vielzahl an Heizoptionen zugelassen – unter anderem ineffiziente Wasserstoffheizungen.

Beim Kauf neuer Heizungen soll eine Basisförderung von 30% gewährt werden, die bis 2028 durch einen Bonus von weiteren 20% ergänzt wird, wenn die Umstellung früher als gesetzlich vorgeschrieben erfolgt. Einkommensschwache Haushalte können eine Maximalförderung von bis zu 70% erhalten. Allerdings konnte der Bundestag das GEG nicht wie geplant vor der Sommerpause verabschieden. Nach Einlenken des Bundesverfassungsgerichts – mehr dazu beim Spiegel (paywall) hier oder hier – wird nun erst im September darüber abgestimmt.

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Deutsches Klimaschutzgesetz wird abgeschwächt

Bereits im Koalitionsvertrag der Ampelregierung wurde festgeschrieben, dass das Bundes-Klimaschutzgesetz (KSG) überarbeitet werden soll. Dies, weil sich bisher «keine Sau dran gehalten» habe, so Klimaminister Robert Habeck. Gemeint ist etwa die Pflicht zum Vorlegen sogenannter «Sektor-Sofortprogramme» der zuständigen Ministerien, falls zuvor die Emissionsziele eines Sektors nicht eingehalten wurde. Mehr dazu bei der Frankfurter Rundschau. Mitte Juni stellte der Minister dazu nun konkrete Pläne vor. So soll etwa die Verbindlichkeit der Sektorziele gänzlich abgeschafft werden, und es sollen nicht mehr einzelne Ressorts für die Zielerfüllung verantwortlich sein. Zur Zielerfüllung soll vielmehr die gesamte Bundesregierung sorgen. Dies ist seit längerem schon ein Anliegen der FDP. Über 40 Umwelt- und Sozialverbände sehen darin aber eine eklatante Abschwächung der Sektorziele, das zentrale Klimaschutzinstrument Deutschlands. Darüber hinaus räumte Minister Habeck ein, dass Deutschland seine Klimaziele 2030 trotz grosser Fortschritte verfehlen werde. Die Gesetzesänderung soll nach der Sommerpause in den parlamentarischen Prozess gehen. Weiterführende Informationen beim Klimareporter.

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Industriestrompreis unter Kritik

In Deutschland wird derzeit über die Einführung eines Industriestrompreises zur Entlastung industrieller Grossverbraucher diskutiert. Auf Vorschlag der Grünen sollen diese einen deutlich reduzierten Preis von nur 6 Cent/kWh zahlen, um die Elektrifizierung der Wirtschaft zu fördern. Befürworter:innen argumentieren, dass dies Arbeitsplätze sichere, die Wettbewerbsfähigkeit stärke und die Energiewende unterstütze. Gegner:innen kritisieren, dass dies zu Mehrkosten für Privathaushalte führen könnte, da die Subvention von geschätzt 25 bis 30 Milliarden Euro für die Industrie an anderer Stelle aufgefangen werden müssen. Industrieunternehmen würden entlastet, obwohl sie weiterhin hohe CO2-Emissionen verursachen. Ohnehin beziehen grosse Industrien schon heute weitaus günstiger Strom als Haushalte. Ökonomen warnen unterdessen vor der Einführung des Industriestrompreises. Fehlende Marktsignale würden zu mangelnder Innovationsbereitschaft der Industrien führen, so das Handelsblatt. Mehr dazu hier und hier.

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Die sichtbare Klimakrise

Hitzewellen, Feuer, Stürme und Überschwemmungen

Weltweit bricht dieser Sommer Rekorde. Hier nur eine kurze Aufzählung: dramatische Hitzewellen in vielen Teilen der Welt, Feuersbrünste in Kanada, Griechenland, Hawaii und vielen anderen Ländern (hier und hier). In Peking regnete es im Juli in nur 72 Stunden fast 7.5 m, das entspricht ungefähr der durchschnittlichen Jahresmenge an Niederschlag oder 7500 Liter pro m2. Es kam zu sintflutartigen Überschwemmungen. Global war der Juli der heisseste Monat seit Beginn der Aufzeichnungen. Wahrscheinlich ist es seit mindestens 120’000 Jahren nicht so warm gewesen.

Eine Studie von World Weather Attribution (WWA) zeigt, dass Hitzewellen der vergangenen Wochen mit Rekordtemperaturen von teilweise über 45 Grad Celsius in Südeuropa, China, Mexiko und den USA ohne den Klimawandel extrem unwahrscheinlich gewesen wären. «Die Rolle des Klimawandels ist absolut überragend», erklärte die Klimatologin Friederike Otto vom Imperial College London. Die Studie kam zum Ergebnis, dass die Hitzewellen in Europa und den USA durch die globale Erhitzung mindestens 950- bzw. 4400-mal wahrscheinlicher wurden. Im heutigen heisseren Klima werden solche Hitzewellen in China etwa alle fünf Jahre, in Europa alle zehn Jahre und in den USA alle 15 Jahre erwartet, und sie werden noch häufiger auftreten, wenn die Emissionen weiter steigen.

Hitzewellen gehören zu den tödlichsten Naturgefahren. Allein in Europa starben 2022 mindestens 61’000 Menschen an Hitze. In der Schweiz sind letzten Sommer über 600 Menschen an den Folgen der Hitze gestorben. Auch ohne Klimawandel wäre der Sommer heiss gewesen, aber es hätte laut einer neuen Studie schätzungsweise 60% weniger Todesfälle gegeben (also 370 weniger).

Mehr im Guardien hier, hier, hier, der Zeit (paywall), Klimareporter, Insideclimatenews, Tagesanzeiger (paywall), NY Times global heat tracker, Carbon brief und srf.ch.

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Neues aus der Klimawissenschaft

Steht der Nordatlantik vor dem Kipppunkt?

Die Atlantische Umwälzströmung sorgt für den Austausch warmer und kalter Wassermassen im Ozean und hält Europa warm. Sie versorgt zudem die Tiefen der Meere mit Sauerstoff und ist damit lebenswichtig für marine Ökosysteme. Doch die Strömung hat einen Kipppunkt, ab dem sie versiegt, wenn im nördlichen Atlantik zu viel Süsswasser das Meerwasser verdünnt und am Absinken hindert. Drei neuere, in Nature veröffentlichte Studien zeigen (hier, hier und hier), dass der Kipppunkt wahrscheinlich deutlich näher ist, als bislang gedacht und schon in den nächsten Jahrzehnten erreicht sein könnte.

Wenn die Atlantische Umwälzströmung abbricht, käme es in Nordwesteuropa zu einer deutlichen Abkühlung, vor allem auf den Britischen Inseln und in Skandinavien. Der Meeresspiegel im Nordatlantik würde zusätzlich um bis zu einem Meter ansteigen. Europa drohten deutlich heftigere Stürme. Die tropischen Niederschlagsgürtel würden sich nach Süden verschieben – Trocken- und Regenzonen würden damit nicht mehr über den Ökosystemen liegen, die dazu passen. Und der Ozean würde deutlich weniger CO2 aufnehmen– derzeit sind es 25%, d.h. mehr CO2 würde in der Atmosphäre bleiben und das Klima weiter aufheizen.

Stefan Rahmstorf, Klima- und Meeresforscher am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) sagt, die neueren Studien würden deutlich machen, dass es zwar nach wie vor eine grosse Unsicherheit gäbe, wie nahe die Kipppunkte sind. «Doch Unsicherheit ist nicht unser Freund. Denn noch einmal: Hier geht es um Risiken, die wir mit Sicherheit ausschliessen wollen. Für mich zeigen die Studien, dass das Risiko, noch in diesem Jahrhundert den Kipppunkt zu überschreiten, keineswegs kleiner als zehn Prozent ist, wie wir vor Jahren noch glaubten. Ich halte es inzwischen für um ein Vielfaches grösser.» Mehr von Stefan Rahmsdorf im Spiegel, auf Scilogs und auf Realclimate.

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Vier Grafiken zeigen das Ausmass der Veränderungen

Die folgenden Grafiken stammen von eine Twitterthread von Rico Grimm. Sie fassen die gemessenen Veränderungen eindrücklich zusammen.

Die Oberflächentemperatur der Erde (schwarz) liegt 2023 weit über dem historischen Mittel (graues Band). Besorgniserregend ist, wie steil und nachhaltig dieser «Ausbruch» aus dem Band war.

Dies nächste Grafik zeigt gemittelte Temperaturen an der Oberfläche der Meere. Das aktuelle Jahr (schwarz) hat sich sehr weit vom historischen Durchschnitt entfernt. Die Anomalie erscheint mit 0,25 Grad klein. Aber die Weltmeere sind gigantisch gross. Deswegen haben bereits kleine Abweichungen grosse Folgen.

Die hohen Temperaturen führen dazu, dass sich in der Antarktis (dort ist Winter) deutlich weniger Eis bildet. Schwarz gestrichelt ist das aktuelle Jahr, weit unter dem historischen Schnitt. Es fehlt neu gebildetes Eis von der sechsfachen Fläche Deutschlands. Mehr dazu hier.

Eine andere Darstellung von @EliotJacobson macht das Ausmass des fehlenden Eises noch deutlicher. Die nach unten abfallende rote Linie zeigt das aktuelle Jahr.

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Wie vegane Ernährung dem Klima hilft

Mit der Ernährung das Klima retten? Rettung ist vielleicht ein grosses Wort, doch eine pflanzenbasierte Ernährung kann den persönlichen CO2-Fussabdruck erheblich reduzieren. Zahlreiche Studien belegen, wie stark eine auf Fleisch und Milchprodukten basierende Diät das Klima belastet. Ermittelt wurden diese Ergebnisse mithilfe von Modelldiäten und Durchschnittswerten. Für eine neue, in Nature Food veröffentliche Studie wurden nun die realen Ernährungsgewohnheiten von 55’000 Menschen in Grossbritannien und auch Daten von gegen 40’000 Landwirtschaftsbetrieben analysiert. Die Resultate sind deutlich: Wer sich rein pflanzlich ernährt, stösst bis zu drei Viertel weniger Klimagase aus als bei einer fleischreichen Ernährung von 100 Gramm Fleisch pro Tag oder mehr. Auch Wasserverschmutzung und Landverbrauch sind deutlich geringer.

Die Studie zeigt auch, dass bereits die Reduktion des Fleischkonsum eine grosse Wirkung hat. Bei einem Fleischkonsum von weniger als 50 Gramm pro Tag reduzieren sich die Auswirkungen auf das Klima um die Hälfte. Würden die britischen Fleischkonsument:innen diesen Schritt tun, hätte das den ähnlich grossen Effekt, wie wenn 8 Millionen fossil betriebene Autos aus dem Verkehr gezogen würden. Die Autor:innen der Studie betonen, dass der Staat Massnahmen einführen sollte, um Menschen dabei zu unterstützen, ihren Fleischkonsum zu reduzieren. Dies sei erforderlich, um die Klimaziele zu erreichen. Mehr dazu im Guardian und in der NY Times (paywall).

Schweiz

Klimaschutzgesetz: Endspurt im Abstimmungskampf

Am 18. Juni 2023 wird über das Klimaschutzgesetz abgestimmt, als indirekter Gegenvorschlag zur Gletscherinitiative. Das Gesetz verankert das Netto-Null-Ziel bis 2050. Zudem sieht es 2 Milliarden Franken für den Ersatz fossiler Heizungen und 1,2 Milliarden für die Förderung neuer Technologien vor.

Die Zustimmung von Institutionen und Verbänden zum Klimaschutzgesetz ist gross. Mit Ausnahme der SVP, die das Referendum ergriffen hat, unterstützen alle grossen politischen Parteien das Gesetz, auch die FDP. Ebenfalls für ein Ja sprechen sich aus: der Bundesrat und die Kantone, der Städteverband und der Gemeindeverband. Auch der Bauernverband unterstützt das Gesetz, diesmal aktiver als noch beim CO2-Gesetz, wie die NZZ (paywall) berichtet.

Die Wirtschaft steht klar hinter dem Gesetz, neben den Wirtschaftsverbänden Economiesuisse und swisscleantech auch 50 weitere Verbände und Interessengruppen. Weshalb die NZZ (paywall) dennoch schreibt, die Wirtschaft sei gespalten, bleibt ihr Geheimnis. Einzig die Erdölbranche, GastroSuisse und der Hauseigentümerverband (HEV) in der Deutschschweiz sind dagegen. Aus Protest gegen die Haltung der Hauseigentümer ist Ständerat Ruedi Noser aus der Organisation ausgetreten, wie der Sonntags-Blick berichtet. Wie der Tages-Anzeiger schreibt, gibt der HEV 700’000 Franken für die Nein-Kampagne aus, sie stammt von der gleichen Agentur, welche für die SVP gegen das Gesetz mobilisiert.

Die Befragungen deuten auf eine Mehrheit für das Klimaschutzgesetz, allerdings sinkt die Zustimmung. Bei der zweiten Befragung von Tamedia und «20 Minuten», die Mitte Mai durchgeführt wurde, wollten 55% dem Klimaschutzgesetz sicher oder eher zustimmen. 43% waren dagegen. Ende April waren noch 58% für das Gesetz gewesen. Bei der ersten Befragung von SRF/GfS von Ende April bis Anfang Mai war die Zustimmung deutlicher: 72% befürworteten das Gesetz, 25% waren dagegen. Zur Erinnerung: Auch beim CO2-Gesetz waren die Befürworter:innen bei der ersten Befragung mit einem Vorsprung (Ja-Anteil 54% Ja) gestartet. Dennoch scheiterte das Gesetz 2021 an der Urne knapp.

Die SVP setzt im Abstimmungskampf fragwürdige Argumente ein. Die Partei verwendet falsche Zahlen darüber, mit welchen Mehrkosten bei einer Annahme zum Gesetz zu rechnen wäre. Die Forschenden der Studie, welche die SVP als Quelle angab, haben dagegen protestiert, wie der Blick erläutert. Und auch die NZZ (paywall) weist darauf hin, dass sich die SVP auf ein Extremszenario stützt. Eine ausführliche Analyse der Behauptungen der SVP steht im Tages-Anzeiger.

Auch der Mieterverband reagiert empört auf die Kampagne der SVP. Die Gegner des Klimaschutzgesetzes behaupten in einem Inserat in den sozialen Medien, der Mieterverband warne vor steigenden Mieten bei einer Annahme des Gesetzes. Tatsächlich unterstützt der Mieterverband die Vorlage und ist überzeugt, dass Mieter:innen durch das Klimaschutzgesetz profitieren. Nun prüft der Verband rechtliche Schritte, wie watson.ch schreibt.

Ebenfalls auf Ablehnung stösst die Partei mit der Aussage, der Bundesrat könne zur Erreichung des Netto-Null-Ziels im Alleingang extreme Massnahmen erlassen. Die Bundeskanzlei wie auch Professor:innen für öffentliches Recht betonen, das Gesetz schaffe keine neuen Vollmachten für den Bundesrat. Mehr dazu hier und hier in der NZZ (paywall).

Die Schweiz stösst mehr Treibhausgase aus

Die Treibhausgase der Schweiz sollten jährlich um 3% sinken, um die Klimaziele zu erreichen. Doch die Realität ist anders: 2021 sind die Emissionen im Vergleich zum Vorjahr (in CO2-Äquivalenten) um fast 3% gestiegen. Gegenüber 1990 lagen sie um 18,2% tiefer. Nach dem geltenden CO2-Gesetz hätten sie bereits bis Ende 2020 um 20% zum Vergleichsjahr 1990 gesenkt werden sollen. Die Entwicklung der Emissionen ist auch deshalb bedenklich, weil 2021 noch Einschränkungen durch Corona-Massnahmen galten. Als Gründe für den Anstieg nennt das Bundesamt für Umwelt den kälteren Winter (Mehrverbrauch an fossiler Energie bei den Gebäuden), und auch die Emissionen beim Verkehr stiegen. Mehr dazu auf srf.ch.

Klimaziele nur mit negativen Emissionen zu erreichen

Will die Schweiz bis 2050 unter dem Strich keine Treibhausgase mehr ausstossen, müssen sogenannte Negativemissionstechnologien (NET) eingesetzt werden. Laut dem Bund lassen sich selbst bei grössten Anstrengungen rund ein Viertel der heutigen CO2-Emissionen nicht vermeiden. Allerdings sind die Verfahren, CO2 aus der Luft zu filtern und sicher einzulagern, noch nicht erprobt, technisch sehr anspruchsvoll, teuer oder derzeit nicht in grösserem Massstab anwendbar.

Nun haben das Öko-Institut in Deutschland und die Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa) fünf Negativemissionstechnologien untersucht, die für die Schweiz relevant sind. Zu welchem Schluss kommt die Studie, welche die Stiftung für Technologiefolgen-Abschätzung (TA-Swiss) in Auftrag gegeben hat? Am günstigen ist es, CO2 in einem möglichst natürlichen Wald mit vielen alten Bäumen zu binden (allerdings fehlt es in der Schweiz an Platz für grossflächige Aufforstungen.) CO2 abzuscheiden und im Boden zu speichern, erachten die Forschenden dort als sinnvoll, wo viel davon anfällt: zum Beispiel in den Abgasen der Kehrichtverbrennungsanlagen. Dies sei einfacher und günstiger als das CO2 aus der Umgebungsluft zu filtern, wie dies etwa das Schweizer Unternehmen Climeworks macht. Zudem weisen die Autor:innen der Studie darauf hin, dass ein einzelnes Verfahren nicht genügen werde. Vielmehr würden alle NET-Technologien benötigt, um die Klimaziele zu erreichen. Mehr dazu auf srf.ch.

Negative Emissionen stellen allerdings keinen Ersatz für weitreichende Senkungen des CO2-Ausstosses dar. Zu diesem Schluss kam bereits letztes Jahr eine in «One Earth» erschienene Studie. Aufforstung oder die Abscheidung von CO2 aus Bioenergie können laut den Studienautor:innen nicht schnell genug ausgeweitet werden, um den weltweiten Temperaturanstieg ausreichend zu begrenzen. Zudem fehlen dafür die erforderlichen Landflächen.

Wo sollen erneuerbare Energien ausgebaut werden?

Ein zentrales Instrument der Schweizer Energiepolitik hat einen sperrigen Namen: Mantelerlass. Es kombiniert die Revision von Energiegesetz und Stromversorgungsgesetz und regelt die Weiterentwicklung des Energiesystems. Ständerat und Nationalrat hatten den Erlass in den letzten Sessionen bereits behandelt. In der laufenden Sommersession, die bis zum 16. Juni dauert, geht es darum, die Differenzen zu bereinigen. Den ersten Schritt machte die Umweltkommission des Ständerats. Um die Chancen bei einer allfälligen Abstimmung zu erhöhen (falls das Referendum ergriffen wird), will die Kommission die Restwassermenge unverändert belassen. Der Nationalrat hatte mit dem Entscheid, die Vorgaben im Gewässerschutzgesetz auszusetzen, für heftige Kritik gesorgt. Mehr dazu in der NZZ (paywall).

Auch die vom Nationalrat beschlossene Solarpflicht für sämtliche Neubauten und erhebliche Umbau- und Erneuerungsvorhaben lehnt die Umweltkommission des Ständerats ab. Einzig für Gebäuden ab einer Fläche von 300 m2 und für Parkplätze soll die Solarpflicht gelten. Eine kritische Einordnung in der Wochenzeitung.

Die Umweltkommission des Ständerats will die Windenergie schneller ausbauen. Weit fortgeschrittene Projekte sollen rasch umgesetzt werden können. Anders als der Nationalrat will die Ständeratskommission aber nicht, dass Windanlagen ohne den Einbezug der Gemeinden bewilligt werden können. Das beschleunigte Verfahren soll nur dann angewendet werden können, wenn die betroffenen Gemeinden dem Projekt während der Nutzungsplanung zugestimmt haben. Das Gesetz wird in der laufenden Sommersession beraten und soll von beiden Räten verabschiedet werden. Die Organisation Freie Landschaft Schweiz will den Ausbau der Windenergie verhindern – die Wochenzeitung porträtiert deren Präsidenten Elias Vogt.

Auch im Berner Oberland soll mit Bundesgeldern aus der Solaroffensive alpine PV-Anlagen erstellt werden. Im Saanenland und in der Jungfrauregion sind Seilbahnunternehmen daran, konkrete Projekte auszuarbeiten. Mehr dazu in der Berner Zeitung (paywall). Im Wallis ist das Megaprojekt Grengiols Solar inzwischen massiv abgespeckt worden. Nun soll in der unberührten Landschaft noch Strom für 37’000 Haushalte produziert werden. Ursprünglich waren es fast 20-mal mehr. Grund das Projekt so drastisch zu schrumpfen, sind verschiedene Vorgaben auf Verordnungsstufe, die ein Projekt von solchen Dimensionen nicht erfüllen kann. So müssen Alpine Solaranlagen beispielsweise bis Ende 2025 mindestens 10% des Stroms ins Netz einspeisen und bis Ende 2030 vollständig in Betrieb sein. Mehr dazu im Tages-Anzeiger (paywall) und auf srf.ch.

Gas- und Stromverbrauch rückläufig, doch der Strom wird schmutziger

In der Schweiz sind letztes Jahr 1,9% weniger Strom verbraucht worden, wie das Bundesamt für Energie mitteilt. Zum Rückgang trugen mehrheitlich der milde Winter, sowie Effizienzsteigerungen und zu einem kleineren Teil auch die Appelle zum Stromsparen bei.. In der Schweiz werden fast 10% des Stroms für das Heizen verwendet. Auch die Stromerzeugung im Inland war mit minus 1,1% rückläufig.

Die Energiesparkampagne des Bundes hat das Ziel verfehlt. Von Oktober 2022 bis März 2023 machte der Bund eine Vorgabe von 10%. Erreicht wurde ein Rückgang um 4%, wie der Tages-Anzeiger schreibt. Wobei auch hier das milde Wetter zum Rückgang beitrug. Dank der Witterung wurden 15% Gas eingespart und damit da das Ziel von 10% übertroffen.

