Klima-Zeitung

Februar 2024

Alle zwei Monate ordnen wir alles Wichtige zu Politik und Wissenschaft ein. Für Menschen, die in der Diskussion um die Klimakrise auf dem Laufenden bleiben möchten.

Inhalt

Editorial

In dieser Nummer berichten wir ausführlich darüber, wie mit dem CO2-Gesetz eine Chance für ambitionierten Klimaschutz verpasst wird. Und wie unterschiedlichen die Ansätze sind, über die rund um die Förderung erneuerbarer Energien diskutiert wird. Wir erläutern, was weltweit bei den Wahlen in vielen Ländern auf dem Spiel steht und weisen auf die vergessenen Emissionen des Militärsektors hin. Weiter ordnen wir die neuen Klimaziele der EU ein. Wir berichten über die Klimarekorde im 2023 und die rasante Gletscherschmelze an den Polen.  Wir fassen neue Narrative der Klimaleugnung zusammen und stellen verrückte Lösungsansätze und Handlungsoptionen vor.

Schweiz

Das CO2-Gesetz bleibt zahnlos

Mit dem revidierten CO2-Gesetz soll für den Zeitraum 2025-2030 festgeschrieben werden, mit welchen Instrumenten die Schweiz die Treibhausgase gemäss dem Pariser Klimaschutzabkommen gegenüber 1990 halbiert. In der Dezembersession hat der Nationalrat eine etwas weniger mutlose Version als zuvor der Ständerat angenommen. So sollen mehr der Emissionsreduktionen im Inland erzielt werden und der Bau von Ladeinfrastrukturen für Elektroautos mit Einnahmen aus der Mineralölsteuer unterstützt werden. Wie der Ständerat will aber auch der Nationalrat auf eine Erhöhung der CO2-Abgabe, sowie auf eine Abgabe auf Flügen mit Privatjets verzichten. Mehr dazu auf srf.ch.

In der kommenden Wintersession (26.2. bis 15.3.2024) behandelt der Ständerat das CO2-Gesetz zum zweiten Mal. Geht es nach dem Willen der vorberatenden Kommission (UREK), verharrt der Ständerat auf seiner Position und schliesst sich dem Nationalrat nicht an. Der Ständerat lehnt ein Reduktionsziel im Inland ab, was zu noch mehr Auslandzertifikaten führen würde. Auch von einer finanziellen Unterstützung für Ladestationen will er nichts wissen. Mehr dazu bei cash.ch.

Warum im CO2-Gesetz ein ambitioniertes Inlandziel verankert werden muss, zeigt Marcel Hänggi, Vater der Gletscherinitiative, in der NZZ (paywall) auf. Das Klimaschutzgesetz (KlG), das im Sommer 2023 vom Volk angenommen wurde, gibt konkrete Reduktionsziele ab 2031 vor. Ab diesem Zeitpunkt müssen die Reduktionen im Inland erfolgen. Die Ziele können aber nur erreicht werden, wenn die Emissionen bereits bis 2030 im Inland genügend sinken. Im andern Fall, also beim Verzicht auf ein Inlandziel, würden die Ziele verfehlt und damit der Volkswillen missachtet, erläutert Hänggi.

Noch bevor sich National- und Ständerat auf das revidierte CO2-Gesetz geeinigt haben, beschäftigen sich die Räte bereits mit einer Initiative für ein «neues schlankes und wirksames CO2-Gesetz». Unter diesem Titel hatte Gerhard Pfister, Präsident der Mitte-Partei, eine parlamentarische Initiative eingereicht. Sie sieht ab 2030 eine Lenkungsabgabe auf allen Treibhausgasessmissionen vor, also auch auf Benzin und Diesel. Im Januar hat die Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie (UREK) des Ständerats den Vorstoss knapp abgelehnt. Mehr dazu hier und hier im Tages-Anzeiger.

Wie wird das Klimaschutzgesetz umgesetzt?

Im Sommer 2023 wurde das Klimaschutzgesetz (KIG) an der Urne angenommen. Nun hat der Bundesrat die Verordnung vorgestellt, mit der er die vorgesehenen Förderprogramme im Umfang von 3,2 Milliarden Franken realisieren will. Gemäss dem Vernehmlassungsentwurf sollen die Vorschriften Anfang 2025 in Kraft treten. Bei der Unterstützung vom Heizungsersatz soll der Fokus auf Mehrfamilienhäuser liegen, weil hier die kantonale Förderung zu wenig wirksam sei. Ein zweiter Schwerpunkt bildet der Ersatz von ineffizienten Elektroheizungen durch erneuerbare Heizsysteme. Verschoben hat der Bundesrat hingegen Massnahmen, damit die Bundesverwaltung die im KIG verlangte Vorbildfunktion erfüllen kann.

Bereits im Herbst hatte der Verein Klimaschutz Schweiz (er hatte die Gletscherinitiative zugunsten des Klimaschutzgesetzes zurückgezogen) die schleppende Umsetzung des Gesetzes kritisiert. Nun befürchtet er, dass das KIG in zentralen Punkten verwässert wird.

Noch eine Abstimmung zur Energiepolitik und weitere Klima-Initiative

Über die Einführung des «Bundesgesetzes über eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien» (Mantelerlass) wird das Volk abstimmen. Das Bündnis Natur & Landschaft Schweiz, der Verein Freie Landschaft Schweiz und die Fondation Franz Weber haben Mitte Januar genügend Stimmen für das Referendum eingereicht. Auch das Carnot-Cournot-Netzwerk, ein Thinktank aus Atomenergiebefürworter:innen, sammelte Unterschriften gegen das Gesetz.

Im Herbst hatten sich National- und Ständerat auf verbindliche Ausbauziele für erneuerbare Energie bis 2035 und im Gegenzug auf Lockerungen beim Naturschutz geeinigt. Die Organisationen, welche Unterschriften sammelten, betonen, mit dem Mantelerlass werde das Interesse am Bau grosser Energieanlagen systematisch über den Schutz von Natur und Landschaft gestellt. Dies stehe im Widerspruch zur Verfassung. Mehr dazu im Tages-Anzeiger und hier und hier (paywall) in der NZZ.  In der Wochenzeitung ist zu lesen, weshalb die Grünen des Kantons Graubünden die Auenlandschaften dadurch bedroht sehen und warum sie das Gesetz ablehnen. In der NZZ (paywall) erläutert Hans Weiss, Landschaftsschutz-Pionier und einer der Köpfe des Referendumskomitees, weshalb er den Mantelerlass bekämpft.

Am 9. Juni wird über das Gesetz abgestimmt. Bereits jetzt bringen die Befürworter:innen ihre Argument vor. Der Mantelerlass sei ein wesentlicher Schritt für eine sichere und erneuerbare Energieversorgung. Er ermögliche es, die Klimaziele einzuhalten und sorge für verlässliche Rahmenbedinungen sowie Planungssicherheit. Mehr dazu in der NZZ (paywall), bei der Schweizerischen Energiestiftung, beim WWF und dem Verein energie-wende-ja.

Noch rund zwei Jahre wird es dauern, bis über eine weitere Klima-Initiative abgestimmt wird: über die Volksinitiative «für eine Zukunft» der Jungsozialist:innen  (Juso). Angang Februar sind die erforderlichen Unterschriften eingereicht worden. Das Volksbegehren will eine Erbschaftssteuer von 50% einführen. Der Vorstoss zielt auf sehr vermögende Personen – die Steuer soll erst ab einem Freibetrag von 50 Millionen CHF erhoben werden. Die Initiant:innen  schätzen, dass damit pro Jahr rund sechs Milliarden CHF zur Bekämpfung der Klimakrise und zum Umbau der gesamten Wirtschaft zur Verfügung stehen. 2015 war letztmals über eine nationale Erbschaftssteuer abgestimmt worden. Damals lehnten es 71% der Stimmbürger:innen ab, auf Erbschaften und Schenkungen eine Abgabe von 20% zu erheben. Mehr dazu im Tages-Anzeiger.

Rekordhitze und ihre Auswirkungen

2023 war in der Schweiz das zweitwärmste Jahr seit Messbeginn. Die durchschnittliche Jahrestemperatur lag um 1,4 Grad höher als in der Periode von 1991 bis 2020, wie dem Klimabulletin 2023 von MeteoSchweiz zu entnehmen ist. Gegenüber der Zeit von 1961 bis 1990 hat sich die Jahrestemperatur um 2,6 Grad erhöht.

Die Schweizer Bevölkerung nimmt die klimatischen Veränderungen wahr, wie eine Befragung des Bundesamts für Statistik zeigt. 41% der Befragten beurteilt die Veränderungen als stark, 48% als leicht. Frauen erleben den Klimawandel stärker als Männer.

