Editorial
In dieser Ausgabe berichten wir, wie der Bund beim Klimaschutz bremst und wie es weitergeht nach dem Ja zum Stromgesetz. Wir geben eine Übersicht zur Faktenlage der Biodiversitätsinitiative und berichten über irreführende Zahlen zum Nutzen neuer Autobahnen.
Reiche Länder bewilligen nach wie vor zahlreiche neue Öl- und Gasförderlizenzen. Geheimtribunale greifen immer häufiger in die Klimapolitik von Ländern ein und erzwingen Schandensersatzzahlungen an fossile Unternehmen. Der oberste Gerichtshof der USA hebelt Umweltgesetze aus, das wird auch eine neue demokratische Regierung unter Harris/Walz zu spüren bekommen, obwohl sie sich dezidiert für mehr Klimaschutz einsetzen wollen.
Die Auswirkungen der Klimakrise sind auf der ganzen Welt immer heftiger zu spüren. Wir berichten über den tödlichen Hitzesommer, die vielen Waldbrände und Überschwemmungen. Wir könnten jeweils die ganze Klima-Zeitung mit Nachrichten zu Extremereignissen und «Naturkatastrophen» füllen. Es ist wichtig, dass wir uns die gewaltigen Auswirkungen, die unsere Gesellschaft, unsere Wirtschaft und unser Lebensstil verursachen, vor Augen führen. Immer wieder. Doch zuviel davon führt zu Gefühlen der Machtlosigkeit. Wir versuchen in der Klima-Zeitung ein Mittelweg zu finden und geben am Schluss wie immer Tipps gegen die Hoffnungslosigkeit.
Schweiz
Verheerende Unwetter und der Einfluss des Klimawandels
Starkniederschläge im Mai und Anfang Juni führten vom Vierwaldstättersee bis zum Bodensee sowie dem Rhein entlang zu Überschwemmungen. Besonders heftige Niederschläge trafen am 21. Juni das Misox und lösten einen Murgang aus (mehr dazu im Tages-Anzeiger und der NZZ). Auch im Wallis kam es zu Überschwemmungen, wozu neben dem starken Regen auch die Schneeschmelze beitrug; unmittelbar zuvor hatten hochsommerliche Temperaturen geherrscht (mehr dazu bei MeteoSchweiz und auf SRF). Ende Juni trafen extreme Niederschläge das Maggiatal (mehr dazu im Blick und in der NZZ) und erneut das Wallis (NZZ und Blick).
Mindestens zehn Personen verloren bei den Unwettern im Juni ihr Leben. Häuser und Strassen wurden zerstört, es entstanden Schäden von bis zu 200 Millionen Franken. Im Fokus der anschliessenden Medienberichte stand zunächst die Frage, ob angesichts der Gefahren einzelne Alpentäler aufgegeben werden sollen und welche weiteren Schutzmassnahmen erforderlich sind, im Tages-Anzeiger (paywall), in der Sonntags-Zeitung (paywall), hier und hier in der NZZ, auf SRF und in der Wochenzeitung.
Auch die Frage nach dem Einfluss des Klimawandels sorgte für Diskussionen. Was auffällt: Die Zunahme von extremen Niederschlägen und Erdrutschen deckt sich mit den Klimaszenarien von MeteoSchweiz. Gemäss den im Auftrag des Bundes erstellten Prognosen werden Starkniederschläge als Folge der Klimaerwärmung häufiger und intensiver. Ein wesentlicher Grund dafür ist, dass wärmere Luft mehr Wasser aufnehmen kann. Die NZZ berichtet über eine Studie, wonach seit 1981 die sommerlichen Regenmengen, die innerhalb von zehn Minuten respekive drei Stunden gemessen werden, deutlich intensiver geworden sind. Auf SRF, in der Südostschweiz (paywall) und im Blick ordnen Fachleute die Ereignisse ein.
In der Aargauer Zeitung ist zu lesen, weshalb angesichts der drohenden Gefahren gleichzeitig mehr Klimaschutz und zusätzliche Massnahmen zum Schutz vor Unwettern nötig sind und warum die beiden Aufgaben nicht gegeneinander ausgespielt werden dürfen. Weshalb es entscheidend ist, die globale Klimaerwärmung rasch zu begrenzen, erklärt Republik-Journalist Elia Blülle mit dem Konzept «limits to adaptation». Damit sind technologische, ökologische und wirtschaftliche Grenzen gemeint, ab denen Anpassungsmassnahmen nicht mehr ausreichen, um die negativen Auswirkungen der Klimaerwärmung zu bewältigen. Diese Grenzen können im Alpenraum erreicht werden.
Hitze – das unterschätzte Risiko
Die NZZ erinnert daran, dass Hitze eine viel grössere Gefahr darstellt als Murgänge. Sie verweist auf eine Studie, wonach bei einer Erderwärmung um 2 °C in der Schweiz pro Jahr im Schnitt über 1200 Personen wegen Hitze sterben. Das wären viermal mehr als zwischen 1990 und 2010. In der NZZ am Sonntag ist zu lesen, weshalb in der Schweiz der Schutz vor Hitzewellen verbessert werden muss, damit die Todesfälle wegen Hitze nicht weiter zunehmen. Handlungsbedarf besteht primär in den Städten. Es gilt Böden zu entsiegeln, zusätzliche Grünflächen zu schaffen und gekühlte Räume für alle zu schaffen. Wie Städte wirksamer gekühlt werden können, ist im Zukunftsblog der ETH Zürich zu lesen.
Wie viele Menschen in der Schweiz an den Folgen der Hitze sterben, zeigt der vom Bundesamt für Umwelt publizierte Kimaindikator «hitzebedingte Todesfälle». Im Sommer 2023 werden 542 Todesfälle auf Hitze zurückgeführt. Rund 95% davon betrafen Personen ab 75 Jahre, knapp zwei Drittel waren Frauen. Zum Vergleich: In Europa sind 2023 über 47’000 Menschen an den Folgen hoher Temperaturen gestorben, wie eine in «Nature Medicine» veröffentlichte Studie zeigt.
Das Schweizerische Tropen- und Public-Health-Institut (Swiss TPH) hat den Hitzesommer 2023 genauer analysiert. Dabei zeigt sich, dass die hitzebedingten Sterberaten im Tessin am höchsten waren (13 Todesfälle auf 100'000 Einwohner). In den Kantonen Wallis, Genf, Waadt und Basel-Stadt waren es 9-10 Fälle pro 100'000 Einwohner. Gemäss der Studie nimmt in moderat heissen Phasen die hitzebedingte Sterblichkeit nicht parallel mit der Temperatur zu, sondern weniger stark. Die Forschenden erklären dies mit Verhaltensänderungen und baulichen Anpassungen. An heissen und sehr heissen Tagen hat die Sterblichkeit über die analysierte Zeitperiode hingegen zugenommen.
In einer weiteren, im Magazin Environmental Research publizierten Studie hat das Swiss TPH für acht Schweizer Städte untersucht, wie Wärmeinseln, Grünräume und sozioökonomische Faktoren die Sterblichkeit beeinflussen. Basis der Untersuchung waren individuelle Sterbedaten für die warmen Monate der Jahre 2003 bis 2016. Dabei wurde für jeden Todesfall der exakte Ort berücksichtigt und damit auch, wie heiss, grün und wohlhabend die Umgebung war. Ein zentrales Ergebnis lautet: An einem Hitzetag mit einer Höchsttemperatur von 35 °C sterben in den städtischen Hitzeinseln der Schweiz 26% mehr Menschen als in den übrigen städtischen Gebieten. Ältere Menschen sind besonders gefährdet. Gleichzeitig zeigt die Studie, dass auch jüngere Menschen ein erhöhtes Risiko haben, wenn sie in weniger privilegierten Quartieren leben; das kann mit schlecht isolierten Wohngebäuden oder mit einer starken Hitzebelastung während der Arbeit zusammenhängen. Mehr dazu im Tages-Anzeiger (paywall).
Der Bund bremst beim Klimaschutz
Im Juni 2023 hat das Stimmvolk das Klimaschutzgesetz angenommen. Darin ist auch festgehalten, dass Bund und Kantone beim Klimaschutz eine Vorbildfunktion übernehmen und bereits ab 2040 klimaneutral sein sollen, zehn Jahre früher als die Schweiz. Bei der Umsetzung lässt sich das Departement von Bundesrat Albert Rösti viel Zeit. Die Verordnung, welche die Details regelt, wird erst Mitte 2025 in die Vernehmlassung geschickt, hat der Bundesrat im August beschlossen. Der Verein Klimaschutz Schweiz kritisiert die zögerliche Haltung und hat eine Petition lanciert, damit die Bestimmungen bereits auf Anfang 2025 in Kraft treten können. Im Tages-Anzeiger (paywall) ist zu lesen, dass auch andere Departemente die Umsetzung verzögern, aus Kostengründen oder weil die Vorgaben zu streng seien.
Nach dem Klima-Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) gegen die Schweiz wurde kontrovers darüber diskutiert, ob die Politik mehr zur Erreichung der Klimaziele tun kann. Und wie stark das Volk, das das letzte Wort hat, ambitionierte Massnahmen verhindert (etwa mit der Ablehnung des CO2-Gesetzes 2021). Eine Analyse des WWF zeigt nun, dass der Bundesrat den Spielraum hinsichtlich Klimaschutz bei weitem nicht ausgereizt hat. Die Umweltorganisation fordert, dass nachgebessert wird: beim Klimaschutzgesetz (Anforderungen an die Finanzbranche und Vorbildrolle von Bund und Kantonen), CO2-Gesetz (gesetzliche Maximalbeträge für zweckgebundene Abgaben, u.a. bei der Kompensationspflicht für Treibstoffimporteure), Stromgesetz (Planungssicherheit verbessern, etwa für den Bau von Solaranlagen auf Gebäuden), Umweltschutzgesetz (Bestimmungen einführen, um den Fussabdruck im Gebäudebereich bei Neu- und Umbauten zu reduzieren). Damit die Schweiz die Ziele des Klimaschutzgesetzes erreichen und den internationalen Verpflichtungen nachkommen kann, braucht es laut WWF allerdings zusätzliche klimapolitische Massnahmen. Hier sind Bundesrat, Parlament, Kantone und Gemeinden gefordert.
