Klima-Zeitung

April 2024

Alle zwei Monate ordnen wir alles Wichtige zu Politik und Wissenschaft ein. Für Menschen, die in der Diskussion um die Klimakrise auf dem Laufenden bleiben möchten.

Inhalt

Editorial

In dieser Ausgabe berichten wir über den bahnbrechenden Sieg der Klimaseniorinnen am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte und geben einen Überblick über die vielen Gerichtsfälle, die weltweit am Laufen sind. Wir erklären, warum die Abstimmung zum Stromgesetz so wichtig ist und warum das verabschiedete CO2-Gesetz und die Umsetzung des Klimaschutzgesetzes zu schwach sind.

Deutschland macht vorwärts mit den Erneuerbaren, aber tritt bei wichtigen EU-Gesetzen immer wieder auf die Bremse (die FDP lässt grüssen). Wichtige neue europäische Gesetze wie das Lieferkettengesetz und die EU-Gebäuderichtlinie wurden zwar verabschiedet, allerdings deutlich abgeschwächt. Erneuerbare Energien werden weltweit rasant ausgebaut und Präsident Biden macht vorwärts bei Elektromobilen.

Während die Politik mal vorwärts, mal rückwärts geht, beschleunigt sich die Erderwärmung deutlich. Und die Ozeanzirkulation droht zusammenzubrechen, was katastrophale Konsequenzen hätte. Frauen leiden besonders stark unter der Erwärmung, und die Anpassung daran wird immer schwieriger. Gerade weil das alles so beängstigend ist, brauchen wir Mut zur Hoffnung. Wir schliessen daher in der Rubrik Aktiv gegen die Hoffnungslosigkeit mit Inspirierendem aus Philosophie und Politik.

Schweiz

Klimaseniorinnen gewinnen Klimaklage

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) rügt die Schweiz dafür, dass sie ältere Frauen zu wenig vor dem Klimawandel schützt (die Medienmitteilung des EGMR auf Französisch und auf Englisch.) Das Gericht gab der Klage des Vereins Klimaseniorinnen recht. Sie sahen ihr Recht auf Leben sowie auf Privat- und Familienleben verletzt, weil die Schweiz Emissionsreduktionsziele nicht erreichte. Hier die wichtigsten Punkte des Urteils:

1. Die Schweiz hat Artikel 8 (Recht auf Privat- und Familienleben) der Europäischen Menschenrechtskonvention verletzt.

2. Den Klimaseniorinnen kommt Opferstatus zu, das heisst, sie sind übermässig vom Klimawandel betroffen.

3. Die Schweiz hat den Klimaseniorinnen den Zugang zum Gericht zu Unrecht verwehrt (mehrere Instanzen bis zum Bundesgericht hatten die Klage des Vereins abgewiesen oder waren nicht auf den Inhalt eingegangen).

Das Gericht urteilt auch über die Klimapolitik der Schweiz:

4. Die Schweiz ist ihren Verpflichtungen aus der Menschenrechtskonvention bezüglich Klimawandel nicht nachgekommen.

5. Ihre ungenügenden Ziele zur Reduktion der Treibhausgasemissionen hat sie nicht erreicht.

6. Die Massnahmen der Schweizer Behörden erfolgten zu spät und reichen nicht aus, um die Auswirkungen des Klimawandels abzuschwächen.

Das Urteil ist ein Präzedenzfall, der für alle 46 Staaten des Europarates und darüber hinaus Bedeutung hat. Es ist die erste Klimaklage, die vor dem EGMR verhandelt wurde. Dagegen kann keine Berufung eingelegt werden. Das Urteil ist besonders wichtig, da es eine Wegweisung für künftige Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, aber auch der nationalen Justizbehörden in ganz Europa in hängigen und künftigen Klimafällen bietet. Andere Klimafälle, die dem Europäischen Gerichtshof vorgelegt wurden, waren vertagt worden, bis die Grosse Kammer über den Schweizer Fall entscheidet.

Welche konkreten Folgen hat das Urteil? Der Vertreter des Bundes vor dem EGMR, Alain Chablais, meinte, das Urteil verpflichte die Schweiz, Massnahmen zu ergreifen. Auch die Umweltorganisation Greenpeace Schweiz, welche die Klimaseniorinnen unterstützt hat, sieht Handlungsbedarf für die Schweiz. Die aktuellen Klimazielsetzungen müssten nachgebessert werden, um die Menschenrechte genügend zu schützen. Das Urteil sei ein Weckruf an Bundesrat und Parlament. Mehr dazu in der Republik, der NZZ, der NY Times (paywall), Guardian und justsecurity.

Die Reaktionen auf das Urteil fallen unterschiedlich aus; eine Übersicht hier im Tages-Anzeiger. SP und Grüne sehen sich bestätigt, dass die Schweiz mehr gegen den Klimawandel unternehmen müsse. Die FDP erkennt keinen Handlungsbedarf, und die SVP verlangt, dass die Schweiz aus dem Europarat austrete. Dieser Auslegung der bürgerlichen Parteien widersprechen Jurist:innen. Rechtsprofessor Sebastian Heselhaus von der Uni Luzern betont im Blick und auf SRF, das Urteil sei bindend. «Die Schweiz muss mehr für den Klimaschutz machen». Das bestätigt auch das Bundesamt für Justiz, das klar gemacht hat, das Urteil müsse umgesetzt werden.

Evelyne Schmid, Professorin für Menschenrechtsschutz (Völkerrecht) an der Uni Lausanne, sieht den Staat in der Pflicht. «Die Politik, also der Bundesrat, aber auch die Parlamente und Regierungen auf Bundes-, Kantons- und Gemeindeebene, müssen nun handeln», sagt sie gegenüber Watson. Und Völkerrechtsprofessor Andreas Müller von der Uni Basel zeigt sich im Tages-Anzeiger überzeugt, der Druck auf Regierungen und Parlamente in ganz Europa und wohl darüber hinaus werde deutlich zunehmen.

In einer ersten juristischen Analyse heben deutsche Rechtsanwält:innen hervor, dass das Gericht angesichts der Klimakrise de facto eine neue Verbandsklage für den Menschenrechtsschutz schaffe. Weiter stelle das Gericht erstmals materielle und prozessuale Anforderungen an ein menschenrechtsschützendes Klimaschutzkonzept. Die Republik bringt ein Interview mit einer der beiden Rechtsanwält:innen, der Titel lautet: «Die Türen für Klimaklagen sind hiermit weit aufgestossen worden.»

Die Abstimmung über das Stromgesetz polarisiert

Die Abstimmung über das Stromgesetz (Bundesgesetz für eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien, Mantelerlass), die am 9. Juni stattfindet, verspricht einen knappen Ausgang. Mit dem Gesetz, auf das sich im Herbst 2023 National- und Ständerat geeinigt hatten, sollen verbindliche Ausbauziele für erneuerbare Energie bis 2035 festgeschrieben werden. Dagegen hatten Landschaftsschützer:innen (Bündnis Natur & Landschaft Schweiz, Verein Freie Landschaft Schweiz und Fondation Franz Weber) das Referendum ergriffen.

Mit dem Stromgesetz sollen neue erneuerbare Energien, vor allem Sonne und Wind, bis 2035 jährlich 35 Terawattstunden (TWh) Strom liefern, bis 2050 45 TWh. Derzeit beträgt der jährliche Strombedarf der Schweiz 60 TWh. Im Gegenzug soll es Lockerungen beim Naturschutz geben: In Gebieten, die sich für die Nutzung von Solar- und Windenergie eignen, sollen Energieanlagen gegenüber Umweltschutz und anderen nationalen Interessen Vorrang haben. Eine Übersicht über die Vorlage findet sich im Blick.

Der Bundesrat und die grossen politischen Parteien unterstützten das Gesetz, mit Ausnahme der SVP. Deren Delegierten haben im März die Nein-Parole beschlossen. Bundesrat Albert Rösti, der das Gesetz unterstützt, hatte an der SVP-Versammlung vergeblich versucht, mit der verbesserten Versorgungssicherheit und Unabhängigkeit für Zustimmung zu sorgen. Noch im letzten Herbst hatte eine Mehrheit der Partei das Gesetz unterstützt. SVP-Nationalrätin Magdalena Martullo-Blocher, die am Meinungsumschwung beteiligt war, meinte: Mit Solaranlagen und Windrädern sei keine sichere Stromversorgung möglich, «da braucht es ja immer zuerst Sonne oder Wind.» Mehr dazu bei SRF, im Tages-Anzeiger hier und hier (paywall) und hier und hier in der NZZ (paywall).

Der Tages-Anzeiger warnt davor, die Gegner:innen des Gesetzes zu unterschätzen und erinnert an die Abstimmung über das CO2-Gesetz, das die SVP ohne Unterstützung andere Parteien zu Fall gebracht hatte. Ebenfalls im Tages-Anzeiger (paywall) ist zu lesen, wie die Abstimmung für Diskussionen unter Umweltschützer:innen sorgt. In der Zeit (paywall) liefern sich Greenpeace-Klimaspezialist Georg Klingler und Landschaftsschützer Hans Weiss ein Streitgespräch über das Stromgesetz.

Die Argumente der Befürworter:innen (JA-Komitee aus allen Parteien und der Wirtschaft sowie das Bündnis der grossen Umweltorganisationen):

  • Das Stromgesetz schafft eine zuverlässige und bezahlbare Stromversorgung und stärkt die Versorgungssicherheit.
  • Mit dem Stromgesetz wird das Tempo der Energiewende erhöht, gerade bei der Solarenergie. Es liefert bessere Bedingungen für Solaranlagen auf Dächern und Fassaden.
  • Das Gesetz schafft Anreize, um die Stromverschwendung zu verringern und die Energieeffizienz zu erhöhen.
  • Damit mehr Winterstrom produziert werden kann, müssen Abstriche beim Naturschutz (durch neue Speicherwasserkraftwerke oder eine Erhöhung der bestehenden Stauseen) in Kauf genommen werden.
  • In Biotopen  von nationaler Bedeutung dürfen keine Energieanlagen gebaut werden.