Für den kommenden Winter hält der Bund an diesen Sparzielen fest. Um eine allfällige Versorgungslücke zu decken, setzt der Bund auch weiterhin auf Reservekraftwerke. Dies ungeachtet der Vorschläge der ZHAW und von swisscleantech, verbindliche Wasserkraftreserven für die Stauseen vorzuschreiben.

2022 bezog die Schweiz rund 10% ihres Stroms von Kraftwerken, die mit Gas, Kohle oder Öl betrieben werden, wie die NZZ (paywall) schreibt. Dadurch stieg der CO2-Gehalt pro Kilowattstunde auf 112 Gramm. Das ist fast 60% mehr als noch vor zwei Jahren. Ermittelt hat die Werte das Energieunternehmen Aliunid, das öffentliche Daten des Verbands Europäischer Übertragungsnetzbetreiber für Elektrizität und der Netzgesellschaft Swissgrid nutzt. Ein Grund für den Anstieg: Letztes Jahr standen französische Kernkraftwerke still, und der fehlende Strom wurde durch deutsche Kraftwerke ersetzt, die mit fossilen Brennstoffen betrieben werden.

Der Gasverbund Mittelland baut nun doch kein Flüssiggas-Terminal im Industrieareal Schweizerhalle bei Muttenz. Es wäre landesweit die erste solche Anlage. Nun soll am Standort eine Anlage für erneuerbares Flüssiggas errichtet werden. Die Bewegung Klimastreik hatte die ursprünglichen Pläne für fossiles Flüssiggas bekämpft. Mehr dazu bei der Basler Zeitung.

In Autobahnen oder in die Bahn investieren?

Der Bundesrat will die Autobahn A1 auf den Abschnitten Bern-Zürich und Lausanne-Genf auf «mindestens» sechs Spuren ausbauen. Diese Forderung hatte die SVP eingebracht, und der Bundesrat hat der Motion zugestimmt, ohne dafür eine Begründung anzugeben. Auch der Nationalrat will mehr Geld in die Autobahnen investieren. In der Sommersession hat er die Ausbaupläne 2023 für das Nationalstrassennetz ohne Abstriche genehmigt. Diese sehen unter anderem Projekte zwischen Bern und Kirchberg und Tunnelprojekte in Basel und St. Gallen vor. Auch wurde ein zusätzliches Projekt in der Westschweiz genehmigt. Statt 4,3 Milliarden sollen nun 5,2 Milliarden Franken ausgegeben werden. Zuvor hatte bereits die Verkehrskommission des Nationalrats den Plänen zugestimmt. Sagt auch der Ständerat ja, wollen der Verkehrsclub der Schweiz und die Grünen dagegen das Referendum ergreifen. Mehr dazu in der Aargauer Zeitung (paywall) und bei watson.ch.

Politiker:innen von SP und den Grünen erkennen beim forcierten Ausbau der Autobahnen den Einfluss von SVP-Bundesrat Rösti. Tatsächlich hat sich der frühere Autolobbyist Rösti nach 100 Tagen im Amt vor den Medien dafür ausgesprochen. Er sagte auch, es mache keinen Sinn, die Bahnstrecke zwischen Bern und Zürich auszubauen. Mehr dazu in der NZZ am Sonntag (paywall).

Der Tages-Anzeiger hat mit Menschen gesprochen, die an und mit der A1 leben – mit Bauern, die den Ausbau bekämpfen.

Das CO2-Gesetz bevorzugt klimaschädliche Neuwagen

Das CO2-Gesetz weist gravierende Mängel auf, wenn es darum geht, den Treibhausgasausstoss von Personenwagen zu reduzieren. Zwar schreibt das Gesetz eine Obergrenze für Treibhausgasemissionen von Neuwagen vor (aktuell beträgt der Zielwert 118 Gramm pro Kilometer). Übersteigen die eingeführten Fahrzeuge diesen Wert, haben die Importeure eine Sanktion zu bezahlen. 2021 hatten die importierten Neuwagen im Schnitt 130 Gramm pro km ausgestossen, was zu einer Sanktion von 28 Millionen Franken führte. Dabei gelten jedoch für schwere Fahrzeugflotten höhere Zielwerte. Dies führt gemäss dem Urteil der Eidgenössischen Finanzkontrolle, die das System untersucht hat, zu Fehlanreizen. So ist es für Importeure vorteilhaft, schwerere Fahrzeuge einzuführen. Weiter weist die Aufsichtsbehörde darauf hin, dass für CO2-intensive Autos in der Schweiz ausgesprochen tiefe Motorfahrzeugsteuern anfallen, in Europa wird bis 3,5 Mal so viel verlangt. Mehr dazu im Tages-Anzeiger.

Nationalbank soll sich aus fossilen Energien zurückziehen

Im Vorfeld der Generalversammlung der Nationalbank (SNB) hatte die Klima-Allianz dazu aufgerufen, Aktien zu kaufen. Daraufhin erwarben über 150 Personen, die unter dem Namen «Unsere SNB» auftreten, Anteile der SNB. Sie reichten Vorstösse zur Investitionspolitik ein, um das Devisenportfolio mit den Zielen des Pariser Klimaabkommens in Einklang zu bringen. An der Generalversammlung Ende April präsentierte «Unsere SNB» ihre Forderungen für eine klima- und umweltfreundliche Geld-, Währungs- und Anlagepolitik. Sie verlangte von SNB-Führung, bei Anlagen Unternehmen auszuschliessen, die in der Förderung, der Verarbeitung oder dem Verkauf fossiler Brennstoffe tätig sind. Über die Anträge wurde allerdings nicht abgestimmt. Dies deshalb, weil es nicht in die Kompetenz der Aktionär:innen liegt, die Anlagestrategie festzulegen. Mehr dazu bei Watson.

Wie sich die Schweiz an den Klimawandel anpassen will

In den letzten Jahren hat der Bund über 50 Projekte zur Anpassung an den Klimawandel umgesetzt. So wurden unter anderem Baumaterialien gegen die Hitzebelastung erprobt, der Hitzestress bei Weidekühen und Mehrzweckspeicher gegen Sommertrockenheit untersucht, ferner Strategien gegen Hangrutsche und gegen die Ausbreitung von Waldschädlingen entwickelt. Der Bericht «Impulse für eine klimaangepasste Schweiz», der Mitte Mai vorgestellt wurde, bildet den Abschluss des zehnjährigen Programms. Nun sollen Bund, Kantone und Gemeinden diese Ansätze weiterentwickeln und umsetzen. Mehr dazu in der Wochenzeitung.

Auch das Magazin «die umwelt» des Bundesamts für Umwelt geht der Frage nach, wie wir mit dem Klimawandel umgehen. Was bedeutet Anpassung an den Klimawandel in der Schweiz? Was sind Herausforderungen, was Lösungen bei Hitze, Dürre oder Überschwemmungen?

Klimarelevante Entscheide von Bund und Kantonen

Der Bund beteiligt sich an einem neuen Gaskraftwerk in Bangladesch. Das Kraftwerk wird von der Asiatischen Infrastrukturbank AIIB mit umgerechnet 120 Millionen Franken mit finanziert. Die Schweiz ist Mitglied der AIIB und hat dem Projekt zugestimmt. Laut dem Staatssekretariat für Wirtschaft seien Alternativen geprüft worden, doch es sei nicht genug Wasserkraft-, Solar- und Windenergie verfügbar. Damit verstösst die Schweiz gegen die am Klimagipfel in Glasgow gemacht Zusage, künftig keine fossilen Anlagen mehr im Ausland zu finanzieren. Mehr dazu auf srf.ch.

Der Bundesrat lehnt die Umweltverantwortungsinitiative ab. Die von den Jungen Grünen eingereichte Volksinitiative «Für eine verantwortungsvolle Wirtschaft innerhalb der planetaren Grenzen» will die Schweiz dazu verpflichten, die Umweltbelastung deutlich zu reduzieren. Der Bundesrat empfiehlt die Initiative dem Parlament ohne direkten Gegenentwurf oder indirekten Gegenvorschlag zur Ablehnung. Die Umsetzung der Initiative wäre für Gesellschaft und Wirtschaft mit unverhältnismässig hohen Kosten verbunden, vor allem in den Bereichen Nahrungsmittel, Landwirtschaft, Energieversorgung, Kleidung und Wohnen.

Das im Zürcher Energiegesetz verankerte Verbot von Elektroheizungen ist rechtmässig. Das Bundesgericht hat eine Beschwerde von Besitzern einer Elektroheizung abgewiesen. Sie hatten in der Bestimmung, bestehende Elektroheizungen bis 2030 durch erneuerbare Energie ersetzen zu müssen, ihre Eigentumsgarantie verletzt gesehen. Laut dem Bundesgericht greift der Kanton Zürich mit dem Verbot tatsächlich in das Eigentum ein. Dafür gebe es aber ausreichende Gründe. So lägen der Schutz der Umwelt und eine ausreichende Energieversorgung im öffentlichen Interesse. Mehr dazu im Tages-Anzeiger (paywall) und in der NZZ (paywall).

Das Bundesgericht hat sich noch in einem zweiten Fall mit dem Verbot von Heizungen auseinandergesetzt: mit der Initiative «Hochdorf heizt erneuerbar – ab 2030 erst recht». Darin wird verlangt, dass bis 2030 alle Heizungen in der Luzerner Gemeinde mit erneuerbaren Energien betrieben werden. Das Bundesgericht kommt zum Schluss, dass dies mit der Eigentumsgarantie vereinbar und die Initiative deshalb gültig sei. Laut dem Bundesgericht hätten die zuständigen Behörden bei einer Annahme ausreichend Zeit, eine Lösung für die entstehenden Kosten zu erarbeiten, welche die Eigentumsgarantie respektiere. Der Gemeinderat von Hochdorf hatte das Volksbegehren für ungültig erklärt. Mehr dazu bei nau.ch.

Wie stark wirken sich weitreichende politische Geschäfte wie Gesetzesänderungen oder grosse Bauvorhaben auf das Klima aus? Um dies zu erfahren, will der Kanton Basel-Stadt eine Klimawirkungsabschätzung gesetzlich verankern. Das Beratungsunternehmen INFRAS hat für den Kanton das Instrument entwickelt und beim Neubau eines Schulhauses und bei einem städtischen Richtplan getestet.

Internationale Klimapolitik

G7: Keine Deadline für den Kohleausstieg

Die reichsten Länder der Welt haben am letzten G7 Treffen in Japan zwar höhere Ziele für den Ausbau der erneuerbaren Energien bis 2030 festgelegt. Die Staats- und Regierungschefs der G7, zu denen Deutschland, Grossbritannien, Frankreich, Italien, die USA, Kanada und Japan gehören, haben allerdings keine Frist für den Ausstieg aus Kohlestrom gesetzt. In ihrem Abschlusskommuniqué erklärten sie, dass sie sich verpflichten, bis 2035 einen «vollständig oder überwiegend» dekarbonisierten Stromsektor zu schaffen und den Ausstieg aus Kohlestrom zu «beschleunigen.»

Klimaexperten kritisierten, dass aufgrund des Widerstands von Deutschland und Japan keine griffigeren Ziele gefasst wurden. Deutschland beharrte auf mehr öffentliche Investitionen in Erdgas, und Japan weigerte sich, einem Ausstieg aus Kohlestrom zuzustimmen. Japan ist seit dem Tsunami und der Nuklearkatastrophe von Fukushima im Jahr 2011 stark von Kohle, Öl und Gas abhängig.

Die Gruppe befürwortete internationale Emissionsstandards für die Treibhausgasemissionen von Wasserstoff. Wasserstoff gilt als «grün», wenn er aus erneuerbaren Energien gewonnen wird, kann aber auch aus Gas und Kohle hergestellt werden.

Die Frage, wie die erforderlichen Finanzmittel für ärmere Länder zur Bewältigung der Klimakrise bereitgestellt werden sollen, blieb weiterhin offen. Die G7 wiederholte bloss ihre UNO-Verpflichtungen aus dem Jahr 2009, jährlich 100 Mrd. USD für die Klimafinanzierung in Entwicklungsländern bereitzustellen. Erfreulich in Sachen Klimafinanzierung ist, dass die USA zum ersten Mal seit sechs Jahren eine Milliarde Dollar für den Klimafonds der UNO bereitstellen werden. Mehr zum G7 bei der Financial Times (paywall) und zum Beitrag der USA bei Climatechangenews.com.

Politiker:innen der EU und der USA fordern Rücktritt des COP28-Präsidenten

Mehr als 130 Politiker:innen der USA und der EU fordern in einem offenen Brief an die UNO, die EU und den US-Präsidenten, dass der Ölmanager Sultan Al Jaber als Präsident der diesjährigen COP28-Klimakonferenz abgesetzt wird. «Die Entscheidung, den Vorstandsvorsitzenden eines der grössten Öl- und Gasunternehmen der Welt zum Präsidenten der COP28 zu ernennen – ein Unternehmen, das vor kurzem Pläne angekündigt hat, seine Produktion in den kommenden Jahren um 7,6 Milliarden Barrel Öl zu steigern, was die fünftgrösste Steigerung in der Welt darstellt – birgt das Risiko, die Verhandlungen zu untergraben», warnen die Politiker. Mehr dazu auf Euronews und bei Reuters.

Fossile Projekte in Schutzgebieten

Es gibt weltweit über 3000 bereits existierende oder geplante fossile Förderungsprojekte in Naturschutzgebieten. Rund 800 Schutzgebiete in 91 Ländern sind davon betroffen, wie eine neue Studie aufzeigt. Mehr dazu bei Protected Carbon und auf der interaktiven Karte.

Erneuerbarer Strom beginnt Strom aus fossilen Quellen zu verdrängen

Der Klima-Thinktank Ember rechnet in einer Analyse damit, dass schon ab 2023 die globalen Emissionen des Stromsektors sinken könnten. Grund dafür ist die rasant wachsende Wind- und Sonnenenergie. Deren Anteil an der weltweiten Stromversorgung ist 2022 von 10% im Jahr 2021 auf 12 % gestiegen. Solarstrom stieg um 24% und ist damit das 18te Jahr in Folge die am schnellsten wachsende Stromquelle. Die Winderzeugung wuchs um 17%. Der Zuwachs bei Solarstrom im Jahr 2022 hätte den Strombedarf Südafrikas decken können, jener bei der Windenergieerzeugung hätte fast das gesamte Vereinigte Königreich mit Strom versorgen können. Mehr als sechzig Länder erzeugen inzwischen mehr als 10% ihres Stroms aus Wind- und Sonnenenergie. Mehr bei Ember und Carbonbrief.

Europäische Klimapolitik

EU löscht über 2,5 Milliarden Emissionszertifikate

Im europäischen Emissionshandelssystem (ETS) gibt es seit Jahren einen riesigen Überschuss an Zertifikaten. Ein Zertifikat berechtigt zum Ausstoss von 1 Tonne CO2e. Das Überangebot an Zertifikaten kann den Preis so stark drücken, dass es kein Preissignal mehr gibt. Um das zu verhindern, trat 2019 die Marktstabilitätsreserve in Kraft, eine Art Schuhschachtel, in der überflüssige Zertifikate gelagert werden. Wird die Schachtel übervoll, werden Zertifikate gelöscht.

Ende Mai kommunizierte die Europäische Kommission, dass diese Reserve Ende 2022 über 3 Milliarden Überschuss-Zertifikate enthielt und dass am 1. Januar 2023 über 2,5 Milliarden gelöscht wurden. Dieser substanzielle Schritt löste kein Medienecho aus. Zum Vergleich: 2022 waren im ETS der EU etwas über 1 Milliarden Zertifikate im Umlauf. Um die Marktstabilitätsreserve wurde sehr lange politisch gerungen. Dass dieses Politikinstrument nun zur Löschung einer so riesigen Menge von Zertifikaten geführt hat, ist erfreulich. Der Zertifikatspreis für eine Tonne CO2e ist seit Einführung der Marktreserve stark angestiegen und beträgt zurzeit ca. 80 EUR. Es werden wohl auch noch in den kommenden Jahren hunderte Millionen Zertifikate so gelöscht werden. Mehr dazu bei der Europäischen Kommission.

EU will weniger tropische Abholzung verursachen

Die EU importiert viele Produkte, die Abholzung von Tropenwald mitverursachen, zum Beispiel Palmöl aus Indonesien oder Rindfleisch aus Brasilien. Mit einer neuen EU-Verordnung soll nun der Handel mit solchen Produkten verringert werden. Unternehmen müssen nachweisen, dass ihre Waren nicht auf Flächen hergestellt wurden, die nach dem 31. Dezember 2020 abgeholzt wurden. Die neue Verordnung ist Teil des Green-Deal-Plans der EU, mit dem bis 2050 das Netto-Null-Ziel erreicht werden soll.

Die Verordnung gilt für Palmöl, Rindfleisch, Kaffee, Kakao, Soja, Holz und Gummi. Ebenfalls betroffen sind Produkte, die aus diesen Rohstoffen gewonnen werden, wie Leder, Schokolade, Möbel, Holzkohle und bedrucktes Papier. Mais und Biokraftstoffe wurden nicht in die Liste aufgenommen. Die Verordnung konzentriert sich auch nur auf Waldökosysteme, nicht aber auch Savannen wie beispielsweise den brasilianischen Cerrado, die ebenfalls rasant abgeholzt werden.

Einem WWF-Bericht zufolge ist die EU die zweitgrösste Importeurin von Produkten, die tropische Abholzung verursachen. Sie ist für 16% der Entwaldung durch internationalen Handel verantwortlich – übertroffen wird sie nur von China mit einem Anteil von 24%. Ohne das Gesetz würden laut den Berechnungen der EU-Kommission bis 2030 durch den Import von Waren 248’000 Hektar tropischer Wald abgeholzt werden – das entspricht etwa der Waldfläche der Schweiz und der Niederlande zusammen – und jährlich 110 Mio. Tonnen CO2-Emissionen verursachen. Durch die neue Verordnung soll knapp ein Drittel dieser Entwaldung verhindert werden.

Es überrascht nicht, dass das Gesetz bei einigen der betroffenen Länder auf Kritik stösst. Die Regierungen von Indonesien und Brasilien übermittelten dem EU-Ratspräsidenten einen von 14 waldreichen Ländern unterzeichneten Brief, in welchem sie die Verordnung als «inhärent diskriminierend und strafend» kritisieren. Das neue Gesetz würde zu «Handelsverzerrungen und diplomatischen Spannungen ohne Nutzen für die Umwelt» führen. Mehr bei Carbon Brief und der Europäischen Kommission.

Deutschland

Streit um das Heizungsgesetz

Der Streit um das Heizungsgesetz hat die deutsche Ampelkoalition in ihre tiefste Krise gestürzt. Das vorgeschlagene Gesetz sieht vor, dass von 2024 an neu eingebaute Heizungen zu 65% mit erneuerbarer Energie betrieben werden sollen. Öl- und Gasheizungen sollen ab dem kommenden Jahr nur noch im Ausnahmefall eingebaut werden dürfen. Es gibt aber keine sofortige Austauschpflicht. Bei defekten Heizungen, die nicht mehr repariert werden können, gibt es Übergangsfristen. Spätestens bis 2045 sollen auf diese Weise keine fossilen Heizungsträger mehr genutzt werden.

Aber die Koalitionspartnerin FDP stellt sich quer. Die Partei will nach zahlreichen Wahlniederlagen ihr Profil schärfen. Sie kritisiert den zu grossen Fokus auf Wärmepumpen und fordert mehr Technologieneutralität. Ausserdem will die FDP rasch einen Emissionshandel im Gebäudebereich einführen. Die Parteien streiten sich ausserdem darüber, wer wieviel Geld für Energiesanierungen erhalten soll. Ob die Taktik der FDP aufgeht, ist unklar. Fossil heizen wird in den kommenden Jahren teurer werden und die Portemonnaies vieler Bürger:innen belasten. Die SPD will den Heizungsumstieg sozial ausgestalten. Der Bundeswirtschaftsminister Habek von den Grünen will das Heizungsgesetz nun umfassend überarbeiten. Mehr in der Frankfurter Rundschau und der Zeit (paywall) hier, hier, hier und hier.

Razzia gegen Letzte Generation

Die Aktionen der Klimabewegung Letzte Generation lösen grosse Emotionen aus. Ein CDU-Politiker hat sie kürzlich als zukünftige RAF gebrandmarkt. Bundeskanzler Olaf Scholz sagte über eine Aktion der Letzten Generation «Ich finde das völlig bekloppt, sich irgendwie an ein Bild festzukleben oder auf der Strasse

Im Mai wurden nun Wohnungen von Aktivist:innen der Letzten Generation durchsucht, Konten gesperrt und ihre Website und der Mailverteiler beschlagnahmt. Der Tatvorwurf lautet: die Bildung einer kriminellen Vereinigung und das Nutzen von Spenden im Rahmen von 1,4 Millionen Euro für Straftaten. Die Generalstaatsanwaltschaft München sagte aus, es liege ein begründeter Anfangsverdacht vor, dass die Letzte Generation eine kriminelle Vereinigung sei.

Die mögliche Einstufung als «kriminelle Vereinigung» könnte für die Letzte Generation gravierende Folgen haben. Denn dann würden sich auch Menschen strafbar machen, die den Aktivist:innen Geld spenden. Mehr bei der Zeit (paywall).

Die sichtbare Klimakrise

Was sollten alle über die Klimakrise wissen?

Das Online-Magazin Republik hat bei Klimatolog:innen, Klimaschützer:innen und weiteren Expert:innen nachgefragt, die sich seit Jahren mit dem Klima beschäftigen. Eine lesenswerte Zusammenstellung. Komprimiert wie zum Beispiele: «Die Uhr tickt. Es geht um nichts weniger als darum, die Erde ungefähr so zu erhalten, wie wir sie kennen.» Oder: «It’s warming. It’s us. We’re sure. It’s bad. We can fix it.»