Die Klimaerwärmung hat die Nullgradgrenze in der Schweiz ansteigen lassen. In den letzten 150 Jahren ist sie um 200 bis 700 Meter angestiegen, besonders stark im Winter, schreibt der Tages-Anzeiger (paywall). Zwischen 1871 und 1900 lag die durchschnittliche Nullgradgrenze im Winter noch auf der Höhe der Städte Bern, Basel oder Zürich. Inzwischen ist sie auf die Höhe von Einsiedeln (883 Meter über Meer) geklettert. Auch im Sommer erwärmen sich die Luftschichten bis in grosse Höhen. So erreichte die Nullgradgrenze über der Schweiz im August die Rekordhöhe von 5298 Meter. Um die Höhe der Nullgradgrenze zu bestimmen, werden seit 1954 von Payerne aus Wetterballone gestartet. Mehr dazu bei Meteo Schweiz.

Wie die Erwärmung, die zunehmende Trockenheit im Sommer und das Abschmelzen der Gletscher die Berglandwirtschaft in der Schweiz beeinflusst, zeigt eine Reportage der NY Times (paywall).

2200 vermeidbare Todesfälle durch Feinstaub und Stickoxid

Luftverschmutzung führt in der Schweiz jedes Jahr zum Tod Tausender Menschen. Würde unser Land die aktuellen Vorgaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zur Luftqualität einhalten, liessen sich jährlich über 2200 dieser Todesfälle vermeiden. Dies entspricht rund 23’850 verlorenen Lebensjahren. Zu diesem Schluss kommt ein Bericht des Tropen- und Public-Health-Instituts (Swiss TPH) im Auftrag des Bundesamts für Umwelt. Zudem könnten jährlich rund 9000 Fälle von chronischem Lungenleiden, 5000 Demenzerkrankungen und 1100 Fälle von Asthma bei Erwachsenen verhindert werden.

Hintergrund der Studie ist die Verschärfung der Luftqualitätsrichtlinien der WHO für Feinstaub und Stickoxid. Die neuen Werte, die seit 2021 gelten, wurden aufgrund neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse angepasst. Die Schweiz hat dies noch nicht umgesetzt. Die aktuellen Immissionsgrenzwerte der Luftreinhalte-Verordnung richten sich an den Vorgaben der WHO von 2005. Feinstaub entsteht durch Holzfeuerungen in Haushalten, in der Industrie, im motorisierten Verkehr (Verbrennungsmotoren und Reifenabrieb) und in der Landwirtschaft. Stickoxide werden von Dieselmotoren, der Landwirtschaft (Ammoniak) und der Industrie verursacht. 2023 hatte die Eidgenössische Kommission für Lufthygiene empfohlen, die WHO-Richtwerte zu übernehmen. Laut dem Bafu wird es aber einige Jahre dauern, bis die Empfehlung umgesetzt wird. Mehr dazu im Tages-Anzeiger.

Zweifel an freiwilliger CO2-Reduktion der Industrie

Nach dem geltenden CO2-Gesetz können sich Firmen, die viel Energie verbrauchen, von der CO₂-Abgabe befreien lassen. Voraussetzung ist, dass sie sich ein Ziel setzen, um den Ausstoss ihrer Treibhausgasen zu reduzieren. Nun zeigt ein Bericht der Eidgenössischen Finanzkontrolle, dass die Vorgaben «nicht anspruchsvoll genug» sind.  Zudem gelten seit Beginn dieser Ausnahmeregelung die gleichen Anforderungen, obwohl die CO₂-Abgabe in der gleichen Zeit mehrmals erhöht wurde. Mit den beteiligten Unternehmen wurde eine CO₂-Reduktion von durchschnittlich 12% vereinbart. Diese wurde zwar mit 19% Rückgang übertroffen. Doch im gleichen Zeitraum hat die gesamte Schweizer Industrie 20% weniger CO₂ ausgestossen. Deshalb rät die Finanzkontrolle dazu, die Anforderungen an beteiligte Unternehmen zu verschärfen.

Economiesuisse und weitere Wirtschaftsverbände weisen die Kritik zurück. Bei der CO2-Reduktion der gesamten Industrie werde nicht berücksichtigt, dass Firmen ihre Produktion ins Ausland verlagert oder aufgegeben hätten. Ein Beispiel ist die Schliessung der Raffinerie Collombey, die sehr viele Emissionen ausgestossen habe. Die Finanzkontrolle weist die Kritik der Verbände zurück.

Der Befund der Finanzkontrolle ist auch deshalb relevant, weil mit der Revision des CO2-Gesetzes neu alle Firmen an dem Programm zur Abgabebefreiung teilnehmen können. Mehr dazu hier, hier und hier im Tages-Anzeiger, in der NZZ und auf srf.ch.

Die Stromversorgung weiterhin im Fokus

Die Schweiz will bis zum Jahr 2035 die Stromproduktion aus Sonne, Wind, Holz und Biogas versechsfachen. Wie dieses Ziel erreicht werden kann, haben Forschende der Universitäten Genf und Bern sowie der ETH Lausanne und Zürich analysiert. Ihre Studie zeigt drei Strategien auf, die den künftigen Strombedarf decken und gleichzeitig tausende Arbeitsplätze schaffen. Bei allen drei Möglichkeiten hat Solarstrom den grössten Anteil (70-88%). Eine Variante konzentriert sich auf die produktivsten Standorte und setzt stärker auf Windenergie. Eine andere umfasst auch in grösserem Ausmass Biomasseanlagen. Je nach Strategie werden pro Jahr Investitionen zwischen 0,5 und 2,1 Milliarden Franken nötig. Die Variante mit dem höheren Windanteil wäre die günstigste, jene mit mehr Biomasse am teuersten.

Kurzfristig schlägt der Bundesrat einen anderen Weg ein, um die Stromversorgung zu sichern. Er setzt auf fossile Reservekraftwerke. Die Verträge, die der  Bund für Anlagen in Birr, Cornaux und Monthey abgeschlossen hat, laufen bis 2026. Für die Zeit danach läuft eine neue Ausschreibung. Doch das Interesse der Stromkonzerne ist gering, das finanzielle Risiko sei zu gross. Nun ist der Bundesrat den Firmen entgegengekommen. Künftig sollen die Betreiber der Reservekraftwerke die Projektierung und die erforderlichen Vorleistungen nicht selber bezahlen müssen; die Kosten dafür tragen die Stromkonsument:innen. Klimafachleute und -aktivist:innen kritisieren, die fossilen Reservekraftwerke seien unnötig und würden dem vom Volk angenommenen Klimaschutzgesetz widersprechen. Mehr dazu im Tages-Anzeiger.

Solarstrom: 2023 hat sich der Bau neuer Photovoltaikanlagen in der Schweiz nochmals beschleunigt. Gemäss dem Branchenverband Swissolar wurden 40% mehr Leistung installiert als im Vorjahr. Dies ermöglicht im laufenden Jahr eine Stromproduktion von rund 6 TWh, was rund 10% des Stromverbrauchs der Schweiz entspricht. Das Wachstum betraf kleinere wie auch grössere Anlagen. Mehr dazu im Tages-Anzeiger.

Weniger schnell geht der Ausbau alpiner Solaranlagen voran. Diesen wollte das Parlament mit der Solaroffensive beschleunigen. Um die versprochenen Subventionen von bis zu 60% der Investitionen zu erhalten, müssen die Anlagen bis Ende 2025 Strom liefern. Gemäss einer Aufstellung des Verbands Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen sind derzeit 54 alpine Solarprojekte in Planung. Doch erst für sieben ist bisher ein Baugesuch publiziert worden, wie eine Übersicht des BFE zeigt. Seit 2023 hat die Bevölkerung  in den Standortgemeinden 16 Bauvorhaben zugestimmt, mehr als rund 10 Projekte wurden abgelehnt, schreibt die Aargauer Zeitung.

Nun hat Energieminister Albert Rösti im Tages-Anzeiger gesagt, dass die Frist verlängert werden könnte. Er meinte, es finde sich sicher eine Lösung, damit Projekte mit den Fördermitteln realisiert werden könnten. Kritiker der Solaroffensive aus der SVP sind der Ansicht, für eine Verlängerung brauche es einen Beschluss des Parlaments.

Drei weitere Solarprojekte haben einen Rückschlag erlitten: Die Gemeindeversammlungen in Surses, GR, in Hasliberg, BE, und Albinen, VS, haben geplante Solarparks abgelehnt. In Surses/Savognin wollte das Elektrizitätswerk der Stadt Zürich auf einer Fläche von über 90 Fussballfeldern Hektaren Strom für 20’000 Haushalte produzieren. Die NZZ sieht in der Ablehnung ein «Symbol für die Mühen der Schweizer Klimapolitik; mehr dazu im Tages-Anzeiger. Im Skigebiet von Hasliberg war eine Anlage für 4500 Haushalte geplant, in Albinen für 17’000 Haushalte; mehr dazu im Bund (paywall), nau.ch und energate.