Argumente der Gegner:innen aus dem Landschaftsschutz:

  • Der im Mantelerlass vorgesehene Vorrang der Stromproduktion gegenüber dem Naturschutz ist verfassungswidrig. Befürchtet wird unter anderem der Bau von Windanlagen im Wald.
  • Der Fokus sollte auf Solaranlagen auf Gebäuden sein. Aber die Pflicht, auf Neubauten Solaranlagen zu erstellen, gilt erst ab einer Gebäudefläche von mehr als 300 m2.
  • Ausserhalb von national bedeutsamen Biotopen sind neue Energieanlagen möglich, obwohl es umweltverträgliche Alternativen auf Infrastrukturen sowie Möglichkeiten zur Energieeinsparung gibt.

Das Ziel, die Produktion von erneuerbarem Strom bis 2035 rasch auszubauen, ist aus technologischer, ökonomischer und auch ökologischer Sicht realisierbar. Zu diesem Schluss kommt eine Studie der Universität Genf, finanziert von einem Forschungsprogramm des Bundes. Berücksichtigt wurden Effizienzgewinne und ein höherer Stromverbrauch durch Elektroautos und Wärmepumpen. Weiter geht die Studie davon aus, dass die Kernkraftwerke in der Schweiz bis 2035 abgestellt werden. Der grösste Teil des Zubaus entfällt auf Solaranlagen. Um das Ausbauziel zu erreichen, wären jährliche Investitionen von 1,4-1,7 Milliarden Franken nötig. Mehr dazu in der NZZ.

CO2-Gesetz: Die Schweiz verfehlt ihr Klimaziel

In der Frühjahrssession haben sich National- und Ständerat auf ein neues, mutloses CO2-Gesetz geeinigt. Bei den umstrittenen Punkten setzte sich der Ständerat durch. Das Gesetz schreibt für den Zeitraum 2025-2030 fest, wie die Schweiz die Treibhausgase gemäss dem Pariser Klimaschutzabkommen gegenüber 1990 halbierten soll. Um das Ziel zu erreichen, hätte die Schweiz in der Klimapolitik einen Gang zulegen sollen. Stattdessen wurde auf zusätzliche Massnahmen verzichtet (eine Übersicht im Tages-Anzeiger und bei das Lamm):

  • Reduktionsziel: Das Gesetz verzichtet auf ein Inlandziel. Nun kann der Bundesrat per Verordnung festlegen, welcher Anteil der CO2-Reduktion im Inland erzielt werden soll. Bundesrat Albert Rösti will eine Quote von 66% beantragen. Die restliche Reduktion soll durch die Finanzierung von Klimaprojekten im Ausland erfolgen, dazu müssen 40-50 Millionen Zertifikate (für je 1 Tonne CO2) gekauft werden.
  • Ladestationen: Die Ladeinfrastruktur für Elektroautos, etwa in Mehrfamilienhäusern und auf öffentlichen Parkplätzen, werden vom Bund nicht gefördert.
  • Fahrzeug-Grenzwerte: Das Gesetz sieht keine jährlichen Zwischenziele vor, um bei neuen Personenwagen den CO2-Ausstoss bis 2030 linear zu senken.
  • CO2-Abgabe: Die Lenkungssteuer auf Heizöl und Erdgas wird nicht erhöht. Davon fliesst weiterhin ein Drittel ins Gebäudeprogramm.
  • Treibstoffe: Benzin und Diesel müssen keine erneuerbaren Treibstoffe beigemischt werden.
  • Flugverkehr: Eine Abgabe für Flüge mit Business- oder Privatjets wurde abgelehnt.
  • Unternehmen: Neu können sich alle Unternehmen von der CO2-Abgabe befreien lassen. Vorausgesetzt, sie verpflichten sich, ihren CO2-Ausstoss zu reduzieren.

Die Schweiz ist das einzige Land, das so stark auf Emissionsreduktionen im Ausland setzt. Bis heute hat der Bund mit elf Ländern Abkommen unterzeichnet. Sie regeln, dass etwa in Thailand, in Ghana, Peru oder Georgien eingespartes CO2 der Schweiz angerechnet werden kann. Viele Klimaschutzprojekte im Ausland halten nicht, was sie versprechen, und oft sind sie nicht zusätzlich, wären also auch ohne Unterstützung realisiert worden. Hier zeigt Jürg Füssler vom Umweltberatungsunternehmen INFRAS und Experte im Zertifikatsmarkt, die Mängel von Auslandkompensationen auf, wo die Probleme liegen.

Entsprechend gross ist die Kritik von Fachleuten und Umweltschutzverbänden am verabschiedeten CO2-Gesetz.

ETH-Klimaforscher Reto Knutti hält die Massnahmen zum Erreichen der CO2- Reduktionsziele für ungenügend. Er weist darauf hin, dass es in einer Netto-Null-Welt keine billige Auslandkompensation mehr gebe, da alle Staaten den CO2-Ausstoss stoppen müssten. Der Wirtschaftsverband swisscleantech bemängelt, dass das CO2-Gesetz dem letztes Jahr angenommenen Klimaschutzgesetz widerspreche. Dieses schreibt einen linearen CO2-Absenkpfad vor, wobei die Etappenziele in erster Linie durch Emissionsminderungen im Inland erreicht werden müssen. Im Tages-Anzeiger und der NZZ hatte der Verband die Vorteile der Reduktion im Inland dargelegt.

Die NZZ (paywall) kommentiert, «der Sonderweg der Schweiz im Klimaschutz führt in die Irre.» Die schiere Menge an Zertifikaten, die die Schweiz zukaufen muss (bis 2030 sind es 40-50 Millionen Tonnen CO2), mache es schwierig, die Kompensationsprojekte seriös auszuwählen und zu überwachen. Der WWF verlangt, dass die Schweiz aus den Kompensationsgeschäften aussteigt. Mehr dazu hier und hier im Tages-Anzeiger.

Bei einem Punkt hat sich das Parlament ein bisschen reformfreudiger gezeigt: Es hat einem Postulat zugestimmt, das verlangt, die CO2-Abgabe in Zukunft besser sichtbar an die Bevölkerung zurückzuerstatten. Bis heute erfolgen die Gutschriften einmal im Jahr mit der Prämienrechnung der Krankenkassen. Dies wird von vielen nicht wahrgenommen. Mit dem Ziel, die Akzeptanz dieser Lenkungsabgabe zu erhöhen, muss der Bundesrat nun eine neue Vergütungsmethode prüfen.

Kritik an der Umsetzung des Klimaschutzgesetzes

Im Januar 2024 hatte der Bundesrat die Verordnung zum Klimaschutzgesetz (KIG) in die Vernehmlassung geschickt. Sie dauert bis zum 1. Mai, Anfang 2025 soll die Verordnung in Kraft treten. Der Verein Klimaschutz Schweiz kritisiert, dass das KIG in zentralen Punkten verwässert wird. So verzichtet der Bundesrat auf verbindliche Regeln für den Finanzplatz und begnügt sich stattdessen mit freiwilligen Test. Dies, obwohl im KIG steht, der Bund sorge dafür, dass der Schweizer Finanzplatz seinen «effektiven Beitrag» zum Klimaschutz leiste. Weiter lässt der Bundesrat bei der Luftfahrt offen, ob für die Erreichung der Klimaziele nur die CO2-Emissionen oder die gesamte Klimawirkung von Flugzeugen (sie ist rund dreimal grösser) berücksichtigen will. Nach dem Willen des Bundesrats können die Airlines entscheiden, welches Vorgehen sie wählen.

Im Februar ist die von der SP und den Grünen lancierte Klimafonds-Initiative eingereicht worden. Sie fordert, dass jährlich 0,5-1% des Bruttoinlandprodukts in einen Klimafonds fliessen. Daraus soll eine sozial gerechte Energie- und Klimapolitik gefördert werden. Aktuell wären dies 4-8 Milliarden Fr. pro Jahr. Konkret sollen mit diesem Geld erneuerbare Energien, Gebäudesanierungen und Elektrofahrzeuge unterstützt und der öffentliche Verkehr ausgebaut werden. Auch die Biodiversität und Aus- und Weiterbildungen sollen gefördert werden. Mehr dazu in der NZZ (paywall) und im Tages-Anzeiger.

Nach der Annahme des Klimaschutzgesetzes plant der Verein Klimaschutz Schweiz eine neue Volksinitiative. Der Verein begründet dies damit, dass die bisherigen Massnahmen der Schweiz nicht ausreichen. Der Inhalt der Initiative soll gemeinsam mit interessierten Menschen erarbeitet werden. Erste Anhaltspunkte soll eine Umfrage liefern. Mehr dazu im Blick.

Die Bauern und der  Klimawandel

Marcel Dettling, Landwirt und neuer SVP-Präsident, zeigt sich in einem Interview mit der NZZ am Sonntag (paywall) als Klimaleugner. Das Klima habe sich «über die Jahrhunderte immer wieder geändert». Zudem zweifelt er den Einfluss des Menschen auf den Klimawandel an; dieser lässt sich seiner Ansicht nach auch nicht mehr aufhalten. Klimawissenschafter Reto Knutti korrigiert auf Linkedin die Fakten. Mehr dazu auf SRF und Watson.

Dass die Schweizer Bauern weiterhin steuerbefreit tanken können, dafür hat Bundesrat Guy Parmelin gesorgt. Gemäss Recherchen der NZZ am Sonntag (paywall) hat der SVP-Bundesrat ein Projekt gestoppt, mit dem die Subventionen, die der Schweizer Klimapolitik zuwiderlaufen, abgeschafft werden sollte. Auf Antrag von Parmelin stimmt der Bundesrat der Beibehaltung der umstrittenen Subvention zu. Bereit vor sechs Jahren hatte die Eidgenössische Finanzkontrolle die Rückerstattung der Mineralölsteuer auf Treibstoffen kritisiert.

Es gibt auch Landwirte, welche die Bedrohung durch den Klimawandel ernst nehmen. Eine Gruppe von Bauern aus den Kantonen Zürich, Schwyz, Genf, Neuenburg und Waadt greift den Bund wegen der Untätigkeit beim Klimaschutz an. Die Landwirte, die vom Netzwerk Klimaanwälte vertreten werden, haben beim Eidgenössische Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) eine entsprechende Beschwerde eingereicht. Die unzureichende Klimapolitik gefährde die Wirtschaftsfreiheit und die Eigentumsgarantie der Bauern. Denn die häufigeren und längeren Trockenperioden, für die der Klimawandel sorgt, schränke die Produktivität der Böden ein. Die Bauern forderten das UVEK auf, alle notwendigen Massnahmen zu ergreifen, um solche Verletzungen ihrer Grundrechte zu verhindern. Mehr dazu bei Watson.