Bedrohungen durch Hitzewellen – heute und in Zukunft

Grosse Teile Asiens waren im April von einer extremen Hitzewelle betroffen. In Thailand, Myanmar, Laos und Vietnam sowie in China und Südasien wurden Rekordtemperaturen gemessen. Die brutalen Folgen der Klimakrise zeigen sich auch in Somalia. Dort herrscht seit fünf Jahren Dürre, weil die Regenzeit ausfällt. Allein im letzten Jahr könnte dies 43’000 Todesopfer gefordert haben, schätzt eine unter der Leitung der London School of Hygiene and Tropical Medicine durchgeführte UNO-Studie. Die Hälfte davon sind Kinder unter 5 Jahren. Mehr dazu im Guardian.

Auch in Nordafrika und Südeuropa war es ungewöhnlich heiss. In Spanien stiegen die Temperaturen Ende April auf fast 40 Grad, in Marokko sogar darüber. In vielen Gebieten lagen die Temperaturen um bis zu 20°C über der jahreszeitlichen Norm. Zudem herrschte bis in den Mai grosse Trockenheit. In Italien und auch in Spanien gab es danach rekordhohe Niederschläge, denen Menschen zum Opfer fielen und die zu grossen Schäden führten. Mehr dazu hier und hier im Spiegel, im Tages-Anzeiger (paywall), der NY Times (paywall) und bei Meteoschweiz.

Die Hitzewelle vom April wäre ohne den Klimawandel mit grosser Wahrscheinlichkeit nicht eingetreten. Dies zeigt eine aktuelle Attribution-Studie. Ohne globale Erwärmung wäre mit einem solchen Extremereignis nur einmal in 40’000 Jahren zu rechnen gewesen. Mehr dazu im Guardian und in der NY Times (paywall).

Auch zur Hitzewelle von 2022 in Europa liegen neue Analysen vor. Der Bericht «European State of the Climate 2022» von Copernicus Climate Change Service zeigt, dass die Temperaturen in Europa doppelt so schnell steigen wie im weltweiten Durchschnitt, deutlich schneller als auf jedem anderen Kontinent. Laut dem Copernicus-Klimadienst seien die Ergebnisse erschreckend und machten die alarmierenden Veränderungen des Klimas deutlich. Mehr dazu bei Klimareporter und insideclimatenews.org.

Die Kosten des Klimawandels werden häufig auf monetärer Basis geschätzt. Einen anderen Ansatz wählt eine neue, in Nature erschiene Studie. Darin wird die Anzahl der Menschen berechnet, die ausserhalb der «menschlichen Klimanische» leben, also ausserhalb einer Klimazone, die Landwirtschaft, Gesundheit und Arbeit und damit Einkommen ermöglicht. Durch die Klimakrise sind bereits bis heute etwa mehr als 600 Millionen Menschen (9% der Bevölkerung) aus dieser Nische verdrängt worden. Dies entspricht einer mittleren Jahrestemperatur von 29 °C oder mehr. Bis zum Ende des Jahrhunderts (2080-2100) könnte bei der derzeitigen Politik, die zu einer globalen Erwärmung von etwa 2,7 °C führt, ein Drittel der Menschen ausserhalb dieser Nische leben. Gelingt es, die globale Erwärmung auf 1,5 °C zu begrenzen, wären fünfmal weniger Menschen betroffen. Mehr im Guardian und der FAZ.

Nie dagewesene Erwärmung der Meere

Seit fast zwei Monaten geschieht in den Ozeanen etwas Aussergewöhnliches. Normalerweise erreichen die globalen Meerestemperaturen im März einen Höchststand und beginnen Anfang April wieder zu sinken. Nicht so in diesem Jahr. Die Temperaturen erreichten Ende April Rekordwerte und sind seither nicht gesunken. Mit leichten täglichen Schwankungen sind sie seit mindestens 45 Tagen nicht mehr unter 21°C gefallen. Viele Wissenschaftler sind überrascht und besorgt. Prof. Mike Meredith vom British Antarctic Survey sagte dazu: «Die Tatsache, dass die Erwärmung so stark ist, ist eine echte Überraschung und sehr besorgniserregend. Es könnte sich um ein kurzzeitiges extremes Hoch handeln, aber auch um den Beginn von etwas viel Ernsterem.»

Die Ozeane, die zwei Drittel der Erde bedecken, spielen eine wichtige Rolle im Klimasystem. Sie haben etwa 90% der Wärme absorbiert, die wir durch den Ausstoss von Treibhausgasen verursacht haben. Die Auswirkungen der Erwärmung der Ozeane sind überall auf der Welt zu spüren. Die thermische Ausdehnung der Ozeane durch die Wärmeaufnahme verschärft den Anstieg des Meeresspiegels, die Erwärmung beschleunigt die Eisschmelze an den Polen.

Auch das Meeresleben ist in Gefahr: Korallenriffe bleichen aus, und Fischpopulationen werden durch die Erwärmung verdrängt. Die «Dämmerungszone» der Ozeane zwischen 200 und 1000 Metern Tiefe ist besonders anfällig für die Erwärmung. Eine Studie in Nature Communications kommt zu Schluss, dass der Klimawandel in diesem Jahrhundert zu einem Rückgang des marinen Lebens in der Dämmerungszone um 20-40% führen wird. Mehr dazu im Tagesanzeiger (paywall), Guardian, SRF und Bill McKibben.

Neues aus der Klimawissenschaft

Düstere Analyse der Klimaentwicklung

Humanitäre, wirtschaftliche und ökologische Folgen des Klimawandels nehmen zu, das zeigt der neuste Bericht der Weltorganisation für Meteorologie (WMO). Hier die wichtigsten Aussagen:

  • Die Jahre von 2015 bis 2022 waren weltweit die wärmsten seit 1850. Das Jahr 2022 war etwa 1,15 Grad wärmer (im Vergleich zum Durchschnitt 1850-1900).
  • Die atmosphärische Konzentration von CO2, CH4 und N2O war 2021 die höchste seit Beginn der Messungen, Tendenz steigend.
  • Hitzerekorde in Westeuropa: Das wärmste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen verzeichneten das Vereinigte Königreich, Frankreich, Irland, Portugal, Spanien, Belgien, Luxemburg, Italien, Deutschland und die Schweiz. In einigen Gebieten ging die extreme Hitze mit aussergewöhnlicher Trockenheit einher. Die Zahl der hitzebedingten Todesfälle in Spanien, Deutschland, dem Vereinigten Königreich, Frankreich und Portugal stieg auf über 15’000.
  • In Ostafrika ist die Ernährungssicherheit nach fünf aufeinanderfolgenden Dürrejahren bedroht. Im Jahr 2021 waren global 2,3 Milliarden Menschen von Ernährungsunsicherheit betroffen, davon 924 Millionen von schwerer Ernährungsunsicherheit.
  • Der Meereisstand in der Antarktis war 2022 der niedrigste seit Beginn der Aufzeichnungen. In Europa verzeichneten die europäischen Gletscher Sommer 2022 die höchsten Schmelzraten.
  • Der Meeresspiegel und die Erwärmung der Ozeane haben ein Rekordniveau erreicht – und dieser Trend wird sich über viele Jahrhunderte fortsetzen. Der Anstieg des Meeresspiegels hat sich in den letzten 20 Jahren verdoppelt.

Überschreiten wir 1,5-Grad-Erwärmung bereits 2027?

Die Weltorganisation für Meteorologie (WMO) rechnet damit, dass die nächsten fünf Jahre ziemlich sicher alle Temperaturrekorde brechen werden. «Die El-Niño-Wetterlage in Verbindung mit der Klimakrise wird die globalen Temperaturen in unbekanntes Terrain treiben», sagt der Meteorologe und WMO-Chef Petteri Taalas. «Wir müssen darauf vorbereitet sein.»

Nach Schätzungen der WMO werden die globalen Temperaturen mit 66-prozentiger Wahrscheinlichkeit in mindestens einem der nächsten fünf Jahre das 1,5-Grad-Ziel überschreiten. Falls es in den kommenden Jahren zu Hitzerekorden kommt, bedeutet das aber noch nicht, dass die Welt das 1,5-Grad-Ziel des Pariser Abkommens bereits verpasst hat. Dazu muss die Welt im Durchschnitt über mehrere Jahre eine Erwärmung um 1,5 Grad überschreiten.

Allerdings zeichnet sich ab, dass das Klimaziel verfehlt wird. Ein neuer UNO-Bericht der Vereinten Nationen zeigt, dass wir in den nächsten zehn Jahren unser CO2-Budget ausschöpfen werden, das die globale Erwärmung mit einer Wahrscheinlichkeit von 50% auf 1,5 ℃ begrenzt. Mehr bei Klimareporter, New York Times (paywall), Climate Change News und Guardian.

Die Rangliste der Klimasünder

Eine neue Studie in Nature rechnet vor, wie viel jedes Land seit 1850 zur globalen Erwärmung beigetragen hat. Nicht überraschend tragen die USA (18%) und China (13%), die grösste Verantwortung an der Erwärmung. Dahinter folgen Länder mit grossen Bevölkerungszahlen wie Brasilien oder Indien (je 5%) und Indonesien (3,5%). Auch viele europäische Staaten wie Deutschland und Grossbritannien, die seit langem fossile Brennstoffe nutzen, sind weit vorne zu finden.

Kleinere Länder haben einen viel kleineren Einfluss, da nicht pro Kopf gerechnet wurde. Über 180 Staaten, darunter die Schweiz, haben weniger als 1% Anteil, aber alle diese Länder zusammen verursachten 27% der Erwärmung. Mehr dazu im Tages Anzeiger (paywall).

Das wars! Danke und Herzliche Grüsse von Anja und Thomas!

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Schweiz

Will die Schweiz Klimaschutz?
Am 18. Juni entscheidet es sich!

Am 18. Juni findet die Abstimmung über das Klimaschutzgesetz statt, den indirekten Gegenvorschlag zur Gletscher-Initiative. National- und Ständerat hatten dem Gesetz zugestimmt; offiziell heisst es «Bundesgesetz über die Ziele im Klimaschutz, die Innovation und die Stärkung der Energiesicherheit»). Es nimmt die Hauptforderung des Volksbegehrens auf: Bis 2050 soll die Schweiz Schritt für Schritt klimaneutral werden, und zwar so weit wie möglich durch die Reduktion des Treibhausgas-Ausstosses im Inland. Das Klimaschutzgesetz umfasst auch konkrete Massnahmen, um die Klimaziele zu erreichen: 2 Milliarden CHF sind für den Ersatz fossiler Heizungen vorgesehen, 1,2 Milliarden CHF für die Förderung neuer Technologien.

Die SVP hat das Referendum ergriffen und wird vom Hauseigentümerverband unterstützt. Die anderen Parteien und zahlreiche Verbände unterstützen die Vorlage. Im März lancierten rund 200 Organisationen, Verbände und Firmen die Ja-Kampagne, deren Motto lautet: «Schützen, was uns wichtig ist.». swisscleantech ist auch Mitinitiantin der Wirtschaftsallianz «Schweizer Wirtschaft für das Klimagesetz.». Auch die Kantone unterstützen das Klimaschutzgesetz. Mehr dazu bei watson.

Sichere Stromversorgung ohne Gaskraftwerke

Um in der Schweiz die Stromversorgung im Winter zu sichern, braucht es keine fossilen Kraftwerke. Zu diesem Schluss kommt eine Studie der ZHAW, für die mehrere Untersuchungen zur Stromversorgungssicherheit in der Schweiz analysiert worden sind. Damit dies gelingt, muss laut Studienautor Jürg Rohrer, Professor für Erneuerbare Energien, ein minimaler Füllstand in den Schweizer Stauseen gewährleistet sein.

Der Bundesrat hat Anfang 2023 entschieden, fossile Kraftwerke mit einer maximalen Leistung von insgesamt 1000 Megawatt zu beschaffen, um eine allfällige Stromknappheit zu verhindern. Diese fossilen Reservekraftwerke würden mehrere Wochen vor einer absehbaren Strommangellage eingeschaltet, um die Speicherkraftwerke zu schonen, betont Jürg Roher. Bei einem überraschenden Ausfall von AKWs käme der Einsatz der fossilen Kraftwerke zu spät und könne eine Strommangellage kaum verhindern.

Um die Stromversorgung im Winter zu sichern, sind gemäss der Studie Wasserkraftreserven für die Stauseen nötig, die gesetzlich vorgeschrieben und überwacht werden müssen. Auch muss die erneuerbare Stromproduktion rasch ausgebaut werden. Und es braucht Effizienzmassnahmen, um im Winter mindestens 5% einzusparen. Mehr dazu in der Finanz und Wirtschaft.

Dass die Stromversorgung in der Schweiz mit erneuerbarer Energie gesichert werden kann, zeigt auch eine Studie der ETH Zürich. Dafür wurden verschiedene Energiemodelle analysiert, die das Solarunternehmen Helion, der Verband Swissolar sowie GLP-Nationalrat Jürg Grossen entwickelt hatten. Sie hatten die Studie in Auftrag gegeben. Gemäss der ETH-Analyse kann eine Stromversorgung, die vorwiegend auf Wasserkraft und Fotovoltaik aufbaut, die Stromnachfrage jederzeit bis ins Jahr 2050 garantieren. Dabei spielt die Solarenergie eine zentrale Rolle – bis 2050 soll die Hälfte der Stromproduktion aus der Fotovoltaik stammen. Mehr dazu in der Sonntagszeitung (paywall). Wie das Zusammenspiel von Wasserkraft, Solar- und Windenergie funktioniert, zeigt ein Arbeitspapier von Swissolar.

Bis heute hat der Bund Verträge mit drei fossilen Reservekraftwerken mit einer Leistung von insgesamt 336 MW abgeschlossen. Das Grösste steht in Birr (AG) und ist seit Ende März betriebsbereit. Zudem sind in Cornaux (NE) sowie in Monthey (VS) zwei kleinere Gaskraftwerk einsatzbereit. Am Klimastreik protestierten in verschiedenen Schweizer Städten Tausende von Menschen gegen die Bereitstellung der fossilen Reservekraftwerke, berichten watson und nau.ch.

So will der Nationalrat die Energieversorgung sichern

Der Nationalrat hat in der Frühlingssession den sogenannten Mantelerlass behandelt. Dieser kombiniert die Revision von Energiegesetz und Stromversorgungsgesetz und regelt die Weiterentwicklung des Energiesystems. An der Stossrichtung des Ständerats vom Herbst 2022 ändert sich nichts: Die Stromproduktion aus erneuerbaren Energien soll massiv ausgebaut werden. Um das zu erreichen, sollen 15 Wasserkraftprojekte, auf die sich die Wasserwirtschaft und die Umweltverbände am runden Tisch geeinigt hatten, beschleunigt realisiert werden können (auf Infosperber werden die Umweltauswirkungen der Projekte analysiert). In einem Punkt korrigiert der Nationalrat jedoch den Ständerat: Der absolute Schutz von Biotopen von nationaler Bedeutung soll nicht aufgehoben werden. Dieser Schutz gilt jedoch nicht für neu entstehende Rückzugsgebiete von Gletschern; hier könnten Energieanlagen realisiert werden.

Für Neubauten, für umfangreiche Sanierungen von bestehenden Bauten und grosse Parkplätze will der Nationalrat eine Solarpflicht einführen (siehe srf.ch). Weiter will der Nationalrat den Einsatz von Batterien von Elektrofahrzeugen zur Stabilisierung des Stromnetzes fördern, indem Netzgebühren für diese dezentralen Stromspeicher abgeschafft werden. Und schliesslich soll die Energieeffizienz gefördert werden. Eine Zusammenfassung der Debatte liefert der Tages-Anzeiger (paywall).

Die Beschlüsse zum Mantelerlass stossen mehrheitlich auf Zustimmung. Der Wirtschaftsverband swisscleantech sieht darin einen wichtigen Schritt, um die Schweizer Stromversorgung mit erneuerbaren Energien zu stärken. Der Branchenverband Swissolar begrüsst, dass der Ausbau der Fotovoltaik gefördert und beschleunigt werden soll. Er bemängelt hingegen, dass die bis heute restriktiven Regelung für PV-Anlagen auf landwirtschaftlichen Flächen nicht gelockert wurden. Kritik kommt von der SVP, vor allem wegen der Solarpflicht; sie stimmte als einzige Partei gegen den Mantelerlass. Falls eine Solarpflicht eingeführt wird, will sie das Referendum ergreifen (mehr dazu bei nau.ch).

Ebenfalls auf Kritik stossen die Abstriche, die der Nationalrat beim Gewässerschutz macht. Bis 2035 sollen die Vorgaben im Gewässerschutzgesetz zur Restwassermenge ausgesetzt werden. Heute wird bei einer Neuvergabe der Konzession verlangt, die Restwassermenge zu erhöhen. Mit diesem Entscheid, berichtet die NZZ (paywall), lasse sich nur wenig zusätzliche Energie gewinnen, hingegen werde die ganze Vorlage gefährdet. Denn es gilt als sicher, dass die Umweltverbände dagegen das Referendum ergreifen, sollte der Ständerat den Entscheid in der Sommersession nicht korrigieren. Mehr dazu in der Wochenzeitung.

Auch die Windkraft soll beschleunigt ausgebaut werden

Der Nationalrat will den Ausbau der Windkraft beschleunigen. Um dieses Ziel zu erreichen, sollen Bewilligungsverfahren von bereits fortgeschrittenen Windenergieprojekten vereinfacht werden. Damit soll eine zusätzliche Jahresproduktion von 1 Terawattstunde ermöglicht werden. Das entspricht der sechsfachen Menge, die Windanlagen heute in der Schweiz liefern. Ist eine projektierte Anlage im nationalen Interesse und liegt eine rechtskräftige Nutzungsplanung vor, inklusive Umweltverträglichkeitsprüfung, soll neu der Kanton die Baubewilligung erteilen können. Die Standortgemeinde ist nicht mehr am Verfahren beteiligt. Einsprachen sind nur noch an eine kantonale Instanz möglich. Das Bundesgericht kann nur noch bei Rechtsfragen von «grundsätzlicher Bedeutung» angerufen werden.

Der Schweizerische Gemeindeverband kritisiert den Entscheid, weil dadurch die Akzeptanz von Grossprojekten geschwächt werde. Der Verband fordert, dass Standortgemeinden mit einem sogenannten Windzins entschädigt werden – analog dem Wasserzins, den Elektrizitätsunternehmen an Kantone oder Gemeinden für die Nutzung der Wasserkraft entrichten müssen. Mehr dazu im Tages-Anzeiger (paywall) und in der NZZ (paywall).

Die Wahl der Standorte der Windräder wird in nächster Zeit für viele Diskussionen sorgen. Sollen sie nur dort gebaut werden, wo es gemäss geltenden Gesetzen möglich ist? Oder auch an geeigneten Orten, für die das Raumplanungsgesetz gelockert werden müsste? Für die zweite Variante plädiert eine ETH-Studie. Sie rechnet vor, dass es für die im Windenergiekonzept vorgesehenen 4.3 TWh Winterstrom aus Windkraft, bis 2050 760 Windturbinen bräuchte. Gemäss der geltenden Raumplanung würde dies einen starken Ausbau in den Alpen nötig machen, vor allem in den Bündner und Walliser Bergen. Würden die Anforderungen an die Raumplanung gelockert, könnten auch windstarkes Ackerland und ackerfähige Wiesen im Mittelland für die Windenergie genutzt werden. Dafür bräuchte es knapp 200 Windanlagen in den Alpen weniger. Mehr dazu in der NZZ (paywall).

Weitere Hürden für den Solarexpress

Grosse Solaranlagen in den Alpen, die von Bundessubventionen profitieren wollen, müssen zahlreiche Auflagen erfüllen. Das zeigen die Verordnungsänderungen des Bundesrats, mit denen die im Herbst vom Parlament verabschiedete «Solaroffensive» umgesetzt wird. Um von der staatlichen Förderung (60% der Investitionskosten) zu profitieren, muss eine Anlage bis Ende 2025 mindestens 10% der geplanten Stromproduktion oder 10 Gigawattstunden Strom (der Bedarf von rund 3000 Haushalten) ins Netz einspeisen. Gerade für Anlagen an Standorten, wo bisher kein Netzanschluss vorhanden ist, wird dieser Zeitrahmen sehr knapp. Zudem muss eine rechtskräftige Baubewilligung für das Projekt vorliegen. Der Branchenverband Swissolar kritisiert, dass vom Bund bis heute keine Preisszenarien zur Strompreisentwicklung vorliegen und die Investoren deshalb keine Wirtschaftlichkeitsrechnung machen können. Mehr dazu auf srf.ch.

Wie viele der alpinen Solaranlagen rasch realisiert werden, ist auch aus anderen Gründen fraglich. So hat sich der Nationalrat in der Frühlingssession dagegen ausgesprochen, die Verfahren für alpine Solar- und Windanlagen zu vereinfachen. Die NZZ (paywall) weist darauf hin, dass die Projekte somit einer Planungspflicht unterstehen. Das heisst, sie müssen in die kantonalen Richtpläne aufgenommen werden. Bei vielen Projekten ist zudem unklar, wie der produzierte Strom zu den Verbraucher:innen gelangen soll. Heute fehlen die dafür nötigen Leitungen. Die Bewilligungsverfahren, um das Übertragungsnetz auszubauen, dauern mehrere Jahre. Mehr dazu in der Sonntagszeitung (paywall).