Einen Schritt weiter sind zwei Solarprojekte im Bündnerland: Gegen die Baugesuche für die Solarkraftwerke Klosters und Laax wurden keine Einsprachen erhoben; der Bauentscheid der Behörden wird im Spätsommer erwartet, schreibt die Südostschweiz (paywall). Gegen die Anlage im Gantrisch-Gebiet (Alp Morgeten) haben hingegen mehrere Umweltschutzorganisationen Einsprache eingereicht (Tages-Anzeiger, paywall).

Der Tages-Anzeiger hofft, dass die Ablehnung der Solarprojekte dazu führt, dass der Bund die Solar-Offensive stoppt und den Ausbau von PV-Anlagen auf bestehenden Bauten vorantreibt. In der NZZ erklärt Boris Previsic vom Urner Forschungsinstituts Kulturen der Alpen, warum er alpine Solaranlagen für sinnvoll hält und warum er kleine Wasserkraftwerke entfernen will, um den Verlust an Artenvielfalt zu stoppen. Wie gross das Potenzial für Solarstrom entlang von Autobahnen ist, zeigt der Tages-Anzeiger (paywall).

Auch der Ausbau der Wasserkraft verzögert sich. Beim geplanten Triftstausee haben die beiden Umweltorganisationen Aqua Viva und Grimselverein Beschwerde gegen die Konzessionserteilung eingereicht. Sie argumentieren, dass das Gebiet rund um den grössten natürlichen Gletschersee der Schweiz ins Bundesinventar der Auen von nationaler Bedeutung aufgenommen und damit unter Schutz gestellt werden müsse. Mehr dazu im Beobachter und auf srf.ch.

Bei der Windenergie soll es hingegen vorangehen. Seit dem 1. Februar 2024 ist die Windenergie-Offensive in Kraft. Die entsprechende Anpassung der Energieverordnung hat der Bundesrat beschlossen. Im Juni 2023 hatte sich das Parlament auf das dringliche Bundesgesetz geeinigt, das die Bewilligungsverfahren für Windenergieanlagen von nationalem Interesse beschleunigt. Neu erteilen kantonale Behörden die Baubewilligung, nicht wie bisher die Gemeinden. Beschwerden ans Bundesgericht sind nur noch bei Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung zulässig. Mehr dazu bei nau.ch.

Wie srf.ch aufzeigt, könnten elf Windprojekte, die derzeit in Planung sind und bei denen das Bewilligungsverfahren läuft, vom Windexpress profitieren. Würden sie realisiert, würde dies 150’000 Haushalte mit Strom versorgen. Dies entspricht der Hälfte des Zubaus, der mit dem Windexpress anvisiert wird. Neue Anlagen werden mit dem Gesetz gemäss Branchenfachleuten aber nicht angepackt; die Verfahren dauerten noch immer zu lange.

Der Verein Freie Landschaft Schweiz will verhindern, dass die Bewilligungsregeln vereinfacht werden. Die Landschaftsschützer:innen haben eine Volksinitiative lanciert, um in der Verfassung festzuschreiben, dass «betroffene und stark beeinträchtigte Gemeinden» zwingend über Windprojekte abstimmen müssen. Eine zweite Initiative des Vereins verlangt neue Windräder zu verbieten, die im Wald oder im Abstand von bis zu 150 Metern zum Wald oder zu leicht bewaldeten Flächen geplant sind. Auch ist eine rückwirkende Klausel vorgehen: Anlagen, die nach dem 1. Mai 2024 erstellt worden sind und die neuen Anforderungen nicht erfüllen, sollen abgebrochen werden.

Umweltverbände wie WWF und Greenpeace lehnen die Initiativen ab und befürchten eine weitere Verzögerung der Energiewende. Mehr dazu im Tages-Anzeiger (paywall) und in der Solothurner Zeitung (paywall). Die NZZ am Sonntag (paywall) porträtiert Elias Vogt, den Präsident des Verbands Freie Landschaft Schweiz.

Windräder stellen für Vögel eine Gefahr dar. Doch wie gross sind die Auswirkungen auf Vogelpopulationen im Vergleich zu jenen von Anlagen zur Förderung von Öl und Gas? Diese Frage beantwortet eine neue Studie in «Environmental Science & Technology», für welche eine Vogelzählungen in den USA der Jahre 2000 bis 2020 analysiert wurde. In dieser Zeit wurden Windkraft und Anlagen zur Gewinnung Öl und Gas massiv ausgebaut. Die Untersuchung zeigt, dass neue Öl- oder Gasbohrungen den Vogelbestand deutlich reduzieren. Bei den Windkraftanlagen fanden die Forschenden hingegen keine negativen Auswirkungen, weder auf die Grösse von Vogelpopulationen noch auf die Anzahl vorhandener Vogelarten. Mehr dazu im Tages-Anzeiger.

Für eine Volksinitiative zur Atomenergie sind die verlangten 100’000 Unterschriften gesammelt worden. Unter dem Titel «Jederzeit Strom für alle (Blackout stoppen)» will die Initiative das 2017 vom Volk beschlossene Bauverbot für neue Kernkraftwerke aufgeheben. Lanciert wurde der Vorstoss vom Energie Club der Schweiz.

Dahinter steht die Familie Aegerter mit dem Milliardär Daniel, seinem Bruder und den Eltern. Ein Porträt der Familie und über ihren Kampf für Atomenergie ist in der NZZ am Sonntag (paywall) zu lesen. Der Präsident des Dachverbandes der Schweizer Strombranche lehnt die Initiative ab. Eine Atomdiskussion bringe nichts, es brauche mehr erneuerbare Energie, sagte er der NZZ am Sonntag (paywall). Mehr dazu in 20 Minuten.

Wie sauber ist Energie aus Wasserstoff?

Mit Wasserstoff können Fahrzeuge angetrieben und in Industrieprozessen, die sehr hohe Temperaturen erfordern, direkt Erdgas und Kohle ersetzt werden. Europa will den Energieträger fördern, die Schweiz sucht den Anschluss an ein länderübergreifendes Wasserstoffnetz. So will die Betreiberin der Schweizer Erdgaspipeline, Flux Swiss, ihr Netz für Wasserstoff nutzen. Ein entsprechendes Gesuch sei bereits bei der EU eingereicht, berichtet die NZZ. Swiss Flux verlangt, dass sich der Bund und die EU an den Investitionen für die Umrüstung beteiligen.

Doch die Technologie birgt Risiken, wie Anthony Patt, ETH-Professor für Klimaschutz und -anpassung, in einem Beitrag darlegt. Für die Produktion von grünem Wasserstoff, der saubersten Variante, wird erneuerbare Energie genutzt. Dieser Prozess ist jedoch sehr ineffizient. Wenn Wasserstoff zur Wärme- oder Stromerzeugung eingesetzt wird, geht mehr als die Hälfte der aufgewendeten Energie verloren. Eine direkte Stromnutzung, z.B. durch Wärmepumpen im Gebäudesektor, ist also viel effizienter.

Wird Wasserstoff aus Erdgas hergestellt, hat er eine schlechte Klimabilanz. Die Kapazitäten für grünen Wasserstoff hängen direkt davon ab, wie viel erneuerbarer Strom zur Verfügung steht. «Wir alle sollten vorsichtig mit Wasserstoff umgehen», verlangt der ETH-Professor, «und ihn nur dort einsetzen, wo es keine besseren Alternativen gibt.» Das sind vor allem Industrieprozesse, nicht aber der Gebäudebereich oder PKWs. Mehr dazu in der NZZ (paywall). Follow the Money berichtet, wie Lobbyist:innen EU-Politiker:innen Wasserstoff als Lösung verkauften.

Wie der Abriss von Gebäuden dem Klima schadet

Jahr für Jahr werden in der Schweiz Tausende Häuser abgerissen, Tendenz steigend. Das hat nicht nur soziale Folgen, sondern ökologische. Das Onlinemagazin Republik und das Recherche-netzwerk «Correctiv» machen dazu eine Serie. Sie zeigt, dass Ersatzneubauten (Abriss und Wiederaufbau eines Gebäudes) zwar den Energiebedarf und Treibhausausstoss im Betrieb der Gebäude verringern. Gleichzeitig braucht es für Neubauten jedoch grosse Mengen an Baumaterialien, deren Herstellung viel Energie und Ressourcen brauchen, sogenannte grauer Energie. Zudem fallen beim Abbruch bestehender Gebäude erhebliche Mengen an Abfall an: Hoch- und Tiefbau sind für über 80% des gesamten Schweizer Abfall­aufkommens verantwortlich. Im Schnitt entfallen ein Drittel der CO2-Emissionen eines Gebäudes auf den Bau, zwei Drittel auf den Betrieb. Anhand konkreter Bauprojekte wird vorgerechnet, dass sich die Sanierung bestehender Gebäude aus ökologischer Sicht lohnt.