Statt CO2 zu verursachen, kann die Landwirtschaft das Klimagas im Boden speichern. Das Programm Agroimpact soll die Bauernhöfe klimafreundlicher machen. Eine wichtige Rolle spielt dabei die regenerative Landwirtschaft, bei der weniger gedüngt und gepflügt wird, um mehr Humus aufzubauen. Mehr dazu in der NZZ.

Auch der letzte Winter war viel zu heiss

Die ungewöhnlich hohen Temperaturen halten an. Der Winter 2023/2024 war der mildeste, der seit Messbeginn im Jahr 1864 je registriert wurde. Laut MeteoSchweiz erreicht die durchschnittliche Temperatur von Dezember 2023 bis Februar 2024 0,9 °C. Dies sind 2,8 °C über den Durchschnittswerten von 1991–2020 (Normperiode). Im Vergleich mit der vorindustriellen Referenzperiode 1871–1900 war der Winter um 2,9 °C wärmer. In allen drei Monaten war es zu mild. Besonders gross war die Abweichung im Februar mit einem Plus von 4,6 Grad über der Norm. Mehr dazu bei MeteoSchweiz und im Tages-Anzeiger.

Ausbau der Erneuerbaren sorgt für Diskussionen

Wie gross ist der Anteil von Solarstrom in deiner Gemeinde? Wie hoch ist der Stromverbrauch im Vergleich mit dem Nachbarort oder der Schweiz? Und wie viele Elektroautos sind im Einsatz? Antworten zu diesen Fragen liefert der Energie Reporter von Energie Schweiz. Damit lässt sich die Entwicklung der Energiezukunft auf Gemeindeebene beobachten und vergleichen.

Beim Ausbau der erneuerbaren Energie geben nach wie vor Solar- und Windprojekte zu reden.

Solarstrom: Aktuell sind noch 47 alpine Solarprojekte in Planung, wie eine Aufstellung des Verbands Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen zeigt (Stand 26.3.2024). Das sind sieben weniger als Ende Januar. Eines der zurückgezogenen Projekte war in Oberiberg SZ geplant. Dort hatte die Stimmbevölkerung eine Anlage im Gebiet Ybrig abgelehnt (Watson). Ein zweites betrifft das Wintersportgebiet Splügen-Tambo; hier stellt das EWZ die Planungsarbeiten aufgrund von Kritik aus Tourismuskreisen ein (Südostschweiz). Und die Axpo verfolgt ein Solarprojekt in Glarus Süd in der Region Friiteren nicht weiter, unter anderem wegen Naturgefahren und weil gefährdete Vogelarten beeinträchtigt worden wären.

Für acht der geplanten Anlagen ist inzwischen ein Baugesuch eingereicht worden, wie eine Übersicht des Bundesamts für Energie zeigt. Gegen zwei der Vorhaben haben Umweltverbände Einsprachen erhoben: gegen jenes im Gantrisch-Gebiet bei der Alp Morgeten (Tages-Anzeiger, paywall) sowie bei Gondo VS (Südostschweiz).

In Saanen soll ein vom Stimmvolk abgelehntes Projekt in leicht reduzierter Form nochmals lanciert werden, berichtet das Thuner Tagblatt (paywall). In diesem Zeitungsartikel findet sich auch eine Übersicht über die zwölf Solarprojekte, die im Berner Oberland noch geplant sind. Und am Walensee haben die Elektrizitätswerke des Kantons Zürich und die St.Gallisch-Appenzellische Kraftwerke AG die Planung an einem Solarprojekt in einem ehemaligen Steinbruch wieder aufgenommen. Vor zehn Jahren hatten die Unternehmen das Projekt bereits einmal verfolgt, dieses aber gestoppt. Der Steinbruch ist Teil des Bundesinventars der Landschaften und Naturdenkmäler (BLN); ein Gutachten der Eidgenössischen Natur- und Heimatschutzkommission hatte die geplante Solaranlage als schweren Eingriff in die schützenswerte Natur am Walensee eingestuft. Gemäss dem revidierten Energiegesetz (Solarexpress) sind Solaranlagen in BLN-Gebieten nicht ausgeschlossen. Das Projekt, das Strom für 2700 Haushalte liefern soll,  stösst auf Widerstand, berichtet der Blick. Mehr dazu in der Südostschweiz (paywall).

Wie ist der Widerstand in den Berggebieten gegen Solaranlagen zu erklären? Weil die Alpen erobert sind und das Geld von Stromfirmen nicht mehr lockt, erklärt Romed Aschwanden vom WWF Zug in der Zeit. Die Anlagen können dem Tourismus schaden, und gleichzeitig werden im Unterland mehr PV-Anlagen gebaut. Für die Aargauer Zeitung (paywall) liegt es primär am Misstrauen der Bergbevölkerung gegenüber Stromkonzernen. Und im Interview mit der NZZ (paywall) meint Ruedi Kriesi, der mit der Interessengemeinschaft (IG) Solalpine den Bau von grossen Solaranlagen in den Bergen vorantreibt, dass die Zeit zu knapp gewesen sei, die lokale Bevölkerung emotional abzuholen. Zudem würden Naturschutzorganisationen fundamentale Kritik betreiben.

Windenergie: Ein weiteres Windenergieprojekt hat einen Rückschlag erlitten. Beim geplanten Windpark «Bel Coster» im Waadtländer Jura hat das Bundesgericht den gemeindeübergreifenden Nutzungsplan für ungültig erklärt. Nun muss das Projekt überarbeitet werden, und es braucht vorgängig zusätzliche Abklärungen zum Vogel- und Gewässerschutz. Mehr dazu im Tages-Anzeiger.

In Hinwil ZH hat die Bevölkerung eine Änderung der Bau- und Zonenordnung angenommen, mit welcher der Bau von Windanlagen auf dem Gemeindegebiet verunmöglicht wird. Gemäss der Regel müssten Windkraftanlagen einen Abstand von einem Kilometer zu bewohnten oder teilweise bewohnten Liegenschaften aufweisen. Die Bestimmung muss noch von der kantonalen Baudirektion genehmigt werden. Ob sie dies tun wird, ist unklar. Denn das kantonale Amt für Raumentwicklung hat im Vorfeld mitgeteilt, dass kommunale Abstandsvorschriften für Windräder als nicht genehmigungsfähig erachtet werden. Personen, die der SVP nahestehen, haben in verschiedenen Gemeinden im Kanton Zürich vergleichbare Vorstösse für Mindestabstände eingereicht. Mehr dazu im hier und hier im Tages-Anzeiger.

Gibt es Möglichkeiten, damit Windanlagen von der lokalen Bevölkerung akzeptiert werden? Ja, zum Beispiel, in dem sich Bürger:innen daran beteiligen können. Bei diesem Modell gehört die Mehrheit einer Windanlage den Einwohner:innen. Die Wertschöpfung bleibt im Dorf, die Beteiligten können mitentscheiden. Solche Projekte sind in Escholzmatt LU sowie in Wikon AG geplant. In Deutschland sind bereits mehrere solcher «Bürgerwindparks» realisiert worden. Mehr dazu hier und hier auf SRF und im Zofinger Tagblatt (paywall).

Einen anderen Weg schlägt Umweltwissenschafter Robert Wade in der NZZ (paywall) vor. Erneuerbare Energien wie Wind und Sonne sollten als Gemeingut genutzt werden. Das Recht, den Wind zu nutzen, wäre dann im Besitz der öffentlichen Hand. Ähnlich wie bei Bürger:innen-Modellen profitiert dann auch die lokale Bevölkerung davon. Heute sind es nur die Landbesitzer, die Geld von den Elektrizitätsfirmen erhalten. Wade verweist auf das Beispiel von Irland, wo in der Verfassung steht, dass alle natürlichen Ressourcen, einschliesslich der Luft und jeglicher Art von potenzieller Energie, dem Staat gehören.

Strommangellage, EU-Stromabkommen und AKWs

Im Herbst 2022 hatte der Bundesrat entschieden, dass im aargauischen Birr ein Reservegaskraftwerk gebaut wird. Seit März 2023 ist es am Netz und käme bei einer Strommangellage zum Einsatz. Der Vertrag mit der GE Gas Power läuft noch bis April 2026, die Kosten für die dreijährige Laufzeit betragen 470 Millionen CHF. Nun hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass der Bundesrat dem Kraftwerke keine Betriebsbewilligung hätte erteilen dürfen. Es gab einer Anwohnerin recht, die sich mit Unterstützung von Klimastreik Schweiz wegen Lärm und Umweltbeeinträchtigung dagegen gewehrt hatte. Das Gericht hält fest, der Bundesrat habe nicht darlegen können, aufgrund welcher Annahmen er eine schwere Mangellage angenommen hatte. Allgemeine Verweise auf die politische Situation in Europa oder abgestellte Atomkraftwerke in Frankreich genügten nicht. Mehr dazu bei SRF, Wochenzeitung und Tages-Anzeiger.

Soll das Kraftwerk in Birr weiter als Reserve genutzt werden, muss der Bundesrat besser begründen, weshalb dies erforderlich ist. Das dürfte allerdings nicht einfacher werden. Denn zumindest in diesem Winter hatte die Schweiz im Winter mehr als genug Strom, wie GLP-Präsident Jürg Grossen analysiert hat. So ist von Oktober 2023 bis März 2024 mehr Strom nach Europa exportiert als importiert worden. Dafür haben laut Grossen gut gefüllte Stauseen und milde Temperaturen gesorgt, aber auch ein rückläufiger Stromverbrauch sowie der Ausbau der Solarenergie. Mehr dazu im Tages-Anzeiger.

Die Reservekraftwerke machen die Verhandlungen mit der EU über ein Stromabkommen komplizierter. Denn erhalten die Betreiber von Kraftwerken, die nicht laufen, Geld, könnte dies gegen das Beihilferecht der EU verstossen. Nach dem Willen der EU soll die Elektrifizierung und Dekarbonisierung möglichst wenig kosten. Werden überdimensionierte Reservekraftwerke entschädigt, würde dies dem Ziel zuwiderlaufen. Mehr dazu hier und hier in der NZZ (paywall).