Angesichts des grossen Zeitdrucks für den Bau alpiner Solaranlagen befürchten Fachleuten einen Wildwuchs. Um Förderbeiträge zu erhalten, würden Solaranlagen nicht primär an günstigen Standorten gebaut, sondern dort, wo diese möglichst rasch installiert werden können. Dies will die IG Solalpine verhindern. Sie lanciert deshalb das Label «Solalpine», für das der Standort einer Anlage überprüft wird. Die Interessengemeinschaft sucht im Auftrag von Schweizer Elektrizitätsunternehmen nach geeigneten Standorten für Solaranlagen in den Bergen. Das Label schliesst Anlagen in geschützten und unberührten Landschaften aus. Zudem braucht es einen Anschluss ans Stromnetz in der Nähe. Mehr dazu bei srf.ch.

Das Solarprojekt in Grengiols im Walis dürfte das Label nicht erhalten. Die Solaranlage ist einem regionalen Naturpark geplant. Daran ändert auch nichts, dass die Initiant:innen die Anlage etwas reduziert haben – die beanspruchte Fläche für die Panels beträgt nicht mehr 6, sondern noch 3,4 Quadratkilometer. Das entspricht 350 Fussballfeldern und soll Strom für 200’000 Haushalte liefern. Zudem soll das nahe gelegene Wasserkraftwerk Chummensee als Pumpspeicherkraftwerk besser genutzt werden, um mehr Winterstrom zu produzieren. Neben der Gemeinde und den lokalen Stromversorgern sind auch die Elektrizitätswerke Zürich, die Groupe E und die Industriellen Werke Basel am Projekt beteiligt. Die IG Saflischtal wehrt sich gegen das Projekt. Mehr dazu im Tages-Anzeiger und in der NZZ (paywall).

Das Parlament des Kantons Wallis will den Bau grosser Fotovoltaikanlagen in den Bergen beschleunigen. Die entsprechende Gesetzesänderung will auch in Naturlandschaften Anlagen erlauben. Kriterien für eine Standortwahl sind nicht vorgesehen. Dagegen haben Pro Natura und die Walliser Grünen das Referendum ergriffen. Mehr dazu im Tages-Anzeiger.

Seit Anfang Jahr vergibt der Bund Einmalvergütungen für grosse Fotovoltaikanlagen über Auktionen. Die erste Versteigerung hat die Erwartungen enttäuscht. Die ausgeschriebene Gesamtmenge an Solarleistung wurde nicht ausgeschöpft. Und weil sich nicht genügend Firmen und Privatpersonen beteiligten, kamen auch teurere Anlagen zum Zug. Die Schweizerische Vereinigung für Sonnenenergie kritisiert, dass dadurch grosse Produktionsanlage gegenüber kleinen Anlagen deutlich bevorteilt werden. In diesem Jahr sind drei weitere Auktionsrunden geplant. Mehr dazu auf srf.ch.

Erdgas: Sicherung der Versorgung oder geplanter Ausstieg?

Der Bundesrat hält auch im kommenden Winter 2023/2024 einen Engpass beim Erdgas für möglich. Deshalb hat er die Verordnung für eine Gasreserve um ein Jahr verlängert. Damit wird die Gasbranche verpflichtet, eine Reserve anzulegen, die rund 15% des jährlichen Gasverbrauchs der Schweiz beträgt.

Um die Gasversorgung zu sichern, sind auch Flüssiggasterminals ein Thema. Gegen das geplante Terminal bei Basel gibt es Kritik von Klimaschützenden. Der Solothurner Energieversorger Regio Energie hat einen Pilotbetrieb aufgenommen. Dabei wird eine kleinere Menge von Flüssiggas ins lokale Gasnetz eingespeist. Mehr dazu auf srf.ch.

Der WWF weist in einem Factsheet zu Erdgas, Biogas und Power-to-Gas darauf hin, dass die Klimakrise eine rasche Dekarbonisierung der Wärmeerzeugung verlange und dass deshalb das Gasverteilnetz in der Schweiz weitgehend zurückgebaut werden müsse. Die Gasbetreiber sind weiterhin von fossilem Gas abhängig: Biogas, das 2022 einen Anteil von rund 8% im Schweizer Netz hatte, wird knapp bleiben, und synthetische, aus Sonnen- und Windkraft hergestellte Gase sind zu teuer. Deshalb verlangt der WWF, dass die Gemeinden als Hauptaktionärinnen den Gasversorgern Ausstiegspläne mit einem definierten Enddatum vorschreiben. Als Beispiel gelten Zürich und Winterthur, wo die Gasverteilnetze bis 2040 zurückgebaut werden, und der Kanton Basel-Stadt, wo dies bereits bis 2037 erfolgt.

Bund verschenkt Emissions-zertifikate in Millionen Höhe

Seit 2013 sind Schweizer Zement- und Stahlwerke und weitere Firmen, die grosse Mengen an CO2 ausstossen, verpflichtet, am Emissionshandelssystem (EHS) teilzunehmen. Im Gegenzug sind sie von der CO2-Abgabe befreit. Das Onlinemagazin «Das Lamm» zeigt in einer siebenteiligen Serie grundlegende Schwächen des Systems auf. Im EHS können Firmen, die weniger Treibhausgase ausstossen, überschüssige Zertifikate an die Unternehmen verkaufen, die mehr CO2 ausstossen. Damit das funktioniert und der CO2-Ausstoss insgesamt sinkt, muss die Menge der Verschmutzungszertifikate beschränkt sein und Jahr für Jahr weiter sinken. Dies ist aber in der Schweiz nicht der Fall. Der Bund erliess den grössten Emittenten von 2013 bis 2020 drei Milliarden Franken an CO2-Abgaben und schenkte ihnen gleichzeitig Emissionsrechte im Wert von schätzungsweise 361 Millionen Franken. Damit sollte verhindert werden, dass die Firmen angesichts der CO2-Kosten ihre Produktion in ein anderes Land verlagern, aber es schwächt die Effektivität des EHS.

Anhörung zur Klimaklage der Klimaseniorinnen in Strassburg

Ende März hat am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Strassburg die öffentliche Anhörung zur Klimaklage des Vereins Klimaseniorinnen gegen die Schweiz stattgefunden. Die Klimaseniorinnen hatten die Schweiz 2016 wegen ungenügender Klimapolitik angeklagt; sie werden von der Umweltschutzorganisation Greenpeace unterstützt. Das Bundesgericht hatte die Klage 2020 abgelehnt.

Der Fall hat über die Schweiz hinaus grosse Bedeutung: Es ist das erste Mal, dass sich der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte mit einer Klimaklage befasst. Das Gericht muss klären, ob und welche menschenrechtlichen Verpflichtungen zur Eindämmung des Klimawandels bestehen. Gibt das Gericht den Klimaseniorinnen recht, müssten die 46 Mitgliedsstaaten des Europarats den Schutz vor den Folgen des Klimawandels verbessern. Mit einem Urteil wird in ein paar Monaten gerechnet.

Mehr zur Klage bei Greenpeace, beim EGMR, in der Süddeutschen Zeitung im Tages-Anzeiger (paywall) und in der NZZ (paywall). Eine ausführliche Analyse liefert der Strasbourg Observer. Und in der Republik erläutert die Klima­anwältin Roda Verheyen, wie sich das Verhältnis von Klimakrise und Justiz derzeit wandelt.

Neue Volksinitiativen: Stärkung oder Schwächung der Umwelt?

Die Jungen Grünen haben die im letzten Sommer lancierte Umweltverantwortungsinitiative eingereicht. Sie wollen die Schweiz dazu verpflichten, die Umweltbelastung deutlich zu reduzieren. Bei einer Annahme der Initiative hätte die Schweiz zehn Jahre Zeit, um in den Bereichen Klimaveränderung, Biodiversität, Wasserverbrauch, Bodennutzung sowie Stickstoff- und Phosphoreintrag nicht mehr Ressourcen zu verbrauchen, als ihr proportional zustehen. Mehr dazu bei nau.ch.

Schweizer Landwirte sollen mehr pflanzliche und weniger tierische Lebensmittel produzieren, und der Selbstversorgungsgrad der Schweiz soll von derzeit 50% auf mindestens 70% erhöht werden. Das fordert die sogenannte Vegi-Initiative. Urheberin des Vorstosses ist Franziska Herren, die bereits die Trinkwasserinitiative lanciert hatte. Mit der neuen Initiative will sie erreichen, dass auf den Ackerflächen weniger Futtermittel für Tiere angebaut und stattdessen mehr pflanzliche Lebensmittel produziert werden. Heute werden auf 60% der Schweizer Ackerflächen Futtermittel für die Fleischproduktion angebaut. Herren hat die Vegi-Initiative ohne Parteien und grosse Organisationen lanciert. Mehr dazu in der Sonntagszeitung (paywall).

Die Volksinitiative «Jede einheimische und erneuerbare Kilowattstunde zählt!» will den Ausbau der Wasserkraft auf Kosten der Natur beschleunigen. Hinter dem Volksbegehren steht der Verband der Kleinwasserkraftwerke. Die Initiative will die Versorgung mit einheimischem Strom als nationales Interesse in der Verfassung verankern. Naturschutzorganisationen befürchten, dass bereits belastete Gewässer Lebensräume dadurch noch stärker unter Druck geraten. Mehr dazu bei nau.ch.

Klimarelevante Entscheide von Bund und Kantonen

Der Bundesrat will das Nationalstrassennetz erweitern und dafür bis 2030 fast 12 Milliarden Franken ausgeben. Betroffen sind unter anderem Autobahnabschnitte zwischen Wankdorf und Kirchberg sowie Tunnelprojekte in Basel, Schaffhausen und St. Gallen. Der Vorschlag des Bundesrats geht an das Parlament. Kritiker:innen weisen darauf hin, dass Investitionen in Strassen zu mehr Verkehrsbelastung in Städten führen. Zudem werden im motorisierten Verkehr die Klimaziele seit Jahren verfehlt. Mehr dazu in der NZZ (paywall) und in der WOZ.

Obwohl die Landwirtschaft für 15% des CO2-Ausstosses der Schweiz verantwortlich ist, gibt es keine gesetzlichen Reduktionsziele. Und das bleibt so: Nach dem Ständerat hat auch der Nationalrat eine Forderung der SP und der Grünen abgelehnt. Mehr dazu im Tages-Anzeiger und auf srf.ch.

Internationale Klimapolitik

Ölfirmen: gigantische Profite und riesige Subventionen

Ölkonzerne wie ExxonMobil, Shell, Chevron, TotalEnergies und BP haben im Jahr 2022 Rekordgewinne von total 200 Milliarden Dollar eingefahren. Shell allein machte 2022 mit 40 Milliarden Dollar den höchsten Gewinn in der 115-jährigen Geschichte des Unternehmens.

Doch diese Rekorde verblassen im Vergleich zu Saudi Aramco, das für 2022 einen Rekordgewinn von 161 Milliarden Dollar meldete, den grössten Jahresgewinn, den ein Ölkonzern je verzeichnet hat. Die Gewinne des grösstenteils in Staatsbesitz befindlichen Unternehmens stiegen im Vergleich zum Vorjahr um 46%. Saudi Aramco hat sich zwar ein Klimaziel gesetzt, aber darin sind die Emissionen seiner Produkte (Scope 3) nicht enthalten. Diese machen aber weit über 80% seiner gesamten Emissionen aus. Mehr dazu bei Aramco, CNBC und im Guardian. Der Spiegel hat zudem einen Podcast dazu produziert: «Die schmutzigen Klimalügen der Ölindustrie: Grosse Konzerne wie Exxon liessen früh den Klimawandel erforschen».

Gleichzeitig meldete die Internationale Energieagentur (IEA), dass 2022 die weltweiten Subventionen für fossile Brennstoffe auf über eine Billion Dollar angestiegen sind. Am Uno-Klimagipfel 2021 (COP26) unterzeichneten 39 Länder und Finanzinstitutionen das Glasgow Statement und verpflichteten sich, die öffentliche Finanzierung fossiler Brennstoffe bis Ende 2022 zu beenden. Ein neuer Bericht von Oil Change International zeigt nun auf, wer der grössten 16 Unterzeichner gehandelt hat und wer nicht:

Positives und Negatives zur US-Klimapolitik

Abgabe auf Methan

US-Präsident Joe Biden unterzeichnete im vergangenen Jahr ein grosses Klimagesetz. Der Inflation Reduction Act umfasst vor allem Massnahmen und Subventionen in Milliardenhöhe für den Ausbau von erneuerbaren Energien. Er enthält aber auch eine Abgabe auf Methanlecks aus dem Öl- und Gassektor. Methan ist ein starkes Treibhausgas. Es speichert über einen Zeitraum von 20 Jahren 80 Mal mehr Wärme als CO2. In den USA ist der Energiesektor die grösste Quelle von Methanemissionen.

Ab 2024 soll eine Abgabe von 900 Dollar pro Tonne Methan aus der Öl- und Gasindustrie erhoben werden. Nach zwei Jahren steigt die Gebühr auf 1500 Dollar pro Tonne. Die Gebühr soll den Methanausschoss bis 2030 um knapp einen Fünftel reduzieren. Wenig erstaunlich wurde die Abgabe von der Öllobby stark kritisiert. Umweltschützer bemängeln hingegen die vielen Schlupflöcher. Die Methanabgabe hat so viele Ausnahmen, dass sie nur für 43% der Öl- und Gasanlagen gelten wird. Ausserdem werden Rinderfarmen, Mülldeponien und andere Quellen nicht berücksichtigt.

Neuer Zertifikatemarkt

Die US-Regierung will ausserdem ein grossen neuen CO2-Zertifikatemarkt entwickeln. Im Rahmen dieses Energy Transition Accelerator (ETA) sollen regionale oder staatliche Akteure in ärmeren Ländern Emissionsgutschriften erhalten, wenn sie ihre Energiesektoren dekarbonisieren. Die Zertifikate könnten sie dann an US-Unternehmen verkaufen. Die Regeln und Details des ETA sollen im kommenden Jahr entwickelt werden. Kritiker weisen darauf hin, dass erneuerbare Energien wie Wind und Solar inzwischen die billigsten Energiequellen geworden sind und sich diese Projekttypen daher nicht für den Zertifikatemarkt eignen. Erneuerbare Energieprojekte werden in der Regel realisiert, weil sie rentabel und nicht auf zusätzliche Einnahmen aus dem CO2-Zertifikatehandel angewiesen sind. Sie sind also in der Regel nicht zusätzlich – eine zentrale Bedingung von Zertifikaten. Zudem wurden Entwicklungsländern wie Südafrika, Vietnam und Indonesien unter der internationalen Just Energy Transition Partnership bereits grössere Summen versprochen, um ihren Stromsektor zu dekarbonisieren. Mehr zu den beiden Themen in der Financial Times (paywall) hier und hier.

Neue Öl- und Gasbohrungen und neue Schutzgebiete

Nach wochenlangen Verhandlungen hat die Regierung Biden im März 2023 ein grosses Öl- und Gasbohrprojekt in Alaska genehmigt. Das Projekt von ConocoPhillips soll in einer weitgehend unberührten Wildnis gebaut werden und in den nächsten 30 Jahren mehr als 600 Millionen Barrel Öl und Gas fördern. Dadurch werden jährlich rund 9,2 Millionen Tonnen CO₂-Emissionen verursacht – das entspricht etwa dem jährlichen Treibhausgasausstoss von zwei neuen Kohlekraftwerken oder zwei Millionen zusätzlichen Benzinautos.

Im Wahlkampf hatte Biden versprochen: «Keine weiteren Bohrungen auf öffentlichem Land, Punkt. Punkt, Punkt, Punkt.» Die Regierung kam jedoch zu dem Schluss, dass ConocoPhillips vor Gericht gewinnen würde, um seinen Pachtvertrag zu erhalten, und bewilligte das Projekt zähneknirschend.

Die USA sind bereits der grösste Öl- und Gasproduzent der Welt und der drittgrösste Kohleverbraucher. In diesem Jahr werden sie auch der weltgrösste Exporteur von flüssigem Erdgas sein. In den ersten zwei Jahren ihrer Amtszeit hat die Regierung Biden mehr Öl- und Gasfördergenehmigungen erteilt als die Regierung Trump zu diesem Zeitpunkt. Obwohl der Inflation Reduction Act zu Recht als das bedeutendste US-Klimagesetz gefeiert wird, deuten selbst optimistische Analysen darauf hin, dass die US-Ölproduktion in den nächsten zehn Jahren dadurch nicht reduziert wird. Ein neuer Bericht zeigt, dass Subventionen für erneuerbare Energien allein nicht ausreichen, sondern, dass es Politikinstrumente braucht, die den Abbau der fossilen Infrastruktur verpflichtend machen.

Es gibt auch noch eine positive Nachricht aus den USA: Die Regierung hat den Schutz von grossen Gebieten und Gewässern in Alaska angekündigt. Fast 3 Millionen Hektar der Beaufortsee im Arktischen Ozean sind auf unbestimmte Zeit von der Verpachtung für Erdöl- und Erdgasabbau ausgeschlossen. Ausserdem wurden 13 Millionen Hektare «ökologisch sensibler» Sondergebiete in Alaska unter Schutz gestellt.

Mehr bei Reuters und im NY-Times-Newsletter von David Wallace-Wells. Dieser kann hier abonniert werden (paywall).

China baut die Kohlekraft weiter aus

2022 hat China mehr als 100 GW neue Kohlestromproduktion genehmigt, das sind über 700 neue Kraftwerke, vier Mal mehr als im Jahr davor. China baut etwa sechsmal mehr Kohlekraftwerke als der Rest der Welt zusammen. China produziert fast 60 Prozent seiner Elektrizität aus Kohle. Die meisten der neuen Kohleprojekte wurden in Provinzen genehmigt, die in den letzten zwei Jahren aufgrund von Hitzewellen lähmenden Stromausfällen ausgesetzt waren. Dies führt zu einem Teufelskreis; höhere Treibhausgasemissionen beschleunigen Klimawandel undder führt zu häufigeren extremen Wetterereignissen. Zwar fördert China auch den Ausbau erneuerbarer Energien, doch der schiere Umfang der Genehmigungen für neue Kohlekraftwerke machen die Klimaversprechen Chinas wenig glaubwürdig. Mehr dazu bei Firstpost, Center for Research on Energy and Clean Air (CREA) und Globalenergymonitor.

Quelle: IEA Coal 2022

Europäische Klimapolitik

Wasserstoff aus Atomstrom soll als erneuerbar gelten

Die Europäische Kommission hat zwei langersehnte delegierte Rechtsakte vorgelegt, welche die Erneuerbare-Energien-Richtlinie (RED) der EU ergänzen. Im Fokus steht dabei die Festlegung, wie künftig aus Strom hergestellte Brenn- und Kraftstoffe nicht biogenen Ursprungs (renewable fuels of non-biological origin, RFNBOs), wie Wasserstoff, definiert werden. Diese Brenn und Krafstoffe spielen eine tragende Rolle bei der Dekarbonisierung der europäischen Wirtschaft.

Enthalten im Rechtsakt für die Wasserstoff-Herstellung ist das «Zusätzlichkeitskriterium». Um Wasserstoff als «erneuerbar» deklarieren zu dürfen, soll er nur mit zusätzlich installierten Erneuerbaren hergestellt werden dürfen – also nicht durch Strom aus dem bestehenden Netz.

Ausnahmen gibt es. So etwa wenn der Strommix des Netzes aus mindestens 90% erneuerbarer Energie besteht oder wenn der Netzstrom vergleichsweise «CO2-arm» ist. Gemäss diesen Anforderungen kann in Ländern mit einem hohen Anteil an Atomstrom im Strommix, etwa in Frankreich, «erneuerbarer» Wasserstoff mit Netzstrom erzeugt werden. Die Umweltverbände kritisieren dies scharf – nachzulesen etwa beim Deutschen Naturschutzring und bei European Environmental Bureau. Rat und Parlament der EU müssen den Rechtsakten noch formell zustimmen. Ein Veto gilt als unwahrscheinlich.

Einigung zur Erneuerbaren-Energien-Richtlinie

Europäische Kommission, Parlament und Rat haben sich Ende März auf die Anpassung der Renewable Energy Directive (RED) geeinigt. Bis 2030 soll der Anteil Erneuerbare am Gesamtenergieverbrauch auf 42,5 Prozent steigen; bisher betrug das Ziel 32%. Gegenüber heute entspricht dies fast einer Verdopplung. Umwelt-NGOs forderten mindestens 55%, um mit dem Pariser Abkommen kompatibel zu sein. Zudem wird stark kritisiert, dass Atomkraft in die RED Einzug erhalten hat und Energie aus Biomasse weiterhin gefördert werden darf, obwohl die Umwelt- und Klimabilanz oft schlecht ist. Eine Übersicht zum Beschluss hat Euractiv angefertigt.

Verbrenner-Aus ist doch kein Aus

Verbrennungsmotoren dürfen auch nach 2035 neuzugelassen werden. Allerdings nur, wenn sie mit sogenannten synthetische Kraftstoffen (e-Fuels) und ohne fossile Kraftstoffe laufen. Die Europäische Kommission legte bereits 2021 einen Entwurf im Rahmen des Fit for 55-Programms vor, wonach neue Verbrennungsmotoren im PKW-Bereich nach 2035 gänzlich nicht mehr zugelassen werden sollen. Der Vorschlag der Kommission wurde von den meisten Mitgliedsstaaten breit unterstützt.

Kurz vor der finalen Abstimmung legte die deutsche Bundesregierung überraschend und entgegen bisherigen Absprachen ein Veto ein. Dass nun auch weiterhin mit e-Fuels betriebene PKWs zugelassen werden dürfen, ist nicht zuletzt auf das vehemente Betreiben der FDP zurückzuführen. Die FDP – und damit die Bundesregierung – konnte sich trotz anhaltender Kritik anderer europäischer Mitgliedsstaaten durchsetzen.

E-Fuels stehen in der Kritik, wenig effizient zu sein und dringender in anderen Bereichen als den PKW-Verkehr gebraucht zu werden. Auch grosse Automobilhersteller gestehen ein, künftig nicht auf e-Fuels setzen zu wollen. Sie sehen den Markt der Zukunft in direkt elektrisch betriebenenPKWs.