Umstrittener Autobahnausbau und sozialverträgliche Verkehrspolitik

Der Verkehrs-Club der Schweiz (VCS) und der Verein Umverkehr haben das Referendum gegen den Autobahnausbau eingereicht. In der Herbstsession 2023 hatte das Parlament 5,3 Milliarden Franken dafür bewilligt, die A1 streckenweise auf sechs oder acht Spuren auszubauen. Mehr dazu im Tages-Anzeiger und auf srf.ch.

Ungeachtet der diesen Sommer oder Herbst erwarteten Abstimmung über den Autobahnausbau hat das Parlament bereits entschieden, dass weitere Ausbauschritte folgen sollen. Nach dem Nationalrat hat im Dezember auch der Ständerat einer Motion zugestimmt, welche die A1 auf der gesamten Länge zwischen Bern und Zürich und zwischen Lausanne und Genf auf mindestens sechs Spuren ausbauen will. Verkehrsminister Albert Rösti sprach «von einem Signal für die Zukunft.» Über einzelne Ausbauprojekte werden das Parlament entscheiden und auch das Volk, falls gegen die Beschlüsse wiederum das Referendum ergriffen wird. Mehr dazu auf srf.ch und nau.ch.

30. September 2023 – das Bundesamt für Statistik wählt jeweils diesen Stichtag – waren in der Schweiz 6,45 Millionen motorisierte Strassenfahrzeuge unterwegs. Drei Viertel davon sind Personenwagen. Dies entspricht einer Zunahme von rund 40’000 Fahrzeugen gegenüber dem Vorjahr. Würden die zusätzlichen Fahrzeuge Stossstange an Stossstange aneinandergereiht, ergäbe dies eine Kolonne von 175 km Länge. Die Zahl der neuen Zulassungen stieg um 12% auf 256’000. Bei jeder Fünften handelte es sich um ein reines Elektroauto. Aufladbare Hybridfahrzeuge (Plug-in-Hybride) machten 9% aller Neuzulassungen aus.

Was braucht es, damit die Klimapolitik sozialverträglich ist? Dies zeigt Caritas Schweiz in einem Positionspapier für den Verkehr auf. Sollte eine CO2-Abgabe auf Benzin und Diesel eingeführt, so müsste ein Grossteil der Einnahmen an die Bevölkerung zurückverteilt werden. So würden Menschen mit tiefen Einkommen für ihr klimaverträgliches Verhalten belohnt. Um finanziell schwächere Haushalte zu unterstützen, regt Caritas die Schaffung eines Klimasozialfonds an. Dieser könnte aus Einnahmen aus Emissionshandelssystemen oder einem allfälligen Mobility Pricing geäufnet werden. Zudem müssten Sozialtarife für den öffentlichen Verkehr eingeführt werden, damit Menschen in prekären finanziellen Situationen die klimafreundlichen Angebote nutzen können. Dabei könnte die KulturLegi der Caritas als Ausweis dienen.

Helion-Studie zum Umweltverhalten

Wie klimafreundlich schätzen Schweizer:innen ihr Verhalten ein? Was hindert sie daran, ökologischer zu leben? Und wo sollten in der Klimapolitik die Schwerpunkte gesetzt werden? Antworten liefert eine Studie des Forschungsinstituts Sotomo. Die repräsentative Befragung von 3000 Personen gab das Solarunternehmen Helion, eine Tochter des Autoimporteurs AMAG, in Auftrag. Sie zeigt, dass die Bevölkerung mehr Tempo bei den Massnahmen gegen den Klimawandel und für die Umsetzung der Energiewende will. Erneuerbare Energien wie Wind und Sonne werden zu langsam ausgebaut.

Das eigene Verhalten schätzt die Mehrheit der Befragten als zu positiv ein: 56% sind der Meinung, sie würden sich klimafreundlicher als die Schweizer Bevölkerung verhalten. Personen zwischen 18 und 35 Jahren haben einen grösseren CO2-Fussabdruck als der Rest der Bevölkerung. Dies deshalb, weil jüngere Menschen im Schnitt deutlich mehr fliegen. Mehr dazu im Tages-Anzeiger und auf srf.ch.

Klimarelevante Entscheide von Bund und Kantonen

Konsument:innen sollen darüber informiert werden müssen, ob Lebensmittel mit dem Flugzeug importiert wurden. Dies verlangt eine parlamentarische Initiative. Davon betroffen wären Früchte, Gemüse, Fisch und Fleisch. Flugtransporte von Lebensmitteln weisen einen grossen Umweltfussabdruck auf. Die Umweltorganisation WWF und die Stiftung für Konsumentenschutz begrüssen die Deklarationspflicht. Abgelehnt wird sie von der IG Detailhandel, welche die Interessen von Migros, Coop und Denner vertritt. Auch kleinere Händler sind dagegen; sie befürchten administrativen Zusatzaufwand. Mehr dazu im Tages-Anzeiger.

Seit Anfang Februar steht das renommierte Klima- und Wettermodell ICON allen Interessierten unter einer «Open-Source»-Lizenz zur Verfügung. Ermöglicht hat dies ein Forschungsteam aus Deutschland und der Schweiz mit Beteiligung der Empa. Damit wollen sie die Wissenschaft transparenter machen und neue Impulse in der Forschung ausgelöst werden.

Der Stadtrat von Zürich will CO2 aus dem Klärschlamm einfangen und speichern. Das soll dazu beitragen, damit die Stadt bis 2040 klimaneutral wird. Vorgesehen ist, Klärschlamm zu trocknen und zu verbrennen. Das dabei entstehende CO2 soll gefiltert, verflüssigt und nach Nordeuropa transportiert werden, um es dort langfristig im Meeresgrund zu speichern. Über die erforderlichen Investitionen von 35 Millionen Franken und jährlich anfallenden Kosten von 14 Millionen Franken werden der Gemeinderat und das Stimmvolk entscheiden. Die neue Anlage soll bereits 2028 in Betrieb gehen. Mehr dazu auf srf.ch und in der NZZ.

Internationale Klimapolitik

Globales Wahljahr

Mehr als 40 Länder, in denen etwa die Hälfte der Weltbevölkerung lebt – darunter die Vereinigten Staaten, Indien und Südafrika – werden in diesem Jahr ihre Politiker wählen. Hier das Wichtigste mit Blick auf die Klimapolitik:

USA und UK: Klimapolitik auf dem Spiel

Republikaner:innen und Demokrat:innen liegen in Sachen Klimakrise weit voneinander entfernt. Während Präsident Biden mit dem Inflation Reduction Act das wichtigste Klimagesetz der USA unterzeichnete, hat der ehemalige Präsident Trump, der sehr wahrscheinlich als republikanischer Kandidat antreten wird, die USA aus dem Pariser Abkommen austreten lassen. Die Republikaner haben eine umfassende Strategie mit dem Namen Projekt 2025 vorbereitet, falls Trump das Weisse Haus zurückerobert. Der Plan sieht vor, Klimagesetze rückgängig zu machen und die Produktion fossiler Brennstoffe anzutreiben. Mehr dazu im Guardian.

Das Klima könnte auch bei den Wahlen in Grossbritannien eine Rolle spielen. Sie wurden zu einem zentralen Streitpunkt zwischen der Labour Party und der regierenden Conservative Party, die in den Umfragen zurückliegt. Premierminister Rishi Sunak hat einige der ehrgeizigsten klimapolitischen Massnahmen des Landes gestrichen hatte. Mehr beim Guardian und bei Carbon Brief.

Indien, Indonesien und Südafrika: Die Zukunft der Kohle

In Südafrika könnten die Wahlen beeinflussen, wie schnell das Land auf erneuerbare Energien umsteigt. Eine Schwächung der Machtposition des regierenden African National Congress (ANC) könnte den Ausbau erneuerbarer Energien beschleunigen. Der derzeitige Energieminister – einer der mächtigsten Führer der Partei – verteidigt die Nutzung von Kohle im Land vehement. Viele Wähler sind wütend auf den ANC, weil er nicht in der Lage ist, die nationale Energiekrise zu bewältigen.

Bei den Wahlen in Indonesien und Indien scheint es weniger Spielraum für einen Wechsel zu geben. Der derzeitige Premierminister Narendra Modi wird wahrscheinlich wiedergewählt werden und kann seine kohlefreundliche Politik fortsetzen.