Im Tages-Anzeiger (paywall) diskutieren Helen Keller, ehemalige Richterin am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, und SP-Ständerat Daniel Jositsch über den Klima-Entscheid aus Strassburg. Sie findet ihn «bahnbrechend», er «falsch». Treihauspodcast.ch analysiert den Entscheid des Parlaments, das Urteil nicht zu befolgen.
Wer finanziert die Negativemissionen? Dieser Frage geht der Tages-Anzeiger (paywall) nach. Angesichts der weiterhin hohen CO2-Emissionen, darin sind sich Fachleute einig, müssen der Athmosphäre grosse Mengen an Treibhausgas entnommen werden, um die Erderwärmung auf 1,5 °C beschränken. Über die technischen Möglichkeiten (z.B. das Schweizer Unternehmen Climaworks) wird viel berichtet. Vergessen geht, dass dafür auch die finanziellen Voraussetzungen geschaffen werden müssen. Wie teuer das wird, hat die Beratungsfirma Boston Consulting Group ausgerechnet: Ab 2050 wären es jedes Jahr 0,5-1% der Wirtschaftsleistung. Umgerechnet auf die Schweiz wären dies 5-10 Milliarden Franken. Der WWF schlägt als Lösung einen Klimafonds vor, in den Verursacher von CO2 einbezahlen. Die weitaus günstigste Art, CO2 wieder aus der Luft zu filtern, liegt darin, den bestehenden Wald zu schützen und Wald wieder aufzuforsten.
Wie ernst nimmt es der Bund mit internationalen Zusagen zum Klimaschutz? Nicht allzu sehr. An der Klimakonferenz von 2021 in Glasgow hatte die Schweiz versprochen, Staatshilfen für fossile Energieprojekte im Ausland zu stoppen. Nun zeigt eine Recherche von SRF, dass die schweizerische Exportrisikoversicherung (SERV) ein neues Gaskraftwerk im autoritär-regierten Turkmenistan unterstützt. Um das Erdgasgeschäft trotz der Zusage zu ermöglichen, passte die SERV ihre Richtlinien an. Nun kann sie auch fossile Energieprojekte versichern, wenn diese den wirtschafts-, aussen-, handels- und entwicklungspolitischen Interessen der Schweiz dienen.
Mit der Verordnung zum CO2-Gesetz will der Bundesrat die Reduktionsziele für den Treibhausgas-Ausstoss der verschiedenen Sektoren bis 2030 festlegen. Die Vernehmlassung dazu hat er Ende Juni eröffnet. Im März hatte das Parlament dem CO2-Gesetz zugestimmt; es reicht jedoch nicht aus, damit die Schweiz ihre Klimaziele einhalten kann (siehe Klima-Zeitung vom April). Im Pariser Klimaabkommen ist ein Reduktionsziel von 50% gegenüber 1990 festgeschrieben. Der Gebäudesektor soll den CO2-Ausstoss gegenüber 1990 um 50% reduzieren, die Industrie um 35%, der Verkehr und die Landwirtschaft um 25%.
Wie weit entfernt die Schweiz von diesen Zielen ist, zeigt die Anfang Juli veröffentlichte CO2-Statistik. 2023 gingen die CO2-Emissionen aus Heizöl und Gas gegenüber dem Vorjahr um 8,8% zurück (der Einfluss der Witterung ist dabei berücksichtigt). Das sind 41,7% weniger als im Vergleichsjahr 1990. Die Reduktion ist gemäss Bundesamt für Umwelt vor allem auf die bessere Energieeffizienz von Gebäuden und den vermehrten Einsatz erneuerbarer Energien beim Heizen zurückzuführen. Gleich geblieben ist hingegen der CO2-Ausstoss aus Treibstoffen gegenüber dem Vorjahr. Gegenüber 1990 beträgt der Rückgang bloss 5,2%. Dass die Autoimporteure gemäss Bundesamt für Energie erstmals die CO2-Zielwerte erreichten, vermag daran nichts zu ändern. Mehr dazu auf SRF.
Der WWF weist darauf hin, dass die Schweiz ihre CO2-Emissionen in den 33 Jahren seit 1990 um bloss 27% senken konnte. Um den Ausstoss wie international vereinbart bis 2030 zu halbieren, müsste die Schweiz in den verbleibenden sieben Jahren den Treibhausgas-Ausstoss um weitere 23 Prozent verringern. Mit der aktuell zaghaften Klimapolitik sei dies kaum zu schaffen. Die Schweiz muss so bis 2030 schätzungsweise Zertifikate für 50 Millionen Tonnen CO2 im Ausland zukaufen.
Auch wenn der Gebäudesektor die Reduktionsziele erreicht: Um den Gebäudebestand bis 2050 klimaneutral zu machen, sind noch grosse Anstrengungen nötig. Rund zwei Drittel aller Mehrfamilienhäuser und 60% der Einfamilienhäuser, die als Erstwohnsitz genutzt werden, werden noch nicht nachhaltig beheizt, zeigt das Beratungsunternehmen Wüest Partner in einer Studie auf. Um die rund eine Million Wohnhäuser bis 2050 zu sanieren, sind Investitionen von 52 bis 228 Milliarden Franken erforderlich (reiner Heizungsersatz bzw. umfassende energetische Sanierung). Die Studie zeigt auf, dass Sanierungen in Mietliegenschaften zu Kosteneinsparungen für die Mieter:innen führen. Mehr dazu auf SRF und der NZZ (paywall).
Noch in einem Bereich besteht beim Klimaschutz Handlungsbedarf: bei Kreuzfahrtschiffen. Obschon die Schweiz ein Binnenland ist, steuern von hier aus mehrere Firmen ihre Schiffsflotte. Kein anderes Land in Europa kontrolliert mehr Kreuzfahrtschiffe, zeigt eine Erhebung von Fairunterwegs, einer NGO für nachhaltigen Tourismus. Diese stossen beträchtliche Mengen an CO2 aus. Die Schweiz sieht keinen Handlungsbedarf. Fairunterwegs hofft auf Regeln zur Konzernverantwortung und dass der Bund die Richtlinien der EU übernimmt. Mehr dazu im Blick.
Wie geht es nach dem Ja zum Stromgesetz weiter?
Am 9. Juni hat die Stimmbevölkerung das Stromgesetz mit 68,7% der Stimmen angenommen. Die Zustimmung zur Vorlage, die verbindliche Ausbauziele für erneuerbare Energie bis 2035 vorschreibt, fiel über das ganze politische Spektrum hoch aus, mit Ausnahme des SVP-Lagers. Das zeigt die Abstimmungsanalyse des Forschungsinstituts gfs Bern.
Besonders häufig stimmten jene Personen ja, die Umweltschutz höher gewichten als wirtschaftlichen Wohlstand und die Atomenergie ablehnen. Wer zustimmte, begründete dies unter anderem damit, dass durch das neue Gesetz die Abhängigkeit vom Ausland verringert wird. Wer das Gesetz ablehnte, befürchtet eine Verschandelung von Landschaften und die Beschneidung demokratischer Mitspracherechte. Bereits am Abstimmungssonntag begannen die politische Auseinandersetzung über die Umsetzung (siehe Klima-Zeitung vom Juni).
Es zeichnet sich ab, dass die grossen Wasserkraftprojekte wohl nicht so rasch realisiert wie einige mit der Annahme des Stromgesetzes erwartet haben. Vor allem gegen zwei Projekte gibt es weiterhin Opposition: gegen die geplanten Stauseen an der Trift im Berner Oberland und beim Gornergletscher im Wallis. Mehr dazu im Tages-Anzeiger (paywall) und der NZZ. Die Erhöhung der Grimselstaumauer rückt hingegen näher. Der Fischerei-Verband, der Schweizer Alpen-Club, die Stiftung Landschaftsschutz, Pro Natura, der WWF und Aqua Viva haben eine Vereinbarung mit den Kraftwerken Oberhasli (KWO) unterzeichnet. Sie akzeptieren demnach die Erhöhung der Staumauern beim Grimsel Hospiz um 23 Meter. Im Gegenzug werden Flussabschnitte revitalisiert, Trockenstandort aufgewertet und weitere Ersatzmassnahmen getroffen. Offen bleibt, ob andere Umweltorganisationen mit juristischen Mitteln gegen das Projekt vorgehen, ist im Thuner Tagblatt zu lesen.
Die Atomkraft-Lobbyist:innen hoffen, dass der Bundesrat das Neubauverbot für AKWs aufhebt. Laut der Aargauer Zeitung (paywall) wollte dies der Bundesrat bereits Mitte August beschliessen – als indirketen Gegenvorschlag zur Blackout-Initiative (gemäss dieser sollen in Zukunft alle klimaschonenden Energien erlaubt sein). Doch der entsprechende Antrag wurde zurückgestellt, weiss der Tages-Anzeiger. Bundesrat Albert Rösti muss zusäztliche Informationen nachliefern, unter anderen dazu, ob es zulässig ist, das 2017 vom Volk beschlossenen Neubauverbot nach kurzer Zeit schon wieder aufzuheben.
Auch die Umsetzung des Stromgesetzes sorgt für Diskussionen. Bereits vor der Abstimmung hatte der Bundesrat die Verordnung zum Stromgesetz in die Vernehmlassung geschickt. Die darin vorgeschlagene Senkung der Mindestvergütungen für Solaranlagen hat die Branche verunsichert. Das Bundesamt für Energie (BFE) begründet diese Anpassung damit, dass sich Solaranlagen dank dem Eigenverbrauch rentieren. Swissolar kritisiert, die Annahmen des BFE zum Eigenverbrauch seien viel zu hoch. Der Branchenverband verlangt Minimalvergütungen, die über 25 Jahre gleich bleiben. Damit werde ein wirtschaftlicher Betrieb aller Solaranlagen über die gesamte Laufzeit auch dann sichergestellt, wenn der Eigenverbrauch gering ist. Auch die Schweizerische Energie-Stiftung (SES) bemängelt die tiefen Mindestvergütungen. Zudem fehlten im Bereich Energie-Effizienz finanzielle Anreize und Massnahmen zur Verhaltensänderung. Und die SES verlangt Nachbesserungen bei der Biodiversität. Bis im Herbst wird mit einem Entscheid des Bundesrats gerechnet. Mehr dazu im Thuner Tagblatt.