Agrarkraftstoffe

Schon heute werden Bio-Kraftstoffe – gewonnen aus Raps oder Mais oder Gülle – im Verkehrsbereich genutzt. Doch die Klimabilanz ist ernüchternd. In einer neuen Studie im Auftrag der NGO Transport & Environment (T&E) wurde festgestellt, dass man etwa doppelt so viel CO2 einsparen könnte, wenn man die Fläche, die für Agrarkraftstoffe benötigt wird, renaturiert. Das entspräche etwa 65 Millionen Tonnen CO2. Würden auf der Fläche Lebensmittel kultiviert werden, könnte man zusätzlich 120 Millionen Menschen ernähren.

Auch energetisch sind Biokraftstoffe ineffizient. Nur 2,5 Prozent der derzeit für Agrarkraftstoffe genutzten Fläche würden gebraucht, um mittels Photovoltaik dieselbe Menge an Energie zu produzieren. Umweltschutzorganisationen wiesen unlängst auf diese Missstände hin. Weitere Informationen auch zu Wechselwirkungen und Pfadabhängigkeiten gibt es beim Klimareporter.

Green Deal Industrial Plan & Net Zero Industry Act

Als Antwort auf den 700 Mrd. Dollar schweren US Inflation Reduction Act (IRA), der die US Industrie stark begünstigt, stellte EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen Mitte März den «Net-Zero Industry Act» (NZIA) als Teil des Green Deal Industrial Plans vor. Damit soll die europäische Widerstandsfähigkeit und Wettbewerbsfähigkeit der Produktion emissionsfreier Technologien gestärkt und das Energiesystem sicherer und nachhaltiger gestaltet werden. Bis 2030 sollen mindestens 40% der Produktionskapazitäten dieser Technologien innerhalb der EU-Grenzen liegen. Die EU-Kommission möchte verhindern, dass diese zentralen Wirtschafts- und Industriebereiche in die USA abwandern. Auch der Critical Raw Material Act und die Reform des Europäischen Strommarktdesigns sollen den Green Industrial Plan unterstützen. Ausführlichere Informationen zum NZIA sowie Green Industrial Plan sind etwa bei Carbon Brief oder bei table.media zu lesen. Eine Problemanalyse zum NZIA ist auch bei Sandbag zu finden.

EU-Diplomatie für globalen «fossil phase out»

Anfang März haben sich die EU-Mitgliedsstaaten auf eine gemeinsame Position zur «Klima- und Energiediplomatie» mit Blick auf die Weltklimakonferenz in Dubai (COP28) Ende des Jahres geeinigt. Die EU will einen weltweiten Ausstieg aus fossilen Energieträgern bis spätestens 2050 sowie den Umstieg auf ein emissionsfreies Energiesystem systematisch vorantreiben. Die Klima- und Energiediplomatie wird als zentraler Baustein der EU-Aussenpolitik gesehen. Dem klimaschädlichen Erdgas wird dabei eine Übergangsrolle zugeschrieben. Ferner sollen auch etwa «kohlenstoffarme» Technologien gefördert werden. Dahinter verbirgt sich oftmals auch Atomkraft (siehe Abschnitt zu Wasserstoff aus Atomstrom weiter oben). Bereits bei vergangenen Klimakonferenzen wurde versucht, ein globales Zugeständnis für den Ausstieg aus der Nutzung fossiler Energien zu erreichen. Weitere Informationen bietet Euractiv oder bei Reuters.

An der Uni in Barcelona wird die Klimakrise Pflichtfach für alle

Alle 14’000 Studierenden der Universität in Barcelona sollen ab 2024 ein Pflichtmodul zur Klimakrise belegen. Die Universität Barcelona hat sich dem Druck der siebentägigen “End Fossil”-Demonstration gebeugt und ein weltweit einzigartiges Programm beschlossen. Ausserdem wird die Universität ein Schulungsprogramm zu Klimafragen für ihre 6’000 akademischen Mitarbeiter:innen entwickeln. Mehr dazu im Guardian.

Deutschland

Klimaschutzziel 2022 nur knapp eingehalten

Deutschland erreichte seine Emissionsziele 2022 nur knapp. Die Gesamtemissionen sanken im Vergleich zum Vorjahr um etwa zwei Prozent. Aufgrund der fossilen Energiekrise und den damit verbundenen Preissteigerungen bei Erdgas wurde mehr Kohle zur Strom- und Wärmegewinnung importiert und verbraucht; dennoch wurden die Sektorziele knapp erreicht. Im Industriesektor führten die höheren Energiekosten zu einer Verminderung von Treibhausgasen von 10%. Zwei Sektoren stechen erneut negativ hervor. Der Gebäudesektor schaffte es trotz massiver Einsparungen etwa beim Heizen nicht, die Ziele zu erfüllen – bereits zum dritten Mal in Folge. Die zuständigen Ministerien haben im vergangenen Sommer bereits Politikmassnahmen vorgestellt, damit das 2030-Ziel eingehalten werden kann. Dazu gehört die Einführung der sogenannten 65-Prozent-Vorgabe für neue Heizungen (siehe unten). Im Verkehrssektor mangelt es jedoch weiterhin an adäquaten Klimaschutzmassnahmen. Statt zu sinken, nahm der Ausstoss beim Verkehr im Vergleich zum Vorjahr sogar zu. Das Umweltbundesamt erklärt dies unter anderem mit den tieferen Preise für Benzin und Diesel aufgrund des «Tankrabatts» im Sommer 2022. Ausführliche Informationen sind hier zu finden. Die Zahlen werden übereinstimmend mit dem Bundes-Klimaschutzgesetz nun vom Expertenrat für Klimafragen überprüft und bewertet.

Einigung bei zentralen Streitthemen der Ampel-Regierung

Ende März einigten sich die Parteispitzen der drei regierenden Parteien SPD, Grüne und FDP in strittigen Klimathemen der Ampel-Regierung. So soll es im Klimaschutzgesetz künftig keine sektorspezifische Betrachtung mehr geben. Vielmehr wird in einer sektorübergreifenden und mehrjährigen Gesamtrechnung geschaut, ob die langfristigen Klimaschutzziele eingehalten werden. Damit entfallen auch die Sofortprogramme, die angedacht sind, wenn ein Sektor die Ziele nicht erreicht – wie etwa zuletzt im vergangenen Jahr für den Gebäudesektor. Umwelt- und Klimaschützer:innen kritisierten diesen Beschluss scharf: das Klimaschutzgesetz werde als zentrales, politisches Klimaschutzinstrument Deutschlands entkernt und die Verantwortung zum Handeln genommen.

Die Koalition einigte sich auch darauf, Planungs- und Genehmigungsverfahren für den Ausbau der Erneuerbaren zu beschleunigen und massive Investitionen in den Ausbau des Schienennetzes zu tätigen. Auch die umstrittene 65-Prozent-Vorgabe (siehe unten) wurde angepasst. Eine Übersicht ist hier zu finden.

Wärmewende – hitzige Diskussion um Verbot fossiler Heizungen

Ein Entwurf zur Anpassung des Gebäude-Energie-Gesetzes (GEG), der vorzeitig publik wurde, hat über Wochen die politische Debatte in der Bundesrepublik dominiert. Grösster Streitpunkt innerhalb der Regierungsparteien sind die Erfüllungsoptionen, mit denen die 65-Prozent-Vorgabe umgesetzt werden soll. Diese sieht vor, dass bei einem Heizungstausch neuinstallierte Heizungen mit mindestens 65 Prozent erneuerbarer Energie betrieben werden sollen. SPD und FDP pochten auf «Technologieoffenheit». Sprich: Alle denkbaren Optionen zur Zielerreichung sollen unter Gesichtspunkten der Marktwirtschaft zugelassen werden. Die Grünen sahen vor allem in Wärmepumpen sowie in der Transformation der Wärmenetze die zentralen Lösungen der Wärmewende.

Anfang April ging ein geeinigter Gesetzesentwurf nach langer Auseinandersetzung nun in die Verbände und Länderkonsultation. Ab 2045 soll der Betrieb fossiler Heizungen gänzlich untersagt werden. Zur Umsetzung der 65-Prozent-Vorgabe sollen neben den von den Grünen präferierten Technologien nun auch weitere Optionen zugelassen werden. So auch Heizungen, die «Wasserstoff-ready» sein sollen; also fossile Erdgasheizungen, die auf Wasserstoff umgestellt werden können, sofern ein Wasserstoffnetz gebaut wird. Gerade der Einsatz letzterer Optionen wird auch aufgrund der fehlenden Verfügbarkeit, mangelnder Effizienz sowie unabsehbaren Kosten für Verbraucher:innen seitens Natur- und Umweltschutzverbänden stark kritisiert.

Das Gesetzesvorhaben hat gewaltiges Potential für den Klimaschutz im Gebäudesektor und kann ein grosser Hebel für die sozialgerechte Wärmewende darstellen – entscheidend ist der finale Beschluss. Es soll noch vor der Sommerpause den Bundestag passieren, sodass die neuen Regelungen wie geplant ab Januar 2024 in Kraft treten können.

Umsetzung der EU-Notfallverordnung

Die sogenannte «EU-Notfallverordnung» wurde bereits im Dezember seitens der EU beschlossen und im März 2023 in Deutschland umgesetzt. Hintergrund ist die durch den russischen Angriffskried getriebene fossile Energiepreiskrise. Ziel der Verordnung ist es, schneller von russischen Energieimporten unabhängig zu werden. Planungs- und Genehmigungsprozesse sollen vereinfacht werden, damit sich die Erneuerbaren Energien und Stromnetze schneller ausbauen lassen. So entfällt etwa in bereits ausgewiesenen Ausbaugebieten die Pflicht der Umweltverträglichkeitsprüfung und der artenschutzrechtlichen Prüfung, solange eine weniger anspruchsvolle strategische Umweltprüfung vorliegt. So sollen Prozesse um bis zu einem Jahr beschleunigt werden. Zur Umsetzung wurden zentrale Gesetze wie das Windenergieflächenbedarfsgesetz oder das Bundesnaturschutzgesetz geändert. Die neuen Regelungen gelten für Projekte, die vor dem 30. Juni 2024 begonnen werden.

Gipfel für Wind und Sonne

Bundeswirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck hat im März Branchenvertreter:innen und Vertreter:innen der Bundesländer zu zwei Gipfeln geladen. So wurden mit nur wenigen Tagen Abstand voneinander der Solar- sowie der Windgipfel abgehalten. Nachdem im vergangenen Jahr bereits grosse Hürden beim Ausbau der Erneuerbaren durch zahlreiche Gesetzesänderungen genommen wurden, sollen nun weitere folgen. So soll das Ziel von 80 Prozent Erneuerbaren im Strommix bis 2030 erreicht werden. Auch wurden Strategien und Massnahmenpakete vorgestellt, um weitere Hürden abzubauen und den Ausbau der Wind- und Sonnenenergie zu beschleunigen. Im Fokus stehen etwa die Bereitstellung genügender Flächen, die für den Ausbau benötigt werden, der Mangel an Fachkräften, die Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsprozessen sowie der Abbau bürokratischer Hürden. Beide Strategien wurden von Ländern und Verbänden konsultiert. Darauf aufbauend wird das Wirtschaftsministerium bis zum Sommer beide Strategien finalisieren und Gesetzesänderungen erarbeiten. Hier sind die Pressemitteilungen des Ministeriums zum Solargipfel und zum Windgipfel zu finden.

Neues aus der Klimawissenschaft

Weltklimarat warnt in neuem Synthesebericht einmal mehr

Nach Jahren unbezahlter, harter Arbeit und einer Woche durchgehender Verhandlungen in Interlaken haben die Wissenschaftler:innen des Weltklimarats (IPCC) Ende März 2023 den sechsten Synthesebericht veröffentlicht. Das 2’500 Seiten umfassende Dokument enthält eine enorme Menge an Fachliteratur, über 13‘500 Artikel werden darin zitiert.

Zusammengefasst sagt der Bericht: Die Folgen der Klimakrise sind bedrohlicher und treten schneller ein als bisher angenommen. Es gibt noch Handlungsspielraum, aber es muss sofort gehandelt werden. Was im letzten Synthesebericht von 2013 noch eine Vorhersage war, ist Wirklichkeit geworden: Starkniederschläge, Hitzewellen und Trockenheit. Der Klimawandel ist kein Zukunftsszenario mehr. Trotzdem bleibt Handeln essentiell: Jedes Zehntelgrad Erwärmung, das verhindert wird, macht einen Unterschied im Bezug auf Hitzeextreme, Starkniederschläge, Trockenheit und Gletscherschmelze.

Bis heute haben wir den Planeten um 1,1 Grad erhitzt. Schon jetzt ist es wärmer, als es in 125.000 Jahren jemals war – und die Oberflächen Temperatur ist seit mindestens 2000 Jahren nicht mehr so schnell gestiegen wie zuletzt, vielleicht sogar seit Menschen auf der Erde leben.

In den 2030er Jahren wird die Erwärmung 1,5 Grad erreichen. Landgebiete erwärmen sich dabei etwa doppelt so rasch wie der globale Durchschnitt. Der Durchschnitt wird zu 70% aus Meerestemperaturen gebildet – diese steigen weniger stark an, weil Meere ein viel grösseres Volumen haben. In der Schweiz beträgt die Erwärmung bereits 2,5 Grad. Die Welt droht sich aber noch wesentlich stärker als 1,5 Grad zu erwärmen: Selbst wenn die Regierungen die versprochenen Klimaschutzbemühungen umsetzen, führt dies zu einer Erwärmung von 2,8 Grad. In Europa würde die Temperatur um rund 6 Grad steigen.

Quelle: Zeit (paywall)

Schuld daran sind grösstenteils die reichen Industriestaaten. Die am wenigsten entwickelten Länder haben viel niedrigere Pro-Kopf-Emissionen (1,7 t – 4,6 t CO2e) als der weltweite Durchschnitt (6,9 t CO2e). Die 10% der Haushalte mit den höchsten Pro-Kopf-Emissionen – dazu gehören auch wir Schweizer:innen – verursachen 34-45 % der globalen Treibhausgasemissionen, während die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung nur 13-15 % beitragen.

Dabei würde es sich durchaus lohnen, zu handeln. Der IPCC schreibt: Der wirtschaftliche Nutzen des 2-Grad-Ziels liegt in den meisten Studien höher als die Investitionen, die für Klimaschutz nötig sind. Dabei sind noch nicht einmal die Schäden eingerechnet, die durch den Klimawandel verursacht werden. Allein die Vorteile für die menschliche Gesundheit durch saubere Luft könnten die Investitionen in Klimaschutzmassnahmen mindestens ausgleichen.

Der Klimawandel verstärkt Naturkatastrophen: Starkregen wird stärker, Hitzeperioden werden intensiver und damit tödlicher, Böden werden trockener, Wirbelstürme werden heftiger und richten mehr Zerstörung an. Der IPCC spricht von «eskalierenden Verlusten und Schäden». Fast die Hälfte der Weltbevölkerung lebt in Regionen, die durch den Klimawandel besonders gefährdet sind, und leidet zumindest während eines Teils des Jahres unter schwerer Wasserknappheit. Sauberes Trinkwasser und Lebensmittel fehlen oft, weil Landwirtschaft unter diesen Extrembedingungen schwierig ist. In vielen Gebieten, warnen die Autor:innen des Berichts, stossen Menschen bereits an die Grenzen, um uns an solch gravierende Veränderungen anzupassen. Wetterextreme sind «zunehmend der Grund für Flucht und Migration».

Aber nicht nur die Menschen sind betroffen. Der Bericht hält fest, dass in Zukunft vor allem der Klimawandel das seit Jahren fortschreitende Artensterben noch verschärfen wird. Seit 1970 sind die Wirbeltierpopulationen von Säugetieren, Vögeln, Reptilien, Amphibien und Fischen im Durchschnitt um 69% geschrumpft. Fast eine Million Arten sind vom Aussterben bedroht.

Quelle: Zeit (paywall)

Der letzte Abschnitt des Berichts ist die «Zusammenfassung für politische Entscheidungsträger», die von IPCC-Wissenschaftler:innen verfasst, aber von Regierungsvertretern aus aller Welt geprüft wird. Diese können auf Änderungen drängen – und tun es auch. Den Delegierten aus Brasilien und Argentinien, gelang es zum Beispiel, dass alle Hinweise auf die negativen Auswirkungen von Fleisch gestrichen wurden, auch die Empfehlungen, dass Menschen in wohlhabenden Ländern ihren Fleischkonsum reduzieren sollten. Die saudi-arabische Delegation drängte an mehreren Stellen erfolgreich auf eine Abschwächung der Aussagen zu fossilen Energieträgern. In einem anderen Fall hatte Finnland einen Satz vorgeschlagen, der klar machte, dass fossile Brennstoffe die Hauptursache für den Klimawandel sind. Doch Saudi-Arabien erhob Einspruch, so dass die Zeile gestrichen wurde.

Mehr zum Bericht beim Weltklimarat, bei Watson, Carbon Brief, Zeit (paywall), Guardian, Distilled.earth, heatmap.news

Weltklimarat zeigt die grössten Hebel auf

Wir wissen es schon länger: Die Welt muss ihre CO2-Emissionen in den nächsten sieben Jahren um fast die Hälfte senken, wenn die globale Erwärmung auf 1,5 Grad beschränkt und die schlimmsten Klimaauswirkungen vermieden werden sollen.

Im jüngsten Bericht des Weltklimarates (IPCC) versteckt sich eine wichtige Grafik, die aufzeigt, wo die grössten Hebel für Reduktionen liegen. Sie zeigt damit einen Ausweg aus der Katastrophe. Die wichtigsten fünf Hebel sind Windenergie, Solarenergie, Energieeffizienz, Schutz der Wälder und Reduktion der Methanemissionen.

Mit dem Ausbau von Solar- und Windenergie könnten bis 2030 die jährlichen CO2-Emissionen um 8 Mrd. Tonnen gesenkt werden. Das ist mehr als ein Fünftel der heutigen Emissionen und entspricht den Emissionen der USA und der Europäischen Union zusammen. Besonders positiv ist, dass der grösste Teil dieses Ausbaus deutlich weniger kostet, als wenn man einfach mit den heutigen Stromsystemen weitermacht. Genauso wichtig wie die Gewinner sind in dieser Analyse die Verlierer. Kernkraft und CO2-Speicherung (CCS) haben jeweils nur 10 % des Potenzials von Wind- und Solarenergie, und das zu weit höheren Kosten. Das Gleiche gilt für die Bioenergie – das Verbrennen von Holz oder Pflanzen zur Stromerzeugung.

Durch den konsequenten Schutz von Wäldern und anderen Ökosystemen könnten bis 2030 jährlich 4 Mrd. Tonnen CO2 eingespart werden. Das entspricht in etwa dem Doppelten der heutigen Emissionen aus fossilen Brennstoffen von ganz Afrika und Südamerika. Wird zudem noch aufgeforstet, könnten jährlich weitere 3 Mrd. Tonnen CO2 gespeichert werden. Das würde grösstenteils weniger als 50 Dollar pro Tonne kosten – die Hälfte was zurzeit in Europa für Emissionsrechte oder in der Schweiz für die CO2-Abgabe bezahlt wird.

Energieeffizienz in Gebäuden und Industrie könnten die Emissionen bis 2030 nochmals jährlich um 4,5 Mrd. Tonnen senken. Und werden Methanlecks gestopft, können weitere 3 Mrd. Tonnen eingespart werden.

Eine Umstellung auf eine nachhaltigere Ernährung in den reichen Ländern – also weniger Fleischkonsum – könnte 1,7 Mrd. Tonnen Emissionen einsparen.

Die Förderung des öffentlichen Verkehrs, von Fahrrädern und E-Bikes hat das Potenzial, die Emissionen stärker zu senken als die Einführung von Elektroautos. Beides ist für die Dekarbonisierung notwendig.

Das IPCC-Diagramm ist deshalb so wichtig, weil es aufzeigt, dass wir nach wie vor viel Handlungsspielraum haben. Es zeigt, dass wir die globalen Treibhausgasemissionen bis 2030 halbieren könnten, und das uns das weniger als 100 CHF pro Tonne kosten würde. Ein Schnäppchen, wenn man es mit den Schadenskosten vergleicht, die ein Abwarten unweigerlich mit sich bringen wird. Die Lösungen erfordern auch keine neuen Technologien, sie brauchen dezidierten politischen Willen.

Quelle: «Down to Earth»-Newsletter des Guardian. Er kann hier abonniert werden.

CO2 Emissionen steigen langsamer, Methan jedoch deutlich schneller

Die weltweiten CO2-Emissionen sind 2022 um 0,9% oder 321 Mio. Tonnen gestiegen und haben einen Höchststand von über 36,8 Milliarden Tonnen erreicht. Im Vorjahr war der Ausstoss nach der Aufhebung der Corona-Massnahmen um 6% gestiegen. Die Auswertung der Internationalen Energie-Agentur zeigt, dass die Energieproduktion für den Anstieg 2022 verantwortlich war. Im Industriesektor gingen die Emissionen zurück. Ohne den starken Ausbau von Solar- und Windanlagen hätten die Treibhausgase schneller zugenommen. Letztes Jahr deckten erneuerbare Energien 90% des weltweiten Wachstums der Stromerzeugung. Der verlangsamte Anstieg der Treibhausgasemissionen ist erfreulich, reicht aber nicht, um die Pariser-Klimaziele zu erreichen. Um den globalen Temperaturanstieg auf 1,5 °C zu begrenzen, müssten die Emissionen bis 2030 halbiert werden. Mehr dazu im Guardian.