In Indonesien hat keiner der Präsidentschaftskandidaten einen Plan für den Übergang zu erneuerbaren Energien vorgelegt. Das Land ist der mit Abstand grösste Kohleexporteur der Welt.

Mexiko, Venezuela und Russland: Öl auf dem Stimmzettel

Claudia Sheinbaums Präsidentschaftskampagne in Mexiko ist ein Balanceakt zwischen Klimaschutz und der Abhängigkeit ihres Landes vom Öl. Die jetzige Bürgermeisterin von Mexiko-Stadt ist zwar Klimawissenschaftlerin, aber sie ist auch eine Protegée von López Obrador, dessen Regierung versucht, die Rolle des Ölsektors zu stärken. Sheinbaum, die als Favoritin der Wahlen im Juni gilt, hat versprochen, sich für den Schutz des Klimas einzusetzen. Es ist jedoch unklar, inwieweit Obradors Ölvermächtnis ihre Politik beeinflussen wird.

Die Ölindustrie steht auch in Venezuela und Russland auf dem Wahlzettel, wo sie autoritären Führern Stärke verleiht. Die Wiederwahl von Wladimir Putin – und seine Desinteresse an Klimaschutz – scheint unausweichlich.

Venezuela hat im Oktober zwar fünf politische Gefangene freigelassen, doch der wichtigste Oppositionskandidat darf noch immer nicht antreten. Es mag widersprüchlich klingen, aber Investitionen in den venezolanischen Ölsektor könnten dazu beitragen, ihn zu sanieren. Die staatliche Ölindustrie ist in desolatem Zustand und nicht in der Lage, minimale Sicherheitsvorkehrungen einzuhalten, mit verheerende Folgen für die Umwelt. Mehr in der New York Times (paywall).

Biden stoppt LNG-Ausfuhrbewilligungen vorübergehend

Die Biden-Administration hat die Genehmigungen für Flüssiggas (LNG_)-Exporte vorübergehend ausgesetzt. Sie plant, bei der neuen Prüfung die Auswirkungen auf das Klima zu berücksichtigen. Der Klimabeauftragte des Weissen Hauses, Ali Zaidi, nannte die Entscheidung der COP28 zu fossilen Brennstoffen und die Stimmen der Jugend als Hauptgründe für diese Entscheidung.

Betroffen vom Entscheid ist das umstrittene LNG-Projekt Calcasieu Pass 2. Es würde es den Vereinigten Staaten, die bereits heute der grösste Erdgasexporteur der Welt sind, ermöglichen, noch mehr Flüssigerdgas nach Übersee zu verschiffen. Klimaaktivist:innen kämpfen seit Monaten gegen das Projekt an der Küste von Louisiana.

Die Regierung Biden steht auch in der Kritik von Klimaaktivist:innen, die sich gegen die Genehmigung des Willow-Bohrprojekts in Alaska und der Mountain Valley Pipeline in West Virginia wehren. Mehr in der New York Times (paywall).

US-Kohleverbrauch fällt

Die Treibhausgasemissionen sind in den Vereinigten Staaten im Jahr 2023 um 1,9 % gesunken. Hauptgrund dafür ist der Rückgang der Kohleemissionen, die um etwa 8 % gesunken sind. Stromversorger schlossen mehr als ein Dutzend Kohlekraftwerke und ersetzten sie durch Erdgas sowie durch Wind- und Solarenergie. Der Rückgang der Emissionen hinkt weit hinter dem her, was nötig wäre. Die jährlichen Emissionen müssen für den Rest des Jahrzehnts mehr als dreimal so schnell sinken wie im Jahr 2023, um das Klimaziel des Landes für 2030 zu erreichen. Mehr in der New York Times (paywall).

Erneuerbare Energien wachsen, aber nicht schnell genug

Laut dem neusten Report der International Energy Agency hat der Zubau an erneuerbaren Energien 2023 mit fast 510 GW einen neuen Rekord erreicht. Gegenüber 2022 hat sich die Menge verdoppelt. Das Wachstum wurde hauptsächlich durch den Ausbau in China, aber auch in Europa, den USA und Brasilien angetrieben. Drei Viertel des gesamten Zubaus entfielen auf die Photovoltaik.

Mit den bestehenden Massnahmen (ein IEA-Szenario, das von keinen zusätzlichen Massnahmen ausgeht, sondern alle bisher vereinbarten Massnahmen umsetzt) werden im Zeitraum 2023-2028 fast 3700 GW an neuen Kapazitäten hinzukommen (60% davon würden in China entstehen). Das ist etwa so viel wie alle im Jahr 2022 vorhandenen erneuerbaren Kapazitäten. Wenn dieses Tempo bis 2030 beibehalten wird, wächst die weltweite Kapazität an erneuerbaren Energien bis 2030 um das 2,5-fache. Das ist viel und doch zu wenig, um das  in Dubai vereinbarte Ziel einer Verdreifachung einzuhalten.

Als eine der zahlreichen Herausforderungen nennt die IEA, dass zu wenig in die Netzinfrastruktur investiert wird, was zu Netzengpässen führe. Zudem herrsche ein Mangel an erschwinglichen Finanzierungsmöglichkeiten in Schwellen- und Entwicklungsländern ausserhalb Chinas.

Der Global Energy Monitor Report zeigt, dass die Solar- und Windenergie in den südostasiatischen Ländern im Jahr 2023 um 20% gewachsen ist. Die Region wird ihr Ziel, bis 2025 35% ihres Stroms aus erneuerbaren Energien zu gewinnen, ziemlich sicher erreichen oder sogar übertreffen. Vietnam ist Vorreiter und verfügt über mehr als doppelt so viel Solar- und Windkraftkapazität wie alle anderen südostasiatischen Länder zusammen. Trotz des raschen Anstiegs wächst die Nachfrage nach Strom noch deutlich schneller. Daher sind auch die Kapazitäten für fossile Brennstoffe in der Region immer noch am Wachsen.

Militärischer Fussabdruck wird ignoriert

Viele Medien berichteten über einer neue Studie, derzufolge die ersten 60 Tage des israelischen Krieges im Gazastreifen als Reaktion auf den Hamas-Angriff vom 7. Oktober CO2-Emissionen verursachten, die der Verbrennung von mindestens 150’000 Tonnen Kohle entsprechen. Damit wird eine erhebliche Lücke in den Klimaabkommen aufgezeigt: Die durch Kriege und den militärischen Sektor verursachten Treibhausgasemissionen werden nach wie vor weitgehend ausgeklammert.

Militärische Emissionen im Ausland wurden aus dem Kyoto-Protokoll von 1997 und auch aus dem Pariser Abkommen von 2015 ausgeschlossen – mit der Begründung, dass Daten über den Energieverbrauch von Armeen die nationale Sicherheit gefährden könnten.

In den jüngsten Berichten des Weltklimarats (IPCC) – die zusammen über 8.000 Seiten umfassen – wird der militärischen Sektor genau dreimal erwähnt, und es gibt keine Informationen über den Umfang der militärischen Emissionen.

Nach einer Schätzung aus dem Jahr 2022 ist das Militär für 5,5 % der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich. Dies ist wahrscheinlich eine Unterschätzung, da grosse Militärs wie China, Saudi-Arabien, Russland und Israel keine Berichte über ihre Emissionen vorlegen, während andere (z. B. EU-Länder) nur teilweise darüber berichten.

Wissenschaftler:innen und Umweltgruppen wollen den Druck auf die UNO erhöhen und die Armeen zwingen, alle ihre Emissionen offenzulegen und die langjährige Ausnahmeregelung zu beenden. Mehr bei Reuters, Scientists for Social Responsibility, ECDPM, und der Zeit.

Rasante Abholzung in Brasiliens Cerrado-Region

Die Abholzung im brasilianischen Cerrado hat im vergangenen Jahr um 43% zugenommen. Die riesige tropische Savanne spielt eine wichtige Rolle bei der Speicherung von CO2 und dem Wasserhaushalt in Südamerika.  Nach Angaben der brasilianischen Regierung wurden im vergangenen Jahr mehr als 7’800 km² abgeholzt. Das entspricht einer Grösse der Kantone Bern und Zürich zusammen. Es ist ein Rückschlag für Präsident Lula, der sich seit seinem Amtsantritt im Januar letzten Jahres für eine Reduktion der Regenwaldzerstörung stark macht.

Doch schwindet der Optimismus im Amazonasgebiet, da Lula von seinen Klimaprioritäten abweicht  und Pläne für eine asphaltierte Autobahn durch das Herz des westlichen Amazonasgebietes vorantreibt. Strassen beschleunigen die Abholzung massiv. Eine Studie vom November schätzt, dass der Bau der asphaltierten Strasse die Abholzung bis 2100 um 60% erhöhen würde. Mehr in der Financial Times (paywall).