Dennoch setzt der Bund weiter auf solche Notkraftwerke. Eine Ausschreibung für die Zeit ab 2026, wenn die Verträge mit Birr und weiteren, kleineren Kraftwerken auslaufen, ging Ende März zu Ende. Der Stromkonzern Axpo hat sich an der Ausschreibung beteiligt. Er will im Auhafen, auf Gebiet der Gemeinde Muttenz, ein Gaskraftwerk bauen. Die Axpo kündigte an, das Kraftwerk mit synthetischem Brennstoff CO2-neutral zu betreiben. Das ist aktuell Wunschdenken: Weil solche Brennstoffe vorerst nicht verfügbar sind, würde Erdgas eingesetzt. Mit einer Leistung von 340 Megawatt entspricht es dem Kraftwerk in Birr. Mehr dazu im hier und hier im Tages-Anzeiger.

Gleichzeitig hat die Axpo bekannt gegeben, dass sie eine längere Laufzeit des AKWs Beznau prüft. Beznau startete den Betrieb 1969 und ist die weltweit älteste Anlage. Bisher wollte Axpo das AKW um das Jahr 2030 definitiv vom Netz nehmen. Die Schweizerische Energie-Stiftung hält die Pläne der Axpo für unnötig und gefährlich. Bereits in zwei Jahren werde der Ausbau von Solar- und Windenergie die Produktion der AKWs Mühleberg, Beznau 1 und 2 ersetzt haben. Mehr dazu bei SRF, Tages-Anzeiger (paywall), Sonntagszeitung (paywall)  und NZZ (paywall).

Mit den Plänen der Axpo gewinnt ein Postulat von FDP-Präsident Thierry Burkart, das der Ständerat in der letzten Session angenommen hatte, an Aktualität. Der Vorstoss verlangt vom Bundesrat, er solle prüfen, welche «regulatorischen und finanziellen Rahmenbedingungen» geschaffen werden müssten, um die bestehenden Kernkraftwerke möglichst lange zu betreiben. Mit Blick auf die Versorgungssicherheit soll auch der Neubau von Kernkraftwerken geprüft werden. Mehr dazu auf SRF und in der NZZ (paywall).

Eine indirekte Form, in neue AKWs zu investieren, erwähten kürzlich Vertreter des französischen Aussendepartements gegenüber internationalen Journalist:innen. Das Land, das 14 neue Reaktoren bauen will, regte an, dass sich Länder wie die Schweiz, die selbst keine neuen AKW realisieren, aber Atomstrom aus Frankreich importieren, an den Kosten beteiligen. Die Schweizerische Energie-Stiftung hält die Äusserungen für Frankreichs für einen Versuch, die überbordenden Kosten im Atomsektor auf andere Staaten abzuwälzen. Frankreich werde die AKWs so oder so bauen. Mehr dazu im Tages-Anzeiger und in der NZZ am Sonntag.

SES-Studie zu Fehlanreizen beim Energieverbrauch

Der Bund hat gemäss Verfassung für einen sparsamen Umgang mit Energie zu sorgen. Wie eine Studie im Auftrag der Schweizerischen Energie-Stiftung (SES) zeigt, ist vielfach das Gegenteil der Fall: Viele gesetzliche Bestimmungen fördern den Energieverbrauch, statt ihn zu senken. Die vom Beratungsbüro EBP durchgeführte Untersuchung hat über 100 Fehlanreize identifiziert. Würden diese Fehlanreize eliminiert, könnte sehr viel Energie gespart werden. Allein für sieben vertieft untersuchte Bereiche könnten bis zu 10 TWh pro Jahr gespart werden. Das entspricht knapp 5% des gesamten Energieverbrauchs der Schweiz. Es geht um diese sieben Fehlanreize:

  • Pauschale Grundgebühren bei Stromtarifen: Durch die Pauschale sinkt der pro Kilowattstunde gezahlte Preis, je höher der Energieverbrauch ist.
  • Statische Stromtarife: Die Stromtarife bieten keinen Anreiz, Strom dann zu verbrauchen, wenn er günstig und in genügenden Mengen vorhanden ist.
  • Fehlende CO2-Abgabe auf Treibstoffen im Strassenverkehr: Die durch die Emissionen verursachten externen Umwelt- und Gesundheitskosten sind nicht im Treibstoffpreis berücksichtigt.
  • Befreiung leichter Nutzfahrzeuge von der LSVA: Nutzfahrzeuge unter 3,5 Tonnen Gewicht sind von der leistungsabhängigen Schwerverkehrsabgabe (LSVA) ausgenommen. Die Umweltkosten werden nicht im Preis der Transporte berücksichtigt.
  • Zu wenig ambitionierte Zielvereinbarungen bei Unternehmen: Unternehmen, die sich von der CO2-Abgabe befreien möchten, können mit dem Bund eine Zielvereinbarung abschliessen. Diese reichen nicht aus, um die Klimaziele der Schweiz zu erreichen.
  • Pendlerabzug: Privatpersonen können Fahrkosten zum Arbeitsplatz vom steuerbaren Einkommen abziehen. Das führt dazu, dass viele grössere Distanzen zwischen Wohn- und Arbeitsort in Kauf nehmen.
  • Steuerbefreiter internationaler Flugverkehr: Internationale Flüge sind sowohl von der Mineralölsteuer als auch von der Mehrwertsteuer befreit, was zu tieferen Preisen führt und die Nachfrage erhöht.

Die SES verlangt, dass Bundesrat, Parlament und Bundesverwaltung die gewichtigen Fehlanreize umgehend korrigieren und die Gesetzgebung des Bundes systematisch auf die Versorgungssicherheit, die Klimaschutzziele und das Energiesparen ausrichten. Mehr dazu auf SRF, ee-news und NZZ (paywall).

Der Klimakurs der Luftfahrt wirft Fragen auf

Kann die Luftfahrt bis 2050 klimaneutral werden? Ja, behauptet der Bundesrat in einem Bericht. Er kommt darin zum Schluss, dass das im Klimaschutzgesetz verankerte Ziel erreicht werden könne. Dies allerdings unter der fragwürdigen Annahme, dass der Flugverkehr bis 2050 nicht weiter zunimmt. Der Bericht wählte «eine von der Nachfrageentwicklung unabhängige Darstellung» und untersucht das Potenzial zur CO2-Reduktion mit der Annahme die Emissionen blieben auf dem Niveau von 2019. Das heisst, das erwartete Wachstum der Luftfahrt wird negiert. Internationale Behörden gehen in Europa von einer Zunahme von jährlich bis zu 3% aus. Der Schweizer Luftverkehr nahm von 1990 bis 2019 jedes Jahr um 8,5% zu. Sogenannte Nicht-CO2-Effekte, die der Flugverkehr verursacht (u.a. Bildung von Kondensstreifen), werden ebenfalls nicht berücksichtigt.

Die wichtigste technische Massnahme zur Reduktion der CO2-Emissionen sieht der Bundesrat im Einsatz nachhaltiger Flugtreibstoffe. Deren Herstellung ist jedoch sehr energieintensiv, und sie sind bis auf weiteres nicht in grossem Umfang verfügbar. Aktuell decken nachhaltige Flugtreibstoffe nur gerade 0,2% des jährlichen Bedarfs der Luftfahrtindustrie. Auch der Bundesrat räumt ein, dass es länger als bis 2050 dauern wird, um fossile Treibstoffe komplett zu ersetzen. Er geht davon aus, dass 10% bis maximal 23% der fossilen CO2-Emissionen nicht vermieden werden können. Diese sollen aus der Atmosphäre entnommen und gespeichert werden.

Auch die Swiss setzt auf das Abscheiden und Speichern von CO2. Die Fluggesellschaft hat einen Vertrag mit dem ETH-Startup Climeworks unterzeichnet. Weder zur Menge des herausgefilterten CO2 noch zu den Kosten machten die Unternehmen Angaben. Heute kostet die Entfernung einer Tonne CO₂ zwischen 600 und 1000 Dollar. Zur Einordnung: Wer in der Economy-Klasse nach New York fliegt, verursacht dadurch rund 2 Tonnen CO2. Wie ernst es der Swiss mit Klimaschutz, zeigt auch dies: Die Fluggesellschaft hält an den umstrittenen Inlandflügen zwischen Genf und Zürich fest, wie der Swiss-Chef Dieter Vranckx in einem Interview mit dem «Sonntagsblick» erklärte; mehr dazu im Tages-Anzeiger.

Die Lufthansa, die Muttergesellschaft der Swiss, hat kürzlich eine Vereinbarung mit Climeworks abgeschlossen, um über vier Jahre insgesamt 40’000 Tonnen CO2 zu kompensieren. Zum Vergleich: Der Luftfahrtkonzern hat letztes Jahr 23 Millionen Tonnen CO2 ausgestossen. Swiss und die Lufthansa sind die ersten Airlines, für die Climeworks CO2 aus der Luft filtern will. Das Unternehmen hat schon mit 170 über Firmenkunden Verträge abgeschlossen. Mehr dazu im Tages-Anzeiger und der NZZ (paywall).

Autos stossen mehr CO2 aus, als Hersteller angeben

Benzin- und Dieselautos stossen im Durchschnitt rund 20% mehr CO2 pro Kilometer aus, als die Hersteller angeben. Zu diesem Ergebnis kommt eine Untersuchung von 600’000 Autos, die im EU-Raum 2021 neu zugelassen worden sind. Besonders gross ist die Abweichung bei Plug-in-Hybride-Modelle: Sie stossen durchschnittlich dreieinhalbmal so viel CO2 aus, weil die Fahrer die Batterie nur selten laden und stattdessen den Benzintank füllen (Tages-Anzeiger hier und hier (paywall).

Auch bei den Elektrofahrzeugen ist die Schweiz im Rückstand. Bis 2025 soll jeder zweite Neuwagen ein Steckerauto sein. Nun rechnet der Elektromobilitätsverband Swiss E-Mobility, dass dieses Ziel deutlich verfehlt wird. Die 50%-Marke pro Jahr werde wohl erst 2029 erreicht. Warum ist das so? Weil Ladestationen zu Hause fehlen und diese von der öffentlichen Hand nicht ausreichend gefördert werden, glauben Branchenfachleute. Mehr dazu im Tages-Anzeiger (paywall). 2023 waren 21% der verkauften Neuwagen reine Elektroautos, 9,2% Plug-in-Hybride. Die Branche hatte mit einem stärkeren Wachstum gerechnet. Mehr dazu im Tages-Anzeiger (paywall).