Die Methanemissionen aus Feuchtgebieten sind in diesem Jahrhundert stark gestiegen. Der Anstieg war höher, als selbst die pessimistischsten Klimaszenarien berechnet hatten. Höheren Temperaturen und veränderte Niederschlagsmuster führen dazu, dass Feuchtgebiete Methan schneller an die Atmosphäre abgeben. Gemäss einer in Nature Climate Change veröffentlichten Studie, gab es 2020-21 einen aussergewöhnlichen Anstieg der Methanemissionen, vor allem in den Tropen. Eine zweite, im gleichen Magazin publizierte Studie verweist darauf, dass die globale Erwärmung auch die Emissionen von CO2 und Lachgas in Feuchtgebieten beeinflusst. Mehr dazu bei Carbon Brief.

Auch bei der Erdöl- und Erdgasförderung werden grossen Mengen an Methan freigesetzt. Der Guardian hat mehr als 1000 «Superemittenten» identifiziert, hauptsächlich Öl- und Gasanlagen. Die grösste Methanquelle, Anlagen und eine Pipeline in Turkmenistan, stiess 2022 pro Stunde 427 Tonnen Methan aus, was den stündlichen Treibhausgasemissionen von Frankreich entspricht. Die Verursacher wurden anhand von Satellitendaten aufgespürt; die meisten davon befinden sich in den USA, Russland und Turkmenistan. Einige der Lecks werden absichtlich verursacht, um unerwünschtes Gas, das bei Ölbohrungen aus dem Untergrund tritt, in die Luft abzulassen. Andere stammen von schlecht gewarteten oder unzureichend kontrollierten Anlagen. Methanemissionen sind heute für 25% der globalen Erwärmung verantwortlich.

Massiver Eisverlust in der Antarktis

3,3 Billionen Tonnen: So viel Eis ist in der westlichen Antarktis in den letzten 25 Jahren geschmolzen. Das zeigt eine Studie in Nature Communications. Dies entspricht einer Menge von einer zehn Meter dicken Eisschicht über ganz Deutschland. Zum Verlust haben der Anstieg der Meerestemperatur und Veränderungen der Meeresströmung beigetragen. Dadurch geht Schelfeis verloren und die Gletscher fliessen schneller ins Meer, wodurch mehr Eis abbricht. Zudem schneite es über der Landmasse weniger, wodurch die Eisverluste nicht mehr ausgeglichen werden konnten. Laut den Studienautor:innen gibt es keine Anzeichen dafür, dass sich dieser Prozess in absehbarer Zeit umkehren wird. Mehr dazu bei tagesschau.de.

Wie genau das Thwaites-Schelfeis abschmilzt, haben Forscher:innen mithilfe eines Tauchroboters untersucht. Diese Eismasse in der Westantarktis gehört zu den am schnellsten schrumpfenden und am wenigsten stabilen Schelfeisflächen der Welt und stellt mit Blick auf den Anstieg des Meeresspiegels die grösste Gefahr dar. Die in zwei Studien in Nature (hier und hier) publizierte Untersuchung zeigt, dass die Unterseite des Thwaites-Schelfs zwar weniger schnell abschmilzt als dies mithilfe von Computermodellen berechnet worden war. Gleichzeitig entdeckten die Forschenden aber, dass das schnelle Schmelzen an unerwarteten Stellen stattfindet – bei Terrassen und Spalten, die bis ins Eis hinein reichen. Die Erkenntnisse helfen, die Auswirkungen des Thwaites-Gletscher auf den globalen Meeresspiegel besser abzuschätzen. Mehr dazu in der NY Times.

Auch die Meereisausdehnung nimmt ab. Satellitendaten im Februar zeigten, dass noch eine Fläche von 2,2 Millionen Quadratkilometern des Südlichen Ozeans von Meereis bedeckt ist. Damit wurde der tiefste je gemessene Stand erreicht. Die Auswertung hat die Wissenschaftler:innen überrascht; sie hätten noch nie eine so extreme Situation gesehen. Mehr dazu hier und hier im Guardian.

Der Weltklimarat hat seine Prognose zum steigenden Meeresspiegel in den vergangenen Jahrzehnten regelmässig nach oben korrigiert. Der neue Bericht sagt nun, dass in den nächsten 2000 Jahren der globale Meeresspiegel um etwa 2-3 m ansteigen wird, wenn die Erwärmung auf 1,5°C begrenzt wird, und um 2-6 m, wenn sie auf 2°C begrenzt wird. Mehr zum neuen IPCC Bericht, siehe oben.

Danke und Herzliche Grüsse von Anja und Thomas! Die Klimazeitung darf gerne weitergeleitet werden. Falls du noch nicht auf dem Verteiler bist, kannst du sie hier abonnieren: https://bit.ly/Klimazeitung

Schweiz

Am 18. Juni wird über das Klimaschutzgesetz abgestimmt

Die SVP hat Anfang Januar 2023 das Referendum gegen das Klimaschutzgesetz mit den erforderlichen Unterschriften eingereicht. Das Gesetz ist der indirekte Gegenvorschlag zur Gletscherinitiative, die der Verein Klimaschutz Schweiz lanciert hatte. Mit dem Gesetz soll das Netto-Null-Ziel bis 2050 verankert werden. Es sieht unter anderem 2 Milliarden Franken für den Ersatz fossiler Heizungen und 1,2 Milliarden für die Förderung neuer Technologien vor. Laut der NZZ (paywall) unterstützt der Hauseigentümerverband das Referendum, obwohl dessen Mitglieder von der vorgesehenen Unterstützung bei Heizungssanierungen profitieren würden. Die Initiant:innen kritisierten das Referendum als unnötige Verzögerung. Am 18. Juni soll über das Gesetz abgestimmt werden. Mehr dazu bei watson.ch und im Blick.

Schweizer Klimapolitik schont die Bauern

Die Landwirtschaft verursacht 15% des CO2-Ausstosses der Schweiz, wobei das klimaschädliche Methan besonders ins Gewicht fällt. Dennoch sind für die Landwirtschaft bis heute keine Reduktionsziele gesetzlich verankert. Ständerät:innen von der SP und den Grünen wollten dies ändern, aber ihre Forderung, die Emissionen bis 2030 um 20% und bis 2040 um 30% zu senken, wurde im Dezember 2022 von der Mehrheit des Ständerats abgelehnt. Auch die zuständige Nationalratskommission will keine Klimaziele verankern. Mehr dazu im Schweizer Bauer und in der NZZ (paywall).

Hingegen sollen die Bauern künftig finanziell unterstützt werden, wenn sie vom Klimawandel betroffen sind. Der Ständerat hat entschieden, dass der Bund in Zukunft die Prämien von Versicherungen gegen Ernteausfälle mitfinanzieren soll. Konkret soll der Bund bis zu 30% der Prämien übernehmen. Kritik an der Regelung äussert Kilian Baumann, Bauer und Nationalrat der Grünen, in der NZZ am Sonntag (paywall). Er verlangt, dass die Bauern ihre Produktion an die neuen klimatischen Bedingungen anpassen.

Um angesichts von Klimawandel und Artensterben die Ernährungssicherheit der Schweiz zu erhalten, verlangen 40 Wissenschaftler:innen eine CO2-Abgabe auf Lebensmittel, Zölle für tierische Produkte sowie ein Verbot von Fleischaktionen. Darüber hinaus listet der Bericht des Sustainable Development Solutions Network Switzerland weitere Massnahmen auf, um die Landwirtschaft ökologischer zu gestalten: von Aus- und Weiterbildungsprogrammen über Förderprogramme für die Umstellung von Landwirtschaftsbetrieben bis zur Finanzierung von technologischer Innovation. Mehr dazu im Tages-Anzeiger.

Unterstützung für Lenkungsabgaben

Lenkungsabgaben sind in der Schweizer Bevölkerung breit akzeptiert, wie eine vom Forschungsinstitut gfs-zürich im Auftrag des Wirtschaftsverbands swisscleantech durchgeführte Befragung zeigt. 47% der Befragten ist der Ansicht, dass in der Klimapolitik Lenkungsabgaben im Vordergrund stehen sollten. Die Zustimmung für Subventionen beträgt nur 38%. Dennoch verzichtet der Bundesrat im neuen Vorschlag zum revidierten CO2-Gesetz auf eine Erhöhung der CO2-Abgabe.

Rösti als neuer Energie- und Umweltminister

Albert Rösti, der im Dezember als Nachfolger von Simonetta Sommaruga gewählte Bundesrat, hat per Anfang 2023 das Departement für Umwelt, Verkehr und Kommunikation übernommen. Bis zu seiner Wahl hat sich Rösti als Lobbyist für die Erdöl- und Autobranche engagiert (Präsident des Verbands der Brennstoffhändler Swissoil und der Importeursvereinigung Auto Schweiz sowie Beirat des Nutzfahrzeugverbands Astag). Umweltschutzverbände warnen im Tages-Anzeiger (paywall) vor Rückschritten in der Energie- und Umweltpolitik. Als Bundesrat könne Rösti etwa auf die Umsetzung der vom Parlament beschlossenen Gesetzgebung Einfluss nehmen. Auf heidi.news (paywall) äussern sich auch Schweizer Klimawissenschaftler:innen kritisch; sie befürchten, die Interessen der Erdölbranche würden nun stärker berücksichtigt. Die Schweizerische Energiestiftung lancierte gemäss der NZZ (paywall) einen Spendenaufruf, um Rösti künftig ganz genau auf die Finger schauen zu können.

Bei seinem Auftritt am Stromkongress Mitte Januar äusserte sich Rösti erstmals seit seiner Wahl zu Klimazielen und Energieversorgung. Um das Netto-null-Ziel bis 2050 zu erreichen, brauche es mehr Strom. Dieser solle im Zusammenspiel von Solar- und Wasserkraft entstehen, ergänzt mit Wärme aus dem Boden und Biomasse. Auch forderte er zusätzliche Speicherkraftwerke, um Strom vom Sommer in den Winter verlagern zu können. Bei Solar- und Wasserkraftwerken von nationalem Interesse müsse die Versorgungssicherheit über den Landschaftsschutz gestellt werden. Auch zur Kernkraft äusserte er sich. Die verbliebenen Anlagen sollten wegen teurer Nachrüstungsinvestitionen nicht «unnötig früh» abgeschaltet werden. Derzeit prüft das Bundesamt für Energie, ob staatliche Subventionen möglich sind. Mehr dazu hier und hier (paywall) im Tages-Anzeiger sowie in der NZZ (paywall).

Gas- und Stromversorgung: Neue Reserven und alte Fragen

In der EU werden derzeit unter Hochdruck Flüssiggas-Terminals gebaut, um die Gasversorgung nach dem Wegfall der Lieferungen aus Russland zu sichern. Nun gibt es auch in der Schweiz entsprechende Pläne. Bereits in diesem Jahr will der Gasverbund Mittelland einen kleinen Container-Flüssiggas-Terminal errichten, auf dem Gebiet der Baselbieter Gemeinde Muttenz. Es wäre landesweit die erste solche Anlage. Sie könnte den Bedarf der Schweiz während sechs Tage im Winter decken. Das verflüssigte Gas soll in Containern mit der Bahn, Lastwagen und Schiffen in die Schweiz gelangen. Mehr dazu in der Sonntagszeitung (paywall).

Dank den ungewöhnlich milden Temperaturen und zum Teil ausgiebigen Niederschlägen waren die Schweizer Stauseen bis Mitte Januar noch zu drei Viertel gefüllt, schreibt der Tages-Anzeiger. Und auch die Gasspeicher verfügen noch über ausreichend Reserven. Entsprechend entspannt ist die Lage am Strommarkt. Dennoch hält der Bund am Plan fest, Reserve­kraft­werke in Betrieb zu nehmen. Der Bau der Gasturbinen in Birr geht weiter.Das Kraftwerk soll ab März 2023 bis im Winter 2025/26 betrieben werden können. Dagegen haben mehrere Anwohner:innen Einsprachen eingereicht; diese haben allerdings keine aufschiebende Wirkung und können die Inbetriebnahme nicht verhindern. Mehr dazu im Tages-Anzeiger (paywall) und in der NZZ am Sonntag (paywall).

Im Dezember hat der Bund weitere Verträge über den Betrieb von Reservekraftwerken abgeschlossen. Zum einen mit der Groupe E für ein thermisches Kraftwerk in Cornaux (NE), das mit Erdgas und Heizöl betrieben werden kann; mit einer Leistung von 36 Megawatt ist es deutlich kleiner als jenes in Birr (250 MW). Zum andern mit der Axpo, CKW und BKW für ein virtuelles Reservekraftwerk aus Notstromaggregaten. Diese sollen von ihren Besitzer:innen freiwillig gegen eine Entschädigung zur Verfügung gestellt werden. Anmelden kann sich, wer über ein Notstromaggregat mit mindestens 750 kW Leistung verfügt.

Die verschiedenen Massnahmen, um Stromreserven für den Winter zu schaffen, werden den Bund von 2023 bis 2026 rund 2 Milliarden Franken kosten. Die Winterreserveverordnung, die dies regelt, tritt Mitte Februar 2023 in Kraft.

Der Schlüssel, um die Stromversorgung in der Schweiz zu sichern, ist ein Stromabkommen mit der EU. Zu diesem Schluss kommt der Bericht «System Adequacy» des Bundesamts für Energie. Ohne Kooperation mit Europa bestehe für die Schweiz das Risiko, «dass es ab 2030 bei einzelnen Wetterkonstellationen zu Versorgungsengpässen kommen kann.» Allerdings ist ein solches Abkommen mit der EU nicht in Sicht, nachdem die Schweiz die Verhandlungen mit der EU abgebrochen hat. Die Studie verdeutlicht auch die Bedeutung der Wasserkraft, die dank ihrer Flexibilität Energie optimal in das System einspeisen kann. Mehr dazu bei der Energiestiftung und in der NZZ (paywall).

Viele offene Fragen zur Solaroffensive

Es ist weiterhin unklar, wie rasch mit der in der Herbstsession 2022 vom Parlament verabschiedeten «Solaroffensive» grosse PV-Anlagen im Alpenraum realisiert werden. Die Strombranche übt Kritik an der geplanten Umsetzung des dringlichen Bundesgesetzes zum Ausbau der Solarenergie, wie die NZZ (paywall) schreibt. Zu reden gibt unter anderem, wie die im Gesetz festgelegte Produktionskapazität von 2 Terawattstunden (rund 3% der Schweizer Stromproduktion) zugeteilt werden soll. Offen ist auch, ob Anlagen, die bei Erreichen dieser Grenze noch im Bau sind, weiter von Subventionen profitieren können.

Zudem zeigt sich, dass die Bevölkerung Anlagen für erneuerbare Energien in unberührten Alpenlandschaften kritisch beurteilt. Dies zeigt eine repräsentative Umfrage des WSL (Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft) vom Oktober 2022. Auf einer Skala von -1 (volle Ablehnung) bis 1 (volle Zustimmung) resultierte für solche Anlagen ein Wert von -0,89. Die Ablehnung ist noch stärker als 2018 (-0,83), als die gleiche Befragung durchgeführt wurde. Daraus schliessen die Forschenden, dass weder der Ukrainekrieg noch die Diskussion um die Versorgungssicherheit etwas an der Präferenz für intakte alpine Landschaften geändert hat. Mehr dazu im Tages-Anzeiger.

Kritisch beurteilt auch die Schweizerische Vereinigung für Solarenergie (SSES) den forcierten Ausbau von PV-Anlagen in den Alpen. Der Ausbau dürfe nicht auf Kosten der Umwelt oder der Landschaft gehen. Mit Blick auf die Versorgungssicherheit sei es «zielführender, die Anlagen im Flachland beschleunigt zuzubauen». Doch auch hier müsste das Tempo höher sein. Weshalb die Entwicklung gebremst wird, ist in der Architekturzeitschrift Hochparterre nachzulesen. Eine Schlüsselrolle kommt Architekt:innen zu: Sie tun sich noch immer schwer mit PV-Anlagen auf Dächern und Fassaden.

Der Energiekonzern BKW will bis 2025 zehn alpine Solaranlagen bauen und so mehr Winterstrom produzieren. Derzeit läuft die Prüfung geeigneter Standorte. Zusammen könnten die Anlagen rund 100’000 Haushalte versorgen, schreibt die Berner Zeitung (paywall). Ein Projekt wurde im Januar bereits vorgestellt: Belpmoos Solar. Auf dem Flughafen Bern-Belp soll ein Solarpark entstehen, der Strom für 15’000 Haushalte liefert. Die vorgesehene Fläche von 25 Hektaren (35 Fussballfelder) gehört zum eingezäunten Areal des Flughafens und wird als Graspiste und landwirtschaftlich genutzt. Wie die Wochenzeitung berichtet, handelt es sich bei der betroffenen Wiese allerdings um ein Biotop von regionaler Bedeutung. Und gemäss der Umweltschutzorganisation Pro Natura erfüllt die Wiese die Kriterien, um ins Bundesinventar der Trockenwiesen und -weiden von nationaler Bedeutung aufgenommen zu werden. Nach dem aktuellen Stand der Diskussion um den Mantelerlass zum Energiegesetz sind in einem solchen Schutzgebiet keine Energieanlagen zulässig. Mehr dazu auf srf.ch und dem Tages-Anzeiger.

Im Kanton Bern soll auch der Bau schwimmender PV-Anlagen geprüft werden. Das Kantonsparlament hat den Regierungsrat verpflichtet, eine Machbarkeitsstudie zu erstellen. Mehr dazu im Bund.

Beim Bau von Solaranlagen entlang der Autobahnen, die das Parlament letzten Herbst beschleunigt hat, ist die erste Runde der Bewerbungsverfahren abgeschlossen. 350 Lärmschutzwände und 100 Rastplätze sollen genutzt werden, womit der jährliche Strombedarf von rund 12’000 Haushalten abgedeckt werden kann. Über 300 Anfragen von 35 Unternehmen und interessierten Personen sind eingegangen schreibt der Tages-Anzeiger.

Nach dem Ständerat verlangt auch eine Mehrheit der Umwelt- und Energiekommission des Nationalrats eine Solarpflicht für Neubauten und bei erheblichen Umbauten. Bis 2032 soll die Pflicht auch für bestehende Gebäude ab einer Fläche von 300 mgelten, wobei Wohngebäude ausgenommen wären. Ab 2035 sollen Eigentümer:innen zudem verpflichtet werden, auf Abstellflächen ab einer Fläche von 21 Autos Solarpanels zu installieren, berichtet die NZZ (paywall).

Ob sich der Bau einer Solaranlage für Hausbesitzer:innen lohnt, hängt in der Schweiz primär von der Vergütung des Solarstroms durch das Elektrizitätswerk ab. Die Unterschiede zwischen den Gemeinden sind erheblich, wie eine Studie der ETH Zürich und der Universität Bern zeigt. Über 2000 Schweizer Städte und Gemeinden wurden untersucht. Das Ergebnis: Nur für die Hälfte der Besitzer:innen eines Einfamilienhauses lohnt es sich, eine Solaranlage zu installieren. Die Autor:innen verlangen, dass die Vergütungen schweizweit harmonisiert werden, um so den Ausbau der Solarenergie zu fördern. Mehr dazu im Baublatt und in der NZZ (paywall).

Die Nationalratskommission will auch den Bau von Solaranlagen auf freien Flächen in der Landwirtschaftszone erleichtern, schreibt der Tages-Anzeiger (paywall). Sogenannte Agri-PV-Anlagen sollen auch dann erlaubt sein, wenn dadurch die landwirtschaftlichen Interessen «geringfügig» beeinträchtigt werden. Der Bundesrat verlangt, dass sich die Anlagen positiv auf die Ernte auswirken, etwa durch verbesserten Schutz vor Unwetter.

Bereits heute gibt es Engpässe in der Stromverteilung. Damit diesen Winter genügend Übertragungskapazität besteht, hatte der Bundesrat im Herbst 2022 beschlossen, dass die Spannung der Stromleitungen zwischen Bickigen (BE) und Chippis (VS) sowie zwischen Bassecourt (JU) und Mühleberg (BE) bei Bedarf von 220’000 auf 380’000 Volt erhöht werden kann. In den betroffenen Gemeinden regt sich nun Kritik, schreibt die NZZ am Sonntag (paywall). Noch grösser ist der Widerstand gegen die Pläne, die Übertragungskapazität flächendeckend auf 380 kV zu erhöhen. Von zwölf Projekten sind derzeit sieben aufgrund von Einsprachen und Beschwerden blockiert. Nun fordern Energiepolitiker:innen, dass die Verfahren beim Netzausbau beschleunigt und Einsprachemög­lichkeiten eingeschränkt werden.

Kritik am Ausbau der Wasserkraft

Die am runden Tisch zur Wasserkraft erzielte Einigung zwischen Energiebranchen und einigen Umweltverbänden sorgt weiter für Diskussionen. Ende 2021 waren 15 Projekte vorgestellt worden, bei welchen die Eingriffe in die Artenvielfalt und Landschaft pro Kilowatt gespeicherte Energie am geringsten wären. Wie der Beobachter schreibt, prüft der Bund zusätzlich 17 Grossanlagen zum Ausbau der Wasserkraft. Das Bundesamt für Energie (BFE) hatte sich während Monaten dagegen gewehrt, entsprechende Dokumente offenzulegen. Auf infosperber.ch kritisiert Bernhard Wehrli, Professor für aquatische Chemie, das Verfahren. Er hat die nun veröffentlichten Dokumente des BFE ausgewertet. Sein Fazit: Am runden Tisch seien «fundamentale Fehler» gemacht und Entscheide gefällt worden, die auf einer unpräzisen, oberflächlichen Analyse beruhten. Aus den Dokumenten geht hervor, dass neue Stauseen, Erhöhungen von Staumauern und diverse neue Flusskraftwerke evaluiert werden, im Wallis und im Bündnerland, zudem in den Kantonen Bern und Freiburg. Diese Projekte sollen zum Zug kommen, falls ein Teil der favorisierten 15 Projekte nicht realisiert werden könne.