Mehr Solarstrom und neue Kritik an Reservekraftwerken
Die dämpfende Wirkung der Covid-Pandemie auf die Energienachfrage ist vorbei. Der Endenergieverbrauch der Schweiz stieg 2023 gegenüber dem Vorjahr um 0,3%. Hauptgrund für den Anstieg ist die deutliche Zunahme des Flugverkehrs um 19%. Auch Diesel- und Benzinverbrauch nahmen laut dem Bundesamt für Energie (BFE) zu, um 0,3%. Gleichzeitig wurden 6% weniger Erdgas und 3% weniger Heizöl verbraucht. Im Gegenzug wurden mehr erneubare Energieträger zum Heizen eingesetzt. Energieholz, Umgebungswärme, Fern- sowie Solarwärme machen mittlerweile 11,8% am gesamten Energiebedarf aus. Mehr dazu auf SRF.
Kräftig gewachsen ist die Produktion von Solarstrom. Gemäss der «Statistik Sonnenenergie» des BFE ist der Markt 2023 Jahr um 51% gewachsen. Es ist das vierte Jahr in Folge mit einem Marktwachstum von mehr als 40%. Es wurde eine zusätzliche Photovoltaik-Leistung von 1,6 Gigawatt installiert. Insgesamt waren Ende 2023 Solarpanels mit einer Leistung von 6,4 Gigawatt installiert, die im Jahresverlauf über 8% des Schweizer Strombedarfs abdeckten. Um die Vorgaben des neuen Stromgesetzes einzuhalten, muss der Solarstrom in den nächsten zehn Jahren fast verfünffacht werden. Mehr dazu bei Swissolar.
Mit Ausnahme von kleineren Projekten an Staumauern sind fast alle alpinen Solarprojekte weiterhin in der Planungsphase. Zwei Projekte verfügen inzwischen über eine rechtskräftige Bewilligung, SedrunSolar und Vorab, beide im Bündnerland; oberhalb Sedrun erfolgte im August der Baustart (Tages-Anzeiger). 44 alpine Solarprojekte sind gemäss der Aufstellung des Verbands Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen derzeit in Planung (letzte Aktualisierung 27.06.2024). Für zehn der geplanten Anlagen ist ein Baugesuch eingereicht worden, wie eine Übersicht des Bundesamts für Energie zeigt.
Gegen den grössten in den Alpen geplanten Solarpark, jenen in Grengiols im Wallis, haben Pro Natura, die Stiftung Landschaftsschutz und Mountain Wilderness Einsprache erhoben. Die Umweltverbände kritisieren, dass das Projekt im Landschaftspark Binntal geplant sei. Zudem sei der Standort ein Vogel-Hotspot. Bis Ende 2025 müssen die Anlagen einen Teil des geplanten Stroms ins Netz speisen, damit sich der Bund an den Kosten beteiligt. Weil die Zeit knapp wird, prüft der Bund, die Finanzierung auf Verordnungsstufe zu verlängern. Mehr dazu im Tages-Anzeiger.
Das Stromgesetz ebnet den Weg für den Ausbau von Solar-, Wasser- und Windkraftwerken. Damit der Strom zu den Konsument:innen gelangt, braucht es aber zusätzliche Stromleitungen. Nun hat der Bundesrat aufgezeigt, wie er den Ausbau der Stromnetze weiter beschleunigen will. Die entsprechende Vernehmlassung zur Revision des Elektrizitätsgesetzes läuft bis zum Oktober. Der Entwurf sieht vor, die Bewilligungsverfahren für den Um- und Ausbau der Stromnetze zu vereinfachen. Das Interesse an der Realisierung von neuen Übertragungsleitungen soll anderen nationalen Interessen grundsätzlich vorgehen. Und Übertragungsleitungen sollen künftig grundsätzlich als Freileitungen realisiert werden. Der Bau erdverlegter Leitung soll nur noch dann geprüft werden, wenn eine Freileitung zu übermässiger nichtionisierender Strahlung führen und Natur- und Heimatschutzobjekte von nationaler Bedeutung beeinträchtigen würde. Mehr dazu im Tages-Anzeiger (paywall).
Der Verband Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen (VSE) warnt in einer Studie vor den Kosten, das Stromnetz auszubauen. Vor allem dezentrale Solaranlagen würden zusätzliche Investitionen nötig machen. Kostengünstiger sei der Bau von Grosskraftwerken. Der Wirtschaftsverband swisscleantech kritisiert, die VSE-Studie basiere auf veralteten Konzepten des Netzausbaus, wonach jede produzierte Kilowattstunde im Netz abzutransportieren sei. In Zukunft müsse das Stromnetz vor allem an der Nachfrage orientiert sein. Strom, der nicht nachgefragt wird, soll nicht ins Netz gelangen. Zudem wird der Eigenverbrauch dank günstigeren Batteriespeichern und E-Mobilität zunehmen und das Netz weiter entlasten. Mehr dazu auf srf.ch.
Zu teuer, klimapolitisch falsch, ohne rechtliche Grundlage: Die Reservekraftwerke, mit welchen der Bund die Stromversorgung sichern will, stossen auf breite Kritik. Mitte Juni folgte der nächste Rückschlag: Das Bundesamt für Energie brach die Ausschreibung für neue Reservekraftwerke ab 2026 ab, weil die Kosten der Offerten zu hoch waren. Bis dann stehen Kraftwerke in Birr und in der Westschweiz bereit, um in einer Mangellage die Gas- bzw. Ölgeneratoren anzuwerfen. Das BFE will nun direkt mit Elektrizitätsfirmen verhandeln. In der NZZ am Sonntag ist zu lesen, wie viel Geld die Stromunternehmen vom Bund wollten: Für eine Leistung von 590 Megawatt (das ist etwa ein Drittel der Leistung der 2023 neu installierten Solarstrom-Module) wurden 2,6 Milliarden Franken verlangt. Bezahlen müssten die Kosten die Konsument:innen mit einer Abgabe auf jeder verbrauchten Kilowattstunde Strom. Hinzu kommen die Kosten für die Brennstoffe, wenn die Anlagen in Betrieb sind.
Auch die Industrie kritisiert die Pläne des Bundesamts. Der Wirtschaftsverband Swissmem hat dem Bundesrat Massnahmen vorgeschlagen, um in einer Mangellage die Stromnachfrage zu senken. Doch dieser ging nicht darauf ein, wie in der NZZ zu lesen ist. Swissmem setzt sich für eine sogenannte Verbrauchsreserve ein. Dabei würden sich Grossverbraucher dazu verpflichten, im Ernstfall ihre Nachfrage zu reduzieren oder ihre Produktion ganz einstellen. Dafür würden sie vom Bund eine Entschädigung erhalten.
Der Fleischkonsum wird weiterhin gefördert
Eigentlich möchte der Bund, dass in der Schweiz weniger Fleisch konsumiert wird. Gründe gibt es viele: langfristig negative Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit, Ausstoss grosser Mengen an Treibhausgasen und die Beeinträchtigung der Biodiversität. Dennoch zahlt der Bund jährlich 5,4 Millionen an die Förderung des Fleischabsatzes. Die staatlichen Ausgaben für die Absatzförderung von Fleisch, Milch und Eiern belaufen sich auf 34-38 Millionen Franken pro Jahr. Und daran soll sich nach dem Willen des Bundesrats nicht ändern. In einem Bericht hatte er die Auswirkung von verschiedenen Subventionsinstrumenten untersuchen lassen. Zur Absatzförderung von tierischen Produkten heisst es nur, es sei «keine Quantifizierung der Wirkung möglich.» Der Bundesrat ist mit seiner Haltung nicht allein – National- und Ständerat hatten vor kurzem entschieden, die staatliche Fleischwerbung fortzuführen. Im Tages-Anzeiger (paywall) kommen Kritiker:innen des Entscheids zu Wort.
Noch mehr Absatzförderung für tierische Produkte betreiben die grossen Detailhändler. Ihre Werbeausgaben werden auf mehrere Hundert Millionen Franken pro Jahr geschätzt. In der Schweiz wird fast die Hälfte des Fleisches über Rabatte verkauft, ist im Tages-Anzeiger (paywall) zu lesen. Aufgrund dieser Praxis verfehlen Migros und Coop ihre Klimaziele, zeigt Greenpeace in einer Studie auf. Die beiden Grossverteiler möchten bis 2050 klimaneutral werden. Die Umweltorganisation hat ausgerechnet, dass 30% des gesamten Klima-Fussabdrucks der Schweiz (importierte Güter eingerechnet) über den Ladentisch der beiden Unternehmens gehen. Bei Coop machen Tierprodukte 47% der gesamten Treibhausgasemissionen aus, bei der Migros über ein Drittel. Greenpeace betont, es führe kein Weg an einer Reduktion des Sortiments an tierischen Produkten vorbei. Mehr dazu bei Le Temps (paywall).
Einen politischen Vorstoss, den Konsum tierischer Nahrungsmittel einzuschränken, macht Franziska Herren. Mitte August hat sie die erforderlichen Unterschriften für die Ernährungsinitiative eingereicht. Die Bernerin hatte die Trinkwasserinitiative lanciert, die 2021 vom Volk abgelehnt worden war. Die neue Initiative will den Bund zu Massnahmen verpflichten, die eine auf pflanzlichen Lebensmitteln basierende Ernährungsweise fördern. Gleichzeitig sollen die Abhängigkeit vom Ausland reduziert und sauberes Trinkwasser gesichert werden. Mehr dazu in der NZZ (paywall), im Tages-Anzeiger (paywall) und im Blick.
Biodiversität: Die Faktenlage zur Initiative
Am 22. September stimmen wir über die Biodiversitätsinitiative ab. Sie wurde vor vier Jahren von Natur- und Umweltorganisationen eingereicht und will den Schutz unserer Lebensgrundlagen besser in der Verfassung verankern. Bund und Kantone sollen verpflichtet werden, dafür mehr Flächen und finanzielle Mittel zur Verfügung zu stellen.