Wie sich der Finanzmarkt dem Klimaschutz widersetzt

Nehmen Schweizer Banken und Versicherung ihre Klimaverantwortung war? Diese Frage beantwortet eine Studie von Greenpeace. Die Antwort: Nein. Die Finanzbranche nutzt die Möglichkeiten zu wenig, sich an Generalversammlungen der Firmen, von denen sie Aktien hält, für mehr Klimaschutz einzusetzen. Damit würden Banken und Versicherungen gegen die Versprechen verstossen, als aktive Investoren auf eine nachhaltigere Ausrichtung der Unternehmen zu drängen. So stimmte die UBS fast immer im Sinne der Unternehmen ab und lehnte es zum Beispiel ab, die Finanzierung von Öl- und Gasförderprojekten einzuschränken. Mehr dazu beim Onlinemedium tippingpoint und RTS.

Der Bund könnte den Finanzplatz zu mehr Klimaschutz verpflichten. Doch der Nationalrat hat in der Frühlingssession mehr Kompetenzen für den Bundesrat abgelehnt, um die Geldflüsse von Banken und Versicherungen klimaverträglicher zu machen. Eine entsprechende Motion von Gerhard Andrey wurde verworfen. Damit kann sich die Finanzbranche weiterhin freiwillige Regeln geben, wie sie die Pariser Klimaziele erreichen will. Bis heute haben Banken und Versicherungen mit ihren Vorschriften nur geringe Fortschritte erzielt. Alliance Sud, WWF und Greenpeace kritisieren den Entscheid des Nationalrats. Noch dieses Jahr will Greenpeace zusammen mit anderen Organisationen die Volksinitiative für einen nachhaltigen Finanzplatz lancieren, um die Branche auf Klimakurs zu bringen.

Die Unternehmen, von denen Schweizerische Nationalbank Aktien hält, haben letzte Jahr 10,2 Millionen Tonnen CO2 ausgestossen. Weitere 2 Mio. t fallen über Unternehmensanleihen an, welche die SNB hält. Das entspricht rund einem Viertel der Inlandemissionen der Schweiz. Diese Zahlen sind dem neusten Nachhaltigkeitsbericht der SNB zu entnehmen. Bei ihrer Anlagepolitik berücksichtigt die SNB keine klimapolitischen Kriterien, sondern hält sich ausschliesslich an geld- und währungspolitische Ziele. Nur bei den internen Emissionen setzt sich die SNB Klimaziele. So sollen die CO2-Emissionen bis 2030 gegenüber dem Referenzjahr 2017 um 50% gesenkt werden. 2023 betrug der Ausstoss 2860 Tonnen CO2. Dies entspricht rund 0.02 Prozent der über Finanzanlagen resultierenden Treibhausgase. Mehr dazu in der NZZ (paywall).

Dass die Nationalbank Klimarisiken bei ihrer Geldpolitik berücksichtigen müsste, zeigt eine in Communications Earth & Environment erschienene Studie auf. Die Forschenden weisen nach, dass der Klimawandel die Preisstabilität, eine der Kernaufgaben von Nationalbanken, gefährden kann. Mehr dazu in einem Linkedin-Post von Georg Klingler von Greenpeace.

Internationale Klimapolitik

Weltweit vor Gericht fürs Klima

Nicht nur die Schweizer Klimaseniorinnen wollen mehr Klimaschutz, immer häufiger wird in Gerichtssälen überall auf der Welt für mehr Klimaschutz gekämpft. Wir fassen hier einige der spannendsten Fälle zusammen:

Über 30 Klagen gegen die US-Ölindustrie

Vor sechs Jahren haben Städte in Kalifornien damit begonnen, Ölkonzerne vor Gericht zu bringen. Diese Firmen hätten die Öffentlichkeit jahrzehntelang irregeführt, indem sie die Gefahren der Klimakrise abgestritten oder verharmlost hätten, lautet der Vorwurf. Bis heute wurden in den USA rund 30 solcher Klagen von Städten, Bundesstaaten und indigenen Stämmen eingereicht. Sie wollen damit erreichen, dass die Ölindustrie für die Kosten des Klimawandels bezahlen muss.

Um sich davor zu schützen, haben die Ölkonzerne versuchten, die Klagen an Bundesgerichte zu verlagern, die deutlich wirtschaftsfreundlicher sind. Im vergangenen Jahr lehnte es der Oberste Gerichtshof der USA jedoch dreimal ab, Argumente für eine Verlegung dieser Fälle anzuhören. Die Verzögerungstaktik der Ölkonzerne ist somit erst einmal gescheitert und die Gerichtsfälle können weitergeführt werden. Mehr dazu in Grist.

US-Bundesstaaten wollen Ölfirmen zur Verantwortung zu ziehen

Die oben erwähnten zivilgerichtlichen Klagen sind zwar wichtig, aber das US-Justizsystem ist langsam und entscheidet oft im Sinne der Industrie. Nun will der Bundesstaat Vermont einen neuen Weg gehen, um die Ölindustrie zu zwingen, für die gewaltigen Schäden der Überschwemmungen des letzten Sommers aufzukommen. Klimakatastrophen sollen in Zukunft wie Giftmülldeponien behandelt werden. Das Superfund-Gesetz der USA verlangt, dass Chemieunternehmen, die einen Standort verschmutzt haben, für die komplette Sanierung bezahlen müssen. Vermont will dieses Gesetz nun auf Klimaschäden anwenden. Mehrer andere Staaten wollen ähnlich vorgehen. Die Ölindustrie versprach wenig überraschend, vor Gericht zu gehen, falls sie für ihre Schäden zur Verantwortung gezogen wird. Mehr bei E&Enew und Grist.

Fleischgrosshändler verklagt – veganes Fleisch ebenfalls

Der brasilianische Lebensmittelriese JBS, der weltweit grösste Fleischgrosshändler, wurde vom Generalstaatsanwalt von New York verklagt, weil er die Öffentlichkeit über seine Auswirkungen auf die Umwelt getäuscht habe, um seinen Umsatz zu steigern. Der Konzern versprach, bis 2040 netto null Treibhausgasemissionen zu erreichen. Das sei jedoch irreführend, da der Konzern gleichzeitig die Fleischproduktion steigern wolle und zudem die Emissionen aus der Abholzung des Amazonas und seiner Lieferketten nicht in seinem Klimaziel berücksichtigt habe. JBS wurde wiederholt mit der illegalen Abholzung des Amazonas in Verbindung gebracht. Mehr bei Reuters.

Nicht gegen Fleisch, sondern gegen vegane Fleischersatzprodukte will man in der Schweiz vorgehen. Anfang 2023 reichte das Eidgenössische Departement des Innern beim Bundesgericht Beschwerde ein. Es soll nicht mehr erlaubt sein, dass vegane Fleischersatzprodukte als «Fleisch», z.B. «Planted Chicken» bezeichnet werden. Sollte das Bundesgericht in den kommenden Monaten entscheiden, das Tier in veganen Produkt­namen zu verbieten, wäre die Schweiz das erste Land, das eine solche Massnahme ergreift, in anderen Ländern laufen aber ähnliche Bemühungen. Die obersten EU-Richter haben 2017 bereits im Fall von Milch­produkten ein solches Verbot ausgesprochen. Die Republik berichtet ausführlich darüber.

Weitere Nachrichten zum Thema Fleisch: Amerikanische Banken untergraben ihre eigenen Klimaverpflichtungen, indem sie Fleisch-, Molkerei- und Futtermittelkonzerne finanzieren, so ein Bericht von Friends of the Earth. Mehr dazu im Guardian.

Fluggesellschaft des Greenwashings schuldig

Ein niederländisches Gericht hat entschieden, dass die Fluggesellschaft KLM ein «zu rosiges Bild» von der Nachhaltigkeit des Flugverkehrs gezeichnet hat. Der Fall wurde von Umweltorganisationen im Rahmen der europäischen Vorschriften über falsche Werbung angestrengt. Das Urteil enthält jedoch keine Aufforderung, die Aussagen zu korrigieren, sondern lediglich die Aufforderung an KLM, bei künftigen Mitteilungen «ehrlich und konkret» zu sein. Mehr dazu bei DW.

Immer mehr Länder verlassen Energiechartavertrag

Grossbritannien ist aus dem Energiechartavertrag ausgestiegen und folgt damit Deutschland, Frankreich, Spanien und anderen europäischen Ländern. Das multilaterale Handelsabkommen wurde 1994 abgeschlossen, um westliche Investitionen in die Energiesektoren der ehemaligen Sowjetstaaten voranzutreiben. Gleichzeit ermöglicht das Abkommen Investoren, Regierungen zu verklagen, wenn Änderungen in der Energiepolitik ihre Gewinne beeinträchtigen könnten. Das haben sich Ölkonzerne zunutze gemacht, um die Energiewende aufzuhalten. So verwiest der deutsche Energiekonzern RWE auf den Vertrag, um die niederländische Regierung wegen ihres geplanten Ausstiegs aus der Kohleverstromung zu verklagen.

Die Schweiz ist nach wie vor Mitglied des Energiechartavertrages, mehr dazu hier und hier.

Klimatologe gewinnt Verleumdungsklage

Der renommierte Klimawissenschaftler Michael Mann hat in einem Prozess gegen zwei konservative Blog-Autoren mehr als 1 Million US-Dollar zugesprochen bekommen. Die Blogger hatten Manns Forschung infrage gestellt und ihn mit einem verurteilten Kinderschänder verglichen. Das Urteil könnte als Warnung für diejenigen dienen, die Klimawissenschaftler:innen angreifen. Mehr bei Nature.

Die Hürden für Bidens Elektrofahrzeug-Plan

Der Verkehr verursacht in den USA mehr Emissionen als alle anderen Sektoren. Die Regierung Biden hat nun neue Emissionsgrenzwerte eingeführt, um die Elektrifizierung des Verkehrs voranzutreiben. Damit die neuen Abgasgrenzwerte erfüllen werden, müssten bis 2032 56% der verkauften Neuwagen emissionsfrei sein und weitere 16% Hybridfahrzeuge.

Die neue Verordnung ist ambitioniert, denn der Anteil der Elektrofahrzeuge bei den Neuwagenverkäufen beträgt heute in den USA nur knapp 8%. Es gibt jedoch eine Reihe von Faktoren, die Bidens Plan zum Scheitern bringen könnten.