Europäische Klimapolitik

Neues EU-Klima-Zwischenziel

Die EU-Kommission will bis 2040 insgesamt 90% der Treibhausgase im Vergleich zu 1990 reduzieren. Der EU-Klimarat, ein Beirat zur unabhängigen wissenschaftlichen Beratung der EU, fordert eine Emissionsreduktion mindestens in dieser Höhe, idealerweise um 95%. Die Dachorganisation vieler Umweltverbände, CAN Europe, verlangt sogar 100%. Widerstand formiert sich derweilen, wie das Ziel umgesetzt werden soll – etwa um die Rolle der Abscheidung, Nutzung und Speicherung von CO2 (siehe Euractiv).

Der Think Tank Climate Analytics bezeichnet das 2040-Ziel als unzureichend, weil das Reduktionsziel für 2030 nicht erhöht werde. Dies wäre nötig, um das 1,5-Grad-Ziel einzuhalten. Des Weiteren kritisieren die Fachleute, dass der notwendige Ausstieg aus fossilen Energien nicht angemessen berücksichtigt wird und dass die tatsächliche Emissionsreduktion bis 2040 ohne Anrechnung des CO2, das in der Landschaft und im Wald gespeichert ist lediglich bei 84% liegt. Mehr dazu bei der EU-Kommission.

Norwegen erlaubt umstrittenen Tiefseebergbau

Norwegens Parlament hat Plänen der Regierung zugestimmt, als weltweit erstes Land den höchst umstrittenen Tiefseebergbau auf einer Fläche grösser als das Vereinigte Königsreich zuzulassen. So sollen künftig Rohstoffe, vor allem seltene Erden wie Kobalt und Mangan, auf den Meeresboden in der Norwegischen See abgebaut werden, mit dem Vorwand des Klimaschutzes. Die Rohstoffe werden unter anderem für Herstellung von Wind- und Solaranlagen eingesetzt.

Quelle: BBC

Die EU und auch Grossbritannien haben diese Praktik derzeit untersagt, berichtet die BBC. 120 europäische Politiker:innen wandten sich in einem offenen Brief an die norwegischen Entscheidungsträger:innen, um auf die Risiken für Umwelt, Natur und Klima aufmerksam zu machen. Norwegen vollzieht damit einen Richtungswechsel.

Noch 2018 rief die Regierung des Landes im Rahmen des High Level Panel for a Sustainable Ocean Economy noch zu einem sorgsamen Meeresschutz auf und erklärte, bis 2025 sämtliche Meeresflächen im Einflussgebiet nachhaltig bewirtschaften zu wollen. Mehr bei Nature.

Polens neue Regierung will mehr Klimaschutz

In den vergangenen Jahren ist Polen unter der Führung der national-konservativen PiS-Partei immer wieder mit einer rückwärtsgewandten Energie- und Klimapolitik aufgefallen. Nun unterstützt die neue Regierung, ein breites Bündnis rund um Donald Tusk, das neue Klimaziel für 2040 gemäss den Empfehlungen des europäischen Klimarats von mindestens 90% Treibhausgasreduktion im Vergleich zu 1990. Mehr dazu bei Politico. Wie erfolgreich Polens neue Regierung den Klimaschutz und die Energiewende vorantreiben kann, wird in den kommenden Monaten zu sehen sein. Clean Energy Wire liefert dazu eine ausführliche Analyse der Ziele und Herausforderungen.

Weniger Greenwashing in der EU ab 2026

Das Europäische Parlament hat der Verordnung zugestimmt, dass ab 2026 sogenannte «Green Claims», also Bezeichnungen wie «klimaneutral» oder «umweltfreundlich»), die auf Kompensation mit Klimazertifikaten basieren, verboten sind. Begründet wird das Verbot vor allem damit, dass die Werbung mit diesen Bezeichnungen irreführend sei und Verbraucher:innen täusche. Künftig dürfen Produkte nur noch dann diese Bezeichnungen führen, wenn sie durch ein vertrauenswürdiges System wie dem EU-Ecolabel zertifiziert wurden. Mehr Informationen beim Guardian und beim EEB.

Deutschland

Der Haushalt steht

Nach zähem Ringen hat sich der Bundestag Anfang Februar auf den Bundeshaushalt 2024 geeinigt. Knackpunkt waren entstandene Finanzierungslücken für Klimaschutzmassnahmen. Ursprünglich vorgesehene Gelder zur Bekämpfung der Coronapandemie durften nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts nicht für Klimaschutz eingesetzt werden, sodass neue Mittel zur Finanzierung gesucht werden mussten. Die Bundesregierung konnte sich unter anderem darauf einigen, die Ticketsteuer für Passierflüge zu erhöhen und beim «Bürgergeld» strengere Auflagen zu machen. Der nun 477 Mrd. Euro schwere Bundeshaushalt umfasst Investitionen von über 70 Mrd. Euro und einer Neuverschuldung von 39 Mrd. Euro, berichtet die Tagesschau.

Die oft zitierte Schuldenbremse wird eingehalten. Nun müssen noch die Bundesländer im Bundesrat dem Haushalt zustimmen. Die Unionsparteien bestehend aus CDU und CSU haben allerdings dessen Annahme verzögert. Mehr bei der Bundesregierung. Die Klima-Allianz Deutschland als Dachorganisation zahlreicher Umwelt- und Sozialverbände kritisiert den «Sparhaushalt» und fordert eine Neuregelungen der Schuldenbremse, um Wirtschaft zu transformieren.

Bauernprotest legen Innenstädte lahm

Teil der Sparpläne der Bundesregierung sahen vor, die seit Jahrzehnten geltenden steuerliche Begünstigungen beim «Agrardiesel» – Subventionen beim Einsatz von Diesel in der Landwirtschaft – abzuschaffen. Dies löste Anfang Januar massive Proteste der Landwirt:innen in der gesamten Bundesrepublik aus (siehe RBB24). Zu Tausenden protestierten sie mit ihren Traktoren in vielen Innenstädten und auf Autobahnen für den Erhalt der fossilen Steuerentlastung. Das führte zu grossflächigen Verkehrsprobleme. Trotz der Proteste wird die Bundesregierung diesen Steuervorteil schrittweise bis 2026 abschaffen (siehe Handelsblatt). Unter die Landwirt:innen hatten sich auch zahlreiche rechte und rechtsextreme Gruppen gemischt (eine Analyse dazu bei Correctiv). Derweilen ermittelt die Staatsanwaltschaft auf Verdacht der Nötigung, nachdem Protestierende Wirtschaftsminister Habeck am Verlassen einer Fähre im Zuge einer privaten Reise gehindert hatten.

In Norddeutschland historische Überschwemmungen

In Norddeutschland sind Überschwemmungen an grossen Flüssen wie Weser und Elbe keine Seltenheit. Doch Überschwemmungen, wie sie sich rund um den Jahreswechsel ereigneten, habe in diesem Ausmass noch nie gegeben, betonte Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD). Er sehe darin Folgen der zunehmenden Klimakrise (siehe Zeit Online). Das Bundesland im Nordwesten Deutschlands war besonders betroffen. Seit Beginn der Wetteraufzeichnung war kein Dezember in Norddeutschland so regenreich. Es wurden fast 45% mehr Niederschlag als üblich gemessen, schreibt das niedersächsische Umweltministerium. Der NDR hat Fotos des Ausmasses sowie Daten und Fakten aufbereitet.

Höhere CO2-Abgabe, erneute Absage an das Klimageld

Im Zuge des Kompromisses zum Bundeshaushalt wird der CO2-Preis um fünf Euro mehr erhöht, als vorgesehen. Seit 1. Januar 2024 wird auf dem Verbrauch fossiler Rohstoffe (Heizöl, Erdgas, Benzin und Diesel) eine Abgabe von 45 Euro pro Tonne CO2 erhoben, zuvor waren es 30 Euro. Dies sorgt für Mehreinnahmen und soll stärkere Anreize setzen, auf klimafreundliche Technologien zu wechseln. Im Gegenzug flammte die Diskussion abermals über das sogenannte Klimageld, die Rückverteilung der Einnahmen des  CO2-Preises an die Bevölkerung. Es liegt im Verantwortungsbereich von Finanzminister Lindner, einen Mechanismus zu entwickeln, das Klimageld auszahlen zu können. Im Haushalt ist derzeit keine Rückerstattung der Einnahmen vorgesehen. Lindner betonte erneut, dass es unwahrscheinlich sei, dass das Klimageld noch in der aktuellen Legislaturperiode ausgezahlt werden könne. Mehr bei RP online. Greenpeace sorgte derweilen mit einer Aktion für Aufsehen und fordert zusammen mit weiteren Umwelt- und Sozialverbänden eine Entlastung der Bürger:innen durch das Klimageld.