Der Bundesrat hatte wichtige Anliegen der Initiant:innen anerkannt und einen indirekten Gegenvorschlag beschlossen. Er wollte genügend Schutzflächen schaffen, um den Lebensraum für Tiere und Pflanzen zu sichern. Doch das Parlament lehnte den Gegenvorschlag ab: Der Ständerat war zu keinem Kompromiss bereit und stellte sich gegen jegliche zusätzliche Vorschriften. Nähere Informationen über die Vorlage liefert der Tages-Anzeiger (paywall) in einem Übersichtsartikel. Wäre Anfang August über die Initiative abgestimmt worden, wäre sie knapp angenommen worden, wie eine Tamedia-Umfrage zeigt. 51% der Befragten gaben an, Ja zu stimmen. 7% sind noch unentschlossen. Zum gleichen Resultat kommt eine Umfrage von SRF.
Die Schweiz ist in Sachen Artenvielfalt eines der Schlusslichter Europas. Ein Drittel der untersuchten Arten ist gefährdet oder bereits ausgestorben. Die Hälfte der natürlichen Lebensräume ist bedroht – Gewässer, Moore und landwirtschaftlich genutzte Flächen sind besonders unter Druck. Und die Schweiz hat nur eine geringe Fläche unter Schutz gestellt: Sie steht am Schluss der europäischen Rangliste, zusammen mit der Türkei und Bosnien-Herzegowina (weitere Informationen bei BirdLife Schweiz). Die Wochenzeitung fragt nach, weshalb sich selbst viele Menschen aus dem linken Lager dennoch nicht für die biologische Vielfalt interessieren.
Erhalt und Förderung der Biodiversität sind auch wichtig im Kampf gegen den Klimawandel. Warum? Beide Krisen hängen zusammen. Intensive Landwirtschaft und das Abholzen von Wäldern bedrohen nicht nur die Artenvielfalt, sondern setzen auch Treibhausgase frei. Umgekehrt beschleunigt der Klimawandel den Verlust der biologischen Vielfalt. Die Akademie der Naturwissenschaften Schweiz (SCNAT) hat dazu einen Bericht verfasst.
Im Online-Journal infosperber.ch erklären zwei Forscherinnen der Universität Zürich, welche grundlegenden Anpassungen nötig sind, um die Klima- und Biodiversitätskrise gleichzeitig zu meistern. Die Paradigmen des heutigen Wirtschaftssystems seien zu überdenken. Weshalb die Förderung der Biodiversität den Ausbau der erneuerbaren Energien nicht gefährdet, ist bei der Schweizerischen Energie-Stiftung zu lesen.
Der Schweizerische Bauernverband lehnt die Biodiversitätsinitiative als «zu extrem und unnötig» ab. Er bekämpft sie unter anderem mit einer Auftragsstudie. Darin heisst es: «Die Zu- und Abnahmen halten sich bei fast allen betrachteten Organismengruppen die Waage resp. es sind mehr oder weniger deutliche Zunahmen zu finden.» In einem Interview mit der NZZ sagte der Studienautor: «Natürlich gibt es noch Problemzonen, aber die Gesamtbilanz ist positiv.»
Wissenschaftler:innen kritisieren die Studie vehement. Im Tages-Anzeiger (paywall) stellt ein ETH-Professor für Ökosysteme und Landschaftsevolution klar: «Alle Indikatoren zeigen, dass die Biodiversität in der Schweiz weiter abnimmt.» Mehr dazu im Blick und der Aargauer Zeitung (paywall). Es ist nicht die erste fragwürdige Publikation zur Artenvielfalt in der Schweiz. Bereits im Mai berichtete das Online-Magazin Republik, dass das Bundesamt für Umwelt (BAFU) einen Bericht über den Zustand der Biodiversität geschönt habe.
Die Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL), das Kompetenzzentrum für terrestrische Biodiversität in der Schweiz, hat das gesicherte Wissen über den Zustand der Biodiversität sowie über Massnahmen und deren Erfolg zusammengetragen. Hier die wichtigsten Fakten:
- Die grössten Verluste erlitt die Biodiversität in der Schweiz ab der Mitte des 19. Jahrhunderts bis in die 1970er- und 1980er-Jahre.
- Die meisten systematischen Beobachtungsreihen zur Biodiversität begannen vor 20-30 Jahren, als bereits grosse Verluste zu verzeichnen waren. In diesem Zeitraum gab es positive wie negative Entwicklungen bei verschiedenen Artengruppen und Lebensräumen.
- Eine Zunahme findet vor allem bei Generalisten statt. Das sind Arten, die entweder konkurrenzfähig oder sehr flexibel sind, wenn sich der Lebensraum verändert. Hingegen gehen Spezialisten zurück, die weniger flexibel auf Veränderungen und häufig auf ganz bestimmte Lebensräume angewiesen sind.
- Um den Artenverlust zu stoppen, braucht es zusätzliche Flächen, die qualitativ hochstehend und längerfristig gesichert sind. Auch müssen die Flächen besser vernetzt werden, damit ein Austausch zwischen Beständen stattfinden kann.
Irreführende Zahlen zum Nutzen neuer Autobahnen
Am 24. November findet die Abstimmung über den Bau neuer Autobahnen statt. Umweltverbände hatten das Referendum gegen den Entscheid des Parlaments ergriffen, das Nationalstrassennetz für 5,3 Milliarden Franken weiter auszubauen. Wie eine Recherche der NZZ am Sonntag (paywall) zeigt, argumentiert die Bundesverwaltung, die das Projekt unterstützt, mit fragwürdigen Zahlen. Der volkswirtschaftliche Nutzen des Ausbaus – vor allem eine Reduktion der Staustunden und kürzere Reisezeiten – wird auf 184 Millionen Franken pro Jahr beziffert. Doch diese Berechnung stützt sich auf eine alte Formel. Die Methode wird derzeit überarbeitet und soll in sechs bis zwölf Monaten in Kraft treten; erste Kantone setzen die neue Grundlage bereits ein. Mit dieser neuen Formel reduziert sich der ausgewiesene Nutzen laut dem Verkehrsclub der Schweiz auf 65 Millionen Franken, rund ein Drittel des heute vom Bund auswiesenen Betrags. Das Vorgehen des Bundes stösst auf Kritik. Es sei «demokratiepolitisch problematisch, wenn die Bevölkerung im November über einen Autobahnausbau abstimmt, für den ein volkswirtschaftlicher Nutzen ausgewiesen wird, der schon nächstes Jahr nicht mehr gültig ist», sagt der SP-Nationalrat Jon Pult. Mehr dazu bei nau.ch.
Die Wirtschaft wehrt sich gegen die Zukunftsinitiative
Im Februar 2024 haben die Jungsozialist:innen (Juso) die Initiative «Für eine soziale Klimapolitik – steuerlich gerecht finanziert (Initiative für eine Zukunft)» eingereicht. Damit soll eine Erbschaftssteuer von 50% eingeführt (ab einem Freibetrag von 50 Millionen Franken) und mit dem Geld (laut Initiant:innen 6 Milliarden Franken pro Jahr) die Klimakrise bekämpft werden. Noch bevor das Parlament darüber berät, haben reiche Unternehmer:innen eine Diskussion dagegen lanciert. In der Sonntags-Zeitung (paywall) und der NZZ (paywall) drohen sie damit, die Schweiz zu verlassen. Würde die Initiative angenommen, müssten die Erben die Unternehmen wegen den hohen Steuern verkaufen.
In der Sonntagszeitung (paywall) und der NZZ (paywall) erklären bürgerliche Politiker:innen, dass sie die Initiative für ungültig erklären wollen. Konkret soll die Rückwirkungsklausel gestrichen werden. Mit dieser Klausel wollen die Initiant:innen verhindern, dass reiche Unternehmer:innen das Land nach der Annahme der Initiative verlassen, bevor die Ausführungsbestimmungen in Kraft treten. Der Bundesrat hat bereits angedeutet, dass er bei der Umsetzung (falls die Initiative angenommen wird) von einer Rückwirkung absehen würde, berichten die Aargauer Zeitung und der Tages-Anzeiger (paywall). Einen Gegenvorschlag mit einer moderaten Erbschaftssteuer lehnen bürgerliche Politiker:innen ab. Laut einer repräsentativen Umfrage von Tamedia (paywall) stösst die Initiative auf Ablehnung: 58% der Befragten sind dagegen, 34% dafür. Mehr dazu in der Sonntagszeitung (paywall), in der NZZ am Sonntag (paywall) und der Wochenzeitung.
Finanzplatz: Kritik an der Selbstregulierung
Die Vermögensverwalter der grössten Schweizer Banken und Versicherungen engagieren sich zu wenig für die Umwelt und das Klima. Zu diesem Schluss kommt eine Studie, die Greenpeace in Auftrag gegeben hat. Über ihre Finanzanlagen in Unternehmen sind die Institute eigentlich in der Lage, Einfluss auf klima- und umweltrelevante Entscheide auszuüben. Doch diese Verantwortung nehmen sie zu wenig wahr, heisst es im Bericht. Die Vermögensverwalter würden darauf verzichten, nachhaltige Geschäftspraktiken zu verlangen. Weil die Selbstregulierung des Schweizer Finanzplatzes nicht ausreicht, fordert Greenpeace eine klare Regulierung der Branche. Um das Ziel zu erreichen, wird eine Initiative vorbereitet, die umweltschädliche Praktiken der Finanzakteure stoppen soll.
Der Bundesrat will jedoch keine strengere Regulierung des Finanzsektors. Er hat Ende Juni entschieden, auf verbindliche Regeln zum Schutz vor Greenwashing zu verzichten. Er vertraut weiterhin auf die Selbstregulierung der Finanzbranche. Noch im letzten Oktober hatte er das Eidgenössische Finanzdepartement angewiesen, eine Vorlage zur Vermeidung von Greenwashing zu erarbeiten. Nun sieht er dafür keinen Bedarf mehr. Im Tages-Anzeiger kritisiert Greenpeace den Kurswechsel. Es sei «empörend, dass der Bundesrat nicht endlich das Heft in die Hand nimmt, obwohl er selber zugibt, dass die Selbstregulierung der Branche auch nach drei Jahren immer noch nicht alle seine Anforderungen erfüllt».