Elektrofahrzeuge sind Teil des US-Kulturkampfes geworden. Eine Gallup-Umfrage zeigt, dass 71% der Republikaner kein Elektroauto kaufen würden, verglichen mit 17% der Demokraten. Donald Trump drückt sich in Bezug auf Elektrofahrzeuge zunehmend brutaler aus. Er behauptet, sie würden die amerikanische Autoindustrie «vernichten» und bezeichnet Elektrofahrzeuge als «Mörder» von Arbeitsplätzen.

Zwei Drittel der amerikanischen Autohändler:innen verkaufen laut einem Bericht des Sierra Clubs keine Elektrofahrzeuge. Für den Widerstand der Händler gibt es mehrere Gründe: Die Gewinnmargen für EVs sind geringer. Vielleicht noch wichtiger ist, dass Händler:innen fast die Hälfte ihres Gewinns mit der Wartung der Fahrzeuge erzielen. Für Elektrofahrzeuge gibt es weniger Teile, sie müssen viel seltener in die Werkstatt und sind billiger im Unterhalt als fossilbetriebene Autos und Lastwagen.

Auch die Ölindustrie wehrt sich gegen die neuen Grenzwerte. Es wird erwartet, dass eine Koalition aus fossilen Unternehmen und republikanischen Anwälten gegen die neue Regelung klagen wird.

Trotz der vielen Hindernisse ist die neue Regelung ein wichtiger Schritt. Elektrofahrezuge sind das am schnellsten wachsende Segment auf dem amerikanischen Automarkt. Es wird erwartet, dass in den nächsten Jahren eine Welle von billigeren und leistungsfähigeren Modellen auf den Markt kommt. Mehr in der NY Times (paywall).

Investitionen in erneuerbare Energien steigen

Die Investitionen in die Energiewende sind im Jahr 2023 auf einen Rekordwert von 1,8 Billionen Dollar gestiegen, laut dem neusten Bericht von BloombergNEF. Das ist zwar dreimal so viel wie 2019, aber immer noch nicht genug,  um das 1,5 Grad-Klimaziel zu erreichen.

Das grösste Wachstum gab es beim elektrifizierten Verkehr. China investierte mit 676 Milliarden Dollar (38% der weltweiten Summe) am meisten. Die EU, die USA und das Vereinigte Königreich investieren 2023 zusammen noch mehr als China. In Deutschland, der zweitgrössten OECD-Volkswirtschaft, stieg der Anteil der erneuerbaren Energien 2023 am gesamten Stromverbrauch deutlich von etwa 45 % auf fast 53 %. Das Ziel der Regierung, bis 2030 einen Anteil von 80 % an erneuerbaren Energien zu erreichen, ist nach wie vor in Reichweite, aber der Ausbau der Windenergie muss vorangetrieben werden. In den Entwicklungsländern besteht nach wie vor ein erheblicher Mangel an Investitionen. Mehr bei BloombergNEF, renewableenergyworld.com und World Economic Forum.

Europäische Klimapolitik

Erneuerbare Energien EU-weit auf dem Vormarsch

Die EU macht vorwärts mit erneuerbaren Energien. 2023 wurde im Vergleich zum Vorjahr 19% weniger CO2 im Stromsektor ausgestossen und mit einem Anteil von 44% wurde das erste Mal die 40-Prozentmarke bei der grünen Stromproduktion überschritten. Das zeigt der neue Bericht des unabhängigen Thinktanks Ember. Die Kohleverstromung ist um über ein Viertel eingebrochen und Windenergie hat erstmalig mehr Strom produziert als Gaskraftwerke.

EU-Gebäuderichtlinie verabschiedet

Nach jahrelangen Verhandlungen hat nun auch der Europäische Rat den Kompromiss zur EU-Gebäuderichtlinie als letztes großes Vorhaben des „Fit for 55“-Pakets zugestimmt. Im Kern stehen Sanierungsverpflichtungen durch das Erreichen von Mindestenergieeffizienzstandards. Etwa 40 % des Energieverbrauchs und 36 % der Treibhausgasemissionen in der EU stammen aus Gebäuden. Bis 2035 sollen bei Wohngebäuden etwa 20-22 % Energie eingespart werden, vor allem durch die Sanierung von besonders schlecht isolierten Gebäuden. Klimaschützer kritisierten die Regelungen für unzureichend (siehe WWF oder DUH). Ein breites Bündnis aus Umwelt-, Verbraucherschutz- und Wirtschaftsverbänden machen in einem 10-Punkte-Plan Vorschläge für eine ambitionierte und sozial gerechte Umsetzung der EPBD. Es komme nun auf die nationale Umsetzung an, um voll Wirkung entfalten zu können, so die Verbände. Eine Zusammenfassung der neuen Richtlinie bietet Handwerk+Bau.

«German Vote» macht Deutschlands unglaubwürdig

Ohne die deutsche Stimme ist es schwierig, die notwendigen Mehrheitsverhältnisse nach EU-Recht zu erreichen, um neue EU-Gesetzesvorhaben durchzubringen. In letzter Zeit kam es öfters vor, dass Deutschland während der Trilog-Verhandlungen (neben EU-Parlament und EU-Rat sind auch Vertreter der EU-Kommission beteiligt) Massnahmen zwar zugestimmt hatte. Doch kurz vor den entscheidenden Abstimmungen im EU-Rat machte Deutschland einen Rückzieher und enthielt sich. De facto kommt eine solche Enthaltung einer Nein-Stimme gleich. Vor allem die kleinste Regierungspartei FDP hat in den vergangenen Monaten häufig in letzter Minute ihr Veto eingelegt, insbesondere bei Umwelt- und Klimagesetzgebung (z.B. bei den CO2-Grenzwerten für LKW oder der EU-Verpackungsverordnung). Dies verärgert andere Mitgliedsstaaten, da Deutschlands so kein verlässlicher Partner mehr ist und Gesetzesprozesse unnötig verlängert werden. Dieses Verhalten wird umgangssprachlich als «German Vote» bezeichnet. Mehr dazu etwa bei ZDF und beim Handelsblatt.

Europäisches Lieferkettengesetz kommt

Mit dem EU-Lieferkettengesetz sollen europaweite Standards zur Einhaltung von Umwelt-, Arbeits- und Menschenrechtsstandards für Unternehmen eingeführt werden. Trotz eines Kompromisses im Dezember 2023 kam es Anfang Februar erneut zu einem deutschen Rückzieher, ausgelöst durch die FDP. Der Kompromissvorschlag sei für europäische Unternehmen zu bürokratisch und belastend, so die FDP. Diese erneute «German Vote» sorgte nur wenige Tage vor der finalen Abstimmung im Rat europaweit für Aufruhr. Dennoch konnte im März auch ohne die Zustimmung Deutschlands ein neuer Kompromiss erzielt werden. Mehr dazu bei der FAZ.

Doch im Vergleich zum ursprünglichen Vorschlag der Kommission und des zäh ausgehandelten Kompromisses vom Dezember 2023 wurden die Vorlage deutlich abgeschwächt: Nur Unternehmen mit mehr als 1000 Mitarbeitenden und einem Umsatz von über 450 Millionen Euro müssen künftig sicherstellen, dass entlang der gesamten Lieferkette EU-Rechte und Normen eingehalten werden. Umweltverbände kritisierten die Abschwächung sowie die Rolle der Bundesregierung dabei scharf. Der Deutsche Naturschutzring hat eine Analyse der Kritik und weiterführende Informationen zusammengestellt. Auch Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International kritisierten die Bundesregierung deutlich.

Fossile Firmen sollen sich an Klimafinanzierung beteiligen

Auf der diesjährigen Weltklimakonferenz, die im November in Baku, Aserbaidschan, stattfindet, wird der Schwerpunkt vor allem auf der Diskussion über internationale Klimafinanzierung liegen. Dabei steht die zentrale Frage im Mittelpunkt, wie viel die wohlhabenden Industrienationen den ärmeren Ländern im globalen Süden zahlen sollten, um die verheerenden Auswirkungen der Klimakrise zu bewältigen. In einer gemeinsamen Presseerklärung sprachen sich die Aussenminister:innen der EU dafür aus, neue und innovative Finanzquellen zu erschliessen, insbesondere aus der fossilen Industrie oder emissionsintensiven Sektoren, um die Klimafinanzierung im globalen Süden zu unterstützen. Darüber hinaus sollten auch vergleichsweise wohlhabende Länder wie China oder die Länder des Nahen Ostens ihren Beitrag zur Klimafinanzierung leisten, so die EU-Minister:innen. Gemäss der OECD beläuft sich der Finanzbedarf ärmerer Länder jährlich auf über eine Billion Euro. Mehr dazu bei Reuters und E3G.

Europäisches Parlament wird zum 10. Mal gewählt

Vom 6. bis 9. Juni 2024 werden etwa 360 Millionen Bürger:innen der EU dazu aufgerufen sein, ihre Vertreter:innen im EU-Parlament zu wählen. Neueste Umfragen deuten darauf hin, dass vor allem rechte Parteien mit mehr Stimmen rechnen können. Euractiv und Politico stellen die neuesten Wahlumfragen zusammen. Rechte und rechtsextreme Parteien stehen einem ambitionierten Umwelt- und Klimaschutz skeptisch bis deutlich ablehnend gegenüber. Gemäss den neuesten Ergebnissen des Eurobarometers haben lediglich 16 Prozent der Befragten «Klima- und Umweltschutz» als wichtigstes Thema für die EU genannt. Mehr dazu bei Clean Wire Energy. Dies entspricht einer Halbierung im Vergleich zur Eurobarometer-Umfrage vor den EU-Wahlen 2019. Damit ist es nur noch das viertwichtigste Thema, nach der Migration, der internationalen Situation und der Inflation. Umweltverbände wie der WWF versuchen durch öffentliche Kampagnen für das Umweltthema mehr Zustimmung zu bekommen. Die Festlegung eines Klimaziels für das Jahr 2040 und die geeigneten politischen Massnahmen zur Umsetzung werden als klimapolitischen Prioritäten für die kommende Legislaturperiode der EU erwartet.