Die Kraftwerksstrategie sorgt für Aufsehen

Die Ampel-Koalition konnte sich Anfang Februar auf die langerwartete Kraftwerksstrategie einigen. Dabei wurden die Pläne von Wirtschaftsminister Habeck stark eingeschränkt. Statt der ursprünglich geplanten 24 Gigawatt sollen nun 10 Gigawatt an neuen Erdgaskraftwerken gebaut werden, die zwischen 2035 und 2040 auf grünen Wasserstoff umgerüstet werden sollen. Diese sollen vor allem für Spitzenlastzeiten vorbehalten werden, also wenn besonders viel Strom gebraucht wird und die Erneuerbaren dies nicht völlig decken. Erklärtes Ziel der Bundesregierung ist, bis 2035 „idealerweise 100%“ des Stroms aus erneuerbaren Quellen zu erzeugen.

Die Betreiberfirmen dieser Gaskraftwerke erhalten vom Staat Geld, wenn sie Erzeugungskapazitäten zurückhalten – de facto werden diese Kraftwerke die meiste Zeit stillstehen. Über die nächsten 20 Jahre wird mit Kosten von 16 Mrd. Euro gerechnet. Die EU muss diesen Plänen noch zustimmen. Während Energiekonzerne die Strategie begrüssen, sorgt sie bei Umweltverbänden für Aufruhr. Teil der Strategie ist es, künftig «Carbon Capture and Storage» (CCS), also das Einfangen und Speichern von CO2 etwa im Meeresboden, für fossiles Erdgas zu erlauben. Dies lehnen Umweltverbände ab. Sie befürchten fossile Lock-Ins (die dauerhafte Abhängigkeit von fossilen Rohstoffen) und Schäden an der Natur. Dadurch stünden das Erreichen der Klimaziele in Gefahr, so die Verbände. Eine Einschätzung zur Strategie ist beim Klimareporter zu finden.

Die sichtbare Klimakrise

Temperatursprung im Jahr 2023 bricht alle Rekorde

2023 war mit Abstand das heisseste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen vor rund 150 Jahren. Die globalen Temperaturen lagen im Durchschnitt um 1,48 Grad höher als in der vorindustriellen Zeit, zeigen Analysen von Copernicus, der Klimadienstes der EU. Der bisherige Höchstwert aus dem Jahr 2016 wurde um 0,14 °C bis 0,17 °C übertroffen. Auch der Januar 2024 war wärmer als je zuvor (axios.com).

Quelle: BBC

Carbon Brief hat die neusten Daten zu Ozeanen, Atmosphäre und Oberflächentemperatur der Erde zusammengetragen. Hier die wichtigsten Resultate:

  • Zwischen Juni und Dezember wurden weltweit in jedem Monat Temperaturrekorde aufgestellt.
  • Der September brach den bisherigen Rekord für diesen Monat um 0,5 °C.
  • Es war das erste Jahr, in dem die globale durchschnittliche Landtemperatur mehr als 2 °C über dem vorindustriellen Niveau lag.
  • In 77 Ländern – darunter China, Brasilien, Bangladesch, Deutschland, Japan, Mexiko, Südkorea und die Ukraine – war es das wärmste Jahr seit Aufzeichnungsbeginn. In diesen Ländern leben 2,3 Milliarden Menschen, rund 30% der Weltbevölkerung.
  • 2023 lagen die globalen durchschnittlichen Oberflächentemperaturen der Ozeane erstmals mehr als 1 °C über den vorindustriellen Werten.
  • Der Meeresspiegel erreichte eine Rekordhöhe. Seit 1900 ist er um 20 Zentimeter gestiegen; in den letzten drei Jahrzehnten hat sich der Anstieg deutlich beschleunigt.

Das Ausmass der Erwärmung hat Klimaforschende überrascht. «Was wir im Jahr 2023 gesehen haben, sprengt alle Dimensionen», sagt Gavin Schmidt vom Goddard Institute for Space Studies der Nasa stellvertretend. Die Forschenden sind daran, die Ursachen für den Temperatursprung zu entschlüsseln. Dazu zählen unter anderem der Anstieg der Treibhausgase (sie erreichten 2023 einen Höchststand), das Wetterphänomen El Niño, der Ausbruch des Vulkans Hunga Tonga und auch der geringere Schwefelausstoss durch die Schiffsindustrie und die Reduktion der Aerosolemissionen im Allgemeinen. Mehr dazu im Guardian, NY Times (paywall) und im Tages-Anzeiger (paywall).

2023 hat sich die Erwärmung dem im Pariser Klimaabkommen festgelegten Ziel angenähert, den Temperaturanstieg möglichst auf 1,5 °C begrenzen. Zwar ist im Abkommen die Überschreitung des Klimaziels nicht ausdrücklich definiert, doch der Uno-Klimarat und viele Fachleute verstehen die Vorgabe als 20-Jahre-Durchschnitt. Wird der Wert in einem Jahr überschritten, folgt daraus nicht, dass das Ziel bereits verfehlt wurde. Dennoch sehen sich die Expert:innen durch den Temperaturrekord darin bestätigt, dass die aktuelle Klimapolitik gescheitert ist und dass es einen neuen Ansatz brauche. Mehr dazu in Foreign Policy (paywall).

Gletscherschmelze an den Polen beschleunigt sich enorm

Schon in der letzten Klimazeitung, haben wir ausführlich über die Gletscherschmelze an den Polen berichtet. Die grönländischen Gletscher schrumpfen heute doppelt so schnell wie noch in den 1980er Jahren, wie eine neue Studie in Nature Climate Change zeigt. Seit 2000 sind auch die Temperaturen in der Arktis doppelt so schnell gestiegen wie die globale Durchschnittstemperatur.

Eine neue Studie, zeigt nun, dass die grönländische Eiskappe pro Stunde durchschnittlich 30 Millionen Tonnen Eis verliert. Das sind 20% mehr als bisher angenommen. Es ist die erste  Studie, die auch den Gletscherschwund unter der Meeresoberfläche bestimmt hat. Die bisher angewandten Techniken konnten nur die Eisverluste bestimmen, die in den Ozean gelangen und den Meeresspiegel ansteigen lassen. Sie konnten jedoch nicht den Rückzug der Gletscher erklären, die in den engen Fjorden rund um die Insel bereits grösstenteils unter dem Meeresspiegel liegen.

Die Autoren befürchten, dass das zusätzliche Süsswasser, das in den Nordatlantik fliesst, möglicherweise die Stabilität der Atlantischen Umwälzzirkulation gefährde. Ein Zusammenbruch der Zirkulation hätte verheerende Auswirkungen, auch auf Europa.

Mehr zu Grönland beim Guardian und Klimareporter. Ein guter Übersichtsartikel zur Situation in der Antarktis bietet der Guardian.

Neues aus der Klimawissenschaft

Neue Narrative der Klimalügner

Die Klimaleugnung auf YouTube hat sich in den letzten Jahren radikal verändert, wie eine neue Studie des Center Countering Digital Hate zeigt. Die Forscher sammelten Transkripte von über 12’000 klimabezogenen Videos, die zwischen 2018 und 2023 veröffentlicht wurden.

In der Vergangenheit konzentrierte sich die Leugnung auf zwei Falschaussagen: «Die globale Erwärmung findet nicht statt» und «Der Mensch ist nicht für die globale Erwärmung und den Klimawandel verantwortlich».

Die gegenwärtigen Leugnungsnarrative legen den Fokus auf drei Punkte: 1) Klimalösungen werden nicht funktionieren», 2) «Der Klimawissenschaft und der Klimabewegung kann man nicht trauen», 3) «”Die Auswirkungen der globalen Erwärmung sind nützlich oder harmlos». Diese Erzählungsmuster machten 2018 noch 35% aller Beiträge von Klimaleugner:innen auf YouTube aus, heute stellen nun die grosse Mehrheit (70 %) dar.

Klimaleugner haben über digitale Plattformen Zugang zu einem riesigen weltweiten Publikum. So können sie die öffentliche Unterstützung für Klimaschutzmassnahmen immer weiter schwächen – vor allem bei jüngeren Zuschauer:innen. Eine Umfrage des Pew Research Center ergab, dass YouTube in den USA unter den 13- bis 17-Jährigen die am häufigsten genutzte Social-Media-Plattform ist.