Welchen Einfluss der Finanzmarkt auf Unternehmen ausübt, zeigt sich am Beispiel von Glencore. Der im Kanton Zug ansässige Rohstoffkonzern wollte das Kohlegeschäft abspalten und in einem neuen Unternehmen an die Börse bringen. Doch die Aktionär:innen haben dies verhindert: Eine Mehrheit hat eine Abspaltung abgelehnt, weil sie nicht aus den mit Kohle erzielten Gewinne verzichten will. Mehr dazu im Tages-Anzeiger und der NZZ (paywall).
Klimarelevante Entscheide von Bund und Kantonen
Wenn Hersteller:innen die Lebensdauer ihrer Produkte absichtlich verkürzen (geplante Obsoleszenz), ist das für Konsument:innen ärgerlich und schadet der Umwelt. Das Parlament hat nun dem Bundesrat die Kompetenz erteilt, etwas dagegen zu unternehmen. So kann er neu Unternehmen dazu verpflichten, Informationen zur Lebensdauer bekanntzugeben und auch dazu, wie sich die Produkte reparieren lassen. In einem Bericht hält der Bundesrat fest, dass diese Deklarationen den Material- und Energieverbrauchs reduzieren können. Ob und wie rasch dies umgesetzt wird, lässt der Bundesrat offen. Klar ist, dass bei einer Einführung die entsprechenden Regelungen in der EU berücksichtigt werden, um einen Alleingang der Schweiz zu vermeiden. Die EU hat Anfang 2024 entschieden, neue Verpflichtungen zu Reparierbarkeit, Greenwashing und geplanter Obsoleszenz einzuführen. Mehr dazu im Tages-Anzeiger (paywall).
Der Kanton Zürich möchte, dass an geeigneten Standorten Windenergieanlagen gebaut werden. Vor zwei Jahren war von knapp 50 Gebieten mit Potenzial die Rede. Nun ist die Liste auf 20 reduziert worden, schreibt die NZZ (paywall). Diese seien sehr gut geeignet. Sie bieten Platz für etwa 70 Windturbinen und sollen in den kantonalen Richtplan eingetragen werden.
Internationale Klimapolitik
Geheimtribunale greifen immer häufiger Klimapolitik an
Im Oktober 2023 begann ein kleines Schweizer Energieunternehmen einen Rechtsstreit, der weltweite Auswirkungen haben könnte. Die Azienda Elettrica Ticinese (AET) reichte Klage gegen die Bundesrepublik Deutschland vor einem privaten Schiedsgericht ein, um den deutschen Kohleausstieg bis 2038 anzufechten. Das Unternehmen fordert eine Entschädigung für die Ende 2018 erfolgte Schliessung eines deutschen Kohlekraftwerks, an dem AET beteiligt ist. Das Verfahren könnte einen gefährlichen Präzedenzfall schaffen. AET nutzt für seine Klage den wenig bekannten Mechanismus der Investor-Staat-Streitbeilegung, englisch ISDS. Dieser wurde speziell entwickelt, um Investoren zu ermöglichen, nationale Gerichte zu umgehen.
ISDS ermöglicht es ausländischen Investoren, Länder vor geheimen Unternehmensgerichten auf Schadensersatz zu verklagen, wenn sie durch ein Politikinstument Gewinne einbüssen. Diese Gerichte bestehen jeweils aus drei Schiedsrichtern – oft private Anwälte, die teilweise vom klagenden Unternehmen selbst ausgewählt werden. Diese entscheiden losgelöst von nationalen Gesetzen oder Verfassungen über die Investorenklagen.
Der Energiecharta-Vertrag ist einer der internationalen Verträge, die Investoren den Zugang zu solchen privaten Schiedsgerichten ermöglichen. Viele EU-Staaten sind aus der Charta ausgetreten, weil sie die Umsetzung der Klimapolitik behindern. Doch die Schweiz ist nach wie vor Mitglied. Daneben gibt es etwa 2500 weitere Investitionsschutzabkommen, die ebenfalls Klagerechte enthalten.
Gegenüber nationalen Gerichten bevorzugen Unternehmen häufig die Schiedsgerichte, da sie dort bessere Chancen haben, Fälle zu gewinnen, höhere Entschädigungen zugesprochen bekommen und der kritischen Öffentlichkeit entgehen können. Der Wirtschafts-Nobelpreisträger Joseph Stiglitz bezeichnet ISDS als «rechtlichen Terrorismus» und prangert die nachteiligen Auswirkungen auf die Demokratie und die Regierungsmöglichkeiten von Staaten an.
Seit den ersten ISDS-Klagen in den frühen 1990er Jahren konnten Investoren mehr als 110 Milliarden US-Dollar an staatlichen Entschädigungen einklagen. Fossile Unternehmen nutzen ISDS am aktivsten und behindern so Massnahmen zum Klimaschutz. Es zeigt sich auch ein Nord-Süd-Gefälle: Investoren aus den USA, Kanada, Grossbritannien und der EU sind besonders klagefreudig. Argentinien, Venezuela, Mexiko und Ägypten die am häufigsten verklagten Länder.
ISDS-Fälle sind notorisch intransparent – einige Fälle werden völlig geheim gehalten oder erst Jahre nach ihrem Abschluss bekannt. Um mehr Licht in das Dunkel der ISDS-Welt zu bringen, haben die Nichtregierungsorganisationen Powershift, Transnational Institute und Trade Justice Movement den «Global ISDS Tracker» erstellt – eine neue Datenbank, die alle öffentlich bekannten ISDS-Fälle und ihre Hintergründe zusammenfasst. Mehr bei Klimareporter.de
Klimaschäden sollen von oberstem Gericht beurteilt werden
Der Internationale Gerichtshof in Den Haag wird bald aufgefordert werden, die rechtliche Verantwortung der Staaten für die Auswirkungen des Klimawandels zu klären. Obwohl das Urteil des Gerichts nicht bindend sein wird, wird es für Tausende von Klimaklagen von Bedeutung sein. Weltweit wurden bereits 2666 Klimaklagen eingereicht. Bei den meisten Kläger:innen handelt es sich um Einzelpersonen und NGOs. Sie alle wollen Regierungen und Unternehmen für ihre Klimaversprechen zur Rechenschaft ziehen. Die Entscheidung des Gerichts könnte eine der folgenreichsten Entwicklungen in der Klimapolitik seit dem Pariser Abkommen sein. Mehr bei Nature. Wer einen wöchentlichen Newsletter zu wichtigen Klima-Gerichtsfällen abonnieren möchte, kann das bei Climate Court tun.
Reiche Länder bewilligen viele neue Öl- und Gasförderlizenzen
Westliche Länder haben eine riesige Anzahl neuer Öl- und Gasförderlizenzen genehmigt, wie eine neue Analyse des International Institute for Sustainable Development (IISD) zeigt. Die Förderlizenzen, die in diesem Jahr weltweit vergeben werden, werden während ihrer Lebensdauer etwa 12 Mia. Tonnen CO2 ausstossen. Das ist etwa fünf Mal so viel, wie die gesamte EU 2023 ausgestossen hat. Die USA sind mit Abstand der grösste Produzent. Joe Bidens Regierung hat 1453 neue Öl- und Gaslizenzen vergeben - das ist die Hälfte der weltweiten Gesamtmenge seit 2021 und 20% mehr als Donald Trump in seiner Amtszeit. (Vox berichtet über Bidens grosses, widersprüchliches und fragiles Klima-Vermächtnis.)
Die Öl- und Gasindustrie investiert weiterhin auch im grossen Stil in die politische Einflussnahme. In den letzten zehn Jahren gab sie alleine in den USA 1,25 Milliarden Dollar für Lobbyarbeit und mehr als 650 Millionen Dollar für Wahlkampfspenden aus, siehe OpenSecrets. Die IISD-Analyse zeigt auch, dass fossile Unternehmen fast 2500 Lobbyist:innen zu den Klimaverhandlungen in Dubai schickten und mehr Geld in die Erschliessung neuer Öl- und Gasvorkommen stecken als jemals zuvor seit dem Pariser Klimaabkommen von 2015. Mehr dazu im Guaridan hier, hier und hier.
US-Gericht hebelt Umweltgesetze aus
Eine Reihe von Entscheidungen des konservativen Obersten Gerichtshofs (Supreme Court) des USA hat in den letzten zwei Jahren die Befugnis der US Umweltschutzbehörde (EPA) erheblich geschwächt.Seit 2022 haben konservativen Aktivist:innen und die fossile Indstrie zahlreiche Klagen eingereicht, um die Befungisse der EPA zu kürzen. Im Juni verbot das Gericht die Anwendung der sogenannten Chevron-Doktrin, die seit 40 Jahren ein Eckpfeiler des Verwaltungsrechts ist. Bis anhin war die Auslegung unklarer oder allgemein formulierter Gesetze Expert:innen der Behörden überlassen. Nun sollen Gerichte darüber entscheiden können. Damit wird die Befugnis vieler Bundesbehörden zur Regulierung des Umwelt, des Gesundheitswesens und anderer Bereiche untergraben.
Noch bemerkenswerter sind mehrere Entscheidungen des Supreme Courts, Umweltvorschriften zu verbieten, bevor diese überhaupt politisch umgesetzt worden sind. Das Gericht verbot zum Beispeil eine vorgeschlagene EPA-Regelung, die Millionen Hektar Feuchtgebiete vor Verschmutzung schützen sollte, noch bevor diese verabschiedet worden war. In ähnlicher Weise schränkte das Gericht 2022 die Möglichkeiten der EPA zur Regulierung der Treibhausgasemissionen von Kraftwerken stark ein, obwohl diese Vorschrift noch nicht in Kraft getreten war.