Deutschland

Emissionsziele 2023 zwar eingehalten, aber…

Mitte März präsentierte Klimaschutzminister Habeck die Emissionszahlen für das Jahr 2023. Die Gesamtemissionen sind im Vergleich zum Vorjahr um über zehn Prozent gesunken, dank dem starken Ausbau der erneuerbaren Energien. Die Umweltverbände bemängeln jedoch, dass dieser Erfolg kaum auf strukturellen Änderungen beruhe, sondern vor allem auf einen milden Winter und eine schwächelnde Wirtschaft aufgrund von Krisen wie dem Krieg in der Ukraine (siehe DNR). Der Gebäude- und Verkehrssektor haben erwartungsgemäss die Jahresziele zum wiederholten Male verpasst. Laut neuen Prognosen ist insgesamt die Einhaltung der 2030-Ziele aufgrund einer Reihe neuer Gesetzgebung zwar potenziell möglich. Allerdings ist das Ziel, bis 2045 klimaneutral zu sein, noch nicht in Sicht. Die DUH kritisierte den Bericht scharf.

Solaranlagen brauchen weniger unverbaute Fläche

Oft ist es schwierig, neue Solaranlagen auf Freiflächen zu realisieren, da es häufig zu Nutzungskonflikten mit der Landwirtschaft oder mit dem Naturschutz kommt. Eine neue Studie des Öko-Instituts zeigt nun, dass die Ziele des Solarenergieausbaus auch ohne Anlagen auf Freiflächen erreicht werden könnten. PV-Anlagen auf vorbelasteten und bereits versiegelten Flächen (z.B. Dächer, Parkplätze, Randstreifen, Gewerbegebiete) könnten den benötigten Zubau decken. Ein breites Bündnis aus Umweltverbänden fordert seit Jahren, gerade diese Flächen stärker in den Fokus zu rücken und etwa einen ambitionierten «Solardachstandard» einzuführen (s. DNR).

Passend zum Thema hat Climate Action Network Europe (CAN Europe) Anfang April einen vergleichenden Bericht zum Solarausbau auf Dächern in der EU veröffentlicht. Insgesamt sei der Trend beim Solarausbau positiv.

Ein Jahr danach: Deutschland ohne Atomstrom

Am 15. April nähert sich der erste Jahrestag des Ausstiegs aus der Atomenergie in Deutschland. Nach einem langen Hin und Her wurden im April 2023 die letzten drei sich noch am Netz befindenden deutschen Atomkraftwerke abgeschaltet. Befürchtungen vor Blackouts, steigenden Strompreisen oder eines Comebacks des Kohlestroms haben sich nicht bewahrheitet. Neue Stromtarife sind in Deutschland so günstig wie lange nicht mehr – sogar günstiger als vor des Beginns des Ukrainekrieges (s. FAZ) – und der Anteil der Erneuerbaren am Strommix steigt kontinuierlich. So lag der Anteil von erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung 2023 bereits bei 56%. Mehr beim statistischen Bundesamt.

Transformation für Grossindustrie vorantreiben

Die Bundesregierung will mit sogenannten Klimaschutzverträgen die Transformation von grossen Industrieanlagen zur Klimaneutralität beschleunigen: Die Regierung übernimmt einen Teil der Transformationskosten und die Unternehmen zahlen diese zurück, sobald sich die Investitionen auszahlen. Sowohl Wirtschafts- als auch Umwelt- und Klimaschutzverbände loben die Einführung dieses Instruments als weiteren Baustein zur Erreichung der Klimaneutralität. Mehr bei Tagesschau.de und bei Klimaschutzverträge.info.

Die sichtbare Klimakrise

Erderwärmung beschleunigt sich

Es wird immer deutlicher, dass sich die Erderwärmung beschleunigt. Zwischen 1970 und 2008 wärmte sich die Erde alle zehn Jahre etwa um 0,18 °C. In den letzten 15 Jahren hat sich das Tempo auf 0,3 °C fast verdoppelt.

Es gab jedoch immer wieder wissenschaftliche Bedenken, dass die verstärkte Erwärmung in den letzten Jahren vor allem auch auf natürliche Faktoren wie einige Vulkan- und El-Nino-Aktivitäten sowie verstärkte Sonnenfleckenereignisse zurückzuführen war. Nun hat Prof. Housefather, ein bekannter Klimaphysiker, auf der Grundlage der jüngsten Einschätzungen von Atmosphärenforschern gezeigt, dass die Beschleunigung der Erwärmung ausschliesslich auf die Emission von Treibhausgasen zurückzuführen ist.

Mit der Verringerung der Luftverschmutzung - Aerosole, die einerseits die Gesundheit schädigen, aber andererseits die Atmosphäre gekühlt haben - schreitet die Erwärmung nun schneller voran. Mehr bei Carbon Brief.

Die neusten Zahlen der US-Klimabehörde NOAA zeigen, dass weltweiten Konzentrationen von CO2, Methan und N2O – die drei wichtigsten Treibhausgase - im vergangenen Jahr Rekordwerte erreichten. Der CO2-Gehalt in der Atmosphäre liegt um 50% über den vorindustriellen Werten, jener von Methan um 160% darüber.

Weiterhin viel zu hohe Temperaturen

2023 lag die weltweite Durchschnittstemperatur um 1,45 Grad über dem Niveau vor der Industrialisierung (1850 bis 1900). Dies zeigt der Bericht «State of the Global Climate» der Weltwetterorganisation (WMO). Bei zahlreichen Klimaindikatoren wie den Oberflächentemperaturen, der Erwärmung und Versauerung der Ozeane oder dem Anstieg des Meeresspiegels wurden Rekordwerte erreicht. «Die Sirenen schrillen bei allen wichtigen Indikatoren. Und die Veränderungen beschleunigen sich», sagte Uno-Generalsekretär António Guterres. Mehr dazu bei SRF und Tages-Anzeiger (paywall).

Auch Anfang 2024 wurden viel zu hohe Temperaturen gemessen. Von Juni 2023 bis März 2024 haben die durchschnittlichen Land- und Meeresoberflächentemperaturen in allen zehn Monaten die bisherigen Rekordwerte übertroffen, wie neuste Zahlen des EU-Klimawandeldiensts Copernicus zeigen. Die globale Durchschnittstemperatur für die vergangenen zwölf Monate von April 2023 bis März 2024 liegt um 1,58 Grad über dem vorindustriellen Durchschnitt. Mehr dazu hier und hier in der NY Times (paywall) und in der Zeit.

Meeresforscher:innen beobachten die Temperaturzunahme der Ozeane mit Sorge. Besonders ausgeprägt ist die Zunahme im Nordatlantik, wie Daten der amerikanischen Klimabehörde NOAA zeigen. Mehr dazu in der NY Times (paywall) und der NZZ (paywall).

Wie aussergewöhnlich die Entwicklung ist, zeigt folgende Grafik:

Grafik: Quelle: NZZ / https://climatereanalyzer.org/clim/sst_daily/

Was die Folgen von Dürre sind, führt eine Reportage der NY Times (paywall) über Afghanistan vor Augen. Das Land ist besonders durch den Klimawandel gefährdet. Weil der Regen seit mehreren Jahren ausgeblieben ist, wird die Bevölkerung ganzer Landstriche vertrieben. Millionen von Kindern sind unterernährt, und Besserung ist nicht Sicht.

Der Klimawandel macht Hitzewellen wahrscheinlicher und verändert gleichzeitig deren Verlauf. Eine in Science publizierte Studie zeigt, dass sich Hitzewellen langsamer ausbreiten und dadurch länger dauern. In jedem Jahrzehnt zwischen 1979 und 2020 verlangsamte sich die Ausbreitungsgeschwindigkeit von Hitzewellen um etwa acht Kilometer pro Tag. Sie dauern nun im Durchschnitt vier Tage länger. Dies hat starke Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit, betonen die Studienautor:innen. Je länger sich Hitzewellen an einem Ort halten, desto länger sind die Menschen lebensbedrohlichen Temperaturen ausgesetzt. Mehr dazu in der NY Times (paywall).

Klimaanpassung wird schwieriger

Die derzeitigen Bemühungen, die Auswirkungen der Klimakrise auf der ganzen Welt zu bewältigen, reichen nicht aus. Und diese sogenannte Anpassungslücke (Differenz zwischen erforderlichen und bereits umgesetzten Massnahmen) wird immer grösser, wie der aktuelle IPCC-Bericht zeigt. Eine Studie von CarbonBrief macht nun deutlich, dass die Anpassungsmassnahmen in einem wärmer werdenden Klima zudem auch deutlich an Wirkung verlieren.

Die Forschenden fokussieren auf Anpassungsoptionen in Bezug auf Wasserknappheit in der Landwirtschaft. Steigt die weltweite Temperatur auf 2 Grad, geht die Wirksamkeit von Anpassungsmassnahmen um einen Viertel zurück. Bei einem Anstieg um 4 Grad sind die gleichen Massnahmen nur noch halb so wirksam. Zu den untersuchten Massnahmen gehören die Wahl besser geeigneter Pflanzenarten oder reduzierte Bodenbearbeitung.

Die Ergebnisse zeigen, dass eine wirksame Klimaanpassung nur dann möglich ist, wenn gleichzeitig ehrgeizige Massnahmen ergriffen werden, um die Erwärmung auf 1,5°C zu begrenzen. Klimaanpassung stelle keine Alternative zur Reduktion dar und dürfe auch nicht vorgeschoben werden, um Anstrengungen zur Treibhausgasverminderung zu verzögern, betonen die Studienautor:innen. Mehr dazu bei CarbonBrief. 

Neues aus der Klimawissenschaft

Kippt die lebenswichtige Ozeanzirkulation bald?

Die Atlantischen Umwälzzirkulation (AMOC) sorgt dafür, dass riesige Wassermengen im Atlantik zirkulieren können und so auch das Klima regulieren. Der für das europäische Klima so wichtige Golfstrom ist ein Teil dieses Strömungssystems. Wissenschaftler:innen beobachten schon seit einigen Jahren, dass diese Zirkulation an Kraft verliert. Eine neue Studie in Science Advances bestätigt nun, dass sich die AMOC auf einen Kipppunkt zubewegt. Wird dieser überschritten, bricht sie zusammen.