Rund ein Drittel der US-Jugendlichen glaubt, dass die globale Erwärmung «nützlich oder harmlos» ist, dass «die Klimapolitik mehr schadet als nützt». Weiter dass «der Klimawissenschaft und der Klimabewegung nicht zu trauen ist» und dass der Klimawandel «ein Schwindel ist, um die Menschen zu kontrollieren und zu unterdrücken». 45% der Jungen im Teenageralter sagten: «Die Politiker übertreiben die Dringlichkeit der Klimapolitik». Und 34% aller Jugendlichen und 23% der Erwachsenen in den USA sagten: «Die Erde tritt in eine neue Eiszeit ein». Mehr dazu in der CCDH Pressemitteilung in dieser Studie in Nature.

Ackerbau mit mehr Sorten senkt Emissionen, steigert Einkommen und Erträge

Wenn Getreideanbau mit anderen Ernteprodukten kombiniert wird, könnten die Erträge um fast 40% gesteigert werden. Gleichzeitig würden fast 10% mehr Kohlenstoff im Boden gebunden und die Treibhausgasemissionen um über 90% gesenkt. Diese verblüffenden Ergebnisse stammen aus einem grossen sechsjährigen Feldversuch in der nordchinesischen Tiefebene, einer Region, die 70% der Ackerfläche des Landes umfasst und 23% des Getreides produziert. Es ist eine der am intensivsten bewirtschafteten Gegenden der Welt.

Die Forscher testeten unter anderem das Hinzufügen von Süsskartoffeln und Hülsenfrüchten wie Erdnüsse und Sojabohnen. Die Diversifizierung der angebauten Sorten in der gesamten nordchinesischen Tiefebene könnte die Getreideproduktion um 32% steigern, und dank stickstoffbindenden Leguminosen den Bedarf an synthetischen Düngemitteln um 3,6 Millionen Tonnen verringern. Die Bauern würden ausserdem im Schnitt 20% mehr verdienen.  Mehr dazu bei Anthropocene Magazine und bei Nature Communications.

Weidehaltung  ist schlechter fürs Klima

Rinder in Weidehaltung machen 33% der weltweiten Rindfleischproduktion aus. Eine neue Studie zeigt nun, dass grasgefütterte Tiere einen deutlich höheren Klima-Fussabdruck haben als solche, die mit Kraftfutter gefüttert werden. Die Autor:innen haben nicht nur die Emissionen aus der Futterproduktion, die Methanemissionen der Kühe und Emissionen aus der direkten Produktion betrachteten. Sie berücksichtigten auch sogenannte «CO2-Opportunitätskosten»: Die CO2-Speicherung, die mit der Umwandlung von natürlichem Lebensraum (z.B. Wald) in Weideland verlorenen gegangen ist. Diese machen laut der Studie über die Hälfte der Fussabdrucks aus. Er ist im Schnitt 40% grösser als bei Fleisch von Tieren, die mit Kraftfutter gefüttert wurden.

Besonders schädlich ist die Weidehaltung auf verdichteten, erodierten und überdüngten Böden. Auch die Schweizer Böden sind in keinem guten Zustand. Viele Studien belegen, dass alle Rindfleischarten und Milchprodukte deutlich umweltschädlicher sind als vegane Alternativen. Würde auf Fleisch verzichtet und Weideland renaturiert werden, könnte mehr CO2 gespeichert werden.

Trotz der klaren Studienlage scheuen sich Fleisch- und Milchkonzerne nicht, ihre Produkte als klimaschonend zu vermarkten. Konzerne wie McDonald’s, Tyson Foods und Nestlé haben sich ambitionierte Klimaziele gesetzt, ohne dass sie den Verkauf von Fleisch- und Milchprodukten wesentlich reduzieren wollen. Gleichzeitig betreiben diese grossen Unternehmen intensive und oft sehr erfolgreiche Lobbyarbeit, um Landwirtschafts- und Klimagesetzgebung zu beeinflussen. Mehr bei der Washington Post und Anthropocene Magazine.

Verrückte Klimaschutzideen

Die grossen Gefahren der Klimakrise werden immer deutlicher. Immer mehr Wissenschaftler und Startups tüffteln daher an Science-Fiction-artigen Lösungen.

Wissenschaftler:innen sind sehr über den Zustand der Arktis besorgt. Einer Gruppe von Glaziolog:innen schlägt nun vor, gigantische Unterwasser-«Vorhänge»” zu errichten, um zu verhindern, dass warmes Meerwasser das Schmelzen beschleunigt. Einige Wissenschaftler:innen zweifeln an der Durchführbarkeit und argumentieren, dass Geo-Engineering in der Antarktis das marine Ökosystem schädigen könnte. Die Befürworter:innen sagen jedoch, «alle Geo-Engineering-Ideen sind verrückt, bis man bedenkt, was passieren könnte, wenn wir nichts tun.» Mehr dazu bei Nature (paywall).

Eine Gruppe von Astronom:innen und Physiker:innen forscht an einem riesigen Sonnenschirm im Weltraum. Dieser soll so zwischen Erde und Sonne platziert werden, dass etwa 2% der Sonnenstrahlung die Erde gar nie erreichen würde und so die Erwärmung der Erde (nicht aber die Versauerung der Meere) stoppen könnte. Die Wissenschaftler wollen nun einen Prototyp zu bauen, um die Machbarkeit des Konzepts zu prüfen. Der Sonnenschirm, der etwa so gross wie Argentinien sein müsste, könnte aufgrund seines immensen Gewichts nicht als einzelne Einheit gestartet werden, sondern es müsste ein Netz kleinerer Schirme gebaut werden. Mehr dazu in der New York Times (paywall).

Eine andere Gruppe will eine Lösung gegen die immer häufigeren Algenblüten finden. Der grosse Teppich von Braunalgen, der sich im Golf von Mexico immer wieder bildet, bietet  Meerestiere Zuflucht und Futter. Doch die Algenblüten sind aus dem Gleichgewicht gekommen. Durch die Klimaerwärmung häufen sich Überschwemmungen. So wird Humus und nährstoffreiches Wasser aus intensiver Landwirtschaft ins Meer gespült. Im Sommer 2018 reichte der Algenteppich von der Westküste Afrikas über 8000 Kilometer bis zum Golf von Mexiko und umfasste rund 20 Millionen Tonnen Sargassum-Algen. Die Algenteppiche verrotten im Meer oder werden an Küsten angeschwemmt und faulen dort. Weil die Algen Schwermetalle enthalten, insbesondere Arsen, können sie nicht als Dünger oder Nahrungsmittel eingesetzt werden. Die Algenteppiche speichern aber viel CO2, schätzungsweise 3 Millionen Tonnen. Forscher und ein Startup wollen nun Algen mit Robotern einzusammeln und auf dem Meeresgrund in 2000-4000m Tiefe lagern. Mehr dazu im Guardian und im Tages Anzeiger (paywall).

Oft wird befürchtet, dass Geoengineering Projekte von realistischeren Klimaschutzmassnahmen ablenken. Eine neue Studie zeigt nun, dass es unwahrscheinlich sei, dass die Thematisierung von Geoengineering im öffentlichen Diskurs zur Ablehnung breiterer Klimaschutzmassnahmen führt. Aber die Frage bleibt, wie gross der Einfluss der öffentlichen Meinung auf die Politik ist. Oft seien Partikularinteressen einflussreicher, befürchtet einer der Autoren der Studie. Mehr dazu in der New York Times (paywall) und im Anthropocene Magazin.

CO2-Intensität auf neuer Stromkarte prüfen

Eine sehr coole Webseite zeigt die CO2-Intensität der Stromproduktion in den verschiedenen europäischen Ländern.

Aktiv gegen Hoffnungslosigkeit

Handlungsoptionen in der Klimakrise

Im Online-Magazin Republik listet die amerikanische Schrift­stellerin, Historikerin und Aktivistin Rebecca Solnit zehn Anregungen auf, wie wir die Klimakrise hoffnungsvoll angehen können: Weil Revolutionen Zeit benötigen, aber manchmal doch viel schneller als erwartet passieren. Und auch weil Scheitern erstaunlich erfolgreich sein kann. Ihr neuestes Buch, «Not Too Late», richtet sich an Menschen, die nach Antworten und Handlungs­möglichkeiten in der Klimakrise suchen.

Solarinitiative: PV-Pflicht für Neubauten

PV-Anlagen dort produzieren, wo die meiste Energie benötigt wird. Das will die Solarinitiative der Grünen Partei erreichen. Sie verlangt eine Solarpflicht für Neubauten. Auf bestehenden Gebäude soll innert 15 Jahren nach Annahme der Vorlage Strom hergestellt werden. Die Volksinitiative wird bald lanciert. Wer sie jetzt schon unterstützen will, kann sich mit diesem Link als Unterstützer:in eintragen.