Der Supreme Court mischt sich also aktiv in die Gesetzgebung ein. Damit haben Industrieunternehmen, konservative Interessengruppen und republikanische Anwälte das Ziel ihrer mehrjährigen Strategie erreicht, die Justiz zur Beeinflussung der Umweltpolitik einzusetzen. Diese Entscheidungen gefährden nicht nur viele bestehende Umweltvorschriften, sondern können auch verhindern, dass künftige Regierungen neue Vorschriften erlassen. Sollte Kamala Harris die Präsidentsschaftswahlen gewinne, könnte sie nicht mehr viel für die Umwelt und insbesondere für das Klima tun. NY Times (paywall)
Auch andere Gerichtentscheide, schwächen Umweltregelungen. Ein Bundesrichter entschied im Juli, dass die Regierung Biden wieder Genehmigungen für neue Flüssigerdgas-Exportanlagen erteilen muss. Im Januar hatte die Regierung diesen Prozess unterbrochen , um zu analysieren, wie sich diese Exporte auf den Klimawandel, die Wirtschaft und die nationale Sicherheit auswirken. Die Entscheidung eines US-Bezirksgerichts ist die Antwort auf eine Klage von 16 republikanischen Generalstaatsanwälten, die argumentierten, dass die Pause einem Verbot gleichkomme, das der Wirtschaft ihrer Staaten schade. Viele dieser Staaten, darunter Louisiana, West Virginia, Oklahoma, Texas und Wyoming, fördern erhebliche Mengen an Erdgas. NY Times (paywall)
US-Wahlen: Harris versus Trump
US-Präsident Joe Biden zog sich im Juli aus dem Rennen um die Wiederwahl zurück und unterstützte seine Vizepräsidentin Kamala Harris als seine Nachfolgerin. Harris kandidiert mit einer starken Bilanz in Sachen Klimawandel und Umwelt. Als Senatorin hat sie den Green New Deal mitunterstützt, und als Vizepräsidentin half sie bei der Verabschiedung des grössten US-Klimapakets, dem Inflation Reduction Act. «Die Dringlichkeit dieses Moments ist klar», sagte sie auf dem Klimagipfel der Vereinten Nationen im vergangenen Jahr. «Die Uhr tickt nicht mehr nur, sie schlägt. Und wir müssen die verlorene Zeit wieder aufholen.» Mehr zu Harris‘ Klimapolitik in der New York Times (paywall), The Bulletin, Guardian und Klimareporter.de.
Govenor Tim Walz, der demokratischer Vizepräsident werden soll, hat ebenfalls viel für den Klimaschutz unternommen. Mehr zu ihm bei E&E News, Scientific American und Salon.
Das Green New Deal Network, ein grosses Netzwerk von Gewerkschaften und Klimaorganisationen, unterstützt die Kandidatur von Harris und Walz. Einerseits erhält Harris dadurch Auftrieb von jüngeren und linken Wähler:innen, die für den Sieg im November entscheidend sein könnten. Andererseits ist es ein gefundenes Fressen für Trump, der Harris als radikale Linke darstellt, die die Erschliessung von Öl- und Gasvorkommen in den USA blockieren will. Mehr bei www.insideclimatenews.org.
Sollte Donald Trump die Wahlen gewinnen, wäre er in einer weitaus besseren Position, um Umwelt- und Klimagesetze zu demontieren, als in seiner ersten Amtszeit. Unterstützt würde er dabei vom konservativen Obersten Gerichtshof und anderen Verbündeten, die in ihrem Projekt 2025 bereits konkrete Pläne dazu aufgezeigt haben. In einem 32-seitigen Kapitel über die amerikanische Umweltbehörde (EPA) fordern sie unter anderem die Aufhebung von Vorschriften zur Bekämpfung der Luftverschmutzung und die Abschaffung des EPA-Büros für Umweltgerechtigkeit, das sich auf die Bekämpfung von Umweltverschmutzung in Gebieten mit niedrigem Einkommen. Sie fordern zudem eine «Vielfalt wissenschaftlicher Standpunkte» und wollen die EPA grundlegend «reformieren». Mehr bei billmckibben.substack.com und der NY Times (paywall).
Europäische Klimapolitik
Die alte, neue Kommissionspräsidentin
Die deutsche EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU/EVP) wurde am 18. Juli, vom neuen EU-Parlament in ihrem Amt bestätigt. Ein breites Bündnis aus Grünen, Sozialdemokraten und Konservativen wählte die 65-Jährige erneut zur EU-Kommissionspräsidentin mit einer deutlicheren Mehrheit als vor 5 Jahren. Tagesschau hat eine Übersicht der Vorhaben von der Leyens zusammengestellt.
Die Zustimmung der Grünen im Europaparlament hing massgeblich vom Erhalt zentraler Klima- und Umweltpolitiken ab, dennoch bleibt Kritik nicht aus. Zwar soll der European Green Deal fortgeführt und durch die Umsetzung eines «Clean Industrial Deal» weiter ausgebaut werden. Dieser soll Milliardeninvestitionen in eine zukunftsfähige Infrastruktur und Industrie fliessen lassen. Wie dieser genau aussieht, bleibt abzuwarten. Mehrere deutsche Umweltverbände forderten in einem gemeinsamen Papier die Sicherstellung der Klimaneutralität der europäischen Industrie. Doch unter massivem Druck einzelner Automobilkonzerne und Parteien, wie der deutschen FDP, soll das geplante Verbot von Neuwagen mit Verbrennungsmotoren ab 2035 teilweise gelockert werden. Die Nutzung sogenannter E-Fuels soll auch danach weiterhin erlaubt bleiben. Diese synthetischen Kraftstoffe stehen jedoch in der Kritik, ineffizient zu sein und die Erreichung der Klimaziele zu gefährden.
Die Klima-Allianz Deutschland hat die Kritik grosser Umweltverbände zusammengestellt. Umweltverbände drängen auf eine sozial gerechte Weiterentwicklung und rasche Umsetzung des European Green Deal. In den kommenden Monaten soll zudem das EU-weite Klimaziel für 2040 festgelegt werden.
Ungarn übernimmt die EU-Ratspräsidentschaft
Am 1. Juli hat Ungarn die EU-Ratspräsidentschaft unter Führung des rechtspopulistischen Präsidenten Orbán turnusgemäss für das zweite Halbjahr 2024 übernommen. In Anlehnung an Donald Trumps Wahlslogan lautet das Motto der Ratspräsidentschaft: Make Europe Great Again. Das offiziellen Programm benennt sieben Hauptthemen für die Ratspräsidentschaft:
- Neues Europäisches Wettbewerbsabkommen
- Verstärkung der europäischen Verteidigungspolitik
- Eine konsistente und leistungsbasierte Erweiterungspolitik
- Eindämmung illegaler Migration
- Gestaltung der zukünftigen Kohäsionspolitik
- Eine an Landwirten orientierte EU-Agrarpolitik
- Bewältigung demografischer Herausforderungen
Eines fällt auf. Umwelt- und Klimapolitik nimmt keine eigenständige Überschrift ein, mehr dazu beim DNR. Trotzdem plant die ungarische Regierung, für die bevorstehende Weltklimakonferenz in Baku eine gemeinsame EU Position zu vereinbaren, den Ausbau der Geothermie voranzutreiben in der Union voranzutreiben und laufende Gesetzesinitiativen weiterzuverfolgen, fasst Euractiv zusammen. Wie ambitioniert die ungarische Ratspräsidentschaft die Politiken verfolgt und umsetzen möchte, ist mindestens zweifelhaft. Eine ausführliche Analyse hat Deutschlandfunk zusammengestellt.
Neue Regierung im UK zurück auf Klimakurs?
Bei den vorgezogenen Parlamentswahlen Anfang Juli konnte Keir Starmer von der Labour Party einen Erdrutschsieg feiern. Die Labour Party verdoppelte in etwa ihre Sitze und stellt nun 411 Abgeordnete im Unterhaus. Damit beendete Starmer nach 14 Jahren die Herrschaft der konservativen Tories. Ex-Premierminister Rishi Sunak hatte zuletzt mit seiner rückschrittlichen Energie- und Klimapolitik immer wieder für Schlagzeilen und Kontroversen gesorgt, unter anderem durch die Vergabe hunderter neuer Lizenzen zur Öl- und Gasförderung oder der Eröffnung neuer Kohleminen (Politico). So argumentierte Sunak, dass selbst bei Erreichung der Klimaneutralität im Jahr 2050 etwa ein Viertel des Energiebedarfs weiterhin durch fossile Brennstoffe gedeckt werden müsse. Unter der Regierung Starmer ist hingegen eine deutlich progressivere Energie- und Klimapolitik zu erwarten. Die BBC hat dazu einen Vergleich der Labour Party mit den politischen Ansätzen der Konservativen erstellt.
Greenpeace UK verteilt der Labour Party in einem Parteienvergleich der Wahlforderungen dennoch bei weitem keine Bestnoten und mahnt, dass mehr zur Bekämpfung der Klimakrise getan werden muss. Eine weitere Übersicht bietet CarbonBrief.
Deutschland
Erneute Korruptionsaffäre um Verkehrsminister Wissing?
Mitte Juli berichtete das ZDF-Magazin Frontal21 über die engen Verbindungen zwischen dem deutschen Verkehrsminister Volker Wissen, seinem Staatssekretär Oliver Luksic (beide FDP) und Kraftstofflobbyisten, insbesondere dem Verein „Mobil in Deutschland“ unter der Leitung von Michael Haberland. Im Mittelpunkt stand die Kampagne „HVO100 goes Germany“, die darauf abzielt, den aus pflanzlichen Ölen gewonnenen Dieselkraftstoff HVO100 zuzulassen und zu bewerben. Führende FDP-Vertreter setzten sich intensiv für diese Zulassung ein – mit Erfolg. Bereits im Februar war der Minister aufgrund von Vetternwirtschaftsvorwürfen gezwungen, einen Abteilungsleiter zu entlassen (tagesschau.de). Der Verdacht der Korruption bestand schon 2023, wie Zeit Online berichtet (paywall).