Die Auswirkungen wären katastrophal. In Nordeuropa von Grossbritannien bis Skandinavien käme es z.B. zu einer Abkühlung der Wintertemperaturen um 10 °C bis 30 °C innerhalb eines Jahrhunderts. Bereits innerhalb von ein oder zwei Jahrzehnten würde dies zu einem völlig anderen Klima führen. Darüber hinaus würde sich der tropische Niederschlagsgürtel erheblich verschieben. Diese und viele weitere Auswirkungen eines Zusammenbruchs der AMOC sind seit langem bekannt, wurden aber bisher noch nicht in einem so detaillierten Klimamodell gezeigt.

Eine in Nature veröffentlichten Studie kam 2023 zum Schluss, dass der Kipppunkt mit grosser Wahrscheinlichkeit (95%-Konfidenzniveau) schon zwischen 2025 und 2095 erreicht sein könnte. Die neue Studie unterstützt diese Resultate und bestätigt auch frühere Bedenken, dass Klimamodelle die Stabilität der AMOC systematisch überschätzen.

Der Klima- und Meeresforscher Stefan Rahmsdorf kommentiert: «Angesichts der Auswirkungen ist das Risiko eines Zusammenbruchs der AMOC um jeden Preis zu vermeiden. Die Frage ist nicht, ob wir sicher sind, dass dies passieren wird. Es geht darum, dass wir es mit einer Wahrscheinlichkeit von 99,9% ausschliessen müssen. Sobald wir ein eindeutiges Warnsignal haben, wird es angesichts der Trägheit des Systems zu spät sein, etwas dagegen zu unternehmen.»

Mehr zu Kipppunkten erklärt Stefan Rahmsdorf in der Republik: Würden Sie in ein Flugzeug steigen, das mit einer Wahrscheinlichkeit von 10 Prozent abstürzt? Zahlreiche Berichte warnen eindringlich vor Kipppunkten, etwa der OECD-Bericht über Klima-Kipppunkte vom Dezember 2022 und der im Dezember 2023 veröffentlichten Bericht über globale Kipppunkte. Mehr dazu auch bei Real Climate von Stefan Rahmsdorf und im Tagesanzeiger (paywall).

Wie die atlantische Umwälzzirkulation funktioniert:

Warmes Oberflächenwasser vom Äquator zirkuliert in die höheren Breitengrade. Dort trifft das Wasser auf starke Winde und kalte Lufttemperaturen, die es kälter und dichter werden lassen. Dieses kalte, dichte Wasser sinkt in die Tiefen des Ozeans ab und wird dann in der Tiefe wieder nach Süden befördert, wodurch eine förderbandartige Schleife entsteht.

Zunehmende Regenfälle, die Abschmelzung des grönländischen Eises und Schmelzwasser von tauenden Gletschern auf den Kontinenten verdünnen den Nordatlantik. Dadurch sinken der Salzgehalt und die Dichte des Meerwassers: Es wird leichter und sinkt dadurch deutlich langsamer in die Tiefe. Doch genau diese Absenkbewegung ist ein entscheidender Antrieb der Umwälzzirkulation. Wird sie zunehmend schwächer, hört die Zirkulation auf. Das war vor ca. 12‘000 Jahren das letzte Mal der Fall und hat damals eine Eiszeit in Europa ausgelöst.

Illustration von Caesar et al., Nature 2018

Frauen leiden stärker unter dem Klimawandel

Extreme Hitze macht einige der ärmsten Frauen der Welt noch ärmer. Zu diesem Schluss kommt eine Studie der FAO. Dafür wurden Wetter- und Einkommensdaten in 24 Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen analysiert. Zwar ist Hitzestress für alle ländlichen Haushalte kostspielig. Doch für Haushalte, die von einer Frau geführt werden, sind die Auswirkungen gravierender. So verlieren Haushalte mit weiblichem Haushaltsvorstand bereits heute 8% mehr ihres Jahreseinkommens als andere Haushalte. Ein Grund dafür ist, dass Auswirkungen der Klimakrise bestehende Ungleichheiten von Frauen noch verschärfen. Sie verfügen seltener über Landbesitz. Das führt dazu, dass sie weniger Zugang zu wichtigen Dienstleistungen wie Krediten, Ernteversicherungen und landwirtschaftlichen Beratungsdiensten haben, die ihnen bei der Anpassung an den Klimawandel helfen.

Gemäss der FAO-Studie sind Frauen auch stärker von den langfristigen Auswirkungen der globalen Erwärmung betroffen: Wenn die Durchschnittstemperatur um 1 Grad steigt, verlieren Haushalte, die von Frauen geführt werden, 34% mehr Einkommen als andere Haushalte. Auch von Überschwemmungen sind Frauenhaushalten stärker betroffen. Mehr dazu im Guardian und der NY Times (paywall).

Die komplexe Klimawirkung von Wäldern

Die Abholzung der Wälder schreitet fort

Weltweit wurde nach Angaben des World Resources Institute (WRI) im vergangenen Jahr eine Fläche von fast der Grösse der Schweiz abgeholzt. Das entspricht zehn Fussballfeldern pro Minute. In Brasilien und Kolumbien ist die Entwaldung erfreulicherweise zwar deutlich zurückgegangen, um 36% bzw. 49% im Vergleich zum Vorjahr. Dennoch gehört Brasilien neben der Demokratischen Republik Kongo und Bolivien immer noch zu den drei Ländern, die am meisten Regenwald abholzen. Zusammen waren die drei Länder im vergangenen Jahr für mehr als die Hälfte der gesamten weltweiten Zerstörung verantwortlich. Mehr dazu im Guardian.

Wälder können eine wichtige kühlende Wirkung haben, aber auch aufheizen

Eine Nature-Studie aus dem Jahr 2021 zeigte, dass die meisten bewaldeten Gebiete stärker bewölkt sind. Das senkt die Temperaturen, weil mehr Sonnenlicht reflektiert wird. Ein neuer Artikel in Nature zeigt einen weiteren kühlenden Effekt auf: In Wäldern wird die Wasserverdunstung durch die Transpiration erhöht, was die Umgebung kühlt. Die Aufforstung kann also sowohl CO2 binden als auch die lokalen Temperaturen senken.

Doch die Klimawirkung von Wäldern ist komplex. Eine weitere Studie zeigt, dass durch die Aufforstung von Wäldern zwar CO2 gespeichert wird, sich dadurch aber die Umgebung aufwärmen kann, vor allem wenn die Erdoberfläche durch den neuen Wald dunkler geworden ist. Der sogenannte Albedo-Effekt zusammen mit Auswirkungen auf Ozon, Methan und Aerosole führen dazu, dass der Nettoklimaeffekt der Aufforstung je nachdem 15-30% kleiner ist, als wenn nur das gespeicherte CO2 betrachtet wird. Mehr bei The Conversation und bei Inside Climate News.

Auch unsere Wälder sind bedroht

Auch die Wälder in unseren Breitengraden sind bedroht. Das liegt an der erhöhten Nutzung, an Hitze und Trockenheit und am Befall mit Schädlingen wie Borken- oder Buchenprachtkäfern sowie Parasiten und Pilzen. Sind Bäume durch Klimaextreme geschwächt, können sie sich dagegen nicht mehr so gut wehren. Welche Arten in Zukunft in unseren Wäldern gedeihen können, muss nun erforscht werden. Mehr dazu beim Öko-Institut.

Zur erhöhten Nutzung und Frage, ob Holz zur Energiegewinnung eingesetzt werden sollte, sagt Dr. Hennenberg: «Aus Treibhausgassicht ist es immer besser, den Kohlenstoff gespeichert zu halten, in Wäldern – wenn diese gesund sind – oder als langlebiges Holzprodukt», «Darüber hinaus sind die Emissionen bei der Verbrennung von Holz mit 367 kg CO2 je Kilowattstunde erzeugter Energie deutlich höher als bei Erdgas oder Heizöl. Hier liegen sie bei 202 beziehungsweise 288 kg CO2 pro kWh. Wir müssen zuerst aus den fossilen Energien und dann aus der Holzverbrennung aussteigen – übrigens auch, weil dabei Feinstaub entsteht, der die Gesundheit belastet.» Eine sinnvolle Alternative zur Holzenergie sei etwa die Wärmepumpe, die mit erneuerbarem Strom betrieben wird. Mehr dazu beim Öko-Institut.

Aktiv gegen Hoffnungslosigkeit

Viele von uns fühlen uns immer wieder hoffnungslos, ob der schieren Wucht der vielen schlechten Nachrichten und der langsamen politischen Veränderungen. Hoffnungslosigkeit und ein «Es-ist-eh-zu spät» führen nicht nur dazu, dass wir uns schlecht fühlen. Es demotiviert uns auch, zu handeln. Das zeigt eine neue Studie, für die 60’000 Menschen aus aller Welt befragt wurden.

Ähnlich sieht es des renommierte US-Forscher Michael Mann in seinem neuen Buch. Nicht nur die Klimaleugner, sondern auch die Hoffnungslosen würden den Klimaschutz untergraben. Der Atmosphärenforscher Adam Sobel erklärt, dass die Angst vor der Zukunft und der Klimakrise mittlerweile Teil des Menschseins geworden ist. Wichtig sei, dass wir uns weiterhin engagieren.

Dank der direkten Demokratie der Schweiz können (und sollen) wir uns immer wieder engagieren und mitentscheiden. Hier die Übersicht über aktuelle Initiativen und Abstimmungen:

  • Stromgesetz: 9. Juni
  • Biodiversitätsinitiative: 22. September (zum Zusammenhang von Klima und Biodiversität siehe diesen Bericht)
  • Referendum gegen den Autobahnausbau: 24. November
  • Finanzplatzinitiative: Die Lancierung findet möglicherweise im Sommer statt.

Mit der App CO2-Footprint Coach kannst du deinen CO2-Fussabdruck analysieren und senken.

Last but not least ein Zitat aus einem Artikel von Barbara Bleisch und vier weiteren Philosoph:innen im Tagesanzeiger (paywall). Sie haben die wichtigsten Argumente in der Klimadebatte auf ihre Tauglichkeit geprüft:

«Der Zeitpunkt und vor allem das Ausmass vieler Klimawandelfolgen stehen nämlich keineswegs fest. Im besten Fall könnte es uns noch gelingen, einen Grossteil des Planeten bewohnbar zu halten und für uns und andere Spezies eine gedeihliche Zukunft zu sichern. Im schlimmsten Fall hinterlassen wir eine auf Dauer verwüstete Erde. Der Unterschied zwischen diesen Szenarien ist enorm und reicht völlig aus, um entschlossenes Handeln zu rechtfertigen.»