Das Trift-Projekt, das auf der Liste der favorisierten Anlagen aufgeführt ist, bleibt im Fokus. Die Geografin und Botaniker Mary Leibundgut zeigt in einem Bericht auf, dass es sich beim 500 Fussballfelder grossen Gletschervorfeld im Gadmertal um ein ökologisch und landschaftlich wertvolles Auengebiet handelt. Im Tages-Anzeiger (paywall) fordert sie, dass es der Bund ins nationale Aueninventar aufnehmen und entsprechend schützen müsse. Der neue Chef der BKW hält hingegen am Projekt fest und will den Bau der Staumauer beschleunigen, sagte er der Berner Zeitung.

Auch die bestehenden Stauseen beschäftigen Fachleute. Der Grund ist die Verlandung: Die Bäche, welche das Wasser zuführen, bringen auch Sand und Kies mit, die sich ablagern. Laut einer in «Sustainability» erschienen Studie haben die europäischen Speicherseen bereits knapp ein Fünftel an Volumen durch Ablagerungen verloren. In der Schweiz betragen die Verluste sogar einen Viertel. Mehr dazu im Tages-Anzeiger.

Mehr Schub für die Windenergie?

Die Umweltkommission des Nationalrats will den Ausbau der Windenergie vorantreiben – analog zur Solaroffensive, die das Parlament im Herbst 2022 verabschiedete. Für Windanlagen, die im nationalen Interesse sind und deren Planung bereits fortgeschritten ist, sollen künftig die Kantone die Baubewilligung erteilen und nicht mehr wie heute die Standortgemeinden. Und Entscheide könnten nur noch dann ans Bundesgericht weitergezogen werden, wenn sich eine Rechtsfrage von «grundsätzlicher Bedeutung» stellt. Dieses beschleunigte Verfahren würde gelten, bis zusätzliche Windenergie von 1 Terawattstunde (TWh) jährlich am Netz ist (derzeit produzieren Windanlagen in der Schweiz 0,15 TWh). Bereits in der Frühjahrssession soll der Vorstoss von beiden Räten verabschiedet werden. Der Wirtschaftsverband swisscleantech begrüsst diesen Entscheid. Alain Griffel, Professor für Staats- und Verwaltungsrecht an der Universität Zürich, hält diesen indessen für verfassungswidrig, da er die Autonomie der Kantone einschränke. Mehr dazu im Tages-Anzeiger und in der NZZ (paywall).

Die GLP macht sich für einen raschen Ausbau der Windenergie stark, wie ein im Januar publiziertes Positionspapier zur Windkraft zeigt. Um die Akzeptanz der Anlagen zu verbessern, schlägt sie vor, Bürger:innen an den Windanlagen zu beteiligen. Unabhängig von solchen Modellen: Im Kanton Zürich befürwortet eine Mehrheit den Ausbau der Windenergie. In einer repräsentativen Umfrage der NZZ (paywall) und des Forschungsinstituts GfS Bern sind zwei Drittel der Befragten mit den Plänen der Kantonsregierung einverstanden, die Windkraft deutlich auszubauen. Sowohl die städtische wie die ländliche Bevölkerung sind gegenüber der Technik positiv eingestellt. Das gleiche Resultat zeigt auch eine Umfrage des Tages-Anzeigers (paywall).

Der Stromkonzern Axpo, der sich bisher vor allem an Anlagen im Ausland beteiligt hat, will nun auch in der Schweiz Windanlagen bauen. Gemäss der NZZ am Sonntag (paywall) arbeitet das Tochterunternehmen CKW an sechs Projekten in der Zentralschweiz. Im Aargau seien 20 Turbinen geplant. An beiden Standorten werden derzeit die Windverhältnisse analysiert.

Weshalb die Schweiz, trotz grossem Potenzial am Jurakamm, auf den grossen Alpenpässe und in einigen Alpentälern, bei der Windkraft gegenüber Nachbarländern im Rückstand ist, analysiert die NZZ (paywall). Hauptgrund seien die Einsprachen, welche Projekte um Jahre verzögerten. So dauerte es bei der Windanlage in Sainte-Croix im Waadtländer Jura 23 Jahre von der ersten Machbarkeitsstudie bis zur Bewilligung des Baugesuchs vor Bundesgericht im November 2022. Die lange Verfahrensdauer macht Projekte für Investoren unattraktiv. Zudem sind viele der Anlagen bis zur möglichen Realisierung bereits veraltet und damit weniger leistungsfähig.

2022 war das wärmste Jahr seit Messbeginn

Die Schweiz blickt auf das deutlich wärmste Jahr seit Messbeginn 1864 zurück. Die landesweite Jahrestemperatur betrug 7,4 °C, hat MeteoSchweiz ermittelt. Gegenüber dem Durchschnitt der Jahre 1991 bis 2020 war es 1,6 °C wärmer, gegenüber den Temperaturen zwischen 1960 und 1980 sogar um 3 °C. Die sieben wärmsten Jahre seit Messbeginn wurden alle nach 2010 registriert. Das letzte Jahr war auch überdurchschnittlich sonnig: Drei der vier Messstandorte mit über 120-jährigen Datenreihen − Genf, Basel und Zürich − registrierten das sonnigste Jahr seit Messbeginn. Im Frühling und Sommer fiel zudem in der ganzen Schweiz zu wenig Niederschlag, auf der Alpensüdseite war es in allen vier Jahreszeiten zu trocken.

Das heisse Klima verändert die Insektenfauna

Insekten in der Schweiz reagieren unterschiedlich auf den Klimawandel. In den letzten 40 Jahren verloren spezialisierte, kälteliebende Arten aus den Voralpen und Alpen an Boden. Hingegen konnten wärmeliebende Arten aus dem Tiefland ihre Verbreitungsgebiete erhalten oder ausweiten, das zeigt eine in «Nature Communications» veröffentlichte Studie. Die Forscher:innen warnen davor, dass durch den Klimawandel seltene Arten noch seltener werden und bereits verbreitete Arten weiter zunehmen. Die Studie wertete 1,5 Millionen Meldungen aus, die insektenkundige Laien und Fachleute seit 1980 zum Vorkommen von Tagfaltern, Heuschrecken und Libellen schweizweit erhoben haben. Wenn zum Klimawandel gleichzeitig das Land intensiver genützt werde – etwa bei zunehmender Trockenheit und stärkerer Bewirtschaftung von Grünland -, so könne sich dies besonders negativ auf Insekten auszuwirken. Mehr dazu bei Agroscope.

Die Nationalbank soll Verantwortung für Klimaschutz übernehmen

Der Aufruf der Klima-Allianz, Aktien der Schweizerischen Nationalbank zu kaufen, hat Wirkung gezeigt. Wie das Online-Magazin Watson berichtet, haben 170 Mitglieder des Bündnisses Aktien im Wert von insgesamt 800’000 Franken erworben. Damit sind sie berechtigt, Anträge an der Generalversammlung der SNB einzureichen. Von diesem Recht machen sie Gebrauch: An der GV von Ende April verlangt die Klima-Allianz, dass die SNB einen Transitionsplan aufstellt. Damit soll das Devisenportfolio in Einklang mit den Zielen des Pariser Klimaabkommens und des Übereinkommens über die biologische Vielfalt gebracht werden. Auch eine Erhöhung des Eigenkapitals wird gefordert, um die Risiken der Investitionen in Öl-, Gas- und Kohleunternehmen abzudecken.

Wie viel soll die Schweiz an die Klimakrise in den ärmsten Staaten zahlen?

Ab 2020 müssten die Industriestaaten den Entwicklungs- und Schwellenländern jährlich 100 Milliarden Dollar für den Kampf gegen die Klimakrise zur Verfügung stellen. Das hatte die Weltgemeinschaft 2010 beschlossen, wobei es sich um neue, zusätzliche Gelder handeln muss. Der Bundesrat will, dass die Schweiz 450 bis 600 Millionen Dollar zum globalen Finanzierungsziel beitragen soll. Für die in der Alliance Sud zusammengeschlossenen NGOs ist dieser Betrag deutlich zu gering. Unter Berücksichtigung der im Ausland anfallenden Emissionen der Schweiz liege der faire Beitrag der Schweiz bei 1 Milliarde Dollar. Weiter kritisieren die NGOs, dass der Bund Gelder aus dem bestehenden Budget der internationalen Zusammenarbeit für die Klimafinanzierung anrechnet. Zudem stelle die Schweiz einen Grossteil der Mittel nicht über den vorgesehenen Klimafonds zur Verfügung, sondern über die Weltbank und andere Entwicklungsbanken.

Klimalabor der Republik: Klimajournalismus neu erfinden

Das Onlinemagazin Republik will zusammen mit ihren Leser:innen herausfinden, wie Journalismus seiner Rolle in der Klimakrise besser gerecht werden kann. Dazu wurde im Januar das Klimalabor lanciert. Bis im Sommer soll im Austausch mit möglichst unterschiedlichen Menschen ein Format entwickelt werden, das mehr Menschen erreicht als bisher, das trotz düsterer Aussichten nach vorn blickt und nützlich ist. Im Interview bei persoenlich.com erklärt Initiant Elia Blülle Ziele und Hintergrund des Labors.

Klimarelevante Entscheide von Bund und Kantonen

Mit der im Januar publizierten «Wärmestrategie 2050» zeigt das Bundesamt für Energie auf, wie die Wärmeversorgung der Schweiz bis 2050 CO2-neutral werden kann. Heute macht der Wärmebereich rund die Hälfte des Energieverbrauchs der Schweiz aus, und er verursacht mehr als einen Drittel der CO2-Emissionen. Um das Klimaziel zu erreichen, braucht es neben der Umstellung von fossilen auf erneuerbare Energieträger auch einen Senkung des Verbrauchs. Bis 2050 soll dieser 30% tiefer liegen als im Jahr 2020.

Der Regierungsrat des Kantons Wallis will, dass der Kanton ab 2040 netto keine Treibhausgase mehr ausstösst. Um die erforderlichen Massnahmen zu finanzieren, sind im kantonalen Klimagesetz jährliche Investitionen von 70 Millionen Franken vorgesehen, zudem soll ein Klimafonds geschaffen werden. Der Vorschlag des Regierungsrats geht nun ans Kantonsparlament. Mehr zu auf srf.ch.

Der Zürcher Kantonsrat will die ZKB zu mehr Klimaschutz verpflichten. Die Kantonalbank soll ihr Handeln künftig auf Treibhausgasneutralität ausrichten und energetische Gebäudesanierungen unterstützen. Der definitive Entscheid darüber fällt der Kantonsrat Ende Februar. Mehr dazu in der Aargauer Zeitung.

Internationale Klimapolitik

Öl-Chef wird Präsident der nächsten Klimaverhandlungen

Die nächste internationale Klimakonferenz (COP 28) wird im November 2023 in Dubai stattfinden. Die Vereinigten Arabischen Emirate werden die Präsidentschaft innehaben. Die Rolle der Präsidentschaft ist wichtig, denn im Vorfeld der Verhandlungen werden viele bilaterale Verhandlungen geführt. Die Präsidentschaft prägt die Auswahl und Gewichtung der Themen der Konferenz. Nun haben die Emirate mit Sultan Al-Jaber eine umstrittene Person als Präsidenten ernannt. Al-Jaber leitet die staatliche Abu Dhabi National Oil Company, das zwölftgrösste Erdölunternehmen der Welt. Seit über einem Jahrzehnt ist er eine Schlüsselfigur in der nationalen Klima- und Energiepolitik. Al Jaber setzt sich zwar auch für erneuerbare Energien ein, sagte aber Ende 2021 noch: «Erneuerbare Energien sind das am schnellsten wachsende Segment des Energiemixes, aber Öl und Gas sind nach wie vor die wichtigsten Energieträger und werden es auch in den nächsten Jahrzehnten bleiben. Die Zukunft ist sauber, aber sie ist noch nicht da. Wir müssen mit Pragmatismus Fortschritte machen.» Bereits an der letzten COP in Ägypten hat die Lobby der fossilen Industrie grossen Einfluss auf die Verhandlungen gehabt. Mehr dazu bei Climate News.

Ein Drittel der Erde soll unter Schutz gestellt werden

An der 15. UNO-Artenschutzkonferenz wurde im Dezember Grosses beschlossen: Bis 2030 sollen fast 30% der Erde unter Schutz gestellt werden. Zum Vergleich: In der Schweiz stehen derzeit je nach zählweise nur 6-14 Prozent der Fläche unter Schutz.

Der Kongo und ein paar andere afrikanische Staaten hatten sich gegen das Abkommen gestellt. Sie forderten einen neuen Fonds und mehr finanzielle Unterstützung für den Artenschutz. Trotz der Opposition erklärte der chinesische Konferenzpräsident das neue Abkommen (ohne neuen Fonds) für angenommen.

Das Abkommen verpflichtet Regierungen, bis 2030 fast ein Drittel der Erde für die Natur zu erhalten, neue Schutzgebiete zu schaffen und dabei indigene und traditionelle Territorien zu respektieren. Studien haben gezeigt, dass indigene Völker die besten Biodiversitätshüter:innen sind. Sie stellen 5% der Weltbevölkerung dar, schützen aber 80% der biologischen Vielfalt der Erde. Das Abkommen unterstreicht die Bedeutung eines wirksamen Naturschutzmanagements. So lässt sich sicherstellen, dass Feuchtgebiete, Regenwälder, Grasland und Korallenriffe nicht nur auf dem Papier, sondern auch tatsächlich geschützt werden.

Jedes Jahr geben Länder mindestens 1,8 Billionen Dollar für staatliche Subventionen aus, die das Artensterben und die Klimakrise beschleunigen. Die Regierungen haben sich im neuen Abkommen darauf geeinigt, dass solche Subventionen abgebaut werden müssen. Zudem stimmten sie einer abgeschwächten Formulierung zu, die sicherstellen soll, dass grosse und internationale Unternehmen «ihre Risiken, Abhängigkeiten und Auswirkungen auf die biologische Vielfalt» offenlegen.

Übrigens ist die USA, neben dem Vatikan, die einzige Nation, die nicht Mitglied des Artenschutzabkommens ist. Bill Clinton hatte das Abkommen zwar 1993 unterzeichnet, aber der Senat ratifizierte es nie. Mehr über das Abkommen im Guardian hier und hier und im Klimareporter. Das Abkommen findet sich hier.

CO2-Zertifikate meist wertlos

Eine ganze Serie von Artikeln in verschiedenen Zeitungen beleuchtet den CO2-Markt und zeigt auf, dass die Treibhausgas Reduktionen bei Waldprojekten oft um ein Vielfaches aufgeblasen werden, um möglichst viele Zertifikate verkaufen zu können. In der Kritik stehen dabei nicht nur Firmen wie die Schweizer South Pole, die solche Zertifikate verkaufen, sondern auch die Organisation Verra, welche die Regeln für Klimaprojekte für den Freiwilligenmarkt festlegt. Drei Viertel aller Zertifikate, die auf den Freiwilligenmarkt kommen, werden von Verra ausgestellt. Die Organisation hat die Aufsicht über verschiedenste Projekttypen, von Solaranlagen bis Energieeffizienzmassnahmen. 40% der Zertifikate stammen von Projekten, die bestehende Wälder schützen wollen.

Ein weltweites Forschungsteam hat 29 der 87 Waldschutzprojekte untersucht, die aktuell von Verra zertifiziert sind. Die Auswertung legt nahe, dass über 90% aller Zertifikate daraus wertlos sind. Es wurden 89 Millionen Zertifikate an Unternehmen wie Shell, Gucci, Disney und Boeing verkauft, die so ihre Klimabilanz aufpolieren konnten, ohne dass Emissionen tatsächlich vermieden wurden. Da nur ein Drittel der von Verra zertifizierten Projekte untersucht wurde, dürfte das wahre Ausmass der fürs Klima wertlosen Zertifikate noch deutlich höher liegen. Mehr im Guardian hier und hier und der Zeit (paywall).

Es wird viel Geld gemacht mit solchen Zertifikaten. Shell soll 450 Millionen USD für solche Zertifikate ausgegeben haben. Die Financial Times (paywall) zeigt, wie der Verkäufer South Pole Qualitätsprobleme nach wie vor vertuscht, und schätzt den Wert der Firma South Pole auf eine Milliarde USD.

Ein internationales Forschungsteam der Carbon Credit Quality Initiative zeigt auf, dass nicht nur die Zertifikate von Waldprojekten problematisch sind, sondern dass zahlreiche Projekttypen Zertifikate generieren, die nicht die Emissionsreduktionen erzielt haben, die sie ausweisen.

Eine Recherche der Zeit zeigt zudem auf, wie einfach es für eine Firma ist, sich bei der Schweizer Organisation myclimate als klimaneutral zertifizieren zu lassen. Es ist zwar nicht billig, doch die Zertifikate machen dabei nur den kleinsten Teil der Kosten für eine solche Zertifizierung aus. Der grösste Teil nimmt myclimate für – im beschriebenen Fall rudimentäre – Beratungsdienste ein.

Klima-Ungerechtigkeit innerhalb der Länder riesig

Der Unterschied zwischen den CO2-Emissionen der Reichen und der Armen innerhalb der Länder ist inzwischen grösser als die Emissionsunterschiede zwischen den Ländern, wie eine neue Studie zeigt.

Der Grossteil der globalen Klimapolitik konzentriert sich auf den Unterschied zwischen Industrie- und Entwicklungsländern und ihre aktuelle und historische Verantwortung für die Treibhausgasemissionen. Immer mehr Arbeiten deuten jedoch darauf hin, dass die Emissionen einer «Verschmutzungselite» die der Armen bei weitem überwiegt.

Die Autoren schlagen vor, Steuern auf Gewinnüberschüsse zu erheben, um Klimaschutz zu finanzieren. Zudem sollte eine progressive Besteuerung in Ländern eingeführt werden, die reiche Bürger und Unternehmen zu niedrig besteuern, auch in Entwicklungsländern.

Der Bericht betont zudem, dass es für die Ärmsten der Welt genügend Spielraum gäbe, ihre Treibhausgasemissionen zu erhöhen, um ihre Armut zu überwinden, wenn reiche Menschen weltweit ihre Emissionen reduzierten. Mehr im Guardian und im Climate Inequality Report 2023.

Wälder speichern jährlich 2 Milliarden Tonnen CO2 – bei weitem nicht genug

Ein neuer Bericht zeigt, dass Wälder weltweit etwa zwei Milliarden Tonnen CO2 aus der Atmosphäre entfernen. Trotz steigender Investitionen in neue CSS-Technologien wie die «direkte Luftabscheidung» speichern diese nur gerade 0.01% so viel. Um die Pariser Klimaziele zu erreichen, genügt die Leistung der Wälder aber selbst dann nicht, wenn die Länder ihre Reduktionsziele einhalten. Laut der Studie müssten es bis 2030 jährlich 3 Milliarden und bis 2050 fast 5 Milliarden Tonnen sein. Mehr bei Nature und Reuters.

Erneuerbare Energien werden Kohle 2025 überholen

Die Strommenge aus erneuerbaren Energien wird sich bis 2027 weltweit verdoppeln. In den nächsten fünf Jahren wird so viel zusätzlicher Strom aus erneuerbaren Energien produziert wie in den vergangenen zwei Jahrzehnten zusammen, so die Internationale Energieagentur (IEA) in ihrem neuen Bericht. Die letztjährige Prognose für das Wachstum der erneuerbaren Energien wurde vom IEA um 30% nach oben korrigiert, nachdem einige der weltweit grössten Emittenten wie die EU, die USA und China neue Massnahmen eingeführt haben.

Gemäss dem Bericht werden erneuerbare Energien bis Anfang 2025 die Kohle als grösste Stromerzeugungsquelle ablösen. Das sei zu einem grossen Teil auf die globale Energiekrise im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine zurückzuführen. Die neuen Kapazitäten für fossile Energie, die gebaut wurden, um russisches Gas zu ersetzen, werden sich wohl nur kurzfristig auswirken, heisst es im Bericht. Mehr dazu bei Carbon Brief und der NY Times (paywall).

Die IEA berichtet zudem in einer weiteren Analyse, dass Wärmepumpen bis 2030 ein Fünftel des weltweiten Heizbedarfs decken werden, wenn die Länder ihre Pläne umsetzen. Wärmepumpen werden sich als «die zentrale Technologie für den globalen Übergang zu einer sicheren und nachhaltigen Heizung» entwickeln. Mehr dazu bei Carbon Brief.

Banken investieren trotz Netto-null-Versprechen in fossile Energie

Banken und Finanzinstitute, die Netto-Null-Verpflichtungen unterschrieben haben, investieren immer noch in grossem Umfang in fossile Energie. Die Initiative Glasgow Financial Alliance for Net Zero (GFANZ) wurde 2021 als eine der wichtigsten Erfolge am UN-Klimagipfels Cop 26 in Glasgow gefeiert. 450 Organisationen in 45 Ländern mit einem Vermögen von mehr als 130 Mrd. Dollar sind der GFANZ-Initiative beigetreten und haben sich ein Netto-Null Ziel gesetzt. Nun zeigt eine Analyse von Reclaim Finance, dass viele dieser Banken seither Hunderte von Milliarden in fossile Energieträger investiert haben. Mindestens 56 der grössten Banken in der Net-Zero Banking Alliance Grouping (NZBA) haben zahlreiche fossile Unternehmen mit Darlehen und Übernahmevereinbarungen im Wert von 270 Milliarden Dollar unterstützt. Mehr im Guardian.

Exxon wusste alles

Bereits 1977 warnte ein Klimawissenschaftler, der für Exxon arbeitete, den Vorstand des Öl-Konzerns, dass die Verbrennung fossiler Brennstoffe das globale Klima beeinflusse. Ein Jahr später wies er darauf hin, dass eine Verdopplung des atmosphärischen CO2-Gehalts die globale Durchschnittstemperatur um zwei bis drei Grad erhöhen werde. Exxon reagierte mit einer grossen Desinformationskampagne. Die Wissenschaftshistorikerin Naomi Oreskes untersuchte die Klimawandel-Kommunikation von Exxon zwischen 1977 und 2014. Sie kommt zum Ergebnis, dass 81% der von Exxon Mobil bezahlten Advertorials – redaktionell aufgemachte Anzeigen in Zeitungen – Zweifel an der Existenz des Klimawandels und der Rolle von fossilen Brennstoffen säten.