Umweltverbände wie die DUH äussern starke Bedenken gegenüber dem Dieselkraftstoff HVO100: Mangelnde Energieeffizienz, hohe Kosten und eine starken Nachfrage aus anderen Sektoren, wie etwa dem Schiffsverkehr, macht den Einsatz von HVO100 für PKWs wenig sinnvoll, ordnete auch Wissenschaftsjournalistin Mai Thi Nguyen-Kim in ihrem YouTube-Format ein.
Verkehrsplan der FDP sorgt erneut für Streit
Ein FDP-Beschluss, der den Titel «Fahrplan Zukunft – Eine Politik für das Auto» trägt, erregte erneut die Gemüter vieler. Dass die Liberalen gegen ein allgemeines Tempolimit auf deutschen Autobahnen sind, ist sicherlich keine Neuigkeit. Dass allerdings Jugendliche mit 16 schon ein Führerschein machen sollen dürfen, Parkplätze in Innenstädten möglichst kostenfrei oder zumindest mit einer Flatrate ähnlich dem 49-Euro-Ticket zur Verfügung gestellt werden sollen, sowie sich explizit zum Verbrennermotor als «Innovationsmotor» bekannt wird, ist sicherlich eine Neuigkeit. Ferner sollen auch weniger Strassen zu Fussgängerzonen oder Fahrradstrassen umgewidmet werden und die Pläne der EU-Kommission zu neuen Flottengrenzwerten abgelehnt werden, um die «Stilllegung von Millionen Fahrzeugen» zu verhindern. Fast schon zynisch Zitiert die FDP, man sei «für eine Verkehrspolitik ohne Ideologie ein».
Der Beschluss macht klar, dass in dieser Legislaturperiode kaum noch mit ambitionierten Klimaschutzvorhaben im Pkw-Bereich zu rechnen ist. «Mehr Lobbyirrsinn geht nicht», kommentierte etwa die Deutschen Umwelthilfe, wie die FR zitiert. Selbst der ADAC betont in einem Gespräch mit der TAZ die Sinnhaftigkeit von Fahrradstrassen. Verkehrspolitiker Detlef Müller wirft der FDP in Wahlkampfzeiten Populismus vor (siehe Tagesspiegel). Auch aus kommunaler Sicht werden die Vorhaben kritisch gesehen. So merkte der Oberbürgermeister Belit Onay (Grüne) aus Hannover beim NDR an, dass nur Innenstädte attraktiv seien, in denen man sich gerne aufhalte. Die wirtschaftliche Stärke von Innenstädten würde nicht durch die Fokussierung auf das Auto geschaffen, so Onay.
Klimaproteste auf Nordseeinsel Borkum
Obwohl der Koalitionsvertrag der Bundesregierung klar festlegt, dass keine neuen Genehmigungen für Öl- und Gasbohrungen in der Nord- und Ostsee erteilt werden sollen, wächst der Druck auf die niedersächsische Landesregierung, einem neuen Vorhaben zuzustimmen. Der niederländische Konzern One-Dyas plant, ein neues Gasfeld in unmittelbarer Nähe des Naturschutzgebiets und UNESCO-Weltnaturerbes Wattenmeer zu erschliessen. Auf niederländischer Seite liegt zwar die Genehmigung bereits vor, in Deutschland befindet sich der Genehmigungsantrag noch im Verfahren. Laut NDR-Berichten sieht Niedersachsens Umweltminister Meyer (Grüne) keine Genehmigungsfähigkeit für dieses Vorhaben, während Wirtschaftsminister Lies (SPD) anderer Meinung ist. Kürzlich erzielte die Deutsche Umwelthilfe (DUH) einen Erfolg vor dem Verwaltungsgericht Oldenburg, das den Bau eines für den Betrieb der Bohrinsel erforderlichen Seekabels untersagte. Die Erdgasförderung wurde Mitte August dennoch genehmigt, die Umwelt-NGO kündigt weitere rechtliche Schritte an.
Klimaaktivistin Luisa Neubauer kritisiert im Rahmen von Demonstrationen von Fridays for Future auf der Insel Borkum die geplante Erdgasförderung als «Beginn einer neuen fossilen Ausbeutungsära auf dem Gebiet von Deutschland» (ZDF).
Haushaltdebaten: Der Krimi geht weiter
Anfang Juli einigten sich Kanzler Scholz (SPD), Wirtschaftsminister Habeck (Grüne) und Finanzminister Lindner (FDP) zum Bundeshaushalt 2025. Man habe ein «Kunstwerk» geschaffen, äusserte sich Kanzler Scholz in einer Pressekonferenz. «Wirtschaft, Klima, Kinder: Das ist der Dreiklang, der das Paket zusammenfasst», resümierte Habeck. Die Schuldenbremse werde eingehalten, so Lindner. Betitelt sei die Einigung als «Wachstumsinitiative», so ein zusammenfassendes Schreiben der Bundesregierung. Klimapolitisch wurde sich darauf geeinigt, dass die Erneuerbaren Finanzierung aus dem heiss diskutierten Klima- und Transformationsfonds in den Regelhaushalt überführt wird. Das Förderprogramm für klimafreundlichen Neubau soll aufgestockt werden. Auch soll die unterirdische CO2-Speicherung angeregt sowie das Strommarktdesign zukunftsfest – also auf die Nutzung erneuerbarer Energien - gemacht werden. Die Umwelt- und Entwicklungsschutzorganisation Germanwatch lobt zwar, dass «dramatische Kürzungen» beim Klima- und Umweltschutz ausblieben. Dennoch sei die Einigung nicht zukunftsweisend.
Nachdem die Einigung aufgrund einer von Finanzminister Lindner im Alleingang veröffentlichtes Rechtsgutachten (mehr dazu bei RND, TAZ und Tagesschau) wenige Wochen später zerbrach, mussten Scholz, Habeck und Linder sich auf einen neuen Vorschlag einigen. Diesen legten sie Mitte August vor. Klimapolitische Massnahmen wurden dabei um etwa vier Milliarden Euro gekürzt, grosse Teile davon etwa bei der Gebäudeklimaförderung. Auch das «Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz», das unter anderem zu Renaturierung von Mooren genutzt werden soll, wird gekürzt. Eine Übersicht gibt’s bei Klimareporter. Darüber hinaus werden etwa auch Kürzungen bei den Ukrainehilfen stark kritisiert (siehe ZDF). Die finale Entscheidung über den Haushalt beschliesst der Bundestag in den kommenden Wochen. Änderungen wird sich sicherlich geben.
«Paradigmenwechsel» im deutschen Strommarktdesign
Um in Zeiten des rasanten Ausbaus erneuerbarer Energien ein stabiles Stromsystem zu gewährleisten, ist ein grundlegender «Paradigmenwechsel» erforderlich, stellt das BMWK fest. Kurz gesagt muss ein Stromsystem, das flexibler auf Angebot und Nachfrage in Zeiten der volatilen Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien reagieren können. Seit 2023 beraten Akteure aus Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft über die Transformation des Strommarktdesign, mithilfe dessen die Klimaneutralität, Bezahlbarkeit und Versorgungssicherheit sichergestellt werden kann. Nun hat das BMWK auf 120 Seiten erste Vorschläge bereitet, wie das deutsche Stromsystem der Zukunft aussehen kann, die derzeit konsultiert werden.
Nassesten zwölf Monate seit über 140 Jahren
Nie seit Beginn der Wetteraufzeichnungen im Jahr 1881 wurde so viel Regen gemessen wie zwischen Juli 2023 bis Juni 2024. Damit waren es die nassesten zwölf Monate. Damit wurde die Trockenheit der vergangenen Jahre durch eine starke Nassphase abgelöst, so der Deutsche Wetterdienst (DWD). Die Folgen waren teils verheerend. Grosse Teile von Nord-, Südwest- und Süddeutschlands waren etwa seit Jahresbeginn immer wieder von grossen Überschwemmungen betroffen. Über einen historischen Zeitraum betrachtet werden die Niederschlagsmengen und Perioden immer variabler, so der DWD. Forderungen nach dem Ausbau von «Schwammstädten» und Klimaanpassungen werden lauter, wie Klimareporter schildert. Ein Hauptgrund für die zunehmenden Regenmengen sei die Klimakrise, so der ZDF. Denn wärmere Luft kann mehr Wassermengen speichern, wodurch es zu mehr Niederschlägen kommen kann.
Die sichtbare Klimakrise
Die Auswirkungen der Klimakrise sind auf der ganzen Welt immer heftiger zu spüren. Wir könnten jeweils die ganze Klima-Zeitung mit Nachrichten zu Extremereignissen und «„Naturkatastrophen»„ füllen. Diese Schwemme der Katastrophenmeldungen ist schwierig zu verdauen. Es ist wichtig, dass wir uns die gewaltigen Auswirkungen, die unsere Gesellschaft, unsere Wirtschaft, unser Lebensstyl verursachen vor Augen führen. Immer wieder. Doch zuviel davon führt zu Gefühlen der Machtlosigkeit. Wir versuchen in der Klima-Zeitung ein Mittelmass finden, das aufrüttelt, aber nicht hoffnungslos macht.
Tödlicher Hitzesommer
Wie erwartet, hat der Sommer auf der nördlichen Halbkugel (wo 90% der Weltbevölkerung leben) in vielen Regionen für tödliche Hitzewellen gesorgt. Rund um den Globus sind Hunderte Millionen Menschen der Hitze ausgesetzt: Von Asien - wo Indien (Klimareporter), Pakistan (NY Times, paywall), und Japan (Guardian) besonders betroffen sind - über Nord- und Südamerika (NY Times, paywall; Mexiko (Le Temps), Afrika, den Nahen Osten (in Saudi-Arabien starben 1300 Menschen, die an der islamischen Pilgerfahrt teilnahmen, Spiegel), bis Südeuropa (CNN). In der Antarktis war es ebenfalls viel zu warm: Eine Hitzewelle liess die Temperatur im Juli um 10°C über den Durchschnitt steigen (Guardian). Eine gute Übersicht nach Regionen liefert die Weltorganisation für Meteorologie, der Guardian und die NY Times (paywall).