Eine neue Studie hat die internen Prognosen des Ölkonzerns zwischen 1977 und 2003 systematisch ausgewertet. Sie zeigt, dass die wissenschaftlichen Voraussagen äusserst genau waren, in einigen Fällen sogar genauer als die damaligen staatlichen Studien. Selbst das verbleibende globale CO2-Budget, um die Erwärmung unter zwei Grad zu halten, wurde von Exxon-Mobil-Wissenschaftler:innen realistisch eingeschätzt. Gerade in diesem Punkt widersprachen die öffentlichen Erklärungen des Unternehmens klar den eigenen wissenschaftlichen Daten.

Die Autor:innen hoffen, mit ihren Erkenntnissen den laufenden und kommenden juristischen und politischen Prozessen gegen Exxon Mobil zusätzliches Gewicht zu verleihen. Mehr bei KlimareporterInside Climate NewsGuardian und der NY Times (paywall).

Europäische Klimapolitik

Reform des EU Emissionshandels

Wenige Tage vor Weihnachten einigten sich die EU-Mitgliedsstaaten sowie das Europäische Parlament auf einen Kompromiss zur Reformierung des europäischen Emissionshandelssystems (ETS).

Dabei sind folgende zentrale Inhalte reformiert worden: Erstens wurde das Reduktionsziel in den ETS-Sektoren (Stromsektor und energieintensive Industrie) von 43 Prozent auf 62 Prozent bis 2030 angehoben. Zweitens werden kostenlose Emissionszertifikate ab 2026 schrittweise bis 2034 abgeschafft. Drittens wird 2027 ein neuer und separater Emissionshandel für Emissionen aus dem Gebäude- und Strassenverkehrssektor eingeführt. Auf nationaler Ebene gibt es bisher schon vielzählige Mechanismen, die in den beiden Sektoren zu Emissionsminderungen führen sollen, etwa eine CO2-Steuer in Schweden oder einen Emissionshandel in Deutschland. Umweltverbände (etwa hier und hier) sehen zwar Fortschritt, kritisieren die Einigungen dennoch als nicht weitreichend genug. So seien die Zielvorgaben nicht hoch genug und das Ende der kostenlosen Zuteilung gehe nicht schnell genug.

Einführung des Klima-Sozialfond

Im Zuge der Schaffung eines neuen europäischen ETS für den Gebäude- und Verkehrssektor wurde gleichzeitig die Einführung des „Klima-Sozialfond“ (KSF) beschlossen, um vulnerable Bürger:innen bei steigenden Kosten unterstützen zu können. Der Fond wird bis 2026 eingerichtet und soll vorerst maximal 65 Milliarden Euro betragen. Die Gelder sollen einerseits teilweise direkt an die betroffenen Bürger:innen ausgezahlt werden. Andererseits können die Mitgliedsstaaten durch Gelder des Fonds etwa die Anschaffung klimafreundlicher Heizsysteme wie Wärmepumpen oder Sanierungsmassnahmen ermöglichen. Dabei sollen sie einer Kofinanzierung in Höhe von 25 Prozent obliegen. Mehr zum Beschluss zur Einführung des KSF hier sowie in dieser Infografik.

20 Milliarden für EU-Energiewende

Unterhändler der 27 EU-Mitgliedsstaaten einigten sich vorläufig auf einen Beschluss zum REPowerEU Programm. Dieses wurde im Mai 2022 vorgestellt als Reaktion auf den Krieg in der Ukraine und soll die Abhängigkeiten von russischen Energieimporten beenden. REPowerEU dient folgenden Zielen: Senkung des Energieverbrauchs, Erzeugung sauberer Energie sowie Diversifizierung der europäischen Energieversorgung. Die drei Ziele sollen durch die Umsetzung einer Vielzahl von Einzelmassnahmen erreicht werden.

Die Minister der Mitgliedsstaaten einigten sich im Dezember darauf, dass zur Umsetzung dieser Massnahmen zusätzliche 20 Mrd. Euro zur Verfügung gestellt werden sollen. Diese stammen zum Teil aus dem Coronahilfsfonds sowie aus den Einnahmen des Erlöses von Emissionszertifikaten aus der Reserve des ETS. Mehr dazu bei der NZZ und bei der EU.

Geld soll Bauern zu Klimaschützern machen

Die Europäische Kommission hat am 30. November 2022 einen Vorschlag für ein Zertifizierungskonzept zur Entnahme von CO2 aus der Luft vorgestellt, um das «Net Zero» Ziel bis 2050 zu erreichen. Es handelt sich hierbei um einen Zertifizierungsrahmen für zunächst freiwillige Initiativen. So auch in der Land- und Forstwirtschaft. Dadurch können neue Geschäftsmodelle für Landwirt:innen entstehen, wenn sie etwa CO2 in ihren Böden speichern. Durch die Initiative wird ein erstes Regelwerk zur Entnahme von CO2 geschaffen. Umweltorganisationen warnen jedoch vor Missbrauch und vor einem Abbremsen der tatsächlichen Emissionsreduktion. Noch im ersten Quartal 2023 soll eine Expertengruppe zusammentreten, um weitere Konzepte zur CO2-Entnahme zu entwickeln.

Schaffung eines CO2-Grenzausgleichssystems

Ein grösster Kritikpunkt an der Wirksamkeit des ETS war es seit jeher, dass die Industrie kostenlose Zuteilungen erhalten haben. Dies sind im Grunde genommen gratis Verschmutzungsrechte, für die die Industrien nicht zahlen müssen. Hauptargument dabei: Man wolle die europäische Industrie vor Wettbewerbsnachteilen auf internationalen Märkten schützen und dadurch Abwanderungen in das nicht-europäische Ausland verhindern. Dadurch sollte zudem eine Verlagerung der Emissionsentstehung vermieden werden. Allerdings wirkte diese Massnahme den Klimaschutzanstrengungen gewissermassen entgegen.

Damit die gratis Zuteilungen bis 2034 gänzlich abgeschafft werden können, ohne Wettbewerbsnachteile zu kreieren, soll daher ab 2026 schrittweise ein sogenannter CO2-Grenzausgleichsmechanismus (kurz: CBAM) für die betreffenden Sektoren eingeführt. Die EU-Institutionen einigten sich hierfür auf einen vorläufigen Kompromiss. Bei der Einfuhr bestimmter emissionsintensiver Waren, wie Düngemittel oder Stahl, aus Drittländern wird eine Abgabe, sozusagen ein CO2-Preis, auferlegt. Die Höhe der Abgaben richtet sich nach dem aktuellen ETS-Preis. Je mehr Emissionen die Produktion der Waren im Ausland verursachten, desto teurer wird der Import. So soll eine Verlagerung von klimaschädlichen Emissionen in Drittstaaten verhindert und auch ausserhalb der EU weitere Anreize zur Emissionsreduktion geschaffen werden. Mehr Infos bei Klimareporter, der EU und bei SRF.

UK bewilligt neue Kohleminen, Norwegen bremst Erdölsuche

Während im Herbst 2021 auf der COP 26 in Glasgow von Seiten der britischen Regierung für ein globalen Kohleausstieg geworben wurde, hat die neue britische Regierung unter Premier Rishi Sunak das erste Mal seit mehr als drei Jahrzehnten ein neues Kohlekraftwerk bewilligt, das in der Region Cumbria entstehen soll. Nur 15 Prozent der geförderten Kohle soll in den UK genutzt, 85 Prozent exportiert werden. Von Klimaschützern wird die britische Regierung stark kritisiert. Mehr dazu hier und hier.

Während im UK neue fossile Energie gefördert werden soll, gibt es auf der anderen Seite der Nordsee einen Gegentrend. Die norwegische Regierung hat die Suche nach neuen Erdöl- und Erdgasfeldern in der Barentssee durch die staatlich kontrollierte Energiegesellschaft Equinor zunächst um drei Jahre aufgeschoben. Umweltschützer bejubeln, dass die sogenannte «climate bomb» zunächst entschärft wurde. Die heimische Industrie hingegen sieht mit der Trendwende triste Zeiten auf sich zukommen. Mehr dazu hier.

Belgien und die Niederlande halten an Kernkraft fest

Im Zuge der Energiekrise ist die Debatte um den Atomausstieg in mehreren Ländern wieder voll entbrannt. Die Regierung in Brüssel verlängert die Laufzeiten zweier AKWs bis 2035, während der umstrittene Meiler Tihange 2 nahe der deutschen Grenze vom Netz gehen soll.

In den Niederlanden sollen bis 2035 sogar zwei neue Meiler gebaut werden. Danach sollen die beiden Kraftwerke 15 Prozent der niederländischen Stromnachfrage decken. Aktuell ist in den Niederlanden nur noch ein AKW am Netz, das 1973 erbaut wurde. Mit diesen Plänen will die Regierung ihre Atomflotte erneuern. Mehr dazu hier.

Extinktion Rebellion stoppt öffentliche Störungen

Die Aktivisten der Bewegung Extinction Rebellion in Grossbritannien wollen sich vorerst nicht mehr aus Protest gegen mangelnden Klimaschutz an Kunstwerken festkleben und Strassen blockieren. Das verkündete die Gruppe Anfang Jahres in ihrer Mitteilung „Wir hören auf“.

In den vergangenen Monaten hatten Klimaaktivistinnen und -aktivisten in mehreren Ländern immer wieder Kunstwerken mit Tomatensuppe und Kartoffelbrei beschmiert, Gebäude blockiert und sich auf Strassen festgeklebt. Befürworter sprechen von einer Schocktaktik, um das Bewusstsein für die Klimakatastrophe zu schärfen.

Extinction Rebellion erklärte, dass die in der Bevölkerung umstrittenen Störaktionen zwar wichtig gewesen seien, um aufzurütteln und systematisches Politikversagen im Angesicht der Klimakrise anzuprangern. Allerdings müssten „Taktiken laufend weiterentwickelt werden“. Fortan wolle man deshalb verstärkt Druck auf verantwortliche Politikerinnen und Politiker machen, indem die breite Masse der Gesellschaft für Formen des kollektiven Protests mobilisiert wird. „Das Zusammenwirken verschiedener Krisen bietet eine einmalige Gelegenheit, um zu mobilisieren und traditionelle Gräben zu überwinden“, heisst es in der Stellungnahme. Mehr dazu in der TAZNZZ (paywall) und im Guardian.

Deutschland

„Wir entlasten Deutschland“: Einführung der Strom- und Gaspreisbremse

Deutschland war eines der Länder in Europa, die vor dem Ukrainekrieg am meisten von fossilen russischen Energieimporten wie Kohle, Öl und Erdgas abhängig waren. Nicht nur der Ersatz fossiler Energieträger aus Russland, sondern auch den explosionsartig gestiegenen Kosten bei Erdgas und Strom galt es entgegenzuwirken. Zahlreiche Massnahmen wurden im Laufe des vergangenen Jahres eingeführt, um Bürger:innen und Industrie zu entlasten: Spritpreisbremse, Energiekostenzuschüsse, Heizkostenzuschuss – um nur einige zu nennen. Wenige Tage vor Weihnachten beschloss der Bundestag nach langen Debatten die sogenannten Preisbremsen bei Strom- und Erdgas.

Für Bürger:innen, KMUs sowie Vereine wird der Gaspreis auf 12 Cent, der Preis für Fernwärme auf 9,5 Cent und der Strompreis auf 40 Cent die Kilowattstunde gedeckelt. Das gilt für 80 Prozent des Verbrauchs. Die übrigen 20 Prozent werden zu marktüblichen Preisen bezahlt. So soll den Verbraucher:innen eine gewisse Preisstabilität zugesichert werden, während weiterhin ein Anreiz zum Sparen gesetzt wird. Die Umsetzung erfolgt automatisch über den Energieversorger. Mehr Infos hier. Die Regelungen für die Industrie und grössere Unternehmen weichen ab. Mehr dazu hier.

Kritiker:innen werfen der Bundesregierung vor, weiter mit dem Giesskannenprinzip Gelder zu verteilen. Es werde nicht darauf geschaut, welche Einkommensgruppen entlastet werden. So profitieren auch Spitzenverdiener:innen, während der Spareffekt bei Geringverdienenden ohnehin eher gering ausfallen dürfte. Darüber hinaus handle es sich um eine Subvention, die klimaschädliches Verhalten belohne. Langfristig helfe nur der Ausbau der Erneuerbaren Energien wie Wind und Sonne, um sich aus den Abhängigkeiten von fossilen Energien befreien zu können. Mehr dazu hier.

Währenddessen wurde auch auf EU-Ebene nach monatelangem Ringen eine Einigung zur Einführung eines Gaspreisdeckels beschlossen. Mehr Informationen etwa hier. Seitens deutscher Industrieverbände gab es deutliche Kritik am Beschluss.

Deutschlands erste Flüssiggasterminals

Im Frühsommer 2022 wurde das LNG-Beschleunigungsgesetz vom deutschen Bundestag beschlossen. Damit Deutschland schleunigst die fehlenden Erdgasimporte aus Russland ausgleichen kann, sollen an Nord- und Ostsee LNG-Terminals entstehen. Dafür wurden Zulassungs- und Vergabeverfahren beschleunigt. Auch Umweltschutz- und Beteiligungsstandards wurden aufgeweicht. Die ersten Terminals sind seit Dezember 2022 in Betrieb: in Wilhelmshaven, Lubmin und Brunsbüttel. Weitere Terminals sollen folgen. Kritische Stimmen werfen der Bundesregierung vor, Umweltschutzstandards zu missachten, Überkapazitäten zu schaffen, sowie sich in neue fossile Abhängigkeiten über die nächsten zwei Jahrzehnten zu begeben. Umweltverbände haben Klage eingereicht. Die fatale Klimawirkung von Flüssiggas, bei dem es sich etwa um Fracking-Gas aus den USA handelt, wird stark kritisiert. LNG ist in etwa so klimaschädlich wir Steinkohle. Während Öl und Gas aus Russland sanktioniert wird, kann russisches LNG weiterhin in die EU importiert werden. Mit einem Anteil von 16 Prozent an den Importen zwischen Januar und November vergangenen Jahres liegt Russland nach den USA mit einem Anteil von 44 Prozent auf Platz 2. Mehr dazu hier.

Lützerath: ein guter Deal für den Klimaschutz?

Mitte Januar gingen Bilder um die Welt, wie Klimaaktivistin Greta Thunberg von der deutschen Polizei abgeführt wurde. Die Augen der Weltpresse blickten auf das kleine Dorf Lützerath nahe des Tagebaus Garzweiler in Nordrhein-Westfalen und die massiven Proteste gegen den dortigen Kohleabbau.

Deutschland will 2038 aus der Kohle aussteigen. Zu spät, so Klimaschützer:innen und Teile der Politik. Deswegen handelten im Oktober 2022 die Bundes- sowie NRW-Landesregierung mit dem Energiekonzern RWE einen Deal aus. Ergebnis: Im Rheinischen Revier, eins der drei verbliebenen grossen Kohlereviere in Deutschland, wird der Kohleausstieg schon 2030 vollzogen. Acht Jahre früher als geplant. Die Bundesregierung feierte diesen Beschluss als einen „Meilenstein für den Klimaschutz“. 280 Millionen Tonnen klimaschädliche Emissionen würden eingespart, Dörfer vor dem Abriss verschont sowie die Energieversorgung gesichert werden. Das Dorf Lützerath hingegeben wurde vom Deal nicht verschont und wird abgebaggert, sodass die Kohle unterhalb des Dorfes genutzt werden kann. Die Klimabewegung rund um Fridays for Future, der Initiative „Alle Dörfer bleiben“ sowie verschiedenen Umweltorganisationen protestierten dennoch gegen diesen Beschluss. Das deutsche Klimaziel und letztlich das 1,5°C-Limit sei so in Gefahr. Wirtschaftliche Faktoren, etwa steigende Preise fossiler Importe oder steigende Preise im ETS würden ohnehin einen marktgetriebenen Kohleausstieg um das Jahr 2030 wahrscheinlich machen. Die Studienlage untermauern diese Argumente.

Obwohl das Dorf bereits verlassen war, gingen 35.000 Demonstrant:innen am 14. Januar für den Erhalt von Lützerath auf die Strasse. Der Abriss des Dorfes ging in den Tagen vor der Demonstration los und wurde bereits einige Tage später abgeschlossen. Mehr zur Geschichte des Dorfes hier. Mehr zu dem angesprochenen RWE-Deal und die Kritik von einer Reihe von Umwelt-NGOs hier und hier. Wenige Tage nach der Räumung ist bekannt geworden, dass der Energiekonzern RWE mit einer Reserve von 50 Millionen Tonnen Kohle plant, die nach 2030 noch verfeuert werden könnten. RWE ist der grösste CO2-Emittent Europas.

Die sichtbare Klimakrise

Die letzten acht Jahre waren die wärmsten seit Messbeginn

Die Abweichung der Temperatur 2022 im Vergleich zum Durchschnitt der Jahre 1981-2010 (© Copernicus)

Die acht wärmsten Jahre seit Beginn der Aufzeichnungen wurden alle seit 2014 verzeichnet, wie die europäische Klimaagentur Copernicus aufzeigt. 2022 war das fünfheisseste Jahr, wobei die Temperatur um 1,2 °C über dem Durchschnitt der Jahre 1850 bis 1900 lag. Besonders heiss war es in Europa, wo das zweitwärmste Jahr seit Messbeginn registriert wurde. Die ungewöhnliche Wärme im Frühling und Sommer zusammen mit geringen Niederschlägen führte vor allem im südlichen und mittleren Europa zu Dürre. Auch in der Arktis, der Antarktis und in den Tropen wurden ungewöhnlich hohe Temperaturen gemessen.

Die Ozeane haben sich 2022 ebenfalls stark aufgeheizt: Forscher:innen massen die höchsten Temperaturen in der Geschichte. Für die Studie wurde der Wärmegehalt der oberen 2000 Meter ermittelt; hier findet der grösste Teil der Erwärmung statt. Gesamthaft werden 90% der globalen Erwärmung von Ozeanen absorbiert. Die Wasserschichtung und der Energie- und Wasserkreislauf der Erde seien tiefgreifend verändert worden, erklären die Autor:innen der Studie. Dies habe bereits zu gravierenden Veränderungen im Klimasystem der Erde geführt. Mehr dazu im Guardian und Insight Climate News.

Eine Studie des britischen Wetterdienstes zeigt auf, dass der Klimawandel die Rekordhitze, welche Grossbritannien im Sommer 2022 im Griff hatte, 160 Mal wahrscheinlicher gemacht hat. Ohne die globale Erwärmung wären Temperaturen über den gemessenen 40 Grad, nur einmal in fünf Jahrhunderten zu erwarten, schreibt der Guardian.

Die Hitzerekorde in 2022 gab es trotz La Niña – einem natürlichen Klimaphänomen, das kühlend auf das Weltklima wirkt. Im laufenden Jahr rechnen Forscher:innen damit, dass sich durch El Niño, die warme Phase, die extremen Wetterbedingungen rund um den Globus verschärfen werden. Es sei wahrscheinlich, dass die globale Erwärmung 1,5 Grad überschreiten werde. Mehr dazu hier und hier im Guardian.

Gletscher schmelzen schneller

Bis im Jahr 2100 werden in Mitteleuropa die Gletscher fast vollständig abgeschmolzen sein. Zu diesem Schluss kommt eine in Science veröffentlichte Studie, unter der Annahme, dass die Staaten ihre derzeitigen Klimazielen einhalten und die globale Durchschnittstemperatur in der Folge um 2,7 °C steigt. Selbst wenn es gelingt, die Klimaerwärmung auf 1,5 °C zu begrenzen, schmelzen laut der Studie 60% der mitteleuropäischen Gletscher. Mit einem ambitionierten Klimaschutz bleiben in polaren Regionen bis 2100 drei Viertel der Gletschermasse erhalten. Für die Untersuchung wertete das Forschungsteam Daten aller 215’000 Gletscher weltweit aus. Mehr im Tages-Anzeiger und bei Carbon Brief.

In Grönland schmelzen die Gletscher 100 Mal schneller als bisher berechnet. Für die in Geophysical Research Letters publizierte Studie wurde ein Modell verwendet, das die einzigartige Wechselwirkung zwischen Eis und Wasser in den Fjorden der Insel berücksichtigt.

Das Risiko steigt, dass Klima-Kipppunkte bald erreicht werden

Die OECD warnt in ihrem Bericht «Climate Tipping Points» davor, dass das Erreichen wichtiger Klima-Kipppunkte bereits bei der derzeitigen Erwärmung möglich wird. Innerhalb der Pariser Klimaziele von 1,5 bis 2°C Erwärmung ist es wahrscheinlich, dass Kipppunkte erreicht würden. Dies kann zu irreversiblen und schwerwiegenden Veränderungen im Klimasystem führen. Im Vordergrund stehen dabei der Kollaps der Eisschilde in der Westantarktis und Grönland sowie das abrupte Auftauen der Permafrostböden in der Arktis, was zu einem zusätzlichen Anstieg des Meeresspiegels und der Freisetzung von Treibhausgasen führen würde. Die Autor:innen des Bericht kritisieren, dass Kipppunkte in der heutigen Klimapolitik vernachlässigt würden.

Warum es sich lohnt, sich fürs Klima einzusetzen

In der Republik erklärt Rebecca Solnit, weshalb wir kein Recht haben, vor der Klimakrise zu kapitulieren. Die Autorin, Historikerin und Co-Gründerin des Klima-Bildungs­projekts Not Too Late weist darauf hin, dass es sich Menschen, die gegen Flut und Feuer kämpfen, nicht leisten könnten, die Hoffnung zu verlieren. Der Text erschien im Oktober 2022 bei The New Statesman unter dem «Why Climate Despair Is a Luxury».