Bild: Abweichungen der globalen Monatstemperatur von der Periode 1850-1900 (Quelle: Copernicus)
Von Juni 2023 bis Juni 2024 erreichte die globale Durchschnittstemperatur Monat für Monat einen Höchstwert. 13 Monate in Folge wurde dabei die 1,5-Grad-Schwelle des Pariser Klimaabkommens erreicht oder überschritten. Im gesamten Zeitraum von Juni 2023 bis Juni 2024 lag die weltweite Temperatur 1,65 Grad über dem vorindustriellen Vergleichswert, ist im Tages-Anzeiger zu lesen. Im Juli 2024 lag die Temperatur gemäss dem EU-Klimawandeldienst Copernicus knapp unter dem Vorjahr. Gleichzeitig war es an zwei Tagen im Juli 2024 so heiss wie noch nie, mit Durchschnittsgtemperaturen von 17,15-17,16 °C am 22. und 23. Juli. Carbon Brief geht davon aus, dass 2024 das wärmste Jahr seit Messbeging wird.
Der Uno-Generalsekretär Antonio Guterres fordert die Staaten auf, die gefährdete Bevölkerung besser zu schützen. Extreme Hitze sei «das neue Abnormale». Auf der ganzen Welt würden Menschen mit den fatalen Auswirkungen extremer Hitze kämpfen. Ungleichheiten vergrössern sich, die globalen Entwicklungsziele werden untergraben. Mehr dazu bei Climate Home News. Es brauche Schutzmasahmen am Arbeitsplatz sowie wirksame Systeme, um vor Hitze zu warnen. Zudem verlangt Guterres eine «enorme Beschleunigung aller Dimensionen des Klimaschutzes», da die globale Erwärmung derzeit schneller voranschreite als die Bemühungen zu ihrer Bekämpfung.
Im Jahr 2023 sind allein in Europa über 47’000 Menschen an den Folgen hoher Temperaturen gestorben. Zu diesem Schluss kommt eine in «Nature Medicine» veröffentlichte Studie. Die Forschenden werteten Daten des Europäischen Statistikamtes zu 96 Millionen Todesfällen aus, um für 823 Regionen in 35 europäischen Ländern die hitzebedingte Sterblichkeitslast 2023 zu schätzen. Am meisten Todesfälle im Verhältnis zur Einwohnerzahl gab es ein Griechenland, Bulgarien, Italien und Spanien. Mehr dazu auf SRF.
Extreme Hitze erhöht das Risiko für Herz-Kreislauf-Probleme, dieser Zusammenhang ist schon länger bekannt. Das bestätigt eine neue Übersichtsstudie, für die rund 500 wissenschaftliche Arbeiten analysiert wurden. Ältere Personen, Angehörige ethnischer Minderheiten und weniger wohlhabende Gemeinschaften sind übermässig betroffen, ist bei Inside Climate News zu lesen. Hitzewellen beeinträchtigen auch die mentale Gesunheit, zeigen neue Forschungsergebnisse. In Phasen grosser Hitze suchen mehr Menschen mit psychischen Problemen psychiatrische Notfallaufnahmen auf und die Selbstmordrate steigt, ist bei CarbonBrief zu lesen.
Brände sind heisser, grösser und treten früher auf
Die Waldbrandsaison setzt mancherorts früher ein als erwartet. Zu Beginn des Jahres, wenn normalerweise die Regenzeit beginnt, kam es an der Nordspitze des Amazonas zu einer Rekordzahl von Waldbränden: Fast 13'500 sind im Amazonasgebiet registriert worden, so viele wie seit 20 Jahren nicht mehr. Brände entstehen auch an Orten, die eigentlich zu nass sein sollten für Feuer. So brennt es im Pantanal zwischen Brasilien und Bolivien seit Wochen. Das Paranal ist das grösste tropische Feuchtgebiet und eine der artenreichsten Regionen der Welt. Mehr in der NY Times (paywall), Guardian und SRF.
Heissere Temperaturen machen die Atmosphäre «durstig» so dass sie mehr Feuchtigkeit aus dem Boden und der Vegetation saugt. Trockene Wälder sind leichter entflammbar und es kommt zunehmend zu grösseren Waldbränden. Hitzewellen und intensive Dürreperioden schüren zurzeit schwere Brände in Kalifornien, Oregon und Kanada. Mehr bei insideclimatenews.org und der NY Times (paywall). Russland meldete eine 50-prozentige Zunahme der verbrannten Fläche im Vergleich zu 2023.
Extreme Waldbrände haben sich in den letzten zwei Jahrzehnten verdoppelt, zeigt eine neue Studie. Die meisten dieser stärkeren Brände ereigneten sich in Nadelwäldern Nordamerikas. Die Zahl der Brände hat sich dort in den letzten 20 Jahren mehr als verzwölffacht. Siehe NY Times (paywall).
Überschwemmungen und Erdrutsche
Bei Erdrutschen in Äthiopien kamen über 200 Menschen ums Leben. Nach heftigen Regenfällen stürzte ein Hang oberhalb eines Dorfes ab und begrub die Häuser unter Schlamm. Nachbarn und Rettungskräfte, die zur Hilfe geeilt waren, wurden von einem zweiten Erdrutsch getroffen. Mehr in der NY Times (paywall). In Kerala, Südindien sind weit über hundert Menschen gestorben, nachdem heftige Regenfälle riesige Schlammlawinen ausgelöst hatten. Mehr in der NY Times (paywall) und Tages Anzeiger (paywall). Mehr als 240’000 Menschen wurden im Osten Chinas evakuiert, nachdem heftige Regenfälle in weiten Teilen des Landes den Fluss Jangtse anschwellen liessen. Mehr bei RTS.
Neues aus der Klimawissenschaft
CO₂-Budget schneller aufgebraucht als gedacht
Neue Daten der Global Climate Change Initiative zeigen, dass das weltweite CO₂-Budget schneller abnimmt als bisher gedacht. Global dürfen noch 150 Milliarden Tonnen CO₂ ausgestossen werden, wenn wir das 1,5 Grad Ziel mit einer Wahrscheinlichkeit von 67% einhalten wollen. Bei den derzeitigen globalen Emissionen von rund 40 Milliarden Tonnen wird das CO₂-Budget 2028 aufgebraucht sein. Will man die Erwärmung mit mit der gleichen Wahrscheinlichkeit auf unter 2 Grad halten, verbleiben noch 900 Milliarden Tonnen CO2.
Bildquelle: Tages-Anzeiger (paywall)
Arme Länder brauchen Reparationszahlungen
Wer am meisten zur Klimakrise beigetragen hat, soll jene unterstützen, die am stärksten darunter leiden. Davon profitieren würden alle. Europa und die USA haben historisch über die Hälfte aller Treibhausgasemissionen verursacht, obwohl sie nur etwa ein Achtel der Weltbevölkerung ausmachen. Auch auf individueller Ebene sind die Unterschiede riesig: Die reichsten 10% der Weltbevölkerung verantworten gemäss Berechnungen der NGO Oxfam die Hälfte aller Treibhausgasemissionen. Zu den reichsten 10 Prozent gehören alle, die mehr als 36’000 Franken pro Jahr verdienen.
Nach jahrzehntelangem Druck der kleinen Inselstaaten und anderer Entwicklungsländer einigte man sich an der Weltklimakonferenz 2022 auf die Einrichtung eines von reichen Ländern finanzierten Fonds, der Reparationen an Länder bezahen soll, die durch den Klimawandel besonders gefährdet sind. Die USA haben 17,5 Millionen Dollar zugesichert, Deutschland und Frankreich je 100 Millionen. Insgesamt viel zu wenig. Eine im vergangenen Jahr im Fachmagazin «Nature» publizierte Studie schätzt, dass die reichen Länder den ärmeren Ländern fast 200 Billionen Dollar an Entschädigungen für die Klimakrise schulden.
Zum Vergleich: 2020 und 2021 haben die G-20-Staaten rund 14 Billionen Dollar an Konjunktur-hilfen bereitgestellt, um den Auswirkungen der Covid-Pandemie entgegenzuwirken. Um tatsächlich Milliarden für den Fond zu generieren, könnte die UNO ein Instrument schaffen, das Industrieländer dazu verplichtet, einen bestimmten Prozentsatz ihres Bruttoinlandprodukts für Entwicklungsländer bereitzustellen. Oder einzelne Länder könnten ihre fossile Industrie stark besteuern und die Erlöse denen zugutekommen lassen, die aufgrund der Klimakrise darauf angewiesen sind, im eigenen Land oder im Ausland. Mehr in der Republik.
Aktiv gegen Hoffnungslosigkeit
«Optimismus und Hoffnung sind Muskeln, die wir trainieren müssen», sagt der Klimaforscher Rob Jackson. Sein neues Buch «Into the Clear Blue Sky» zeigt beispielhaft auf, wie man über den Klimawandel und die Gesundheit des Planeten denken kann. Mehr bei Inside Climate News.
Mit Familie und Bekannten über die Klimakrise zu sprechen, ist vielen unangenehm. Aber kein Gespräch ist auch keine Lösung. Die Republik schlägt 36 Fragen vor, die eine Grundlage schaffen können, zum gemeinsamen Nachdenken.
Rückenwind für Klimaschutz: 80% der Weltbevölkerung wollen mehr Klimaschutz. Gegner:innen wirksamer Klimapolitik bekommen zu viel Aufmerksamkeit. Das wird sich nur ändern, wenn der Wandel sozial gerecht gestaltet wird. Mehr bei Klimareporter.
Übersicht über anstehende Abstimmungen und zu Initiativen:
- Biodiversitätsinitiative: 22. September (zum Zusammenhang von Klima und Biodiversität siehe diesen Bericht)
- Referendum gegen den Autobahnausbau: 24. November
- Die Grünen sammeln Unterschriften für ihre Solar-Initiative. Sie will eine Pflicht für Solaranlagen auf Gebäuden.
- Der Verein Klimaschutz Schweiz plant eine neue Volksinitiative (hier und hier mehr Infos). Der Inhalt der Initiative wird gemeinsam mit Interessierten und Expert:innen erarbeitet.
- Noch dieses Jahr will Greenpeace die Volksinitiative für einen nachhaltigen Finanzplatz lancieren, um die Branche auf Klimakurs zu bringen.